ADHS Therapie beim Literaturwissenschaftler

Monika Bütler

Aha, der NZZ von heute entnehme ich, dass nun auch ein Literaturwissenschaftler weiss, wie mit AHDS umzugehen ist. Beruhigend, dass er dieses Feld nicht einfach den Soziologen überlässt. Frei nach dem Motto: Je medizinisch ahnungsloser, desto besser wissen die Schreiber, was für die betroffenen Kinder und ihre Familien richtig ist.

Den betroffenen Familien macht diese Ahnungslosigkeit und die damit verbundene Stigmatisierung das Leben nicht leichter, wie wir vor einiger Zeit in der NZZ am Sonntag dargestellt haben (etwas ausführlicher und mit Links im batz.ch hier). Die Reaktionen auf unseren Artikel damals waren überwältigend: Sowohl Ärzte wie auch betroffene Menschen schilderten uns, wie sehr sie unter den negativen Vorurteilen litten. Niemand mag sich allerdings öffentlich äussern aus Angst vor Anfeindungen. ADHS, respektive Ritalin Bashing ist dermassen en-vogue.

Hat der Autor mal ein ADHS-Kind gesehen? Ich vermute nicht. Der Satz „ich war auch ein unruhiges Kind“ ist eine ADHS Verharmlosung der übleren Sorte. „Ach wissen Sie, ich bin manchmal auch vergesslich“ wäre für eine von Alzheimer betroffene Familie wohl auch nicht besonders tröstlich.

Der Literaturwissenschaftler geht auch ziemlich salopp mit der medizinischen Literatur um. So „beweist“ er die Nutzlosigkeit von Ritalin und ähnlichen Medikamenten mit einer Studie, die zeigt, dass mit Stimulanzien behandelte Kinder nur minimal bessere Leistungen erzielten als nichtstimulierte Kinder; sie schwänzten „nur“ weniger. Doch genau um letzteres geht es bei diesen Kindern – um die Chance, ein normales Leben zu führen. Nicht um Leistung. Auch dies ist in unserem Beitrag ausführlich erklärt.

Glücklicherweise finden sich in der NZZ auch ab und zu wissenschaftlich fundierte Beiträge zu ADHS (so zum Beispiel hier und hier). Sonst müssten wir befürchten, dass uns in der NZZ bald der Chirurg die Literatur erklärt.

One thought on “ADHS Therapie beim Literaturwissenschaftler

  1. Danke für den Artikel. Ähnliche Reaktionen von, sagen wir mal, fachfremden Autoren finden sich die letzten Jahre auch gehäuft über das Autismus-Spektrum, den Kritiker-Boom hat die Depression vor gut zehn Jahren abbekommen und erlebt heute ein Revival beim Burnout (eigentlich Erschöpfungsdepression). Dissoziative Störungen sowie Schizophrenie und verwandte Erkrankungen sind wohl »noch« zu exotisch, um außerhalb von Kinofilmen und Fernsehserien von großem öffentlichen Interesse zu sein. Und kommen deshalb wohl weniger häufig unter die Räder als heute AD(H)S.

    Allen diesen Erkrankungen und Störungen gemein ist, dass sie nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, wie zum Beispiel eine Querschnittslähmung oder das Down-Syndrom, aber dass es popkulturelle und populärwissenschaftliche Archetypen gibt. Die dissoziative Identitätsstörung hatte den Hype um den »Satanic Ritual Abuse« ab den 70ern, aber zuvor auch Jekyll and Mr. Hyde. Bei »Schizophrenie« denken viele automatisch an den paranoiden Einzelgänger, der à la Mel Gibson in »Conspiracy Theory« an eine Weltverschwörung glaubt, während populärwissenschaftlich das »zerstörte kreative Potential« höher gewichtet wird als Antipsychotika. Und so weiter.

    Auch gemein haben diese Krankheiten, Behinderungen und Störungen, dass sie vergleichsweise neu sind. Oder besser, »neu« erscheinen, da sie erst in den letzten Jahrzehnten diagnostisch sauberer gefasst wurden. AD(H)S ist aller Wahrscheinlichkeit nach heute nicht häufiger verbreitet als

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