Glücklich geschieden

Der Tagesanzeiger und andere Zeitungen meldeten gestern, dass Ehen am häufigsten im 7. Ehejahr geschieden werden. Doch mit dem verflixten Siebten habe dies nichts zu tun. Dafür mit dem Ausländerrecht: „Kommt die C-Bewilligung, kommt Scheidung“, meint der Tagesanzeiger.
Als Ökonomin überrascht mich dies kaum. Wer nun aber glaubt, Anreize wirkten nur bei Ausländern, respektive gemischten Paaren, täuscht sich. Die 10. AHV Reform mit Splitting und Kindergutschriften sowie die obligatorische Teilung des BVG Guthabens brachten vor rund 10 Jahren nicht nur Verbesserungen für Frauen. Eine Scheidung wurde durch dieser Reformen gerade für Paare um das Rentenalter herum deutlich „billiger“.
Und siehe da, die Anreize wirken. Wer die untenstehende Graphik genau studiert, sieht zwei Dinge. Erstens passten eine beträchtliche Anzahl der Paare ihren Scheidungszeitpunkt an und trennten sich gerade noch vor dem Inkrafttreten der neuen Regeln. Zweitens hat sich der Unterschied in den Scheidungsraten zwischen allen Ehepaaren und Ehepaaren zwischen 55 und 75 seit den Reformen deutlich verringert (etwa halbiert). In anderen Worten: Ältere Ehepaare scheiden nun relativ häufiger als vorher. Mit grosser Wahrscheinlichkeit weil es sich seit 2000 besser lohnt. Und daran sind nicht die Ausländer „schuld“.
Es soll ja ältere Paare geben, die sich alleine deswegen scheiden lassen, um der Rentenplafonierung zu entgehen (oder um Steuern zu sparen). Das erinnert mich an eine Werbekampagne in Holland bei der eine gutgelaunte Frau ihrem Ehepartner fröhlich zuruft: „Theo, wij gaan scheiden“. (In Holländisch heisst dies sowohl „wir scheiden“ als auch „wir trennen“ – in diesem Fall Abfall).

PS: Damit keine Missverständnisse entstehen: Dies ist KEIN Plädoyer für die Aufhebung der Plafonierung der AHV Ehepaarrenten.

Scheidungsraten

SP auf dem Penaltypunkt

Eben wurde ich von einer Journalistin darauf hingewiesen, dass die SP Schweiz dieses Wochenende die geplante Volksinitiative zur Einführung einer eidgenössischen Erbschaftssteuer debattieren wird. Mit diesem Thema hat sich die Partei einen Elfmeter herausgespielt, doch scheint sie sich anzuschicken, den Ball dem Torhüter zuzuschubsen.

Es gibt nämlich drei Arten, für eine neue Steuer zu plädieren. Im Normalfall liegt das ausschlaggebende Anliegen auf der Ausgabenseite, wofür es mittels höherer Steuern die entsprechende Finanzierung zu sichern gilt. So geschehen zum Beispiel bei der Volksabstimmung vom September 2009, als die Stimmbürger zwecks Sanierung der Invalidenversicherung eine Anhebung der Mehrwertssteuer billigten. Im Zentrum stand damals die IV; die Steuererhöhung wurde als vorübergehend notwendiges Übel geschluckt.

Neue Steuern lassen sich zweitens rechtfertigen, indem man dadurch andere, weniger effiziente, Steuern ersetzt. So geschehen beispielsweise, als die Mehrwertssteuer anstelle der alten Warenumsatzsteuer eingeführt wurde. Dieser Ansatz ist die hohe Torecke für die Befürworter einer eidgenössischen Erbschaftssteuer. Dass die Erbschaftssteuer aus volkswirtschaftlicher Sicht eine der schmerzlosesten Formen staatlicher Mittelbeschaffung darstellt, liegt nämlich auf der Hand. Solange sich der Staat bei Grosserben Mittel holt und dadurch andere, leistungs- und konsumhemmende, Steuern senkt, ist daran aus Effizienzüberlegungen schwer etwas auszusetzen. Die Initianten wollen zwei Drittel des Erbschaftssteueraufkommens der AHV zukommen lassen. Gute Idee: So senke man die Lohnprozente im entsprechenden Umfang, oder das der AHV reservierte Mehrwertssteuerprozent. Oder man eröffne ein Sparkonto für die AHV, um der prognostizierten Finanzierungslücke vorzubeugen.

Aber nein, die SP scheint zur dritten Strategie Anlauf zu nehmen. Sie erachtet die Erbschaftssteuer als an sich schon wünschbar und denkt sich neue Ausgabenposten aus, für welche sie die neuen Einnahmen verwenden möchte. Im Zentrum der gegenwärtigen Argumentation der Parteistrategen stehen steigende Einkommens- und Vermögensungleichheiten, denen es ihrer Meinung nach entgegenszusteuern gilt. Die jüngste Abfuhr des Schweizer Stimmvolks gegenüber der „Steurgerechtigkeitsintiative“ hat gezeigt, dass mit solchen Umverteilungsargumenten keine Mehrheit zu gewinnen ist. Die Partei spielt offenbar mit dem Gedanken, die allfälligen neuen Steuereinnahmen für zusätzliche AHV-Leistungen einzusetzen. Die Rede ist von einer Flexibilisierung – sprich Herabsetzung – des Rentenalters.

Wenn sie an dieser Argumentation festhält, trachtet die Partei mit der Erbschaftssteuerinitiative also nach mehr Staat und nicht bloss nach einem intelligenter finanzierten Staat. Das wäre ein Schüssli in die wartenden Hände des (etwas rechts der Mitte positionierten) Torhüters.


Eine reine Preisindexierung der AHV- und IV Renten ist nicht sinnvoll

Die meisten Sozialversicherungen, insbesondere die Alterssicherungssysteme, haben teilweise gravierende Finanzierungsprobleme. Als eine mögliche Lösung wird ein Wechsel von der heutigen Mischindexierung der Renten zu einer reinen Preisindexierung vorgeschlagen. Was auf den ersten Blick überzeugend wirkt, erweist sich auf bei genauerer Betrachtung allerdings als tückisch. Dabei geht es nicht nur um die von linken Parteien befürchtete Zunahme der Armut im Alter und bei Invalidität – diese Befürchtung hat sich in Grossbritannien nach Margaret Thatcher ja durchaus bewahrheitet. Ein anderer Mechanismus spricht ebenso dagegen. In Krisenzeiten, wenn die Finanzierung der Sozialleistungen ohnehin am schwierigsten ist, kann eine reine Preisindexierung sehr teuer werden. Nämlich dann, wenn die Preise steigen, die Nominallöhne aber konstant bleiben. Lesen Sie bitte hier weiter

Die IV mit Burn-Out

Vor einigen Jahren dominierten „Scheininvalide“ die Diskussion um die schweizerische Invalidenversicherung IV und deren Finanzierung. Mit der 5. IV Revision sowie der generellen Verschärfung der Beurteilungspraxis in der IV drehte der Wind. Die Anzahl der Neurentner sank massiv, die „Scheininvaliden verschwanden aus der Diskussion. Heute steht die IV am Pranger. Der Chef der IV, Stefan Ritler, musste sich vergangene Woche nach einem Interview mit dem Tagesanzeiger harsche Kritik gefallen lassen („Ein Zyniker als oberster IV Chef“, „Nationalsozialistisches Gedankengut“), weil er sachlich Fragen zur Rentensprechung bei psychischen Leiden und Scheudertraumatas beantwortete.

Der Tagesanzeiger goss allerdings auch Öl ins Feuer, indem er das Interview mit „Arbeit ist die beste Ablenkung vom Schmerz“ betitelt hat. Dies hat Herr Ritler so natürlich nicht gesagt. Die kritischen Passagen lauten (Achtung: Zitat ;-)):

Tagesanzeiger: Gibt es das Schleudertrauma aus Ihrer Sicht gar nicht?
Ritler: Zum Schleudertrauma möchte ich Folgendes sagen: In der Westschweiz gibt es diese Diagnose praktisch nicht. Im umliegenden Ausland auch nicht, weil damit keine Versicherungsleistungen bezogen werden können. Die Diagnosen kommen vor allem im Grossraum Basel-Zürich vor, wo die sogenannten Geschädigtenanwälte ihre Büros haben. Auch ich weiss von Menschen, die nach einem Schlag auf die Halswirbelsäule bei gewissen Belastungen Schmerzen haben. Meine Feststellung ist aber auch hier: Die Rente nimmt diesen Schmerz nicht. Es stellt sich aber die Frage, ob die Betroffenen medizinisch adäquat behandelt worden sind.

Tagesanzeiger: Aber mit diesem Schmerz kann man unter Umständen nicht arbeiten.
Ritler: Das schliessen wir nicht grundsätzlich aus. Wir stellen uns aber zuerst die Frage, was kann jemand gegen die Schmerzen unternehmen? Leute mit Schmerzen sagen doch oft: Die Arbeit ist die beste Ablenkung von meinem Schmerz. Wenn man sich zu Hause in sozialer Isolation immer mit seinen Schmerzen beschäftigt, wird es noch schlimmer.

Die Aufgabe der Invalidenversicherung ist keine einfache: Psychische Krankheiten und somatoforme Störungen (Schmerzen ohne organische Ursache) stellen viel höhere Anforderungen als körperliche. Sie sind oft mit der Arbeits- und Lebenssituation der Betroffenen verzahnt. Ihre Diagnose ist schwierig – trotz Früherkennungsmassnahmen. Internationale Studien zeigen, dass Fehlerquoten bei den Invalidenversicherungen hoch sind. Dabei geht es nicht nur um „Scheininvalide“. Strenge Screenings führen nachweislich dazu, dass vielen tatsächlich Kranken Leistungen zu Unrecht verweigert werden – in den USA bis zu einem Viertel der Kranken.

Mehr dazu in meinem Artikel in der NZZ von heute. Wer die NZZ abonniert hat: Der meinem Beitrag gegenüberliegende Artikel von Jürg Krummenacher ist übrigens sehr interessant, auch wenn ich nicht alle seine Ansichten teile. Übrigens: Reaktionen sind auch schon eingetroffen – allerdings noch nicht 211 wie beim Interview mit Stefan Rittler.

PS: Die im Artikel zitierte Arbeit von Low und Pistaferri findet sich hier.

Steuerbefreiung des Existenzminimums?

Wer zu einem kleinen Lohn arbeitet, hat oft weniger verfügbares Einkommen als ein Sozialhilfebezüger. In vielen Kantonen gibt es substantielle Schwelleneffekte beim Ausstieg aus der Sozialhilfe. Genau so wie dem Arbeiter mit bescheidenem Lohn, geht es einer Rentnerin mit einer kleinen BVG Rente. Unter Umständen bleibt ihr weniger als ihrer Kollegin, deren AHV Rente durch Ergänzungsleistungen aufgebessert wird. Grund ist in beiden Fällen, dass Arbeitseinkommen und Rente (aufgeschobenes Arbeitseinkommen sozusagen) besteuert werden, Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe jedoch nicht.

Die steuerliche Ungleichbehandlung lässt sich nicht rechtfertigen. Sie führt zudem zu krassen Fehlanreizen. Es lohnt sich im Falle von Sozialhilfe nicht, zu arbeiten. Die Rentnerin fährt besser, wenn sie sich ihr Alterskapital aus der beruflichen Vorsorge auszahlen lässt. Wenn es aufgebraucht ist, kann sie Ergänzungsleistungen beziehen (Mehr dazu hier).

Bedarfsleistungen dürften steuerlich nicht mehr privilegiert werden. Die Frage ist, wie dies in der Praxis umzusetzen wäre. Ein erster Vorschlag wäre, alle Einkommen – also insbesondere auch Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen genau gleich wie Erwerbseinkommen zu besteuern. In diesem Fall bleibt den Bedürftigen weniger. Gleichzeitig käme es wohl unweigerlich zu einem Druck, die Bedarfsleistungen als Kompensation zu erhöhen. Die zweite Idee ist eine weitgehende Befreiung des Existenzminimums von den Einkommenssteuern.

Gegen den zweiten Vorschlag – eine Steuerbefreiung des Existenzminimums – regt sich vor allem Widerstand aus bürgerlichen Kreisen. Auch das Bundesgericht meinte vor einiger Zeit: Aus Art. 4 BV (Existenzsicherung) könne nicht abgeleitet werden, dass „ein bestimmter Betrag in der Höhe eines irgendwie definierten Existenzminimums von vornherein steuerfrei belassen werden könnte.“ Die Besteuerung aller Einwohner sei wichtig, damit sich auch wirklich alle bewusst seien, dass die Leistungen des Staates nicht gratis zu haben seien. Oder wie es das Bundesgericht ausdrückt: „Aus dem aus Art. 4 BV hergeleiteten Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung kann auch gefolgert werden, dass alle Einwohner entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einen – wenn auch unter Umständen bloss symbolischen – Beitrag an die staatlichen Lasten zu leisten haben.“

Ich glaube dennoch, dass die weitgehende Steuerbefreiung des Existenzminimums aus folgenden Gründen richtig wäre:

1)   Bereits heute beteiligen sich über die Mehrwertsteuer und Gebühren auch die Ärmeren an den staatlichen Lasten.

2)   Das Argument, eine Einkommenssteuer auf geringen Einkommen erhöhe das Bewusstsein über die Kosten der staatlichen Leistungen, kaufe ich nicht. Es mag sein, dass den meisten die Beteiligung an den Kosten via Mehrwertsteuern und Gebühren nicht bewusst ist. Viel offensichtlicher ist dies, wenn man eine Steuerrechnung erhält, die aufs Mal bezahlt werden muss. Ob es allerdings gescheiter ist, Einkommensteuern auch auf sehr kleinen Einkommen zu erheben und diese dann in Form von Subventionen wieder zurückzuerstatten, sei dahingestellt. Das Bewusstsein, dass die staatlichen Leistungen etwas kosten, wächst so kaum. Meiner Meinung leidet dadurch eher das Ansehen des Staates.

3)   Eine weitgehende Steuerbefreiung des Existenzminimums erzeugt weniger negative Arbeits- und Sparanreize. Das Dickicht von Steuern und einkommensabhängigen Subventionen  bestraft heute diejenigen am meisten, die sich aus eigener Kraft aus der Armut befreien wollen.

PS1: Nationalrat Paul Rechsteiner (SP St. Gallen) hat mich mit seiner Frage zur Steuerbefreiung des Existenzminimums (anlässlich einer Anhörung der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates) zu diesem Batz-Eintrag angeregt.

PS2: Ein herzliches Dankeschön an meinen Mitarbeiter Lukas Schwank, der diesen Beitrag kritisch durchgelesen hat – er hätte wohl differenzierter argumentiert.

Die Nöte des Mittelstands: Schwelleneffekte und Subventionen

Vom Mittelstand war viel die Rede im Zusammenhang mit der Steuerinitiative.

Doch die Nöte des Mittelstands haben wenig mit den Einkommenssteuern zu tun. Viel wichtiger ist eine inkohärente Transferpolitik, die über eine grosse Zahl von einkommensabhängigen Subventionen und Tarifen zu teils grotesken Schwelleneffekten führt. Vor allem aber dazu, dass sich Arbeit und Vorsorge nicht mehr lohnen – eher schon die Maximierung der Subventionen.

10 vor 10 brachte gestern einen sehr anschaulichen Beitrag zu den Schwelleneffekten (wer mich nicht sehen will, konzentriere sich auf die ausgezeichneten graphischen Erläuterungen)

Dass es sich auch für den mittleren und oberen Mittelstand oft nicht lohnt zu arbeiten, zeigt der Beitrag „Wir Abzocker“ im Magazin vor einigen Jahren.

Für mich einer der besten Beiträge, die das Magazin je publiziert hat.

Regulator’s Dilemma

Die irische Krise wirft auch ein grelles Licht auf die zweischneidige Rolle der Bankaufseher. Das Wall Street Journal erinnert daran, dass die irischen Banken im Juli, bevor sie das Land ins Verderben rissen, die behördlichen Stress-Tests noch brav bestanden.

Doch nicht nur die Stress-Tests sehen schlecht aus. Auch die Basler Eigenmittelempfehlungen hinken hinter der Realität hinterher. Staatsschulden gehen mit Gewicht null in die Berechnung der „Risikogewichteten Anlagen“ ein, solange sie ein AA-Rating haben. Irland ist zwar aus dem AA-Klub ausgeschieden und erhält jetzt wie Italien oder Portugal ein Gewicht von 20% (Griechenland: 100%).

Die nationalen Aufsichtsbehörden dürfen aber für Verpflichtungen ihrer Regierungen gegenüber einheimischen Banken tiefere Werte vorsehen. Wen wundert’s, dass gemäss Financial Times in der EU plötzlich der Anteil der Staatsschulden gegenüber Ausländern zurückgeht und derjenige gegenüber Inländern (wohl vor allem der Banken) ansteigt?

Die Bankaufsichtsbehörden helfen also ihren Banken, den höheren Eigenmittelanforderungen ausweichen. Dass die Banken dabei auf schlechten Papieren sitzen bleiben, stört sie wenig. Im Gegenteil — der Anreiz für die Banken, die Schrottpapiere der eigenen Regierung zu kaufen, wird noch zunehmen, wenn die in Basel geschneiderten verschärften Liquiditätsanforderungen in Kraft treten sollten. Denn selbstverständlich gelten Obligationen der eigenen Regierung als liquid.

Nur die irische Regierung hat (gemäss dem auf vier Jahre angelegten National Recovery Plan) eine noch bessere Mülltonne für ihre Schulden gefunden: Den nationalen Pensionsfonds. Wer’s auch fast nicht glaubt, lese den Blog der Financial Times.

Das AHV Rentenalter kommt ins Rentenalter

Wer 65 wird, bezieht schon fast reflexartig die AHV, auch aktive und gesunde Menschen. In meiner NZZ-Kolumne vom 12. September plädiere ich für eine Anpassung des ordentlichen Rentenalters an die gestiegene Lebenserwartung. Nur so kann sicher gestellt, dass genügend Mittel für jene bleiben, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger arbeiten können.

Wer mehr Hintergrund zur Debatte ums AHV Rentenalter haben möchte, dem sei das Buch von Katja Gentinetta und Christina Zenker empfohlen (erschienen im NZZ Verlag)