Bankenrettung ohne Staat?

Urs Birchler

Der portugiesische Banco Espírito Santo muss (trotz Werbung durch Cristiano Ronaldo) gerettet werden. „Ohne Staatsgeld“, lügen die Verantwortlichen. Die Elemente der Rettung:

  1. Die Bank wird aufgespaltet in eine „bad bank“ und eine gute namens Novo Banco.
  2. Der Novo Banco erhält eine Finanzspritze von 4,9 Mrd. Euro.
  3. Der Novo Banco wird (bis zu einem Verkauf) übernommen von einem Auffang-Fonds, den die Banken selbst gebildet haben. Der Fonds hat aber nur wenig Mittel; der grösste Teil der 4,9 Mrd. Euro bestehen deshalb in einem Hilfskredit des Staates (aus Geldern der „Troika“, genauer: aus dem IMF/EU-Hilfsprogramm für Portugal).
  4. Die normalen Einleger kommen in die gute Bank; Aktionäre (von der Börse seit Juni schon mit einem Verlust von 90% gebeutelt) sowie nachrangige und „junior“ Gläubiger und erhalten die „bad bank“.

Die gute Seite: Aktionäre und ungeschützte Gläubiger werden nicht gerettet. (Ob auch Cristiano Ronaldo die bis 2022 versprochenen Werbeeinnahmen verlieren wird?). Die schlechte Seite: Ohne Geld vom Staat geht es immer noch nicht. Erstens ist auch Geld aus einem Banken-Rettungsfonds Steuergeld, nur wurde es anstatt von den allgemeinen Steuerzahlern von den Banken erhoben. Die guten Banken zahlen also für die schlechten. Zweitens war der Hilfskredit von knapp 5 Mrd. Euro kaum zu den geltenden Bedingungen am Markt erhältlich. Der portugiesische Staat subventioniert also den Novo Banco durchaus — trotz allen gegenteiligen Beteuerungen. Und hinter ihm (falls er nicht zahlen kann) die europäischen Geldgeber und der IMF (also ein kleines bisschen auch der Schweizer Steuerzahler).

House of Debt

Urs Birchler

Ferienlektüre ohne Schuldgefühle! Die beiden Autoren Atif Mian (Princeton) und Amir Sufi (Chicago Booth) erklären in The House of Debt leichtfüssig und gleichzeitig höchst ernsthaft die Finanz-, sprich: Schulden-Krise. Besonders sympathisch (und vertrauenerweckend): Alles ohne Schuldzuweisungen. Die Autoren glauben zudem, ein Rezept gefunden zu haben, wie in Zukunft solche Katastrophen vermieden werden könnten.

Zunächst, in Stichworten, die Diagnose:

  • Fundamentaler Auslöser der Krise war die Verschuldung der Haushalte (die sich in den USA von 2000-2007 verdoppelt hat), vor allem die Hypothekarschulden. Diese erlaubten eine Überbewertung der Immobilien.
  • Der unvermeidliche Preisrückgang am Immobilienmarkt schadete dem Konsum. Er traf die ärmeren Hypothekarschuldner am härtesten, da diese über die dünnsten Eigenmittelpolster verfügen. Gerade sie wären aber diejenigen, die von jedem Franken am meisten ausgäben.
  • Die Rezession wurde massiv verschärft durch die foreclosures (Vollstreckung überfälliger Schulden und Pfandverwertung). Diese führen zu einer Abwärtsspirale und verschärfen die Arbeitslosigkeit. (Auch die scharfe Rezession in Spanien hat mit den dortigen rigiden Vollstreckungsregeln zu tun.)
  • Besonders ungünstig waren die Verbriefung, die Tranchierung und der Weiterverkauf der Schulden, weil dadurch eine Umschuldung praktisch verunmöglicht wurde.
  • Das Grundproblem liegt in der Struktur des Schuldvertrags, besonders in der Sicherung durch Grundpfand. Diese schützt den Gläubiger, d.h. die in der Regel reichere und damit risikofähigere Partei. Der Schuldner trägt daher zu viele und vor allem die falschen Risiken, d.h. solche, auf die er selbst keinen Einfluss hat, wie z.B. Konjunkturschwankungen.

Die Autoren schlagen deshalb eine Abkehr vom klassischen Schuldvertrag vor. Der Rückzahlungsbetrag sollte nicht fix festgelegt werden, sonder flexibel auf die Wirtschaftlage Rücksicht nehmen. Ein solcher bedingter Schuldvertrag wäre näher bei einer Aktie als die heute üblich Verträge mit genau festgelegtem Rückzahlungsbetrag. Notfalls müsste der Staat die Rückzahlungsbedingungen aufweichen, wenn die Probleme der Schuldner nicht in deren eigenem Verhalten wurzeln, sondern durch gesamtwirtschaftliche Störungen bedingt sind. Auch hätte der Staat, wenn schon, gescheiter den ärmeren Schuldnern geholfen anstatt den grossen Banken.

Was Sie immer über Ungleichheit wissen wollten

Ernst Fehr

SCIENCE magazine has just published a series of articles on the „Science of Inequality“ written by economists such as Thomas Piketty (Paris School of Econ), Emanuel Saez (Berkeley), David Autor (MIT), Janet Currie (Columbia), etc.. The articles are freely available (without a pay wall) at: http://www.sciencemag.org/site/special/inequality/

Content of the Special Issue on the Science of Inequality

Review Papers by economists:

  • Inequality in the long run
    Thomas Piketty and Emmanuel Saez
  • Skills, education, and the rise of earnings inequality among the “other 99 percent”
    David H. Autor
  • Income inequality in the developing world
    Martin Ravallion
  • The intergenerational transmission of inequality: Maternal disadvantage and health at birth
    Anna Aizer and Janet Currie
  • On the psychology of poverty
    Johannes Haushofer and Ernst Fehr

Short pieces written by Science Editors or Scientists:

  • The Science of Inequality: What the numbers tell us
    Gilbert Chin and Elizabeth Culotta
  • The Science of Inequality: The ancient roots of the 1%
    Heather Pringle
  • The Science of Inequality: Our egalitarian Eden
    Elizabeth Pennisi
  • The Science of Inequality: Tax man’s gloomy message: the rich will get richer
    Eliot Marshall
  • The Science of Inequality: Can disparities be deadly?
    Emily Underwood
  • The Science of Inequality: While emerging economies boom, equality goes bust
    Mara Hvistendahl

Piketty für Eilige

Urs Birchler

Der Ökonom Thomas Piketty, der Autor des gegenwärtigen No 1 Bestsellers Capital in the 21st Century, ist in aller Munde. In der NZZaS von heute (S.34; mit Kommentar von Reto Föllmi) sowie in früheren NZZ-Ausgaben ([1],[2],[3],[4]). Im Tagesanzeiger ([15] und [6]) und seinem Blog Never Mind the Markets ([7]).

Wer die 700 Seiten nicht sofort lesen will, dem können wir hier eine ausgezeichnete Besprechung empfehlen. Sie stammt von Robert E. Solow, Wirtschafts-Nobelpreisträger von 1987 und ist erschienen in der New Republic (Printversion). Solow bespricht Pikettys Buch wohlwollend und fair, obwohl er dessen politischen Ansichten (v.a. den Vorschlag einer scharfen Besteuerung der Reichen) keineswegs teilt.

Die Vermögensverteilung, Pikettys Hauptthema, und die Probleme bei deren Messung hat Monika Bütler schon verschiedentlich diskutiert, sowohl hier als auch als Quiz und dessen Auflösung. Letztere verweist auch auf den Artikel in der NZZaS.

NZZ klaut Batz-en

Urs Birchler

NZZ_Batzen
Den Kampf gegen die Mindestlohninitiative unterstützen wir gerne mit einem Batzen. Drum freuen wir uns, dass die NZZ jetzt, wie unser Blog, auch einen Batzen im Titel führt. Nur hoffen wir, dass die Leser daraus nicht schliessen, die Annahme der MLI koste nur ein paar Batzen.

May the force be with you!

Urs Birchler

Star Wars-Fans kennen diesen Satz als Abschiedsgruss zwischen Jedis. Als George Lucas, der Regisseur der Star Wars-Filmreihe, bei einer deutschen Privatfernsehstation sagte, „May the force be with you!“, übersetzte der anscheinend leicht überforderte deutsche Simultanübersetzer (x) jedoch: „Am vierten Mai sind wir bei Ihnen.“ [hat tip: Michael Laricchia]

Warum berichten wir darüber in einem Blog zur Wirtschaftspolitik? Erfunden hat die Pointe die Partei von Margaret Thatcher als Glückwunsch zu deren Amtsantritt als britische Premierministerin am 4. Mai 1979: „May the fourth be with you!“. Seither feiert die Star Wars-Gemeinde den 4. Mai als (Star Wars Day). Umstritten bleibt laut NZZ, welche Schweizer Partei das geistige Erbe von Frau Thatcher vertritt. Die wahren Jedis unter unseren Politikern erkennt man am kommenden Sonntag, 4. Mai, am blauen Laserschwert.

lightsaber

Die abschliessende — je nach dem, gute oder schlechte — Nachricht: Es folgt noch eine Folge Star Wars VII, das ist dann aber scheint’s die letzte.

[Jonas Kocher teilt per Twitter mit: Es geht weiter mit VII bis IX]

Ritalin-Schwindel zum zweiten

Urs Birchler

Die Anti-Ritalin-Sekte hat wieder zugeschlagen. Der Tages-Anzeiger online entblödet sich nicht, heute dieselben Legenden nochmals abzudrucken, die wir in der NZZaS, bzw. hier und hier bereits entlarvt haben.

Wiederum spiel der Soziologe Pascal Rudin eine Hauptrolle. Er zitiert diesmal auch eine Studie, genauer „die amerikanische MTA-Studie (Multimodal Treatment Approach)“ (ohne den altmodischen Luxus einer genaueren Quellenangabe). Da aber die Studie an 579 Kindern durchgeführt wurde, kann man sie identifizieren. Und siehe da: Die Studie stammt aus dem Jahr 1999 und findet eine klare Überlegenheit der (von Rudin verteufelten) medikamentösen Behandlung gegenüber von Verhaltensorientierten Therapien (Rudin sVorliebe) [sehr ähnlich eine Studie aus von 2001]:

Conclusions For ADHD symptoms, our carefully crafted medication management was superior to behavioral treatment and to routine community care that included medication. Our combined treatment did not yield significantly greater benefits than medication management for core ADHD symptoms, but may have provided modest advantages for non-ADHD symptom and positive functioning outcomes.

Rudin behauptet laut TA, „dass die Einnahme von Methylphenidat nach 14 Monaten zwar Vorteile zeigte. Nach drei Jahren Einnahme jedoch waren diese nicht mehr nachweisbar und es zeigten sich sogar Nachteile gegenüber nicht-medikamentöser Hilfen.“ Diese Behauptung ist einmal mehr erlogen und erstunken. Wie schon die im TA wiederholte Behauptung Rudins, in der Schweiz seien 95 Prozent der Ritalin-Verschreibungen überflüssig.

Der TA meint, Ritalin werde jahrelang ohne Diagnose verschrieben. „Dies bestätigen auch Erfahrungsberichte von Betroffenen.“ Wir können versichern: Wir haben nach unserem Artikel in der NZZaS fast zwei Dutzend Zuschriften erhalten von Betroffenen, die uns alle gedankt haben. Niemand hat geschrieben: Ich hätte kein Ritalin bekommen sollen.

Skandal: Bankenprofessor beim Betteln erwischt

Urs Birchler

Bettler

Bild: Silke Declerck

Nicht jeden Tag erwischt man einen Bankenprofessor (und dann noch von der Uni Zürich) beim Betteln. So geschehen vergangenen Sonntag in Baden-Baden vor der Aufführung von „Geld und Glück“, der letzten Folge der Trilogie des Geldes. Wenn ich schon mitwirken durfte, dann wollte ich doch die Erfahrung der Mikro-Sponsorensuche einmal selber machen.

Finanzieller Erfolg: Gut 13 Euro in einer Stunde (wobei einzelne Passanten den Theaterbettler durchschauten und gerne etwas springen liessen). Erkenntnisgewinn: Am ehesten gibt, wer selber gerade Glück hatte (Parklücke gefunden; attraktive Partnerin am Arm). Am knausrigsten waren die Betrachter der Auslage der Juweliergeschäfte (auch ein Brillant beginnt mit einem Cent). Und niemand schaut einem Bettler ins Gesicht. Aber ausgestossen sein macht auch stark: Buchen Sie bei mir eine Probelektion in Betteltherapie® (Platzzahl beschränkt).

Ungeeignete Leverage Ratio?

Urs Birchler

Der Tages-Anzeiger lobt die Universität Zürich für die Wahl der Bankenkritikerin Anat Admati zur Ehrendoktorin: „Ihre Ehrung markiert Distanz zum Bankenplatz: zur UBS, die ein eigenes Kompetenzzentrum sponsert [das UBS Center for Economics in Society], und zum Swiss Finance Institute, das von den Banken finanziell unterstützt wird. Regulierungsfragen werden dort mehr als zurückhaltend behandelt.“ [Hyper-Links von uns eingesetzt.]

Dass uns der TA Unabhängigkeit attestiert, ist erfreulich. Er hätte noch erwähnen können: Am Institut für Banking und Finance und dessen Zentrum für Finanzmarktregulierung (ZeFiR) nehmen wir ständig zu Regulierungsfragen Stellung. (Das Institut erhält m.W. keine Gelder von Grossbanken und ist nicht zu verwechseln mit dem bankenfinanzierten SFI.)

Ferner hat der TA mit dem Zitat „Ungewichtete Kapitalquoten sind völlig ungeeignet, um das «Too big to fail»-Problem zu managen“ ein unglückliches Beispiel erwischt. Die Aussage stammt aus einem White Paper des SFI, verfasst unter der Leitung von Prof. Jean-Charles Rochet (UZH). Das Paper zieht Bilanz zur Diskussion um die Kapitalkosten und kommt zum — keineswegs bankenfreundlichen — Schluss, dass der Nutzen höherer Eigenmittel der Banken die Kosten vor allem aus gesamtwirtschaftlicher Sicht klar übersteigen dürfte.

Eine Leverage-Ratio als einzige Eigenmittelanforderung für Banken ist gleichwohl ungeeignet. Eine solche würde das Bankgeschäft in die riskantesten Ecken abdrängen. Wenn Anat Admati fordert, die Banken sollen Eigenmittel von 20% der Bilanz haben, heisst dies nicht, dass diese Eigenmittel durch eine alleinige Leverage-Ratio erzwungen werden sollen.

Wir können Anat Admati selber fragen. Morgen Dienstag, 17 Uhr, hält sie einen öffentlichen Vortrag an der UZH.

Ehrendoktor an Banken-Kritikerin

Urs Birchler

Die Ökonomin Anat Admati ist seit heute Ehrendoktorin der Universität Zürich. Damit wurde diese Ehre nach Doug Diamond zum zweiten Mal hintereinander an eine(n) Vertreter(in) der Banken- und Finanztheorie vergeben.

Die ehemalige Studentin der Hebrew University, Jerusalem, ist heute (mit einem PhD von Yale) Professor of Finance and Economics in Stanford (CV). Ihre Forschung und Publikationen gelten Fragen der Informationsverarbeitung auf den Finanzmärkten und anderen Fragen auf dem Gebiet der sogenannten Mikrostruktur der Märkte.

Anat Admati gehört aber auch zur Gruppe jener Ökonomen, die nach der Finanzkrise aktiv die Öffentlichkeit gesucht haben und den Argumenten der Banken entgegengetreten sind. Das Buch The Bankers‘ New Clothes, verfasst mit Martin Hellwig, räumt auf mit den Argumenten der Banken, weshalb hohe Eigenmittel schädlich seien. Für Eilige: Eine kurze Zusammenfassung durch Admati im Video-Clip. Eine Zusammenfassung auf deutsch bei iconomix, in der FuW und in der FAZ.