Bankensanierung: EU übernimmt Schweizer Recht

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die EU-Finanzminister auf ein „bail-in“-System der Bankenabwicklung geeinigt: Bei der Sanierung einer maroden Bank sollen zuerst die Aktionäre, dann die unversicherten Gläubiger (und erst zuallerletzt die Steuerzahler) die Verluste tragen. Die versicherten Einlagen hingegen sind garantiert.

Damit übernimmt die EU eine Systemarchitektur, die in der Schweiz im Kern seit 2003 in Kraft ist und im Zuge der Finanzkrise noch präzisiert wurde. Wer weiss, wird die EU früher oder später auch das schweizerische Konkursprivileg für versicherte Bankeinlagen übernehmen, da ohne dieses die Versicherung viel zu riskant ist.

Gute Nachricht also für Europa (und schlechte Nachricht für Bankaktionäre und -Gläubiger in einigen Ländern). Allerdings: Die Blaupause muss erst noch in Kraft treten und national umgesetzt werden. Und bei der Umsetzung muss die Architektur nicht nur im Grossen stimmen, sondern auch in den Details. Beispielsweise muss verhindert werden, dass Banken die Schulden, die für den Bail-in vorgesehen sind, nicht einfach durch Pfand sicheren, wodurch das Konzept unterlaufen würde.

Gute Nachricht auch für jene Kritiker, die meinen, die Ökonomen seien bestenfalls unnütz: Das Konzept des Bail-in wurde entwickelt von Ökonomen wie Oliver Hart oder Lucian Bebchuck und später unterstützt von den Mitgliedern der Squam Lake Group.

Dazu noch eine Reminiszenz: In den späten 1990er Jahren organisierte ich ein gemeinsames SNB/EBK(FINMA)-Seminar zur Insolvenzbehebung mit Oliver Hart. Seine Vorschläge stiessen (ausser bei militanten Ökonomen) auf solide Skepsis: „Man kann doch eine insolvente Bank gar nicht sanieren!“ Man kann, und im Bankengesetz Version 2003 war das Konzept schüchtern umgesetzt. Stolz schrieb ich an Oliver Hart: „We did it!“ Doch liess ihn dies völlig kalt; er war längst zu neuen intellektuellen Ufern aufgebrochen.

So ist es mit dem Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis: Die Praxis-Nachhut hinkt irgendwo hinterher, die Theorie-Vorhut ist bereits fast ausser Hörweite voraus, und der weltverbessernde Brückenbauer steht dumm dazwischen. Bis dann Jahre und Jahrzehnt später plötzlich alles aussieht, als wär’s schon immer klar gewesen.

Hängt die Totengräber!

Urs Birchler

Die heutige Weltwoche bezeichnet Aymo Brunetti, den Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Finanzplatzstrategie“ als Totengräber des Bankgeheimnisses. Die Weltwoche hat Recht: Die Arbeitsgruppe Brunetti (der ich selber angehöre) hat Vorschläge erarbeitet, die dem (Steuerhinterziehungs-)Bankgeheimnis für ausländisches Geld ein anständiges Begräbnis ermöglichen. Umgebracht allerdings haben es andere. Dem Bestattungsinstitut nun einen Mordprozess anhängen zu wollen, träfe daher die Falschen.

Die wahren Verdächtigen sind zahlreich. Zu ihnen gehören (nach gut-schweizerischem Brauch beim Ausland beginnend):

  • jene mutigen Bürger der DDR, die den kalten Krieg beendeten, wodurch die Schweiz aus ihrer Nische zwischen den Blöcken vertrieben wurde,
  • jene Partnerländer, denen die Finanzen entglitten sind und die vor Beschaffungsdelikten immer weniger zurückschrecken,
  • jene helvetischen Politiker, die nicht gemerkt haben, das die Schweiz langfristig nur existiert, wenn sie von den anderen Staaten netto als nützlich angesehen wird,
  • jene Banken, die zu spät gemerkt haben, dass das Bankgeheimnis — ursprünglich ein achtbares finanzielles Asyl — über die Jahrzehnte hinweg zum Geschäftsmodell Steuerhehlerei verkommen ist und dass der Finanzplatz Schweiz als Schmuddelecke keine Zukunft hat (Romney-Effekt, siehe unten).
  • jene Sonntagskolumnisten, die den Schutz des Bürgers vor dem Staat (der jedem freiheitlich Denkenden am Herzen liegen muss) verwechselt haben mit Schutz des Steuerdelinquenten vor seinen ehrlichen Mitbürgern (der uns etwas zu sehr am Portemonnaie lag),
  • wir alle, die gemeint haben, unsere schweizerische Rechtsauffassung (Steuerhinterziehung verdient Geheimnisschutz) de facto anderen Ländern auferlegen zu können — genau das, was uns an den USA so nervt.

Die Weltwoche hätte den Bericht Brunetti auch loben können. Erstens tastet er das inländische „Bankgeheimnis“ (genauer: die Grenzziehung zwischen Steuerhinerziehung und Betrug) nicht an. Zweitens soll sich die Schweiz international für einen Standard einsetzen, bei dem nicht unnötig Daten an andere Verwaltungsstellen oder an die Öffentlichkeit fliessen. Drittens und hauptsächlich: Etwas bessseres als die Strategie-Vorschläge der AG Brunetti ist offenkundig auch der Weltwoche nicht eingefallen. Aber eben: die stillschweigenden Komplimente sind meist die schönsten.
romney

Automatischer Informationsaustausch

Urs Birchler

Es war mir eine Ehre, als Mitglied der Arbeitsgruppe Brunetti am Bericht und den Empfehlungen zur Finanzplatzstrategie mitarbeiten zu können. Es war mir ferner eine Ehre, den Inhalt der Diskussionen vertraulich zu behandeln. Und es war mir eine Freude, dass alle andern Mitglieder dies genauso hielten: Trotz sensitiver Thematik drang während der ganzen vier Monate kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit.

Kaum aber ist der Bericht (für die heutige Sitzung) an den Bundesrat verteilt, steht die Zusammenfassung auch schon in der Presse. Daher eine Präzisierung an die Adresse unserer Bundesbeamten und Beamtinnen: Das war mit dem automatischen Informationsaustausch nicht gemeint.

Parteien im Kantonalbank-Bankrat: Basel versus Zürich

Urs Birchler

Ich bin Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (@SusanneSlo) ein bisschen unhöflich vorbeigekommen. Sie schrieb bei Twitter „Kantonalbanken haben gefehlt. Verantwortung tragen sie dafür nicht. Ein gutes Vorbild für die Jugend.“ Ich fragte zurück: „Wieviele SP-Bankräte haben ZKB und BKB?“ Das war frech (ich bitte höflich um Entschuldigung) und faul: Ich hätte ja nachschauen können.

Bei der ZKB genügen drei Mausklicks, um Bankratsmitglieder samt Parteizuehörigkeit zu finden. Bei der Basler Kantonalbank findet man die Parteizugehörigkeit der Bankratsmitglieder, wie mich Claudio Kuster in einem Tweet vorgewarnt hatte, allerdings nur in Handarbeit. Nachstehend daher (damit die Basler am Tag nach der Meisterfeier nicht selber suchen müssen) die zusammengestellte Parteiliste der beiden Gremien. Die beiden gemeinsame Glückszahl 13 verteilt sich wie folgt auf die politischen Lager:

  1. ZKB: SVP+FDP (6), „Mitte“ (3), SP+Grüne (4)
  2. BKB: SVP+FDP (4), „Mitte“ (3), SP+Grüne+Alternativ (6)

Basler Kantonalbank

  • Andreas Albrecht (Präs.) (LDP)
  • Christine Keller (Vizepräs.) (SP)
  • Sebastian Frehner (SVP)
  • Jan Goepfert (SP)
  • Helmut Hersberger (FDP)
  • Markus Lehmann (CVP)
  • Ralph Lewin (SP)
  • Ernst Mutschler (FDP)
  • Hans Ulrich Scheidegger (Basta)
  • Karl Schweizer (SVP)
  • Jürg Stoecklin (Grüne)
  • Andreas Sturm (GLP)
  • Karoline Sutter Okomba (SP)

Zürcher Kantonalbank

  • Jörg Müller-Ganz (FDP) (Präs.)
  • János Blum (Vizepräs.) (SP)
  • Bruno Dobler (Vizepräs.) (SVP)
  • Alfred Binder (SVP)
  • Thomas Heilmann (Grüne)
  • Hans Kaufmann (SVP)
  • Peter Ruff (SVP)
  • Kurt Schreiber (EVP)
  • Anita Sigg (GLP)
  • Hans Sigg (Grüne)
  • Liliane Waldner (SP)
  • Rolf Walther (FDP)
  • Stefan Wirth (CVP)

Bankenplatz Schweiz: quo vadis?

Urs Birchler

Das Institut für Banking und Finance der Universität Zürich verliert einen der aufrechtesten und gradlinigsten Ökonomen der Schweiz. Drum am besten den Termin vormerken:

Abschiedsvorlesung Prof. Dr. Martin Janssen
Datum: Mittwoch, 12. Juni 2013
Thema: „Bankenplatz Schweiz: Quo vadis?“
Zeit: 18:15 Uhr
Ort: Aula (Raum KOL-G-201, Hauptgebäude der Universität Zürich, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

Aus der offiziellen Einladung:
Prof. Dr. Martin Janssen, Professor für Finanzmarktökonomie am Institut für
Banking & Finance (IBF) und bekannter Exponent des Schweizer Finanzplatzes,
wird Ende dieses Semesters nach 35 Jahren als Professor emeritiert. Neben
seiner Arbeit an der Universität Zürich gründete er 1985 das Beratungs- und
Software-Unternehmen Ecofin, welches massgeblich an der Entwicklung des
Swiss Market Index (SMI) beteiligt war. Martin Janssen ist Verfasser
mehrerer Bücher und Aufsätze im Bereich der Finanzmarktökonomie und zu
staatspolitischen Themen, sowie regelmässig Experte in verschiedensten Fach-
und Tageszeitschriften.

Einkommensverteilung und Lebenszyklus

Monika Bütler

(meine 3.-letzte NZZ am Sonntag Kolumne: publiziert am 19. Mai 2013 unter dem Titel „Bildung bringt nicht mehr Lohngleichheit“)

Ich bin eidgenössische Durchschnitts-Verdienerin. Zugegeben: nicht heute, aber über die ganze Berufslaufbahn gerechnet. Ich habe in den letzten 30 Jahren ziemlich genau den schweizerischen Durchschnittlohn verdient. Dies ohne statistische Tricks: Meine früheren Löhne sind sauber hochgerechnet auf heutige Löhne. Trotzdem lag mein Einkommen während eines Drittels meines Arbeitslebens unter oder nahe der Armutsgrenze. Es ging mir natürlich auch in jenen „armen“ Zeiten gut –  in jungen Jahren dank dem Zustupf der Eltern; später half der Griff in den Sparstrumpf über die kargen Zeiten.

Bestünde die Schweiz nur aus verschiedenen Jahrgängen meiner selbst, betrüge der Gini-Koeffizient ungefähr 0,46. Der Gini ist ein Mass für die Ungleichheit zwischen null (alle verdienen gleich viel) und eins (einer kriegt alles). Mein „Lebens-Gini“ entspricht damit ungefähr dem der Einkommensverteilung in den USA; die Schweiz ist mit gut 0,3 deutlich ausgeglichener. Am Rande bemerkt: Würde ich heute als Chefin meine früheren Kopien anstellen, käme ich sogar in die Nähe von 1:12. Mehr als heute dürfte ich dann aber nicht mehr verdienen.

Glücklicherweise besteht die Schweiz nicht nur aus Jahrgangs-Klonen meiner selbst. Das Gedankenexperiment illustriert aber klar: Der punktuelle Blick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung wird der Wirklichkeit oft nicht gerecht. Mein Einkommensprofil ist zwar nicht repräsentativ, aber auch nicht so aussergewöhnlich. Denn zu jedem Zeitpunkt leben in einem Land Menschen in den unterschiedlichsten Phasen im Lebenszyklus. Auch eine reiche Frau wird zwangsläufig manchmal in ihrer „Armutsphase“ registriert – sei es nur wegen eines Zweitstudiums oder einer umgebauten Küche.

Politische Vorstösse zur Einkommensverteilung haben Hochkonjunktur. Die Einkommensschere hat sich geöffnet, wenn auch moderat und nicht stärker als in den 1970er Jahren. Zudem ist für viele die fehlende Bodenhaftung einiger Spitzenverdiener das grössere Ärgernis als die Lohnschere an sich. Gerade deswegen ist es wichtig, die Rolle des Lebenszyklus in der Einkommensverteilung nicht zu vergessen. Die gemessene Ungleichheit kann nämlich ohne grundlegende Änderung im Lohngefüge zunehmen. Dies über drei Kanäle: Ausbildung, Berufstätigkeit der Frauen, Alterung der Gesellschaft.

Frauen: Früher zogen sich Mütter aus dem Arbeitsleben zurück, heute bleiben viele berufstätig – vor allem solche mit tiefen Löhnen (weil sie arbeiten müssen und die Kinderbetreuung subventioniert erhalten) und solche mit hohen Löhnen. Mütter aus dem Mittelstand hingegen werden mit einem absurden Subventions- und Steuerregime aus dem Arbeitsmarkt geekelt. Dazu kommt, dass sich das Bildungsniveau der Ehepartner immer mehr annähert; gleich und gleich gesellt sich heute lieber als früher. Beides zusammen führt im Quervergleich zu mehr gemessener Ungleichheit.

Demographie: Abschlussklassen einer Ausbildung ähneln sich alle; mit jedem Klassentreffen aber werden die Unterschiede innerhalb der Klasse grösser. Je mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter es in einem Land gibt, desto grösser fallen auch die Einkommensunterschiede aus, ohne dass sich – ausser der Demographie – etwas ändert.

Ausbildung: Eine berufliche Weiterbildung oder eine akademische Laufbahn vergrössert die Einkommensunterschiede über den Lebenszyklus automatisch. Wie in meinem Fall: In jungen Jahren sind die Einkommen wegen Studium und Praktika gering, später schlagen sich die Ausbildungsinvestitionen (hoffentlich) in höheren Löhnen nieder.

Ironie der Politik: Gerade die Investitionen in die Bildung eint rechte und linke Kreise im Bestreben nach mehr Wohlstand. Mehr Gleichheit sollten sie dabei nicht erwarten: Bildungsinvestitionen mögen die gefühlte Ungleichheit verringern. Die gemessenen Einkommensunterschiede in der Volkswirtschaft verkleinern sie dagegen kaum.

 

 

Zur Emeritierung von Gebhard Kirchgässner

Monika Bütler

Mein HSG Kollege und Mit-Batzer Gebhard Kirchgässner wird auf Ende des Frühlingssemesters 2013 emeritiert (Nein, nicht eremitiert, wie es kürzlich einmal irrtümlich in einem Dokument stand). Gebhard wird uns an allen Enden und Ecken fehlen, als freundlicher aber auch immer wieder kritischer Kollege, als Lehrer. Als Freund, Forscher und Mit-Batzer bleibt er uns glücklicherweise erhalten. Hier meine Würdigung, die ich für den HSGFocus verfasst habe:

On Minimal Morals“, „Econometric Estimates of Deterrence of the Death Penalty: Facts or Ideology?”, “Introduction to Modern Time Series Analysis”, “The Effect of Direct Democracy on Income Redistribution: Evidence for Switzerland”, und “Kaderschmieden der Wirtschaft und/oder Universitäten? Der Auftrag der Wirtschaftsuniversitäten und -fakultäten im 21. Jahrhundert“. Die schwindelerregende Breite der von Gebhard Kirchgässner in Forschung und Lehre abgedeckten Themen stellte die School und die verantwortliche Dekanin vor ein unlösbares Problem. Es hätte mindestens drei Wissenschaftler gebraucht um die Lücken zu schliessen. Selbst in Zeiten ohne Budgetkürzungen ein frommer Wunsch.

Mit Gebhard Kirchgässner wird nicht nur die Vielseitigkeit in Person emeritiert, sondern auch eine moralische Instanz und ein Brückenbauer zwischen verschiedenen Strömungen der Ökonomie, zwischen Theorie und Praxis. Vor allem aber ein brillanter Volkswirt, hochgeschätzter Kollege und Freund.

Gebhard Kirchgässner studierte und promovierte an der Universität Konstanz. Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte er als Oberassistent an der ETHZ bevor er 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an die Universität Osnabrück berufen wurde. Trotz seines – aus heutiger Perspektive – eher traditionellen Werdegangs: Mit Gebhard Kirchgässner kam 1992 ein Vertreter der modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Zusammen mit seinen damaligen Kollegen leitete er die Modernisierung der volkswirtschaftlichen Abteilung ein und legte so die Grundlage der Erfolge der School in Forschung, Lehre und Wirtschaftspolitischem Engagement.

In der Lehre ist Gebhard Kirchgässner kein Entertainer, er glänzt vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen, insbesondere der Philosophie und der Wissenschaftstheorie. Für die SEPS ist er ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Disziplinen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft. Gebhard prägte den Kontext lange bevor es das Kontextstudium an der HSG gab.

Gebhard Kirchgässner gehört seit Jahren zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschafter der Schweiz, was sich in mehr als 130 Aufsätzen in Fachzeitschriften (darunter auch in internationalen Top Journals) sowie zahlreichen weiteren Publikationen zeigt. Dabei schreibt er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit.

Die neue politische Ökonomie, die angewandte Ökonometrie, vor allem aber die Finanzwissenschaft mit all ihren Facetten gehören zu seinen Hauptforschungsgebieten. Gebhard Kirchgässner ist einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig. So ist Gebhard sozusagen der akademische Vater von Frau Merkels Schuldenbremse(r).

A propos Schweiz: „Wie viel Schweiz muss in einem Produkt drin stecken, damit Schweiz draufstehen darf?“ fragte sich das Parlament kürzlich im Rahmen der Swissness Vorlage. Obwohl erst vor wenigen Jahren eingebürgert, steckt bei Gebhard Kirchgässner sehr viel Schweiz drin; seine lokale Verankerung ist beispielhaft. In seiner Wohngemeinde engagiert er sich in der Geschäftsprüfungkommission, er nahm unzählige politische Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte bis 2007 die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen.

Eine Würdigung von Gebhard Kirchgässner wäre unvollständig ohne einige Worte zu seiner Persönlichkeit. Zwei – nur auf den ersten Blick altmodische – Eigenschaften kommen mir dabei in den Sinn: Treue und Ehrlichkeit. Was Gebhard Kirchgässner sagt, meint er auch. Das ist natürlich ausgesprochen angenehm. Allerdings: Was er meint, sagt er auch. Das ist dann nicht immer so gemütlich, weil Gebhard auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, wenn es der Sache dient.

Wer von Gebhard einen Rat erhält, tut gut daran, ihn zu befolgen. Oder aber sich genau und ehrlich zu überlegen, weshalb man seinen Rat nicht befolgen möchte. Gebhards Prinzipientreue und Aufrichtigkeit sind in unserer Zeit geradezu hochmodern.

Im Verlaufe seiner Forschertätigkeit erhielt Gebhard Kirchgässner zahlreiche Preise und Ehrungen. Die wichtigste Auszeichnung: Das Ehrendoktorat der Universität Freiburg im Uechtland im Jahre 2011. Hoch verdient, wie wir finden. Einen Ehrenplatz wird Gebhard in der School ohnehin erhalten. Allerdings hoffen wir, dass er uns als Sparringpartner und Lehrer noch lange erhalten bleibt. Als Freund sowieso.

Warum der Euro scheitert

Ein Ende der Euro-Krise ist leider ebenso wenig in Sicht wie ein einfacher Ausweg, schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner in Replik auf einen Vortrag von Prof. Heiner Flassbeck an der HSG.

Von Gebhard Kirchgässner

Heiner Flassbeck weiss es ganz genau, und er hat es in einem öffentlichen Vortrag, der an der Universität St. Gallen stattfand, allen erklärt: Die Eurozone steckt in einer Währungskrise, und diese wird dazu führen, dass sie spätestens in fünf Jahren auseinanderbrechen wird. Er sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder steigen die südlichen Länder aus und führen wieder eine eigene Währung ein, die dann stark abgewertet werden müsste, oder die gesamte Eurozone gerät in eine massive Krise.

Flassbeck weiss auch, warum dies so sein wird: Der Euro scheitert, weil die Inflation in Deutschland seit Einführung des Euro zu gering war. Deutschland hat sich nach seiner Auffassung nicht an die Abmachung gehalten, die mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden war: die Preise jährlich um 2 Prozent steigen zu lassen. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Deutschland sehr viel weniger stark angestiegen als insbesondere in den südlichen Ländern der Eurozone, aber auch als in Frankreich.

Dies hat die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder beeinträchtigt. Da ihnen das traditionelle Mittel einer Abwertung nicht mehr zur Verfügung stand, musste diese Währungskrise eintreten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre war zwar der Auslöser, aber nicht die Ursache für die heutige Währungskrise in der Eurozone.
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Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!

Monika Bütler

Publiziert in der NZZaS vom 24. Februar unter dem Titel „Die Schulstruktur muss in jedem Fall umgebaut werden. Es braucht bessere Möglichkeiten, um Beruf und Familie zu verbinden.“

Beruf und Familie sind noch immer noch schwer zu verbinden. Die externe Kinderbetreuung ist überreguliert und sündhaft teuer; verbilligte Plätze sind rar und werden intransparent zugeteilt. Wer beim Eintritt der Kinder in den Kindergarten denkt, das Gröbste hinter sich zu haben, erwacht böse. Als wohl einziges Land der westlichen Welt kennt die Schweiz kaum Tagesschulen, die den Namen verdienen. Das Angebot besteht vielmehr aus einem grotesk zersplitterten Mix aus Schule, Hort und Mittagstisch. Unsere gestylten Schulhäuser sind zu schade, um als Verpflegungs- oder Betreuungsstätten entweiht zu werden. Dazu kommen krasse Ungerechtigkeiten: Die Urnerin, die zur Aufbesserung des kargen Bergbauernbudgets extern arbeitet, bezahlt den vollen Krippentarif (112 Franken pro Kind und Tag), die sich selbst verwirklichende, nicht arbeitstätige Zürcher Akademikerin nur einen Bruchteil.

Zeit, dass endlich etwas geschieht. Doch was?

Drehbuch A: Die Schweiz krempelt ihr Schulsystem um und geht über zu einem flächendeckenden Angebot an Tagesschulen für Kinder ab circa 4 Jahren. Blockzeiten, beispielsweise von 9–15 Uhr inklusive kurzer Mittagszeit; eine betreute (freiwillige) Aufgabenstunde am Nachmittag; je nach Schulstufe ein bis zwei freie Nachmittage um den Eltern Wahlmöglichkeiten zu bieten. Abgerundet durch eine kostenpflichtige Randstundenbetreuung (im Schulhaus!) wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu geringen Kosten stark verbessert. Damit auch Mütter mit tiefen Löhnen ihre Berufsfähigkeit erhalten können, wird das Steuersystem angepasst und durch Betreuungsgutscheine (wie in Luzern) ergänzt. Alle Vorschläge sind übrigens in der Praxis erprobt und für gut befunden.

Drehbuch B: Sogenannte Bedarfsanalysen decken Lücken bei Hort und Krippe im bestehenden System auf. Je höher der ausgewiesene Bedarf, desto mehr sorgen staatliche Ämter für angemessene Qualität: vier Quadratmeter pro Kind im Hort und am Mittagstisch – ausserhalb des Schulareals, nota bene; frisch gekochtes Essen zur Überbrückung der viel zu langen Mittagszeit; Rücksicht auf die Heterogenität der Schüler (vegetarisch, schweinefrei, laktosefrei, ponyfrei), Betreuungspersonal mit akademischem Abschluss. Selbstverständlich ist dieser Bedarf mit normalen Löhnen nicht zu finanzieren. Hinzu kommen daher einkommensabhängige Subventionen, welche dann wiederum eine mehr als symbolische Berufstätigkeit für viele Mütter zum unerschwinglichen Luxus machen.

Die hohen Kosten rufen die andere Seite auf den Plan: Mit einem gewissen Recht fordern diejenigen, die ihre Kinder selber betreuen oder sich mit Grosseltern und Kinderfrau helfen, ebenfalls Unterstützung. Schliesslich ist nicht einzusehen, weshalb die Grossmutter mit der knappen Rente nicht auch entlohnt werden soll. Am Schluss bezahlen alle sehr viel höhere Steuern, die sie teilweise in Form von Subventionen und Herd- und Hüteprämien wieder zurückerhalten. Nur: Je mehr eine Mutter arbeitet, desto schlechter der Deal.

Die Leser(-innen) die hier eine Abstimmungsempfehlung für den Familienartikel erwarten muss ich enttäuschen: Es handelt sich hier um eine vorgezogene Abstimmungsanalyse. Nicht jedes NEIN wird von hinterwäldlerischen Ewiggestrigen oder egoistischen Singles stammen. Viele Gegner fürchten, dass ein überholtes Schulsystem künstlich am Leben erhalten wird, wenn der „Bedarf“ an Betreuungsplätzen innerhalb eines nicht mehr zeitgemässen Systems gemessen wird. Umgekehrt wird nicht jedes JA von subventions-maximierenden Etatisten kommen. Viele Befürworter erhoffen sich, dass das Schulsystem endlich keine Eltern mehr daran hindert, ihre beruflichen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken einzusetzen.

Wie die Abstimmung auch ausgehen mag: Es ist Zeit, dass etwas geschieht. Dazu braucht es das richtige Drehbuch. Gefragt sind Ideen und Mut zur Veränderung, nicht Geld.

 

Abzocker-Blues

Urs Birchler

Vor fünf Tagen habe ich mich durchgerungen, ein NEIN zur Abzockerinitiative einzulegen. Und jetzt das: 72 Mio. für ein Konkurrenzverbot. Gleich wohl meine ich: Durchatmen. Nüchtern Überlegen. Das bedeutet für mich:

  • Eine Corporate Governance, die zu diesem Resultat führt, ist pathologisch.
  • Der Wettbewerb im Pharmabereich scheint nicht zu spielen.
  • Die Abzockerinitiative verhindert keine Zahlung für Konkurrenzverbote und löst auch die erstgenannten beiden Probleme nicht.

Die Abzockerinitiative bleibt für mich eine Symptomtherapie, welche den ehrlichen Unternehmen das Leben schwer macht und von den unehrlichen umgangen wird. Wenn wir sie annehmen (wonach es wohl aussieht), geht es uns 24 Stunden lang besser. Viel gescheiter wäre: Parallelimporte ab sofort zulassen. Und dann nochmal über Corporate Governance in der Schweiz nachdenken.