Banken abschaffen?

Urs Birchler

Jetzt kommt’s knüppeldick. Heute ist das Buch Das Ende der Banken: Warum wir sie nicht brauchen (basierend auf einer englischen Version von 2014) erschienen. Der fiktive Autor Jonathan McMillan steht für ein Duo bestehend aus dem NZZ-Wirtschaftsredaktor Jürg Müller und einem anonymen Investmentbanker. Die NZZ hat bereits vor zwei Wochen als Primeur eine Besprechung durch Tobias Straumann abgedruckt.

Die Autoren gehen aufs Ganze. Sie wollen verbieten, dass finanzielle Anlagen durch Schulden finanziert werden. Beispiel: Wer einen Hypothekarkredit gewähren will, darf diesen nicht mit Spareinlagen oder Kassenobligationen finanzieren. Im Klartext: Die Banktätigkeit wird verboten. Finanzielle Investitionen dürfen nur noch durch Eigenmittel finanziert werden. Eine „Bank“ bräuchte also hundert Prozent Eigenmittel (ausser für irgendwelche nicht-finanziellen Anlagen wie z.B. ihr Gebäude), wodurch sie zu einem Anlagefonds würde. Als zweite — „systemische“ — Sicherung müsste eine Unternehmung stets solvent sein, d.h. ein bisschen mehr Vermögen haben als Schulden.

Während die Vollgeldinitiative verlangt, dass Banken Kredite nicht mit Einlagen finanzieren („kein Geld schöpfen“), gehen die Autoren einen Schritt weiter und verbieten die Kreditfinanzierung mit Schulden überhaupt, egal ob mit Lohnkonti oder zehnjährigen Obligationen. Grob gesprochen: Die Vollgeldinitiative will die Banken in ihrer Fähigkeit zur Geldschöpfung kastrieren; die beiden Autoren von Das Ende der Banken wollen die Banken umbringen.

Gemein ist beiden Vorschlägen die „zweite Säule“: Die Geldschöpfung — die nur noch durch die Nationalbank erfolgen kann — soll nicht in Form eines Ankaufs von Vermögen (der Währungsreserven) erfolgen. Die Autoren sind auch hier radikaler als die Vollgeldinitiative: Neu geschaffenes Geld soll die Nationalbank an die Bürgerinnen und Bürger überweisen (die Vollgeldinitiative erlaubt auch eine Auszahlung an Bund und Kantone). Der Vorschlag beinhaltet also ein bedingungsloses Einkommen (wie die Autoren betonen: nicht Grundeinkommen, da die jährliche Geldschöpfung der SNB zu einem solchen nicht ausreicht). Und damit niemand auf dem Geld sitzen bleibt, kommt eine Liquiditätsprämie (gemeint: -steuer) dazu; Bargeld, das man einer solchen Besteuerung zu leicht entziehen könnte, wird abgeschafft.

Die Autoren versprechen sich (und den Leserinen und Lesern) einiges: Ein Ende von Finanzkrisen; Wegfall der (unbestritten) komplizierten Bankenregulierung; der impliziten Staatsgarantie für Banken und daher Wegfall des moral hazard im Bankenbereich — kurz: „Stabilität, Produktivität und Verteilungsgerechtigkeit“. Ein (zu) schöne neue Welt?

Die Autoren sind zu loben für eine überaus lesbare, flüssig geschriebene Einführung in die ökonomische Rolle der Banken. Die Argumentation wirkt auch selten propagandistisch (ausser: „Unser Vorschlag ist einzigartig, weil er das Digitalzeitalter mit offenen Armen begrüsst“). Ich habe auch keine Behauptungen entdeckt, die mir geradewegs falsch vorkamen. Die Argumentation wirkt geradlinig und überzeugt — fast. Ihre Stärke ist nämlich gleichzeitig ihre grösste Schwäche: Gegenargumente werden gar nicht erwähnt, geschweige denn geprüft.

Beispiel 1: Eine Bankenverbot dürfte wohl mit Kosten verbunden sein. Banken sind nicht nur eine (gelegentliche) Quelle von Krisen, sie haben auch über Jahrhunderte die wirtschaftliche Entwicklung begleitet und unterstützt. Ob dies im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr der Fall sein soll oder aber noch effizienter stattfinden wird, scheint mir offen. Die Autoren beklagen denn auch, dass die Fintech-Pioniere zunehmend mit den Banken kooperieren oder verschmelzen.

Beispiel 2: Wenn die Nationalbank Geld direkt an die Bürgerinnen und Bürger verschenkt, mögen sich diese freuen. Wie aber kann die SNB den Geldumlauf wieder reduzieren, sollte dies notwendig sein? Sie hat zwar einen Helikopter, aus dem sie Geld abwerfen kann, aber keinen Staubsauger, mit dem sie es wieder zurückholen kann. Eine Geldpolitik, die Wechselkursschwankungen abfedern kann, würde als auch gleich abgeschafft. Da klingt das Lippenbekenntnis zugunsten einer „unabhängigen Geldpolitik“ etwas hohl.

Und wetten, dass wir mit der Notwendigkeit „Eigenmittel“ und „Finanzielle Anlagen“ zu definieren, rasch wieder in der bösen alten Welt der Detailregulierung landen würden?

Fazit: Das Ende der Banken propagiert eine Rosskur, die ohne klinische Tests und ohne Packungsbeilage zu den Nebenwirkungen daherkommt. Tobias Straumann dürfte richtig prognostiziert haben, dass „die Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird“.

Die Euro-Hintertür

Urs Birchler

Die NZZ berichtet, dass im Euro-Zahlungssystem TARGET die Guthaben (Deutschlands) und die Schulden (v.a. Spaniens und Italiens) auf 880 Mrd. Euro angeschwollen sind. Diese Target-Salden werden seit längerem diskutiert und dank den Bemühungen von Hans-Werner Sinn auch als Problem anerkannt.

Die NZZ erwähnt den Lösungsvorschlag in Form einer Parallelwährung zum Euro wie die Moneta Fiscale. Dabei handelt es sich um staatlich ausgegebene Gutscheine, die zur Bezahlung von Steuern angerechnet werden. Der im Artikel erwähnte italienische Finanz-Ökonom Marco Cattaneo hat dazu verschiedene Beiträge in seinem Blog geschrieben und mit Ko-Autoren ein Buch veröffentlicht.

In aller Bescheidenheit sei nachgetragen, dass batz.ch bereits vor fünf Jahren in einem Beitrag zu Griechenland die Idee der Steuergutscheine beschrieben hat als Möglichkeit, aus dem Euro auszusteigen, ohne ihn offiziell zu verlassen. Als Empfehlung waren die staatlichen kouponi nicht gemeint, denn der Verkauf von Steuergutscheinen heute geht auf Kosten der Steuereinnahmen von morgen. Dannzumal wird der Schatzkanzler wie in Goethes Papiergeldszene klagen: „…und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.“

Sprachvergifterin NZZ

Urs Birchler

Was ist nur bei der NZZ los? Konkret: Im Feuilleton. Jetzt hat es anscheinend auch die Sprache (genauer: das Denken) erwischt. Man versuche, den Beitrag von Feuilleton-Chef René Scheu in der Ausgabe von gestern zu lesen. Ich sage: „versuche“, denn der Beitrag ist weithin kaum verständlich und dort, wo er verständlich ist, als NZZ-Artikel beängstigend.

Schon der Titel verrät die Haltung: „Die Barbaren, sie lauern überall“. Die Andersdenkenden sind Barbaren. Ein Trick, so alt, er gehörte ins Uno-Unkulturerbe. (Fussnote: Den Titel setzt meist nicht der Autor, sondern der Redaktor. Dies macht die Sache aber nur noch schlimmer; die Barbarisierung der Gegenseite hat sich offenbar schon in die Kultur der NZZ eingefressen.)

Im Untertitel verpflichtet sich Herr Scheu zwar der Aufklärung: „Wie Progressive das Erbe der Aufklärung verspielen.“ Aufklärerisch, im Sinne von erhellend, ist der Text dann eben gerade nicht. Eher verdunkelnd. Der Autor versteht partout nicht, dass sich eine Feministin für ein Recht auf Vollverschleierung „starkmachen“ (warum nicht einfach: „sich einsetzen“?) kann. Ist Toleranz nicht eine akzeptable — oder gar die einzig konsequente — Form von Liberalismus? Darauf folgt eine Irrfahrt durch verworrene Bruchstücke soziologischer Literatur mit (unklarer) Unterscheidung zwischen „rassistischem Antirassismus“ und „antirassistischem Rassismus“. Darauf aufgepfropft dann des Autors wahre Botschaft: Die Verunglimpfung der „Progressiven“, der „selbsternannten Träger von Toleranz und Offenheit“. Diese müssen sich „von ihrem Überlegenheitsgefühl verabschieden“. (Sagt ein Autor, der für die Aussage „Sartres Denkfehler liegt auf der Hand“ nicht zu scheu ist.) Die „Progressiven“, so lesen wir, sind eben nicht fähig, die „eigene Identität zu transzendieren“ (Hiiiilfe!).

Im Gegenzug transzendieren wir hier die eigene Identität von batz.ch als Wirtschaftsblog. Da Wirtschaft etwas mit Freiheit zu tun hat. Und Freiheit etwas mit Sprache. Und weil (aufklärerische) Sprache da ist, um zu klären, nicht um zu verunglimpfen und aufzuhetzen.

Aufhetzen? Sicher. Der Titel heisst nicht einfach „Überall Barbaren!“. Ein solcher Seufzer wäre mir an einem Mittelmeerstrand wohl auch schon entfahren. Er lautet: „Die Barbaren, sie lauern überall“. Mit der (französischen) Repetition des Subjekts wird dieses im Deutschen betont, der Titel zum Warnschrei. Sie sind nicht nur überall, sie lauern auch noch! Die Barbaren. Das heisst, die (in guter Absicht) anders Denkenden.

Familienstrafe am Flughafen

Urs Birchler

Stehen Sie auch immer in der falschen, d.h. langsamsten Schlange? Kürzlich bei der Immigration an einem ausländischen Flughafen gelang es uns sogar, zunächst am falschen, dann am richtigen Schalter in der jeweils zähesten Kolonne zu stehen. Dabei nervt nicht nur die verlorene Zeit, sondern auch die eigene Dummheit, auf’s lahmste Ross gesetzt zu haben. Nun, in der Fremde muss man mit derartigem rechnen. Umso grösser die Verblüffung bei der Rückreise ins geliebte Heimatland mit Ankunft am weltweit gemäss Handelsblatt-Ranking drittbesten und gemäss World Airport Awards achtbesten Flughafen der Welt.

Die Behörden in ZRH unterscheiden drei Erscheinungsformen des homo immigrans: (1) Erwachsene mit elektronischem Pass; (2) CH/EU-Bürger ohne elektronischen Pass oder unter 18 Jahren und (3) „All Passports“. Als Schweizer Familie mit Kindern landeten wir in Gruppe (2), da unsere Buben zwar elektronische Pässe haben, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Soweit kein Problem. Nur: Für Erwachsene mit elektronischen Pässen stehen genügend Schalter zur Verfügung; deren Einreise verlief wie am Schnürchen. Ebenfalls mindestens sechs Schalter boten sich der sich bald verkleinernden Gruppe „All Passports“ an. Die Schweizer Familien, die das Schild CH/EU mit einem milden Inländervorrang verwechselten, brauchten hingegen Geduld. Für sie stand gerade ein einziger Schalter offen, und jeder Pass wurde so genau inspiziert, als ob jedes zweite Kind von seinen Eltern in die Schweiz entführt würde.

Was daran nervt: Es müsste den Zuständigen eigentlich bekannt sein, dass am letzten Sonntag der Herbstferien um morgens 6h ziemlich viele Flüge von ziemlich weit weg mit ziemlich vielen in der Schweiz ansässigen Familien ankommen. Mit teilweise müden Kindern (Dank übrigens an unsere bereits sehr gelassenen Buben).

Ich fragte mich: Hat der Grenzschutz Angst, man könnte ihm einen Inländer-(=Steuerzahler)-Vorrang vorwerfen? Oder müssen die Familien bloss eine Gedankenlosigkeit der Behörden ausbaden? Bevor mir eine Antwort einfiel, durften wir endlich selber die roten Büchli zeigen.

Vollgeld-Leitfaden

Urs Birchler

In ungefähr einem Jahr kommt die Vollgeld-Initiative (VGI) an die Urne. Sie zielt auf eine grundlegende Reform unserer Geldordnung. Die Argumente der Befürworter und Gegner klaffen entsprechend weit auseinander. Angesichts der polarisierten Diskussion und der teils technischen Materie haben Jean-Charles Rochet und ich versucht, einen sachlichen und auch für ein breiteres Publikum gut verständlichen Leitfaden zu schreiben. Ein paar kleinere Beiträge sind hier auf Batz.ch schon früher erschienen: 1, 2, 3, 4, 5, 6.

Hier nun also unser Beitrag:

Die Vollgeld-Initiative — ein Leitfaden für jedermann

Wir legen den Text schon als (fortgeschrittenen) Entwurf vor, damit er zeitgerecht zur Debatte im Nationalrat zur Verfügung steht (die WAK-NR tagt am 23. Oktober). Der Ständerat hat die Initiative bereits behandelt (Ablehnung ohne Gegenvorschlag).

Update 13.10.2017: Ergänzend haben wir eine Kurzversion auf englisch, die demnächst auch auf deutsch und französisch folgen soll:

Die Vollgeld-Initiative — a summary in english

Über Kommentare freuen wir uns.

Führt die Reform 2020 zu mehr Frühpension?

Rafael Lalive & Stefan Staubli

Die Reform der Altersvorsorge 2020 senkt die Kosten einer Frühpension. Im geltenden System kann eine Rente maximal zwei Jahre vorbezogen werden. Für jedes Jahr Vorbezug wird die Rente um 6.8 Prozent gekürzt. Vorbezug kostet, eine volle Rente von z.B. 2000 CHF schmilzt auf 1864 CHF, aber er kann sich auch lohnen, insbesondere für Personen, welche gesundheitlich geschwächt sind.

Die neue AHV ermöglicht einen Rentenvorbezug um bis zu drei Jahre bei tieferen Kürzungssätzen: 4.1 Prozent für ein Jahr Vorbezug, 7.9 Prozent für zwei Jahre Vorbezug und 11.4 Prozent für drei Jahre Vorbezug. Diese Abschläge sind deutlich geringer, die oben erwähnte Vollrente von 2000 CHF sinkt lediglich auf 1918 CHF bei einjährigem Vorbezug. Die neue AHV kürzt die Renten deutlich weniger als die alte, also sollten mehr Menschen von der Möglichkeit eines Vorbezugs Gebrauch machen.

Wir können die Auswirkungen der neuen AHV heute noch nicht messen. Die 1997 in Kraft getretene 10. AHV-Revision ermöglichte jedoch den Vorbezug zu einem noch geringeren Kürzungssatz. Frauen, die zwischen 1939 und 1947 geboren wurden, konnten ihre Altersrente zu einem Kürzungssatz von nur 3.4 Prozent für jedes Jahr Vorbezug vorbeziehen. Allerdings waren diese Frauen ebenfalls von der Erhöhung des ordentlichen Rentenalters auf zuerst 63 Jahre und dann 64 Jahre betroffen. Sehr viele der betroffenen Frauen sollten also einen Vorbezug tätigen, d.h. ihre Altersrente beim ordentlichen Rentenalter vor der Reform beziehen.

LaliveStaubliDie Grafik weist den Anteil aller Frauen der Jahrgänge 1938 und 1939 , die eine AHV oder IV Pension beziehen, aus. Im Jahrgang 1938, mit ordentlichem Rentenalter 62, beziehen rund 15 Prozent aller Frauen eine IV Pension vor 62 und alle Frauen eine AHV Pension im Alter von 62 Jahren. Im Jahrgang 1939, mit ordentlichem Rentenalter 63, treten mehr als zwei Drittel aller Frauen den Pensionsbeginn erst im Alter 63, beim neuen Rentenalter, anstatt die Rente mit 62 zu beziehen. Lediglich rund 18 Prozent allter Frauen des Jahrgangs 1939 tätigen den Vorbezug zum tiefen Kürzungssatz von 3.4 Prozent.

Vorbezug macht wenig Sinn für arbeitende Frauen, da der Bezug der Alterspension steuerlich unattraktiv ist. Viele Frauen arbeiten mit 61 Jahren jedoch nicht mehr und diese Frauen sollten eher den Vorbezug der Rente wählen. Aber auch diese nicht mehr arbeitenden Frauen schieben den Pensionsbezug auf, genau wie Frauen, welche mit 61 Jahren noch arbeiten. Eine deutliche Vergünstigung der Frühpension führt nur zu wenig Vorbezug. Weshalb?

Pensionsentscheide sind komplex, erfordern viel Information und basieren auf Annahmen über die Zukunft. Zudem wird in der Schweiz jedermanns Pension automatisch am Rentenalter berechnet, selbst wenn man sich nicht darum bemüht. Es gibt im wesentlichen zwei Arten mit Komplexität umzugehen. Aktive Menschen informieren sich und suchen den für sie besten Entscheid. Andere sind passiv, informieren sich wenig, und lassen geschehen, was das System für sie vorsieht. Wie viele Menschen die aktive oder die passive Strategie verfolgen ist schwer direkt erfragbar, aber trotzdem entscheidend dafür wie eine Reform die finanzielle Gesundheit der AHV beeinflusst.

Die 10. AHV-Revision bietet eine einmalige Gelegenheit, den Anteil der Menschen mit passiver Strategie abzuschätzen. Alle Menschen mit passiver Strategie sollten beim Rentenalter in Pension gehen, während die meisten Menschen mit aktiver Strategie die Rente früh beziehen sollten, weil ein Vorbezug sehr günstig war. Unsere Analysen zeigen, dass rund zwei Drittel aller von der 10. AHV-Revision Betroffenen ihren Pensionsentscheid aktiv gestaltet haben. Rund ein Drittel hat sich passiv verhalten und die Pension am ordentlichen Rentenalter bezogen.

Passives Pensionsverhalten verzerrt die Wirksamkeit von Pensionsreformen. Eine Erhöhung des Rentenalters verschiebt den Rentenantritt stärker als in einer Welt, in der alle Menschen aktiv sind. Finanzielle Anreise, wie das Reduzieren der Kosten einer Frühpension, wirken jedoch weniger stark, weil Menschen mit passiver Strategie diesen Anreizen einfach keine Beachtung schenken. Eine Pensionspolitik, welche nur auf das Erhöhen des Rentenalters mit einfachem Zugang zu einer Frühpension setzt, bürdet Menschen mit passiver Entscheidungsstrategie hohe Kosten auf. Diese warten länger auf eine Pension, obwohl eine Frühpension optimal wäre.

Diese Kosten können wir senken. Wir können Information zu den Konsequenzen von Pensionsentscheiden so zur Verfügung gestellt wird, dass auch Menschen mit passiver Pensionsstrategie sie wahrnehmen. Ein Vermögensauszug ähnlich dem aus der zweiten Säule, der alle Pensionsvermögen und Einkommen zu einem Gesamtvermögen verrechnet, könnte vielen Menschen helfen ihre Pensionsentscheide aktiv zu gestalten.

Zu den Autoren:
Rafael Lalive und Stefan Staubli sind Professoren der Wirtschaftswissenschaft in Lausanne und Calgary. Sie untersuchen die letzte Rentenreform im Rahmen eines Forschungsprogramms des National Bureau of Economic Research, das sich allen Fragen um Pensionsreformen widmet.

Schlaflos wegen Postfinance?

Urs Birchler

Postfinance verliert die Staatsgarantie. Ende September endet die fünfjährige Frist, die das Postorganisationsgesetz (POG) vom 1.10.2012 in Art. 15 festgelegt hatte. Da die Postfinance die Bedeutung dieser Änderung für die Kontinhaber offenbar nicht zur Zufriedenheit der Medien klärte, versuche ich’s hier:

  • Die Postfinance gehört zum halben Dutzend der in der Schweiz als „systemrelevant“ eingestuften Institute. Das heisst, die Postfinance (mit strategischer Bedeutung im Zahlungsverkehr und jedem/r zweiten Stimmbürger/in als Kunden) wäre im Ernstfall „too-important-to-fail“. Sie würde (alles andere wäre grobfahrlässig) vom Staat gerettet. Abgeschaffte Garantie hin oder her.
  • Einlagen bei der Postfinance sind zwar bis zu CHF 100’000 durch Esisuisse versichert — theoretisch. Deren Gesamtdeckung ist aber auf CHF 6 Mrd. beschränkt (eine Folge der unversicherbaren Grössenunterschiede im Schweizer Bankensystem). Versichert wären also nur diejenigen, die rasch genug zum Schalter rennen (und nahe genug bei einer noch nicht geschlossenen Postfiliale wohnen).
  • Umstritten ist, woher der Postfinance überhaupt Gefahren drohen. Postfinance selber beklagt, dass sie keine Kredite gewähren darf und deshalb auf Anlagen mit schlechterem Rsiko-Ertragsprofil angewiesen ist. Andere sind eher froh, dass Postfinance nicht auch noch im Hypothekargeschäft — historisch gesehen Systemrisko Nummer eins — mittun darf.

Fazit: Als Kunde der Postfinance darf ich weiterhin ruhig einschlafen; nur muss ich weiterhin hoffen, nicht als Steuerzahler schlecht zu erwachen.

[Nachtrag: Ähnlich habe ich argumentiert gegenüber „Echo der Zeit“]

Mini-Regierungsprogramme statt Sachvorlagen – die schleichende Abwertung der direkten Demokratie

Monika Bütler

(erschienen unter dem Titel „Je heikler die Reform, desto grösser die Vorlage“ in der NZZ am Sonntag, 8. Juli 2017)

„Ihr Schweizer stimmt über den Umwandlungssatz ab?? Du machst Witze?!“ Die Verblüffung meines kanadischen Kollegen ging weit über die politische Bestimmung des Umwandlungssatz hinaus: Eine Rentenreform direkt-demokratisch?

In Festreden und nach Abstimmungen – vor allem nach gewonnenen – wird unsere Direkte Demokratie gern gelobt. Zurück im politischen Alltag trauen unsere Parlamentarier und Regierenden dem Urteil der Stimmbürger(innen) nicht immer. Und verpacken heikle Entscheidungen mehr und mehr in wahre Monstervorlagen.

Die Auswirkungen der Energiestrategie ES2050 überblickte kaum jemand. Selbst Experten haben Mühe, alle Elemente der im Herbst zu entscheidenden Reform zur Alterssicherung AV2020 zu verstehen. Die vor kurzem abgelehnte Unternehmenssteuer-Reform war da fast schlank.

Solche umfangreichen und komplizierten Vorlagen mit kaum abschätzbaren Folgen sehen weniger wie Sachvorlagen aus als wie schwammige Mini-Regierungsprogramme einer grossen Koalition. Dies zeigt sich auch in den Debatten: Argumente treten in den Hintergrund, Überzeugungen in den Vordergrund. „Es gibt keine Alternative.“ „Wer gegen uns ist, spielt den Linken/Rechten in die Hände.“ Werbebüros werden dafür bezahlt, die Vorlagen wieder „einfach“ zu machen.

Zugegeben, die Welt ist komplex (was sie im Urteil der Zeitgenossen früher schon war). Drum sind gewisse Abstimmungsvorlagen notgedrungen anspruchsvoll. Nur: Sie werden noch komplexer, wenn unterschiedliche Vorlagen aus abstimmungstaktischen Gründen zu Paketen geschnürt werden. Oder wenn Zückerchen für potentielle Gegner die angedachten Reformen zu wahren Wundertüten anreichern.

Tatsächlich hat der Souverän nicht immer den Weitblick gehabt, eine letztlich erfolgreiche Reform bei der ersten Gelegenheit durchzuwinken. Die Langsamkeit der Direkten Demokratie ist aber nicht unbedingt schlecht. Mit Abstimmen ist ein Lernprozess der Stimmbürger verbunden. Gleichzeitig entwickeln sich auch die Vorlagen. Ein Paradebeispiel ist die AHV, die nach mehreren Fehlversuchen in den dreissiger Jahren 1949 in der Volksabstimmung obsiegte.

Die meisten Schweizer(innen) sind stolz auf die direkte Demokratie. Zu Recht: Sie haben sie nämlich nicht gratis erhalten. Und mussten schon früher mehrmals für sie kämpfen. Von 1914 bis 1949 hielten Bundesrat und Parlament – aus Angst vor dem unwissenden Volk – wenig von direkter Demokratie. Lieber regierten sie, wie Martin Beglinger in einem faszinierenden Essay (NZZ Geschichte No 10) nachweist, mittels Dringlichkeitsrecht. Initiativen wurden zum Teil über 10 Jahre verschleppt oder gingen ganz „vergessen“. Bis welsche Erzföderalisten und Gottlieb Duttweiler den Stimmbürgern wieder zu ihren Rechten verhalfen – dies gegen Willen sämtlicher grosser Parteien.

Vom obrigkeitlichen Misstrauen gegenüber dem Souverän zeugen noch heute die Hürden für Initiativen: nicht nur die Unterschriftenzahl, sondern auch das Erfordernis der Einheit der Materie. Dies kontrastiert seltsam zu den Monstervorlagen neueren Datums, die den Einheits-Test wohl verfehlen würden.

Man kann mit guten Gründen die direkte Demokratie kritisieren und sie anpassen wollen. Eine Aushebelung durch die Hintertür mit Miniregierungsprogrammen ist der falsche Weg. Die Vor- und Nachteile der direkten Demokratie müssen offen diskutiert werden können. Die Urteilskraft der Stimmbürgerinnen sollte man ohnehin nicht unterschätzen: So wurde die Direktwahl des Bundesrates schon dreimal abgelehnt: 1900, 1942 und 2013. Das fand mein kanadischer Kollege ebenfalls erstaunlich.

 

RentnerInnen im Ausland – ein kleiner Nachtrag

Monika Bütler

RentnerInnen im Ausland trügen nichts zur Wertschöpfung in der Schweiz bei, ärgerte sich die FDP Präsidentin Petra Gössi. Daher seien auch die 70 Franken Zuschlag für Neurentner abzulehnen, weil rund 30% der Pensionierten im Ausland leben. Tendenz steigend. Zu überlegen sei zudem eine Anpassung der Renten an die jeweiligen Lebenshaltungskosten der RentnerInnen im Ausland.

Der Aufschrei folgte sofort. Zu Recht. Erstens geht es niemanden etwas an, wo die Pensionierten ihren Lebensabend verbringen. Zumal gerade für ehemalige Gastarbeiter die Rente oft nur im Ausland genügend hoch ist für ein entspanntes Leben. In der Schweiz müssten sie dazu Ergänzungsleistungen beantragen. Zweitens haben sich diese Menschen den Anspruch auf ihre Rente genau so verdient, wie diejenigen, die in der Schweiz bleiben.

Drittens verstösst eine Indexierung der Renten an die Lebenshaltungskosten gegen das seit 1948 hochgehaltene Prinzip der Gleichbehandlung aller AHV Renter. Wie übrigens auch die 70 Franken gegen das Gleichbehandlungsprinzip verstossen. Wer aus Gründen der Gleichbehandlung gegen die 70 Franken Zuschlag ist, darf eine Ungleichbehandlung der Rentner im Ausland logischerweise nicht zulassen. Sonst müssten ja auch die Renten in Zürich höher sein als im Calancatal.

Viertens schliesslich habe ich Steuern (welche die Auslandrentner nicht in der Schweiz bezahlen) und Konsum (der nicht in der Schweiz bleibt) bisher nicht als Teil der Wertschöpfung eines Landes verstanden. Auch wenn Wertschöpfung meist ein schwammiger Begriff ist, Frau Gössis Interpretation ist doch eher etwas unkonventionell.

Ein wenig ist die Empörung dennoch heuchlerisch. Als Alternative zu den 70 Franken Zuschlag für alle Neurentner wurde gegen Ende der Debatte auch der Vorschlag diskutiert, stattdessen die Minimalrente um 450 Franken anzuheben. Bundesrat Berset begründete damals seine ablehnende Haltung gegenüber diesem Vorschlag unter anderem damit, dass 70% der Rentenerhöhung an AHV RentnerInnen im Ausland gehen würden. Der Aufschrei blieb aus.

Kartoffelgeld

Urs Birchler

Immer wieder kommt die Frage: „Warum dürfen Banken Geld schöpfen, aber andere nicht?“ Die Vollgeldbewegung will die Geldschöpfung der Banken abschaffen, und an der kommenden Generalversammlung der SNB wird das Thema sicher von verschiedenen Referenten aufgegriffen werden. Heute kam mir ein Text von Ivo Muri in die Hand: „Warum dürfen Landwirte kein Geld drucken?“ Drum versuche ich am Beispiel der Kartoffelwährung einmal mehr zu erklären, was Banken tun und was nicht.

Bauern verkaufen Kartoffeln. Banken verkaufen Guthaben. Mit Kartoffeln kann man zahlen, wenn jemand bereit ist, Kartoffeln an Zahlung zu nehmen. Dasselbe gilt für Bankguthaben. Ein potentielles Zahlungsmittel herstellen darf also jeder (Beispiel: Bitcoins); schwieriger ist es, die Leute zu überzeugen, dieses effektiv anzunehmen. In Kuba sind Kartoffeln ein sehr begehrtes Zahlungsmittel. In der Schweiz sind heutzutage Bankguthaben beliebter.

Fazit 1: Geld wird geschaffen durch die Bereitschaft der Allgemeinheit, ein Gut als Zahlungsmittel anzunehmen. Geld schafft also weder der Bauer noch die Bank, sondern wir, die uns durch Guthaben oder Kartoffeln zahlen lassen.

Kartoffeln bestehen aus Stärke. Bankguthaben bestehen aus versprochenem Geld. Der Unterschied: Stärke macht satt, ein Versprechen nicht. Wie J.A. Schumpeter sagte: Mit versprochenem Geld kann man bezahlen, aber auf einem versprochenen Pferd kann man nicht reiten. Mit versprochenen Kartoffeln kann man also zwar nicht kochen. Aber (siehe oben) man kann mit ihnen bezahlen, wenn das Lieferversprechen des Bauern glaubwürdig genug ist.

Fazit 2: Geld kann jeder schaffen, der glaubwürdige Versprechen abgeben kann und diese in eine übertragbare Form kleidet.

Kartoffeln kriegen Junge. Geld kriegt keine Jungen, aber es „arbeitet“, d.h. es lässt sich rentabel ausleihen. Bauer und Bank lassen ihre Kartoffeln, bzw. ihr Geld, daher nicht in der Scheune liegen. Das hat einen Vorteil: Die Inhaber der Kartoffelgutscheine und die Inhaber der Bankguthaben erhalten einen Zins (oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr). Im Wettbewerb frisst dieser Zins den Ertrag aus dem ausgeliehenen Geld, bzw. des gepflanzten Kartoffeln weitgehend auf, d.h. der Ertrag der Geldschöpfung fliesst in jenes Publikum, auf dessen Vertrauen die Geldschöpfung letztlich beruht. Dieses System — versprochene Kartoffeln nicht am Lager zu haben oder versprochenes Geld auszuleihen — hat auch einen Nachteil: Es ist fragil. Wenn Panik aufkommt, versuchen die Leute, die Kartoffeln im eigenen Keller zu bunkern oder das Geld bei der Bank in bar abzuholen. Dies ist die Achillesferse des „fractional reserve banking“.

Fazit 3: Unvollständig gesicherte Guthaben sind für ihre Inhaber rentabel, aber riskant. Ob die Guthaben auf Kartoffeln lauten oder auf Geld spielt keine Rolle.

Geld (in heutiger Form) ist beliebig vermehrbar. Kartoffeln nicht. Einem Bauern, der Kartoffel versprochen hat, sie aber nicht liefern kann, mag ein Kollege aushelfen. Wenn alle Bauern „short“ sind, kann ihnen niemand helfen. Wenn alle Banken zusammen Geld liefern müssen, weil die Kunden in Panik sind, kann ihnen die Nationalbank mit einem Notkredit helfen. Die Nationalbank — und nur die Nationalbank — schafft Geld „gratis“ aus dem Nichts. Fiat Money, „Es werde Geld“. Es werde Kartoffel, geht nicht. (Dasselbe gilt übrigens für Bitcoin, darum kann und wird es nie echte Bitcoin-Banken geben.) Einen Lender of Last Resort kann es nur geben in einem beliebig vermehrbaren Medium, d.h. in Fiat Money. Weil Banken (von der SNB geschaffenes) Fiat Money borgen und ausleihen und nicht Kartoffeln, sind sie anders als Bauern. Und die SNB schützt die Achillesferse des Systems (was man als Vollgeld durch die Hintertür bezeichnen könnte).

Fazit 4: Das einzige „Privileg“ der Banken besteht darin, dass ihre Versprechen auf Geld lauten, welches im Notfall von der Notenbank beliebig vermehrt werden kann (den Banken aber keineswegs geschenkt wird).

Eine Hunderternote zu drucken, kostet die Nationalbank weniger als einen Franken. Das rentiert. Kartoffelgeld oder Bankgeld zu schaffen, ist etwas ganz anderes: Die Halter von Guthaben bei Bank oder Bauern müssen nämlich „bestochen“ werden, sei es (siehe oben) in Form von Zinsen oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr. Sonst gehen sie zur Konkurrenz. Die Nationalbank hingegen hat keine direkte Konkurrenz, drum braucht sie den Inhabern der Banknoten auch keinen Zins zu bezahlen. (Den resultierenden Gewinn überweist sie im wesentlichen an Bund und Kantone.)

Fazit 5: Geldschöpfung durch die SNB einerseits und durch Banken (oder Bauern) andererseits sind zwei grundverschiedene Vorgänge.