Et tu, Brady

Urs Birchler

Der CEO von CS, Brady Dougan, nennt in der heute veröffentlichen Pressemitteilung als Ziel „unsere angestrebte Eigenkapitalrendite von 15% oder mehr“.

Wir haben erst vor kurzem mit der UBS über den Return on Equity (RoE) diskutiert (Kritik, Replik). Die Argumente gelten auch bezüglich CS. Drum hier nochmals das Wichtigste in Kürze:

  • Der RoE ist (unabhängig vom angestrebten Wert) grundsätzlich keine sinnvolle Zielgrösse. Dies hat auch SNB-Vizepräsident J.-P. Danthine in der FuW nochmals bekräftigt.
  • Ein RoE von 15% ist (namentlich in einem Umfeld tiefer Zinsen) für eine Bank auf die Dauer kaum erreichbar ohne das Eingehen entsprechend hoher Risiken.

Und zum Schluss noch einmal J-P. Danthine: „Die Erkenntnis, dass ein RoE-Ziel der falsche Massstab ist, setzt sich immer mehr durch.“ Die Frage ist nur: Mit welcher Geschwindigkeit?

Gebrannte Kinder …

Urs Birchler

… fürchten das Feuer, sagt der Volksmund. Daher könnte man erwarten: Banken, die gerettet werden mussten, sind nachher besonders vorsichtig. Aber ist das so? Die BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) in Basel hat dazu eine Studie von Michael Brei und Blaise Gadanecz veröffentlicht (Dank für den Hinweis an die Blick-Redaktion, die mit mir ein Interview geführt hat). Die Autoren vergleichen (am Beispiel des Markts für syndizierte Unternehmenskredite) das Verhalten der Banken, die in der Finanzkrise gerettet werden mussten, mit dem der Banken, die nicht gerettet werden mussten. Sie finden:

  • Sowohl die geretteten als auch die nicht-geretteten Banken reduzierten das Volumen der (syndizierten) Kredite nach der Finanzkrise von 2008.
  • Die geretteten Banken gingen nach der Rettung immer noch höhere Risiken ein als die anderen (wohl ebenfalls systemrelevanten) Banken.
  • Die geretteten Banken schlossen vor der Rettung riskantere Geschäfte ab als die später nicht geretteten Banken; sie scheinen auch eher schlecht bezahlte Risiken auf sich genommen zu haben.

Die Studie besagt allerdings nicht (1.) dass grosse (systemrelevante) Banken riskanter sind, da sie mit Rettung rechnen dürfen (alle Banken in der Untersuchung dürften systemrelevant sein) oder dass (2.) gerettete Banken eindeutig riskanter wären als nicht gerettete (nur der Sektor der syndizierten Anleihen wurde untersucht; ob dieser repräsentativ ist für das gesamte Bankgeschäft, bleibt offen).*

Dass die geretteten Banken nicht in Scham erstarrt sind und alle Risiken über Bord geworfen haben (zum Glück), überrascht nicht wirklich. Wichtig ist nicht, ob eine Bank gerettet wurde, sondern ob sie (bzw. ihre Geldgeber) beim nächsten Mal mit einer Rettung rechnen darf. Hierin dürften sich die geretteten und die nicht-geretteten kaum wesentlich unterscheiden. Was ich aber nie ganz verstanden habe: Weshalb die Retter (die Staaten) nicht viel kräftiger in die Risiokopolitik der geretteten Banken eingegriffen haben (und weshalb die Aktionäre der zu rettenden Banken immer wieder geschont werden).

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* Eine unterschiedliche Wirkung nach Grösse der Bank finden Lamont Black und Lieu Hazelwood in einem FED-paper bezüglich des amerikanischen TARP-Hilfsprogramms von 2008: TARP führte nicht zu der angestrebten Ausweitung des Kreditgeschäfts, aber zu einer unterschiedlichen Risikopolitik: Grosse Banken vergaben Kredite mit schlechterem Rating, kleine Banken solche mit besserem Rating.

Connecting Minds

Urs Birchler

Das Swiss Finance Institute zusammen mit NCCR/FinRisk hat unter dem Titel Connecting Minds ein neues Programm lanciert, das Praktiker und Forscher zusammenbringen will. Am Abend des 9. Oktober beispielsweise findet in Zürich eine kleine Konferenz mit illustren Namen statt (Jean-Charles Rochet, Claudio Borio, Barbara Ridpath, Hyun Song Shin, Markus Staub). Titel: „The post-crisis banking regulatory environment: A Swiss first-mover advantage?“ Die Schweiz wieder voraus? Da bin ich aber gespannt.

Der Appetit kommt mit dem Wissen

Urs Birchler

Seit Jahren wechseln sich Presseberichte über „Grüselbeizen“ (z.B. hier im Blick) ab mit Forderungen, die Resultat der Lebensmittelkontrolle zu veröffentlichen (z.B. in den Leser-Kommentaren zum erwähnten Blick-Artikel). Offenbar gibt es Gründe, die Gäste, die Wirte und die Kontrolleure vor Transparenz zu schützen. Jedenfalls in der Schweiz. In unseren England-Ferien trafen wir am Eingang der Restaurants gerne die Food Hygiene Ratings der Food Standards Agency. Dort, wo das Rating nicht aushängt, darf es der Gast verlangen, aber darauf hat er meist bereits keinen Appetit mehr.

„Kann man nicht auch einmal Pech haben und dann klebt das schlechte Rating, bis die Kontrolleure wiederkommen?“ fragte ich einen Wirt. Dieser lakonisch: „Drum lässt man’s eben gar nicht so weit kommen.“

Warum funktioniert Transparenz — so macht es mindestens den Anschein — in England, aber nicht in der Schweiz? Für sachdienliche Hinweise sind wir dankbar.

Staat–Banken–Wirtschaft

Urs Birchler

Am 5./6. September findet an der Universität Zurich das 30. SUERF Colloquium statt. Es trägt den Titel: „States, Banks, and the Financing of the Economy“.
Wichtige Referenten werden sich mit den wirtschaftlich-politischen Folgen der Finanz- und Schuldenkrise auseinandersetzen. SUERF (Société Européenne de Recherches Financierès) ist ein nicht gewinnorientiertes Netzwerk von Vertretern aus Universitäten, Notenbanken und Praxis. Das Colloquium ist öffentlich (Platzzahl beschränkt). Alles weitere: siehe Programm.

[Transparenzhinweis: Der Autor dieses Eintrags ist Präsident des Council of Management von SUERF. In dieser Funktion möchte er auch hier allen Sponsoren und anderen Beteiligten, die das Colloquium möglich machen, ganz herzlich danken.]

Im falschen Film

Monika Bütler

Veröffentlicht, leicht gekürzt, in der NZZ am Sonntag vom 12. August 2012 unter dem Titel „Die Altersgrenzen für Kinofilme sind sinnlos“

Regensonntage sind Kinosonntage, dachten wir vor einigen Wochen und bestellten Tickets für den Dokumentarfilm Violinissimo. Mit dabei waren unsere Kinder, der Jüngste ein Drittklässler und begeisterter Geigenspieler. „Sie wissen, dass der Film erst ab 16 Jahren freigegeben ist?“ fragte uns die freundliche Dame an der Kasse. Lange Gesichter; nein, das war uns nicht bewusst. Was denn um Himmelswillen am Film schlimmer sei als an den unsäglichen Folgen von Star Wars, die wir Eltern gelegentlich erdulden, meinte mein Mann verzweifelt. Violinissimo begleitet drei Teilnehmer durch die Höhen und Tiefen des Joseph-Joachim-Violinwettbewerbs. Der Film ist sehr interessant und spannend – und absolut harmlos. Kein Schuss, kein Kuss, auch keine mentale Gewalt. Wettbewerb schon, und nicht alle können am Ende gewinnen. Aber keine verstörende Geschichte, welche eine Begleitung durch einen Psychologen notwendig machte.

 Des Rätsels Lösung (hier verkürzt wiedergegeben): Aus Kostengründen wurde der Film nicht der privaten Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft FSK zur Visionierung vorgelegt. Dieses Gremium – uns zuvor unbekannt – hätte den Film nach einer eingehenden Prüfung durch diverse Fachleute mit einem entsprechenden Label versehen. Ohne dieses Zertifikat aber gilt automatisch das gesetzliche Mindestalter von 16 Jahren. Gesetzliche Grundlagen des Verfahrens sind Jugendschutzgesetze, welche verhindern sollen, dass den armen Kindern durch böse Filme Angst gemacht wird.

 Wer sich durch die Unterlagen der FSK durchgekämpft hat, begreift schnell, weshalb Violinissimo kein Einzelfall ist. Für viele kleine Verleger sind die mehrere Tausend Franken (eine genaue Zahl war nicht zu eruieren) viel zu viel, um sich freiwillig selbstkontrollieren zu lassen. Bei anderen landen wahrscheinlich ansehnliche Beträge staatlicher Filmfördergelder wegen dieser vom Staat geforderten Kontrolle in privaten Händen. Ohne künstlerischen Nutzen.

 Die FSK-Freigaben sind durchaus informativ. Sie als freiwillig zu bezeichnen, ist angesichts der rechtlichen Bindung der Empfehlungen allerdings ein Witz. Der faktische Zwang spottet auch einer Gesellschaft, die auf Vernunft und Eigenverantwortung baut. Überhaupt: Weshalb muss der Filmverleger den Beweis der Unbedenklichkeit durch eine private Zertifizierung selber erbringen. Viel unbürokratischer wäre das Umgekehrte: Die Verleger deklarieren selber nach bestem Wissen und Gewissen. Der Jugendschutz schreitet erst ein, wenn er begründeten Verdacht einer Irreführung hat.

Noch schlimmer ist, dass die staatlichen Behörden den Eltern und der Schule überhaupt nicht mehr trauen. Und dies sogar im öffentlichen Raum, wo die freiwillige Selbstkontrolle meist gut funktioniert.  Niemand würde es wagen, mit einem Drittklässler im Kino Die Vögel von Alfred Hitchcock anzusehen. Und sollte er es dennoch tun, würde er wahrscheinlich spätestens an der Kasse von diesem Vorhaben abgehalten.

Zuhause gibt es keine solche Kontrolle. Klar gibt es unter den Eltern immer wieder schwarze Schafe: Wir haben unseren beiden Buben Die Vögel tatsächlich zugemutet. Es nützen also die raffiniertesten Label nichts, wenn die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht wahrnehmen. Wir haben aber Schelte bezogen und würden es nicht mehr tun. Um die Eltern kommt der Staat gleichwohl nicht herum. Weshalb dann nicht auch im Kino die begleitenden Eltern entscheiden lassen?

Es geht ja nur um Filme, könnte man argumentieren, ein Luxusproblem also. Doch mit obligatorischen Kindersitzen, baulichen Einschränkungen zum Wohle der Jüngsten und Hüte-Lizenzen werden Eltern und Lehrer – unter dem Titel Jugendschutz und Sicherheit – mehr und mehr entmündigt. Irgendeinmal wird der Regeldschungel so dicht, dass die Erzieher und Ausbildner bei einer allfälligen Regulierungslücke aus Mangel an Übung den Kompass tatsächlich verlieren.

Zirkusträume

Urs Birchler

Wir sollten träumen, bat der Zirkusdirektor zu Beginn der Vorstellung. Der Traum, das halbvolle Zelt möge sich noch füllen, blieb allerdings unerfüllt. Offenbar gilt auch in der Zirkuswelt mittlerweile „the winner takes all“, wo nur noch Superstars zählen, wo alle nur noch das Beste gesehen haben wollen. Und das traut man nicht dem kleinen Zirkus Royal zu, der am Stadtrand an der Stelle eines geschleiften Fussballstadions gastiert.

An den Darbietungen kann es nicht liegen. Natürlich ist die Artistik vielleicht nicht ganz Weltspitze, aber vieles ist ausgezeichnet, wie beispielsweise der Jongleur, dessen Ballkünste dem verschwundenen Stadion Hohn spotten. Und dann die blonde Dame die ihre Tiger (1 ♂, 4 ♀) straff im Zaum hält und dafür mit einem Gutenachtkuss belohnt wird.

Aber die beste Nummer ist eine versteckte: Das Sparprogramm. Der ganze Abend wird von ca. 8 Artisten (plus wenige Hilfskräfte) bestritten, wobei einige zwei hinreichend verschiedene Nummern anbieten. Und Pausenglacé verkauft halt der Schlangenmensch gleich selber. Zum Thema Frühpensionierung tritt der Alt-Patron (deutlich über 70) des Zirkus Medrano mit seinen Kamelen auf. Seinem eigenen Zirkus brach vor zwei Jahren die Fussball-WM plus Hitzewelle das finanzielle Genick. (Auch die Zusammenarbeit mit pro specie rara half nichts. Hinterwäldler-Rind wollen die Schweizer dann doch lieber auf dem Bio-Teller sehen als im Zirkusrund).

Zirkus mit Tieren — die Quadratur der Manege. Wegen der vielen Ortswechsel wird ein Zirkus bis zu 45 mal im Jahr veterinäramtlich kontrolliert (laut Aussage des Direktors). Dazu kommt der Tierschutz, der auf seiner Homepage über den Zirkus Royal schreibt: „der Umgang mit den Tieren in der Manege … ist oft hektisch und wenig behutsam“. So habe ich’s nicht erlebt. Sogar die Tiger waren behutsam mit ihrer Gebieterin.

Also insgesamt ein wehmütiger Abend. Ein innerer Abschied von einem Zirkus mit Wasserlachen vor dem Zelt, mit Tiergeruch, mit Artisten, die alles geben, nicht nur für ihre Nummer, sondern für den Zirkus, mit der Poesie der Zerbrechlichkeit. Was bleiben wird, ist der Regulierungszirkus, diese Myriaden gutgemeinter Vorschriften, jede einzelne sinnvoll — aber in ihrer Gesamtheit kein Traum, sondern ein Albtraum.

Ökonomenstreit: Wer hat recht?

Urs Birchler und Monika Bütler

Zunächst natürlich beide — das heisst: Sowohl die 170 Professoren um Hans-Werner Sinn als auch die 15 Unterzeichner um Jan Krahnen und Martin Hellwig. Beide Gruppen sehen die Gefahren einer europäischen Bankenunion in voller Schärfe. Der Unterschied liegt im Vertrauen in die Wirksamkeit von Vereinbarungen, welche verhindern sollen, dass die Bankenunion zur reinen Bankensubvention wird.

Hier stehen wir (wie im TA-Online ausgeführt) auf der Seite der Pessimisten (Sinn & Co.). Die EU hat wiederholt bewiesen: Erst fliesst das Geld; die dabei vereinbarten Regeln sind nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Genau wie dann am Ende das Geld.

Europäische Bankenunion — leere Taschen, leere Worte

Urs Birchler

Die gegenwärtig populäre Idee einer „Europäischen Bankenunion“ beinhaltet auch eine europaweite Einlagenversicherung mit einem Fonds, der Schadenfälle abdecken soll. Sie baut zum Teil auf die bestehende EU-Richtlinie zur Einlagensicherung. Eine wohlwollende Darstellung und Analyse findet sich in einem CEPS-Paper von Dirk Schoenmaker und Daniel Gros. Die Autoren schätzen, dass für die 35 grössten Banken ein Fonds von 55 Mrd. Euro ausreicht, um 1,5 Prozent der versicherten Einlagen abzudecken.

Die Idee des gemeinsamen Versicherungsfonds wirkt auf den ersten Blick bestechend, hat aber ein paar gravierende Probleme:

  • Erstens sollte man eine Versicherung einführen, bevor der Schaden eingetreten ist. Zur Lösung der gegenwärtigen europäischen Bankenprobleme kommt die gemeinsame Versicherung zu spät.
  • Zweitens ist ein gemeinsamer Versicherungsfonds nur ein anderer Name für zentralisierte Eigenmittel. Die Eigenmittel werden nicht bei der einzelnen Bank gehalten, sondern in der gemeinsamen Kasse. Ein Pooling unabhängiger Risiken wäre vom Versicherungsgedanken her auf den ersten Blick plausibel. Nur handelt es sich nicht um unabhängige Risiken (gerade im Bankensektor kommt ein Unglück selten allein). Noch schlimmer: die schlechtesten Banken holen den Jackpot ab, die guten sind die Geprellten.
  • Drittens reicht eine Deckung von 1,5 Prozent der versicherten Einlagen nicht aus. Zwar arbeitet die US-amerikanische Einlagenversicherung (FDIC) mit ähnlichen Werten (1,35 Prozent), muss aber nach Krisen immer wieder ex post Beiträge erheben. Zudem ist die FDIC nur vertrauenswürdig, weil sie über Staatsgrantie verfügt. Schoenmaker und Gros weisen denn auch darauf hin, dass die europäische Einlagenversicherung nur funktioniert, solange die Staatshaushalte im Lot sind. Dies ist auf absehbare Zeit kaum der Fall. Auch die bestehenden nationalen Systeme, die gemäss Erläuterungsbericht zur EU-Direktive ebenfalls mit Deckungen von gut 1 Prozent arbeiten, wandern auf dünnem Eis. (Die absolut notwendige Absicherung der Einlagenversicherung via Konkursprivileg der versicherten Einlagen verwendet die EU nicht, im Gegensatz zur Schweiz, den USA, Australien und anderen Ländern, darunter EU-Beitrittskandidat Montenegro. Das Konzept wird im Bericht über die Regulierungsfolgen der Direktive lediglich kurz erwähnt.)

Fazit: Einmal mehr greift die EU unter dem Druck der Krise zu einem unausgegorenen Konzept, das auf Scheinlösungen beruht (Stopfen vorhandener Löcher mit Geldern Dritter) und die Probleme langfristig eher verschärft (Verleitung der Marktteilnehmer zu moral hazard).