Der Tag der Wahrheit?

Die Finanzwelt schaut gespannt nach London, dem Sitz des Committee of European Banking Supervisors (CEBS). Es ist Notenvergabe am 23. Juli. An dem Tag werden die Stresstestergebnisse für 91 europäische Banken aus 27 europäischen Ländern bekanntgegeben, von Alpha Bank in Griechenland bis Nordea Bank in Schweden. Eine ähnliche Übung fand (unter dem Titel Supervisory Capital Assessment Program)  für 19 amerikanischen Banken im Mai 2009 statt. In den USA war das Resultat ein grösstenteils positives. Die Finanzmärkte reagierten wohlgesonnen, die Aktienpreise der Banken stiegen.

Für die europäischen Banken hingegen ist die Lage wesentlich angespannter. Zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und dem CEBS herrscht Unstimmigkeit, wie viele Informationen wann veröffentlicht werden sollen. Zusätzlich fehlen noch genaue Informationen über die Methodik der Belastungstests. Analytiker raufen sich die Haare: Welcher Prozentsatz wird für die Verlangsamung der Konjunktur in den Stressszenarios angenommen? Welcher Abschlag wird auf auf griechische oder spanische Staatsanleihen angenommen? Der Markt ist verunsichert. Kopfschmerzen bereitet auch der Gedanken an die schwächeren Banken, z. Bsp. an die spanischen Sparbanken und die deutschen Landesbanken. Die Stresstests würden an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn alle Banken sie bestehen. Doch es ist nicht klar, was mit denen Banken geschehen wird, die „durchfallen“. Nicht alle „Eltern“ können sich die teuren Kosten der Nachhilfe leisten. Unter diesen Umständen ist es unklar, ob die Stresstests zur Stärkung oder Schwächung des Vertrauens in die europäischen Banken führen. Die Stunde der Wahrheit ist am Freitag, um 19 Uhr, dann wird das CEBS die Noten in einer Pressekonferenz bekanntgeben. Doch damit ist das Nägelbeissen noch nicht vorbei. Dann muss noch bis Montag gewartet werden, um zu sehen wie der Handel an den Börsen in Europa auf die Resultate reagiert.

Batz macht keine Ferien

In den kommenden vier Wochen werden wir versuchen, nicht an Wirtschaft und Politik zu denken. An unserer Stelle batzen in dieser Zeit Inke Nyborg und Lukas Schwank. Inke und Lukas haben schon bisher aus dem Hintergrund mit Ideen und Betreuung von Beiträgen tatkräftig mitgewirkt. Jetzt übernehmen sie bis im August das Kommando. Wir wünschen den beiden und unseren Lesern viel Spass!

Frohsinn und Steuerwettbewerb

Der Tages-Anzeiger hat einigen Parlamentariern Kommentare entlockt über meinen jüngsten Batz-Beitrag. Zu zwei dieser Kommentare kann ich mir ein paar Bemerkungen nicht verkneifen.

Nationalrätin Brigitte Häberli (CVP) sagte Folgendes zur im Beitrag dargestellten Studie: „Das Hauptargument für den Steuerwettbewerb widerlegt sie nicht: Er führt dazu, dass die Kantone nur so wenig Geld wie nötig einnehmen.“

Mit ihrem ersten Satz hat Frau Häberli 100% recht: Es ging in unserer Arbeit nicht darum, herauszufinden, ob die ökonomischen Vorteile oder Nachteile des Steuerwettbewerbs überwiegen. Eine solche Einschätzung ist viel komplizierter, als es unsere errechneten Korrelationen zwischen Steuersätzen, Wanderungsbewegungen und Steuereinnahmen zulassen würden.

Gerade deshalb steht Frau Häberli mit ihrer zweiten Aussage auf wackligerem Grund. Es ist nämlich offen, ob die Kantone dank Steuerwettbewerb gerade einmal „so wenig Geld wie nötig“ einnehmen oder nicht. Der Steuerwettbewerb könnte auch dazu führen, dass weniger Geld als nötig in die Kasse fliesst, oder aber, dass der Staat trotz allem mehr Geld als nötig abschöpft. In ersterem Fall spricht man von „race-to-the-bottom“ Steuerwettbewerb, durch den der Staat an der Finanzierung eigentlich gewünschter Leistungen gehindert wird. Im zweiten Szenario hingegen vermag die disziplinierende Kraft des Steuerwettbewerbs dem staatlichen Aufblähungstrieb nicht genügend Einhalt zu gebieten.

Wo liegt die Wahrheit? Eine umfassende wissenschaftliche Antwort auf diese Frage ist äusserst schwierig, denn es gilt, subjektive Annahmen insbesondere in der Festlegung der ökonomisch optimalen Steuerlast irgendwie objektiv zu fassen. In einer Arbeit mit Mario Jametti habe ich kürzlich aufgezeigt, dass der interkantonale Steuerwettbewerb unter gewissen präzisen Bedingungen per Saldo positiv zu Buche schlägt. Dieses Resultat wie auch ähnliche Ergebnisse anderer Forscher, sind Indizien für die Vorzüge des Steuerwettbewerbs. Eine umfassende Beurteilung übersteigt jedoch weiterhin die Möglichkeiten der formalen Wissenschaft und bleibt somit weitgehend Meinungssache.

Weniger Subtilität erfordert eine Reaktion auf den Kommentar von FDP-Nationalrätin Gabi Huber. Frau Huber äusserte sich befriedigt über die Abschaffungswelle der kantonale Erbschaftssteuern: „Die vielen Erben sind aber sicher froh, dass sie weniger Steuern bezahlen mussten.“ Welch ein Kriterium! Spinnen wir diesen logischen Faden etwas weiter: Die vielen Erben wären doch sicher auch froh, wenn ihnen der Staat pro geerbtem Franken noch ein Füfzgi zuschiessen würde. So lanciere man eine parlamentarische Initiative zur Subventionierung von Erben! Ob dies der meritokratischen Gründerideologie der FDP entspricht, gälte es vorgängig abzuklären. (Falls die Partei nicht mitziehen würde, könnte man auch Steuersenkungen für höhere Staatsangestellte in Betracht ziehen: Die vielen Uniprofessoren wären sicher froh.)

TBTF: Der grosse Tag

Auf diesen Tag hat sich unser Team gefreut: Unser Gutachten zuhanden der SP Schweiz erblickte an der Pressekonferenz von heute morgen das Licht dieser Welt. Inke Nyborg, Diana Festl-Pell, René Hegglin und ich haben seit Wochen nur noch TBTF verstanden. Jetzt freuen wir uns auf Reaktionen.

Das Gutachten kann heruntergeladen werden von der Homepage der SP Schweiz (samt Pressematerial) oder bei unserem Institut als PDF.

Imaginärer Steuerwettbewerb

Es begann in Schaffhausen, anno 1991. Das Stimmvolk beschloss, direkte Nachkommen fortan von der Erbschaftssteuer zu befreien und auch die Steuersätze auf weniger direkt verwandte Erben stark zu reduzieren. Somit war der erste Dominostein gefallen. Die meisten Kantone haben nachgezogen: St. Gallen 1997, Zürich und Aargau 1999, Bern und Genf 2004. Nur in drei Kantonen zahlen Töchter und Söhne heutzutage noch Erbschaftssteuern (Appenzell Innerrhoden, Neuenburg und Waadt).

In einem neuen Forschungspapier mit meinem Mitarbeiter Raphaël Parchet zeige ich aufgrund der jeweiligen Abstimmungsbroschüren, dass die Diskussion in all diesen Entscheiden von einem Argument dominiert wurde: dem Steuerwettbewerb. Wenn man die Erbschaftssteuern nicht auch senken würde, so wurde behauptet, dann verlöre man begüterte Steuerzahler an die Kantone, in welchen reiche Erben weniger streng zur Kasse gebeten werden. Die Logik dieses Arguments scheint bestechend, doch es wurde bislang keiner systematischen Prüfung unterzogen.

Wir haben nun mittels statistischer Schätzungen den postulierten Zusammenhang zwischen der Höhe von Erbschaftssteuern und der Wohnsitzwahl begüterter älterer Menschen ausfindig zu machen versucht. Unser Resultat ist rasch zusammengefasst: Wir finden keinen solchen Zusammenhang in den Schweizer Daten. Zudem stellen wir fest, dass die Steuereinkommen der Kantone nach Senkung ihrer Erbschaftssteuersätze langfristig schrumpfen und somit nicht durch Neuzuzüge reicher Erblasser wettgemacht werden. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Steuersenkungsspirale mit einem starken Rückgang der entsprechenden Steuereinnahmen einherging (s. Grafik).

Die Senkungen der kantonalen Erbschaftssteuern erwuchsen kaum einem Sachzwang durch den Steuerwettbewerb. Ob die Stimmbürger einer zynischen Propaganda unterlagen, oder ob sich die Meinungsführer ganz einfach in ihrer Einschätzung der Steuerempfindlichkeit reicher älterer Menschen getäuscht haben, sei dahin gestellt. Es bleibt die Folgerung, dass der tatsächliche Druck des Steuerwettbewerbs nicht unbedingt so stark ist, wie es die intuitive Logik solcher Argumente vermuten lassen könnte.

Eine Lanze für den Frontalunterricht

„Man kann niemanden etwas lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu finden“, meinte Galileo Galilei vor langer Zeit.

Interessanterweise scheint aber der altmodische Frontalunterricht nicht minder geeignet zu sein als die modernen Unterrichtsmethoden, den Schülern beim Auffinden der Erkenntnisse zu helfen. Eine sorgfältig gemachte Studie zeigt sogar das Gegenteil: „Results indicate that traditional lecture style teaching is associated with significantly higher student achievement.“

(Herzlichen Dank an Jörg Baumberger für den Tipp)

NZZ: alles verkehrt

Die NZZ von heute 2. Juli 2010 berichtet auf S. 32 über eine Veranstaltung des KOF zum Thema „Too Big To Fail“. Referenten waren Patrick Raaflaub (Direktor der FINMA) und ich. Leider sind meine Ausführungen vollkommen falsch wiedergegeben. Ich greife deshalb zur Notwehr der Gegendarstellung in eigener Sache.

1) Ich habe nicht gesagt, die Kantonalbenken der Kantone AI, GL, OW etc. seien die grösseren Risiken im Vergleich zu den Steuereinnahmen als die Grossbanken. Im Gegenteil. Ich habe angegeben, dass die Zahl (BS/Steuereinnahmen) für KB AI 25 beträgt, für CS und UBS aber 27 und 44!

2) Ferner habe ich nicht gesagt, Liquidität und Eigenmittel seien unwichtig. Ich habe gesagt, Liquiditätsvorschriften nützten nichts gegen das TBTF, aber mehr Eigenmittel sei immer besser.

3) Ein internationales Konkursrecht habe ich zwar als Ziel bezeichnet, aber auch angegeben „ich werde das nicht mehr erleben“ (Zitat).

4) Meine Hauptbotschaft war: TBTF ist nur lösbar, wenn die Banken genügende Bestände an Schulden, die im Notfall in Eigenmittel gewandelt werden, ausstehend haben.

5) Ich habe auch gesagt, dass die unentrinnbare Staatsgarantie für Grossbanken die Schweiz irgendwann finanziell ruinieren wird.

6) Und ich habe auch gesagt, und sage es hier noch klarer, dass das von den Behörden verfolgte Konzept der Sollbruchstellen ein Placebo sind.

7) Und auch gesagt habe ich, dass die Idee eines Stabilitätsfonds die schlimmste Idee ist, die überhaupt aufgetischt wurde.

Es geht um ein für die Schweiz existenzielles Problem, darum lag mir daran, diese Punkte richtigzustellen.

Also bitte das NZZ-Abo nicht kündigen, nur kritisch lesen.

Eine FIFA für die Notenbanken

FIFA droht Frankreich mit Sanktionen: Die Politik (angeführt von Präsident Nicolas Sarcozy) habe sich in Fussball-interne Fragen eingemischt. Die Unabhängigkeit der Fussballverbände wird bei der FIFA offenbar gross geschrieben. Fussball ist eben wichtig.

Vielleicht bräuchten auch die Notenbanken eine FIFA. Die Notenbanken stehen in der Krise unter ganz besonderem Druck der Politik. Die Europäische Zentralbank hat politischen Wünschen zur Abwehr der „Spekulation“ gegen einzelne Mitgliedländer der Währungsunion stattgegeben — gegen den Geist von Währungsvertrag und Stabilitätspakt. Aber kein Sepp Blatter hat sie zurückgepfiffen.

Viel Negatives wurde über die FIFA in letzter Zeit geschrieben. Aber eins muss man ihr lassen. Im entscheidenden Moment weiss sie, was wichtig ist: Dass der Ball rollt — ohne Ablenkung durch den unsichtbaren Fuss (oder gar die Hand) der Politik.