Auf Schleichwegen zur Volkspension?

Das PdA-Organ Vorwärts empiehlt ein Nein zur Senkung des Umwandlungsatzes in der Beruflichen Vorsorge. Mit folgender Begründung:

„Und noch zu guter Letzt: sollen wir zur Senkenung des Umwandlungssatzes JA oder NEIN stimmen? Es gibt vordergründig ein Argument für ein JA: Pensionskassen in Unterdeckung müssen saniert werden, die Arbeiter erhalten während der Sanierung weniger Lohn (z.B. SBB). Vom Arbeitgeber nicht ausfinanzierte Frühpensionierungen und Verlust an der Börse haben die Löcher in den Pensionskassen hauptsächlich verursacht. Wenn bloss zukünftige Rentnerinnen dafür bezahlen sollen, ist dies völlig willkürlich. Es gibt daher bessere Argumente für ein NEIN: Nicht alle Pensionskassen sind in Unterdeckung, die privaten Versicherungsgesellschaften haben mit den Pensionskassen schon zuviel abgezockt, mit der Senkung des Umwandlungssatzes können sie noch mehr abzocken.
Ausschlaggebend ist für uns, was die Abschaffung der Pensionskassen beschleunigt. Dies ist eindeutig ein NEIN; wird der Umwandlungssatz nicht gesenkt, kommen die Pensionskassen schneller in unlösbare Probleme und ihre Abschaffung wird möglich.“

Diese Analyse von Vorwärts ist richtig: Ein zu hoher Umwandlungssatz führt zu einer wachsenden Deckungslücke. Eine Deckungslücke von beispielsweise 20% (das heisst ein Deckungsgrad von 80%) heisst aber nichts anderes, als dass rund 20% der Renten aus den laufenden Beiträgen der aktiv Beschäftigten gedeckt werden müssen. Und nun haben die Aktiven ein Problem: Ihre künftigen Renten wären selbst bei einem versicherungstechnisch korrekten Umwandlungssatz nur zu 80% gedeckt. Bei einem zu hohen Umwandlungssatz fällt die Deckung der Renten der Aktiven sogar deutlich unter 80%. Die Pensionskasse muss in Zukunft einen stets wachsendenTeil ihrer Verpflichtungen mit den laufenden Beiträgen ihrer aktiv Versicherten finanzieren.

Fazit: Jede Senkung des Deckungsgrades auf unter 100% kommt einer (stillschweigenden) Einführung eines Umlageverfahrens im Ausmass der Deckungslücke gleich. Eine schleichende Einführung der Volkspension ist gleichzeitig eine klare Missachtung des Volkswillens. Vorschläge zu einer Volkspension wurden in der Vergangenheit mit rund 80% Nein Stimmen abgelehnt, die Einführung einer (kapitalgedeckten) Beruflichen Vorsorge hingegen mit über 70% gutgeheissen.

Wachstum und Wohlstand I: (Ist) War Irland reicher als die Schweiz?

Für einmal stellt die OECD der Schweiz ein gutes Zeugnis aus: Sie habe die Finanzkrise im Vergleich mit anderen Ländern sehr gut gemeistert. Kritisiert wurde hingegen wie schon beim letzten Bericht die relativ geringe Arbeitsproduktivität. Trotz sehr hohem Pro-Kopf-Einkommen liege die Schweiz hier nur im Mittelfeld der OECD Mitglieder.

Nicht immer erhielt die Schweiz von der OECD und anderen Stellen (relatives) Lob. Selbst im Pro-Kopf-Einkommen sei die Schweiz zurückgefallen, hiess es das letzte Mal. So zeigten die Zahlen (siehe Graphik), dass beispielsweise Irland seit 2002 die Schweiz im (Kaufkraft-bereinigten) Pro-Kopf-Einkommen überholt habe. Weiter noch gingen die Amerikaner Tim Kehoe und Kim Ruhl von der University of Minnesota. Auf die Frage „Is Switzerland in a Great Depression?“ antworteten sie im Jahre 2004 mit einem klaren Ja: “ We conclude that Switzerland has indeed suffered a great depression and, in fact, is mired in it even today.“

Dass die Schweiz ein Wachstumsproblem habe, entsprach der Einschätzung der meisten Ökonomen. Der Konsens war so stark, dass der Zwischenruf von Prof. Ulrich Kohli «Das Problem ist nur halb so schlimm» für Verwirrung unter den Teilnehmern einer Tagung von Avenir Suisse sorgte. Der damalige Chefökonom der Nationalbank monierte, in den offiziellen BIP-Zahlen werde das Wachstum der Schweiz wegen Messproblemen um 1 bis 1,5% jährlich unterschätzt. Ein riesiger Unterschied.

Ulrich Kohli, ein international anerkannter Wissenschafter, meinte, dass es völlig unplausibel sei, dass Irland ein höheres Pro-Kopf-Einkommen hätte als die Schweiz. Und musste darauf gleich von zwei Seiten Prügel einstecken. Von den Verfechtern der Diagnose Wachstumsschwäche (unter Einschluss des seco) für eine Beschönigung der desolaten Lage der Schweiz. Von der irischen Regierung, weil er die Erfolge in der irischen Wachstumspolitik anzweifle.

Selbst Ulrich Kohli schätzte, dass Irland auch mit „richtig“ gemessenen BIP-Werten die Schweiz tatsächlich bald überholen würde, sollte sich der Trend fortsetzten. Doch dies scheint zumindest momentan nicht der Fall zu sein. Irland befindet sich in einer dramatischen Wirtschaftskrise mit einem Einbruch des (kaufkraftbereinigten) Pro-Kopf-Einkommens von beinahe 7% in 2009 und einer Arbeitslosenrate von 12%, die in 2010 auf über 15% ansteigen dürfte. Dagegen muten der relativ geringe Rückgang des schweizerischen Pro-Kopf-Einkommens um circa 1% und die Arbeitslosenquoten von 3,5% für 2009 und von geschätzten 4,5% für 2010 fast schon idyllisch an.

Weshalb ist es überhaupt so schwierig, das Einkommen eines Landes zu messen? Wie kann es sein, dass ein Land gleichzeitig ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und eine geringe Arbeitsproduktivität hat? Wie ist es möglich, dass die Wachstumsraten von europäischen Ländern über viele Jahre um mehrere Prozent auseinanderliegen? Und wie ist es möglich, dass Zahlen und Wahrnehmung so stark auseinanderliegen können? Ist das Pro-Kopf-Einkommen eventuell gar nicht das richtige Mass, den Wohlstand eines Landes zu messen?

Fortsetzung folgt.

Dank an Stefan Staubli für die Mitarbeit bei der Aufbereitung der Daten.

Exzellenzförderung?

Zuerst die Diskussion um die Zahl der deutschen Professoren, dann der Vorwurf einer Vernachlässigung des eigenen Nachwuchs an schweizerischen Universitäten. Wie fast immer folgt auf einen vermuteten Misstand der Ruf nach staatlicher Initiative. Neuestens fordert eine überparteiliche Gruppe von Parlamentariern um Ruedi Noser (FDP) eine „nationale Exzellenzstrategie“. Ist der Interventionsfall hier wirklich gegeben? Meine Argumente gegen die staatliche Förderung von Genies finden sich in der aktuellen Ausgabe der Weltwoche.

Peer Teuwsen in der Wochenzeitung Die Zeit vom 7. Januar („Hausgemachte Misere“) behauptet sogar, dass die Einheimischen auch deswegen zu wenig gefördert würden, weil sich die Professoren vor allem um die eigene Publikationsliste kümmerten. Dies widerspricht der Logik einer aktiven Forschertätigkeit, bei der gerade die Zusammenarbeit mit jungen Forschern so wichtig ist. Aber auch der Beobachtung: Die beste Nachwuchsförderung wird gerade von den forschungsstärksten Dozenten gemacht. Aus den produktivsten Unis kommen am meisten Nachwuchskräfte. In einem hat Teuwsen allerdings Recht: Allfällige Versorgungslücken an schweizerischem Nachwuchs wären auf den hohen Anteil nicht-forschender Dozenten der alten Garde zurückzuführen — übrigens in der Mehrzahl Schweizer.

Man soll unseren eigenen Nachwuchs nicht unterschätzen. Die jungen Frauen und Männer sind klug und informiert genug, den für sie besten Förderweg einzuschlagen. Nur führt ihr Weg nicht immer über Schweizerische Hochschulen.

Numerus Germanicus

An Schweizer Uni: Deutscher Professor stellt deutschen Assistenten ein. Zufall? Nein, vermuten wir. Unser Verdacht: Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatte der Kollege kaum eine andere Wahl. Es ging ihm auch nicht anders als uns Schweizern. Dazu einige Zahlen zu kürzlich ausgeschriebenen Stellen:

Assistenz am Bankeninstitut (ISB) der Uni Zürich.
14 Bewerbungen; davon D: 6, CH: 2, A: 0

Nachwuchsdozenturen an der UniSG:
Wirtschaftspolitik: 343 Bewerbungen; davon D: 15, CH: 3, A: 1.
Quantitative Ökonomie: 125 Bewerbungen; davon D: 9, CH: 1, A: 0.

Kein Wunder sind ein Viertel der Mittelbau-Stellenprozente in deutscher Hand, wie die NZZ von heute berichtet. Eher ein Wunder, dass es nicht mehr sind. Wenn der Zürcher die Stelle in Bern verschmäht, kommt eben die Kollegin aus Rostock zum Zuge. Dies, obwohl sowohl Schweizer als auch deutsche Professoren zum Teil händeringend nach Schweizern suchen.

Und warum kommt der Professor aus Deutschland? Richtig:

Ausschreibung für Professur Internationale Ökonomie UniSG:
Bewerbungen: 32; davon D: 13, CH: 0 (in Worten: NULL), A: 2.

Bei aller Diskussion um die ausländischen Professoren sollte vielleicht auch einmal die andere Seite erwähnt werden: Eine grosse Anzahl von Schweizern lehrt im Ausland. Die meisten werden ebenso freundlich aufgenommen werden wie MB damals in Tilburg (NL). Ebenso freundlich sollten wir diejenigen behandeln, die mit viel Engagement und Enthusiasmus in der CH lehren und forschen — schliesslich profitieren wir mindestens ebensoviel von ihnen wie sie von uns.

Hier (auch für Schweizer Arbeitgeber) die Liste der Schweizer Ökonomen im Ausland.

Die ultimative Definition von Armut

Walter Schmid (der Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, skos) meint im Interview mit der Berner Zeitung (5. Januar 2010): „Wir sprechen von Armut, wenn jemand zu den zehn Prozent der Bevölkerung gehört, die am wenigsten haben.“

Mit dieser Definition lässt sich die Armut schon rein statistisch nicht ausmerzen: Auch mit der aggressivsten Armutsbekämpfung wird es die 10% Ärmsten immer geben – es sind dann vielleicht nicht mehr dieselben.
Die gute Nachricht: Wenigstens kann bei dieser Definition der Anteil der Armen an der Bevölkerung nicht mehr wachsen, und die geforderten statistischen Erhebungen können angesichts der klaren Vorgabe eingespart werden.

Ergänzungsleistungen für Familien?

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (skos) legte gestern einen Plan zur Bekämpfung der Armut vor. Mit einem 31-Punkte Plan soll die Armut in der Schweiz innerhalb von zehn Jahren halbiert werden. Die herausragende Forderung ist die Einführung von Ergänzungsleistungen (EL) für Familien.

Der Vorteil der EL für Familien vorweg: Es dürfte relativ einfach sein, gezielt den Familien zu helfen, es gibt schliesslich keine Scheinfamilien. Doch die Nachteile wiegen schwer: Bedürftigkeit ist nicht einfach vorbestimmt; die Höhe des Familien-Einkommens ist mindestens teilweise wählbar. Mit den Ergänzungsleistungen für Familien werden die Erwerbsanreize der Eltern stark untergraben. Die Gefahr ist gross, dass die Ergänzungsleistungen die Arbeitseinkünfte ersetzen statt ergänzen.

Armut ist für die betroffenen Kinder traumatisch, argumentieren die Befürworter von EL für Familien. Ob die Kinder tatsächlich bessere Zukunftsaussichten haben, wenn sie erleben, dass sich Arbeit und Ausbildung nicht lohnen? Immerhin ist die Vererbung der Armut gerade wegen Sozialleistungen in vielen Ländern (Deutschland, Grossbritannien) bereits bittere Realität.

Wer mehr wissen will, liest:
Mein Interview in der Neuen Luzerner Zeitung,
Meine Studie zu den Anreizwirkungen der Ergänzungsleistungen zu AHV und IV.

Es gibt ohne Zweifel Armut in diesem Land. Dennoch ist die Schätzung der Caritas von 900’000 Armen in der Schweiz zumindest fragwürdig. In seinem sehr lesenswerten Kommentar in der Sonntagszeitung vom 3. Januar 2010 („Die Caritas macht Angst“) bemerkt Armin Müller treffend: „Wer die Anspruchsinflation befeuert, untergräbt das Sozialsystem, das er retten will. Man darf sich nicht wundern, wenn immer mehr Leute zum Schluss kommen, dass sich Arbeit nicht lohnt.“

Noch eine Gratulation: Stefan Bühler

Allen Unkenrufen zum Trotz: Es gibt sie noch; auch an „meiner“ Hochschule, der UniSG. Kollegen, die sich in der angewandten Wirtschaftspolitik verdient machen, obwohl sich ein solches Engagement innerhalb der Hochschulen kaum je lohnt. Einer davon ist Stefan Bühler, Förderprofessor des Schweizerischen Nationalfonds, mit Forschungsschwerpunkten Industrieökonomik, Regulierungstheorie und Wettbewerbspolitik. Auf den 1. Januar 2010 hat der Bundesrat Stefan Bühler zum Vizepräsidenten der Schweizerischen Wettbewerbskommission ernannt. Er soll als Ökonom zusätzliche Wirtschaftskompetenz in dieses Gremium bringen und seine beiden Kollegen aus der Rechtswissenschaft (Walter Stoffel, Uni Freiburg, und Vincent Martenet, Uni Lausanne) ergänzen. Stefan Bühler erwartet eine wichtige, interessante aber auch anspruchsvolle Aufgabe. Es ist in der globalisierten Welt sehr viel schwieriger geworden zu beurteilen, ob und inwiefern Konzentrationen zu Wettbewerbsverzerrungen führen und wie damit umzugehen ist.

Noch eine gute Nachricht: Stefan Bühler ist Schweizer (seit Geburt). Berichte über das Aussterben der Schweizer Professor(inn)en sind also zumindest verfrüht.

Es dürfte im übrigen weltweit einmalig sein, dass eine Hochschule gleichzeitig in zwei nationalen Wettbewerbskommissionen vertreten ist. Neben Stefan Bühler in der Schweiz ist dies Simon Evenett in der Britischen Competition Commission.

Helden der Gegenwart

Im Mai 2009 erhielt ich eine Anfrage der Weltwoche zum Thema Helden der Gegenwart (wie ich in Erinnerung habe sozusagen als Gegengewicht zur damaligen(?!) Krisenstimmung).

Aus der email der Weltwoche: „Wir lassen von prominenten Schreibern je ihren Helden/ihre Heldin porträtieren. Die Fragestellung lautet: Welchen Schweizer, welche Schweizerin bewundern Sie? Warum? Was zeichnet die gewählte Person aus? Es geht ausschliesslich um Leute aus unserem Land. Die Texte sollten ein argumentierendes, begründendes Loblied sein, eine Hymne auf den bewunderten Menschen. Länge: 1500 Zeichen.“

Die Geschichte wurde nie publiziert. Weshalb weiss ich nicht. Auch die Namen der anderen Helden habe ich daher nie erfahren. Doch zum Glück ist mein damaliges Portrait von Jean Pierre Danthine immer noch hoch-aktuell. Wir drucken es hier ab zur Gratulation an Jean-Pierre Danthine zu seinem Amtsantritt bei der SNB.

Le voilà:

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