Die steigende Vermögenskonzentration in der Schweiz ist grösstenteils hausgemacht

Marius Brülhart, Matthias Krapf und Kurt Schmidheiny

Aus aktuellem Anlass ist die Zahl derzeit in aller Munde: 43 Prozent der steuerbaren Vermögen gehören dem vermögendsten Prozent der Schweizer. Unter Industrieländern ist das eine rekordstarke Ballung des verfügbaren Privatkapitals (Abbildung 1). Um zum obersten Vermögenprozent zu gehören, muss man ein steuerbares Nettovermögen von über 4 Millionen Franken ausweisen.

Im Jahr 2005 hatte der Vermögensanteil des reichsten Prozents noch 37% betragen. Seither ist die Summe der Top-1%-Vermögen im Durchschnitt jährlich um 5.8% gewachsen, die Summe der Vermögen der restlichen 99% jedoch bloss um jährlich 3.8%. Die Vermögen des obersten Prozents vermehrten sich also anderthalbmal so schnell wie diejenigen der restlichen Bevölkerung.

Dieser Anstieg ist fast überall in der Schweiz zu beobachten: Abbildung 2 zeigt, dass der Top-1%-Vermögensanteil seit 2005 in 22 der 26 Kantone zugenommen hat.

Der Blick auf die Kantone zeigt auch, dass sowohl der Top-1%-Vermögensanteil als auch dessen Anstieg in den steuergünstigen Zentralschweizer Kantonen Nidwalden, Schwyz und Zug besonders ausgeprägt sind. Stark zugenommen hat die Vermögenkonzentration zudem in Obwalden und Luzern, wo die Steuern auf vermögende Personen in der Beobachtungsperiode deutlich gesenkt worden waren.

Der Anstieg des Top-1%-Vermögensanteils in steuergünstigen Kantonen könnte die Folge von Zuwanderung vermögender Ausländer sein. Wenn dem so wäre, dann könnten wir diese Entwicklung aus rein Schweizer Sicht gelassen nehmen, ja sogar als Erfolgsmerkmal verbuchen.

Wir haben die Zuwanderungshypothese daher genauer untersucht.

Eine solche Analyse ist nur machbar mit detaillierten Daten zu den Vermögen und Wohnsitzen jedes einzelnen Steuersubjekts. Dank einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit dem statistischen Amt des Kantons Luzern konnten wir solche Daten – anonymisiert und streng gesichert – für diesen Kanton auswerten. Dabei haben wir Glück, denn Luzern ist für unsere Belange der repräsentativste aller Kantone. Abbildung 2 zeigt, dass Luzern sowohl hinsichtlich des Top-1%-Anteils als auch hinsichtlich dessen Anstieg näher beim Schweizer Durchschnitt liegt als jeder andere Kanton.

Zur Bestimmung des Wanderungseffekts haben wir die Luzerner Steuerzahler in drei Gruppen aufgeteilt:

  • Sesshafte, d.h. Steuerzahler die zwischen 2005 und 2015 weder zu- noch weggezogen sind,
  • interkantonale Umzügler, d.h. Steuerzahler, die zwischen 2005 und 2015 aus einem anderen Kanton zugezogen oder in einen anderen Kanton weggezogen sind, und
  • internationale Umzügler, d.h. Steuerzahler die zwischen 2005 und 2015 aus einem anderen Land zugezogen oder in ein anderes Land weggezogen sind.

Wir zeigen in Abbildung 3 die Entwicklung des Luzerner Top-1%-Vermögensanteils für die Sesshaften. Dazu addieren wir schrittweise die interkantonalen und die internationalen Umzügler.

Bis 2008 sind die drei Kurven deckungsgleich: Umzüge von und nach Luzern haben an der Vermögensverteilung nichts geändert. Ab 2009 geht die Schere jedoch auseinander. Der Anteil der Top-1% wird kontinuierlich grösser, insbesondere wenn man die Umzügler mitberücksichtigt. Seit 2009 sind also deutlich mehr Vermögende nach Luzern zugezogen als weggezogen – sowohl interkantonal wie auch international. Der Trendbruch lässt sich erklären: Luzern hat 2009 seine Vermögenssteuer halbiert. Dass diese Steuersenkung eine deutliche Zunahme der in Luzern ausgewiesenen Vermögen nach sich gezogen hat, haben wir in einer wissenschaftlichen Studie dokumentiert.

Wir finden also, dass Zuwanderung den Anstieg der Luzerner Vermögenskonzentration befeuert hat. Gemäss Abbildung 3 ist der Anteil der Top-1% an allen Vermögen im Kanton Luzern zwischen 2005 und 2015 um 5.6 Prozentpunkte (= 44.8 – 39.2) gestiegen. Davon sind 2.4 Prozentpunkte oder etwas mehr als zwei Fünftel auf Umzügler zurückzuführen.

Auf die gesamtschweizerische Vermögensverteilung hat allerdings nur die Zuwanderung aus dem Ausland einen Einfluss. Internationale Umzügler haben 0.9 Prozentpunkte oder etwa ein Sechstel zum Anstieg des Top-1%-Vermögensanteils in Luzern beigetragen. Fünf Sechstel des Anstiegs sind also auf die Sesshaften und die Wanderung innerhalb der Schweiz zurückzuführen – und damit «hausgemacht».

Was könnte diese «hausgemachte» Vermögenskonzentration antreiben?

Bei der Frage stossen wir leider auch mit den detaillierten Steuerdaten an analytische Grenzen. Gewisse Anhaltspunkte gibt es. So haben wir in den Daten keine belastbaren Indizien gefunden, dass die Vermögenskonzentration durch steigende Ungleichheit der Erwerbseinkommen oder durch die demographische Alterung getrieben wird. Zudem ist in den Luzerner Daten klar erkenntlich, dass grössere Vermögen im Durchschnitt höhere Kapitalerträge (Zinsen, Dividenden, und Mieterträge) generieren. Während Haushalte mit Median-Vermögen eine ausgewiesene Durchschnittsrendite von 0.34% erzielten, lag dieser Wert fürs oberste Vermögensprozent bei 2.25%. Sofern der Konsum nicht im gleichen Mass ansteigt, wachsen grosse Vermögen quasi «von selber» schneller.

Aber zwei mutmasslich zentrale Treiber der Vermögenskonzentration, Kapitalgewinne und Sparverhalten, sind in Schweizer Steuerdaten nicht erfasst, da für die Einkommenssteuer ohne Belang.

Gemäss internationalen Studien aus Ländern, wo sich diese Dinge messen lassen, fallen für die vermögendsten Haushalte Kapitalgewinne deutlich stärker ins Gewicht als Kapitalerträge. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Entwicklung der Top-1%-Vermögen in Abbildung 3 das Auf und Ab der Börsenkurse im gleichen Zeitraum ziemlich gut widerspiegelt. Da tiefe Zinsen Aktienwerte befeuern, könnte auch das Tiefzinsumfeld ein Treiber der Vermögenskonzentration sein. Andererseits deuten neue Forschungsergebnisse aus den USA darauf hin, dass die Vermögenskonzentration und die damit einhergehende Sparneigung gleichzeitig auch Ursache der tiefen Zinsen sind.

Kurz zusammengefasst: Der Anstieg der Vermögenskonzentration in der Schweiz lässt sich nur zu einem kleinen Teil mit Vermögenszuwanderung aus dem Ausland erklären. Die wahren Treiber sind angesichts der gegenwärtigen Schweizer Datenlage jedoch schwer identifizierbar.

Das Theater mit dem Virus

Urs Birchler

Am Zürcher Theaterspektakel inszeniert der in Genf lebende holländische Regisseur Yan Duyvendak das Stück Virus. Bemerkenswert ist, dass er dieses vor der Corona-Zeit konzipiert hat. Bemerkenswert ist auch, dass im Stück die Zuschauer selbst mitspielen. Duyvendak hat die Zuschauer schon 2013 als Richter/innen darüber entscheiden lassen, ob Hamlet am Tod von Ophelia schuldig ist. Ein bisschen waren wir vermutlich davon inspiriert, als wir mit Cash on Trial (Zürich 2015, Frankfurt 2019) die Teilnehmer über das Bargeld zu Gericht sitzen liessen. Hier aber geht es um die Kontrolle eines plötzlich aufgetauchten Virus.

Duyvendak lässt (Zitat NZZ) „sein Publikum «Virus» spielen und dabei versuchen, in der Rolle eines real existierenden Players – eines Vertreters der Wirtschaft, der Forschung, der Sicherheit, der Gesundheit, der Presse zum Beispiel – eine globale Pandemie in den Griff zu bekommen.“

Nicht überraschend für die bei James Buchanan geschulten Ökonomen läuft dabei, wie die NZZ berichtet, nicht alles rund: „Mit einem Schlag erhalten Partikularinteressen mehr Gewicht als verbindende Strategien. Die «Sicherheit» will Polizei an die Grenze stellen und sucht dafür bei der «Wirtschaft» nach Geld. Die Gruppe «Presse» wiederum verlautbart ihre Krisencommuniqués, die im Tumult ungehört bleiben, jeder ist mit sich selbst beschäftigt und mit wildem Aktivismus.“

Die Leserschaft der NZZ mag grossenteils, ohne zu husten auch den folgenden Satz geschluckt haben: „Die «Forschung» aber sieht ihre Stunde gekommen und stellt bei ihren Mitspielern reihum irrwitzig hohe finanzielle Forderungen.“ Ich nicht. Ich habe mich nicht nur verschluckt, sondern auch fast noch die Kaffeetasse fallen lassen. Nicht nur, weil die Pharma-Industrie mit vielen Beispielen bewiesen hat, dass sie in einer allgemeinen Notlage Gemeinnutz über Gewinnstreben stellen kann. Vielmehr ist der Kaffee auf meinem Hemd dem Gedanken an die Covid-19 Task Force geschuldet: Als Ehemann eines Task Force Mitglieds kann ich bezeugen, dass die Mitglieder der Task Force (und ihrer Untergruppen) über Wochen fast tägliche Videokonferemzen abhielten, dazwischen Forschungsergebnisse aufbereiteten und die Diskussionsergebnisse zu (elektronischem) Papier brachten, und dies — la réalité dépasse le théatre — gratis und franko, in Fronarbeit als Dienstleistung an die Schweiz. Da alle Mitglieder daneben einen „Job“ haben, wie z.B. die Leitung eines Spitals, des Schweizerischen Nationalfonds, oder eines Forschungsinstituts, fanden die Konferenzen in der Regel abends und an den Wochenenden statt. Nicht immer zur Begeisterung der Familien.

Wenn laut NZZ das Theaterstück (das ich in keiner Weise kritisieren möchte!) „eine fiese Lektion in Menschenkunde“ darstellt, bietet die Realität (auch der Einsatz des Gesundheitspersonals und vieler anderer an der viralen „Front“ bis hin zu freiwilligen Maskenträgern) auch die eine oder andere eine Lektion in Gemeinsinn.

Vermögensungleichheit bei nicht-menschlichen Tieren

Monika Bütler

«We present the first description of “wealth” inequality in a non-human animal». Interessant – zumal die Vermögensungleichheit in diesem Blog schon mehrere Male diskutiert wurde (siehe hier und hier oder hier). Grund genug, die Batz-LeserInnen an den Resultaten teilhaben zu lassen.

Die Studie befasst sich mit der Behausung von Einsiedlerkrebsen. (Zur Erinnerung: Einsiedlerkrebse bewohnen leere Schneckenhäuser oder ähnlichen Behausungen, die von anderen Lebewesen stammen). Konkret messen die Forscher die Verteilung der Grösse der Schneckenhäuser (interpretiert als das Vermögen der Einsiedlerkrebse) und vergleichen sie anschliessend mit der Vermögensverteilung menschlicher Tiere.

Der gemessene Gini Koeffizient der Krebse ist um 0.32. Er ist somit deutlich kleiner als der Gini-Koeffizient heutiger Industriestaaten, bei denen die Gini Koeffizienten zwischen circa 0.50 (Slowakei) und 0.85 (das sehr vermögensungleiche Schweden) liegen. Zur Illustration habe ich die Lorenzkurve der Einsiedlerkrebse aus den Daten des Papers rekonstruiert und damit meine alte Graphik zum Vermögensverteilungsquiz (siehe hier und hier) mit den brandneuen Erkenntnissen angereichert. Tatsächlich liegt die Kurve deutlich über derjenigen der relativ vermögensegalitären Länder wie Irland und Japan.  Auf jeden Fall erreichen die Krebse eine Vermögensverteilung, von der Thomas Piketty nur träumen kann.

Die Forscher argumentieren, dass die gemessene Ungleichheit unter den Einsiedlerkrebsen eher mit derjenigen von kleineren Menschengruppen (Jäger und Sammler zum Beispiel) vergleichbar sei. Möglicherweise ist der Vergleich der Krebsimmobilien mit den menschlichen Vermögen nicht der richtige. Die Schneckenhäuser werfen ja – ausser dem Eigenmietwert – keine Rendite ab und können weder abgebaut noch aufgebaut werden. Eine Verschuldung – wie bei einem guten Viertel der Schweden beobachtet wird – ist auch nicht möglich. Zieht man als Vergleich die Verteilung der Einkommen menschlicher Tiere heran, ist die Übereinstimmung hingegen frappant.

Ob die Einsiedlerkrebse zum Verständnis der Ungleichheit unter den Menschen taugen, wie die Forscher suggerieren, ist meines Wissens noch nicht restlos geklärt.

PS: Wer sich für die Messung der Vermögensungleichheit interessiert, hier noch mein Beitrag für das Magazin Cicero.

Quelle: I.D. Chase, R. Douady and D.K. Padilla, A comparison of wealth inequality in humans and non-humans, Physica A (2019), doi: https://doi.org/10.1016/j.physa.2019.122962

STAF: Ein Kuhhandel, der einigermassen aufgeht

Fabian Schütz und Marius Brülhart

Am 19. Mai stimmen wir ab über das Steuerreform-AHV-Paket (STAF) – bekannt auch als parlamentarischer „Kuhhandel“.

Zentral ist dabei die Frage, ob der Handel für beide Parteien aufgeht: hier die grossen Aktionäre, die von der Steuerreform profitieren dürften, und dort der Rest der Bevölkerung, dem mit der AHV-Finanzierung geholfen werden soll.

Einer von uns beiden hat im vergangenen Sommer überschlagsmässig errechnet, dass sich die beiden Elemente des Pakets rein ökonomisch betrachtet nicht schlecht ergänzen. Die Umverteilung von unten nach oben bei der Steuerreform schien mittelfristig in etwa kompensiert zu werden durch die Umverteilung von oben nach unten beim AHV-Teil.

Wir haben diese Berechnungen nun etwas verfeinert, unterteilen die Bevölkerung aber nach wie vor alles andere als fein in Haushalte mit Einkommen im schweizweit obersten Dezil („Top-10“) und den Rest („U-90“).

Zum Steuer-Teil haben wir insbesondere folgende drei verteilungsrelevante Annahmen angepasst:

  • Wir berücksichtigen nun, dass die U-90 schätzungsweise 17% des schweizerischen Aktienkapitals direkt oder indirekt über Pensionskassen halten. Folglich profitieren auch die U-90 von Unternehmenssteuersenkungen.
  • Zusätzlich zu den Ausfällen bei der Unternehmenssteuern berücksichtigen wir Auswirkungen auf die Verrechnungs- und Dividendenbesteuerung.
  • Steuerausfälle auf Stufe Kanton und Gemeinden belasten die U-90 etwas stärker als die Top-10.

Die neuen Schätzungen sind in unten stehender Tabelle zusammengefasst.

Die Steuerreform kostet die U-90 gemäss dieser Schätzung 380 Millionen Franken. Den inländischen Top-10 hingegen fliessen 450 Millionen zu. Die Steuerreform allein hat also klar degressiven Charakter.

Um den degressiven Effekt im Sinne eines „sozialen Ausgleichs“ zu kompensieren, wurde die AHV-Vorlage an die Steuerreform gekoppelt.

Beim AHV-Teil haben wir die ursprüngliche Verteilungsschätzung in vier Punkten verfeinert:

  • Gestützt auf eine Metastudie nehmen wir an, dass mittelfristig 70% der Arbeitgeberbeiträge auf die Arbeitnehmer überwälzt werden.
  • Wir berücksichtigen nun, dass auf Top-10-Einkommen ein überproportional grosser Teil an AHV-Beiträgen abgeführt wird.
  • Bei der Aufteilung der gesicherten AHV-Renten berücksichtigen wir, dass die Top-10 Haushalte leicht mehr als 10% des gesamten Rentenvolumens beziehen.
  • Opportunitätskosten durch neu an die AHV gebundene Bundesausgaben werden analog zu den Steuerausfällen auf die beiden Gruppen aufgeteilt.

In der Summe kosten die Massnahmen zur AHV-Finanzierung die Top-10 ungefähr 280 Millionen, welche somit den U-90 zugutekommen. Der AHV-Teil der STAF ist also klar progressiv.

Im Total betrachtet kompensiert die progressive Wirkung des AHV-Teils die degressive Wirkung der Steuerreform nicht vollständig. Unter dem Strich gewinnen die Top-10 170 Millionen, und die U-90 verlieren knapp 100 Millionen. (Der Rest geht auf Kosten ausländischer Aktionäre.)

Pro-Kopf gerechnet bedeutet diese Schätzung einen Gewinn von rund 340 Franken bei den Top-10 Steuerzahlern und einen Verlust von 22 Franken bei den U-90. Ohne den AHV-Teil würden die Top-10 satte 900 Franken pro Kopf gewinnen und U-90 85 Franken pro Kopf verlieren.

Diese Berechnungen sind natürlich immer noch holzschnittartig. Der leicht degressive Nettoeffekt liegt im statistischen Streubereich. Wenn man beispielsweise eine Überwälzung der Arbeitgeberbeiträge auf die Löhne von 30% statt 70% annimmt, kommt man auf eine ausgeglichene Rechnung zwischen den beiden Gruppen.

Der ursprüngliche Hauptbefund hat jedenfalls Bestand: Der AHV-Teil der STAF bildet ein signifikantes Gegengewicht zur degressiven Verteilungswirkung der Unternehmenssteuerreform.

Mythos Wohneigentum

Marius Brülhart und Christian Hilber

In einem NZZ-Gastbeitrag haben wir unlängst dargelegt, wieso wir an der Besteuerung von Eigenmietwerten festhalten würden. Aus Platzgründen konnten wir dort nicht auf alle uns wichtigen Aspekte eingehen. Das holen wir nun nach.

Worum geht es? Die eidgenössischen Räte arbeiten derzeit an einer Vorlage für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Das würde die Hausbesitzer entlasten. Im Gegenzug sollen Hypothekarzinsen nicht mehr abgezogen werden können. Das wiederum täte den meisten Hausbesitzern weh. Viele Befürworter eines solchen Systemwechsels betrachten diesen daher als einigermassen neutral für die Hausbesitzer, sehen darin aber insbesondere den Vorteil, dass steuerliche Anreize zum Schuldenmachen wegfallen würden.

In unserem NZZ-Artikel legen wir dar, dass das neue System wahrscheinlich noch eigentümerfreundlicher wäre als das aktuelle System. Alle Hausbesitzer, derer steuerbarer Eigenmietwert die Abzüge für Unterhalt und Hypothekarzinsen übertrifft, würden von der Umstellung profitieren.

Wir plädieren für die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung, denn die einschlägige wissenschaftliche Literatur liefert gelinde gesagt wenig Argumente für eine stärkere Förderung des Wohneigentums.

Am Anfang dieser Diskussion steht also die Frage, ob und wieso Wohneigentum förderungsbedürftig ist.

Wohneigentumsförderung lässt sich aus ökonomischer Sicht dann begründen, wenn der freie Markt zu einer Unterversorgung führt. Dies ist der Fall, wenn Wohneigentum externe Nutzen schafft – das heisst Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, in den Marktpreisen jedoch nicht abgegolten werden.

Empirische Analysen haben solche Effekte in der Tat nachgewiesen. Wohneigentümer investieren mehr in soziales Kapital als Mieter: Sie reden mehr mit Nachbarn, organisieren sich häufiger in Nachbarschaftsclubs und helfen sich generell öfter gegenseitig. Zudem halten Wohneigentümer ihre Immobilien in der Regel besser in Stand. Schliesslich bewirkt fremdfinanziertes Wohneigentum mit rückzahlbaren Hypotheken automatisches Sparen und hilft so, die Altersvorsorge eigenverantwortlich zu sichern.

Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien auch externe Kosten des Immobilienbesitzes auf. So sind Wohneigentümer in der Regel weniger mobil als Mieter, was zu Fehlallokationen in Wohn- und Arbeitsmärkten führen kann. Forschung aus unserer eigenen Küche offenbart zudem, dass fremdkapitalfinanziertes Wohneigentum das kleine Unternehmertum hemmen kann, und dass Wohneigentümer tendenziell weniger in informelle berufliche Netzwerkpflege investieren. Schliesslich ist eine übermässige Hypothekarverschuldung ein Risikofaktor für die Stabilität der Finanzmärkte.

Ob externe Nutzen oder externe Kosten überwiegen, bleibt somit offen.

Klar ist, dass Steuervergünstigungen immer von irgendjemandem – in diesem Fall vor allem auch von den Mietern – kompensiert werden müssen. Zudem kann sich eine staatliche Wohneigentumsförderung sogar kontraproduktiv auswirken. Studien aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass Steuervergünstigungen städtisches Wohneigentum paradoxerweise eher senken statt es zu erhöhen. Dies geschieht deshalb, weil die Eigentumsförderung in Gebieten mit Angebotsknappheit die Immobilienpreise erhöht, was wiederum Erstkäufern die notwendige Anzahlung an eine Hypothek erschwert.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Steuersystem möglichst neutral ausgestaltet sein sollte. In der Schweiz wird Wohneigentum bereits begünstigt, durch tiefe Eigenmietwerteinschätzungen und grosszügige Unterhaltsabzüge wie auch durch Kapitalbezugsmöglichkeiten in der zweiten und dritten Säule.

Für eine noch stärkere Bevorteilung der Hauseigentümer gegenüber den Mietern gibt es kaum stichhaltige volkswirtschaftliche Argumente.

Altern ist (nicht) lustig

Monika Bütler

Der Beitrag erscheint unter dem selben Titel im HSG Focus 01/2017.

Das Knie knirscht, der Rücken schmerzt, die Falten werden tiefer. Mein Jüngster meinte vor einiger Zeit, dass ich von hinten eigentlich jung aussähe – von vorne hingegen…. Altern ist nicht lustig. Dennoch: Fast alle möchten alt werden, ein immer grösserer Teil der Bevölkerung schafft es auch. Noch vor 20 Jahren kannte man zwar bereits die wachsenden Finanzierungslücken der Alterssicherung, man wusste allerdings herzlich wenig darüber, wie es den älteren Menschen geht. Materiell, gesundheitlich, sozial, und vor allem darüber, wie all dies zusammenhängt. Ob healthy, wealthy and wise oder krank, arm und vergesslich, die optimale Alterspolitik hängt eben nicht nur von den Finanzen ab, sondern auch von den Bedürfnissen der Empfänger.

Ebenfalls erstaunlich: die riesigen Unterschiede zwischen Weiterlesen

Barbezug des Vorsorgekapitals verbieten? Es gibt liberalere und gerechtere Lösungen

Monika Bütler

Was passiert in der Schweiz, wenn ein Problem auftaucht? Die eine Seite schlägt eine neue Regulierung vor. Immer. Die andere Seite reagiert ebenfalls immer gleich: Statt sich für eine vernünftigere Lösung einzusetzen, streitet sie das Problem einfach ab. Heutiges Beispiel: der Kapitalbezug in der zweiten Säule. Der Beitrag erschien am 17. April 2016 (in leicht veränderter Version) unter dem Titel „Der Bezug der Vorsorgekapitals ist ein Problem – für die andern“ in der NZZ am Sonntag.

Bundesrat Berset warnt: Der Bezug des in der beruflichen Vorsorge angesparten Kapitals in bar (statt in Form einer lebenslangen Rente) kostet später Ergänzungsleistungen (EL). Der Kapitalbezug erhöht sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die erwartete Höhe späterer Ergänzungsleistungen (EL). Worauf die Forschung übrigens schon seit Jahren hinweist (auch im batz.ch: siehe hier und hier)

Das schweizerische Sozialversicherungssystem hat starke Anreize für einen Kapitalbezug. Das durch die Ergänzungsleistungen garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat höher als die AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser. Oft auf Kosten der Steuerzahler.

Die Pflegekosten seien der Hauptgrund der stark steigenden Ausgaben der EL, nicht der Kapitalbezug. Mag sein. Gerade weil die Pflege wichtig ist, sollten die EL nicht noch durch Kapitalbezüge belastet werden. Rentenbezüger, die sich ihre ganze Rente anrechnen lassen müssen, sind mit Sicherheit billiger für den Staat als Kapitalbezüger.

Kapitalbezug mindestens teilweise verbieten! rufen deshalb die einen. Ein unnötiger Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit! protestieren die andern. Tatsächlich: Ein Verbot benachteiligt Kleinverdiener und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen mit einer tieferen Lebenserwartung. Wer möchte es einer kranken Frau vergönnen, die wenigen verbleibenden Jahre mit ihrem selber angesparten Vermögen zu versüssen. Und soll der alleinstehende Arbeiter die Professorin zwangsweise subventionieren?

Also nichts machen? Doch. Es gibt liberalere Ansätze als ein Verbot. Sich die Pensionskassengelder in bar auszahlen zu lassen, lohnt sich nämlich auch aus zwei weiteren Gründen. Erstens ist Kapitalbezug ist gegenüber der Rente steuerlich privilegiert. Die bar ausbezahlte Vorsorge wird separat von anderen Einkommen und erst noch meistens zu einem viel tieferen Satz besteuert.

Zweitens ist die bar ausbezahlte Vorsorge bei einer späteren Pflegebedürftigkeit teilweise geschützt. Ein Alleinstehender hat eine Vermögensgrenze von 37‘500 Franken; nur was darüber liegt wird teilweise als verfügbar angerechnet. Die Rente hingegen wird zu 100% an die Pflegekosten angerechnet.

Eigenartig, wenn der Staat mit der einen Hand eine Wahlmöglichkeit einschränken will, während er mit der anderen Hand die gleiche Option steuerlich und EL-technisch massiv begünstigt. Eine Angleichung des Steuersatzes für Rente und Kapitalbezug sowie eine tiefere Vermögensgrenze würden nicht nur die Kosten späterer EL direkt reduzieren. Die Massnahmen würden wohl den einen oder anderen doch noch zur Rente bewegen.

Natürlich ist es hart, fast das Vermögen ganz aufgeben zu müssen, bevor man EL-berechtigt ist. Aber erstens ist es nicht die Aufgabe des Staates, die Erben auf Kosten der Steuerzahler zu schützen. Zweitens begünstigt das heutige System die Schlauen. Weniger gut informierte Pflegebedürftige brauchen oft ihre ganzen Ersparnisse auf, bevor sie überhaupt an EL denken. Bei den Glücklichen sorgt der juristisch gut ausgebildete Nachwuchs dafür, dass EL so früh wie möglich beantragt werden. Gerechter wäre die Gleichbehandlung von Rente und Kapital allemal.

Statt den Zusammenhang zwischen Kapitalbezug und EL einfach abzustreiten, würden sich die Gegner eines Verbots des Barbezugs besser für eine freiheitliche Lösung einsetzen. Eine Lösung, die auch dann effizient wäre, wenn die Barauszahlung entgegen der wissenschaftlichen Erwartungen die EL gar nicht belastete.

Wenn die Leistungsbeurteilung durch das Geschlecht mitbestimmt wird

Monika Bütler

Erschienen unter dem Titel Wenn das Geschlecht die Leistung bestimmt in der NZZ am Sonntag vom 24. Januar 2016.

Eine Gruppenarbeit beendete vor 25 Jahren mein Zweitstudium in Betriebswirtschaftslehre.

Mit fünf zugelosten Studienkollegen hatte ich eine Aufgabe in Strategie zu bearbeiten. Nach drei ergebnislosen Treffen begann ich allein zu recherchieren und verfasste einen ersten Entwurf. Plötzlich ging es flott weiter; die Arbeit blieb dennoch weitgehend meine. Dem externen Dozenten, einem angesehenen Kadermann, gefiel das Werk. Nur, meinte er nach der Präsentation, die Beiträge der Studierenden schienen ihm doch sehr unterschiedlich, insbesondere die Dame habe wenig zum Erfolg beigetragen. Weiterlesen

Die Arroganz des Ökonomiekritikers

Urs Birchler

ich habe gestern eine doppelte Ungerechtigkeit begangen. Einerseits habe ich die NZZ für einen Gastbeitrag kritisiert und damit das Opfer zum Täter gemacht. Dabei sollte ich aus eigener Erfahrung wissen, dass die NZZ Gastautoren grösstmögliche Freiheit einräumt, das heisst ihnen ein Teil der wertvollen Pressefreiheit blind verschenkt. Ich bitte um Verzeihung, liebe NZZ.

Andererseits bin ich mit dem Täter viel zu sanft umgegangen. Weiterlesen

Zürich Bern 0:2 im Streit um Finanzausgleich

Kurt Schmidheiny, Universität Basel

Nach der Kritik von Zug und Schwyz am Nationalen Finanzausgleich (NFA) findet nun auch Zürich die Transferzahlungen an den grössten Nehmerkanton Bern ungerecht (siehe Tages-Anzeiger vom 19. November).

Der Kanton Bern ist im schweizerischen Steuerwettbewerb in der denkbar schwierigsten Ausgangslage: Als grosser Kanton kann er sich nicht wie Zug oder Schwyz als Steuerhafen für Firmen und Haushalte etablieren. Und anders als grosse Wirtschaftsagglomeration wie Zürich, Genf oder Basel kann er sich nicht auf hohe Einnahmen aus Gewinnsteuern stützen.

Der Kanton Bern hat deshalb ein einschneidendes Sparprogramm gestemmt mit jährlichen Einsparungen zwischen 231 Mio. Franken im Jahr 2014 und 491 Mio. Franken im Jahr 2017 (siehe hier). Dieses Sparprogramm war sinnvoll und nötig, führte aber zu schmerzhaften Kürzungen öffentlicher Leistungen. Der verdiente Ertrag dieser Sparanstrengungen ist ein nachhaltig gesundes Budget.

0:1 für Bern.

Der Kanton Bern erliegt auch nicht der kurzsichtigen Versuchung, die aktuellen Überschüsse für Steuersenkungen zu verwenden. Denn er weiss aufgrund einer bei Urs Müller, Marius Brülhart, Dominik Egli und mir in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie, dass dies die Finanzsituation des Kantons kurz- wie langfristig verschlechtern würde.

0:2 für Bern.

Der NFA gleicht die schwierige Ausgangslage des Nehmerkantons Bern mit seinem tiefen Ressourcenpotential teilweise aus. Dass der Kanton Bern mithilfe einer mustergültigen Finanzpolitik das Beste daraus macht, verdient nicht Schelte, sondern den Respekt der Geberkantone.

Der Kanton Zürich besteuert Haushalte und Firmen im Vergleich zum Kanton Bern deutlich tiefer (siehe die Abbildung unten) und hat deutlich höhere pro Kopf Ausgaben als der Kanton Bern. So betrug der Personalauwand pro Einwohner im Kanton Zürich und seine Gemeinden im Jahr 2013 rund 20% mehr als im Kanton Bern und seinen Gemeinden (5540 Franken gegenüber 4590 Franken). Die wenig erfreuliche Finanzlage des Kantons Zürich ist das Ergebnis der relativ tiefen Besteuerung seines hohen Ressourcenpotentials und der relativ grosszügigen Ausgabenpolitik. Mit einer moderaten Erhöhung der Steuern oder einer moderaten Sparrunde könnte der Kanton Zürich seine Finanzlage problemlos nachhaltig sanieren – und dies bei weiterhin deutlich tieferen Steuern und deutlich höheren öffentliche Ausgaben als der Kanton Bern.

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Abbildung: Steuerbelastung durch Kanton, Gemeinden und Kirchen im Jahr 2014 in Prozent des Reineinkommens für ein verheiratetes Paar ohne Kinder unter Berücksichtigung der üblichen Abzüge. Durchschnitt aller Gemeinden des Kantons gewichtet mit der Anzahl Steuerzahler. Zum Vergleich ist das Minimum, das unterste Viertel (25. Perzentil), der Durchschnitt, das oberste Viertel (75. Perzentil) und das Maximum aller Schweizer Kantone abgebildet. Quelle: Eidgenössische Steuerverwaltung, Steuerbelastung der Gemeinden. Aufbereitet im Rahmen des SNF Projektes Fiscal Federalism.