„Bauern als Preistreiber!“ scholl es einst durch die Lande, als Inflation noch ein Thema war. Was war geschehen? Die meisten Gemüse und Früchte sind aufgrund der jahreszeitlichen Ernteschwankungen im Winter teurer als im Sommer. Nehmen wir als Zahlenbeispiel an, sie waren im Winter doppelt so teuer wie im Sommer. Das heisst: Von Sommer zu Winter steigen die Preise um 100 Prozent, vom Winter zum Sommer sanken sie um 50 Prozent, woraus sich scheinbar eine durchschnittliche Verteuerung von 25 Prozent (100-50 durch 2) ergab. Die Bauern, denen kein entsprechender Cash-Flow im Portemonnaie aufgefallen war, protestierten sofort und mit Erfolg. Die Berechnungsweise des Konsumentenpreisindex wurde entsprechend korrigiert.
Jahrzehnte später serviert die NZZ zum Frühstück den „Gemüse-Trick“ in ihrem Börsenteil. Ziel des Artikels ist, das Halten von Bargeld zwecks Flexibilität (Jargon: als Option) zu begründen. Dies wäre weder falsch noch neu. Nur fällt Autor Patrick Herger in die Gemüsefalle: Er benutzt den Durchschnitt der Prozentsätze (Renditen) anstatt die Renditen des Durchschnitts. .
Konkret: Eine Familie bucht Ferien entweder früh für 500 Franken oder spät für (mit fifty-fifty Chancen) entweder 250 oder 1000 Franken. Klar ist früh zu 500 Franken billiger als spät zu einem Erwartungswert von 625 Franken. Jetzt aber vergleicht der Autor Renditen: Da die Reise ohne Frührabatt oder Last-Minute-Preis 1000 Franken kosten würde, ergibt sich bei Frühbuchung ein Gewinn von 100 Prozent (1000 Franken für 500 Franken); bei Spätbuchung von entweder 300 Prozent (1000 Franken für 250 Franken) oder von null, das sind im Durchschnitt immer noch 150 Prozent. Voilà!
Schon die Verwendung von Renditen ist unglücklich. Anleger haben letztlich lieber Franken als Prozente. Sie maximieren — bei Strafe des langsamen Untergangs — den Wert des Vermögens, nicht erwartete Renditen. Aber richtig schlimm: Der Autor verwendet für seine Prozentsätze (wie beim Sommer- und Wintergemüse) unterschiedliche Basen (einmal 500 Franken, dann 250 Franken).
Abgesehen von den für eine Börsenseite eher unerwarteten Fehlern, wischt der Autor mit seinem einfachen Beispiel auch ein paar weitere Probleme unter den Tisch: Die Familie könnte in Wirklichkeit auch zuwarten und die Reise am Ende gar nicht buchen. Vielleicht taucht ein noch besseres Angebot auf, oder die Tochter bricht sich beim Sturz vom Pferd ein Bein. Der Optionswert des Wartens enthält daher auch eine Versicherungsprämie gegen Überraschungen.
Ich schreibe dies nicht, weil ich an der Fähigkeit von Schweizer Familien zweifle, ihre Ferien auch nach Lektüre der NZZ (rechtzeitig umleiten!) optimal zu buchen. Vielmehr: Der Autor, der selber vor „kostspieligen Fehlern“ warnt, lässt dem verunglückten Ferienbeispiel eine genauso verunglückte Börsenanleitung folgen. Da wird es dann tatsächlich kostspielig. Was, wenn mein(e) Pensionskassenverwalter(in) den Artikel liest und befolgt? Die Forderung nach einem obligatorischen Warnhinweis auf Börsenseiten scheint vielleicht verfrüht. Aber die NZZ, wäre gut beraten, wenn sie sich anscheinend schon kein Finanzlektorat leistet, anspruchsvolle Berechnungen wenigstens vorher dem Schweizerischen Bauernverband vorzulegen.