Expertenbericht TBTF

Der Schuss ist raus: die Expertenkommission des Bundes zur „Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen“ (Too big to fail, TBTF) hat ihren Schlussbericht publik gemacht. Eine erste Durchsicht zeigt Gutes und Schlechtes.

Zuerst die gute Nachricht: Der Bericht nennt das Kind beim Namen: Die faktische Staatsgarantie ist eine Subvention mit hohen Kosten und Risiken für die Steuerzahler. Der Bericht schlägt vier Kernmassnahmen vor (Eigenmittel, Liquidität, Risikoverteilung, Organisation). Der eigentliche Kern sind jedoch die Vorschläge zum Thema Eigenmittel. Hier übernimmt der Bericht im wesentlichen die Vorschläge unseres Gutachtens vom Juli 2010: Es braucht deutlich mehr haftende Substanz, bestehend aus Eigenmitteln und aus Schulden, die im Krisenfall gekürzt oder in Eigenmittel verwandelt werden können. Die gesamten Anforderungen müssen über Basel 3 hinausgehen. Ebenfalls übernommen wurde der von der Grösse (Bilanzsumme, Marktanteil) abhängige Eigenmittelzuschlag. Ein Teil der geforderten Eigenmittel soll als „contingent convertible bonds“ (bedingte Pflichtwandelanleihen), kurz: CoCos, emittiert werden können.

Leider gibt es auch schlechte Nachrichten. Erstens bemessen sich die Eigenmittelanforderungen an den risikogewichteten Assets, genau wie bei Basel 3. Wenn aber die Finanzkrise eines gezeigt hat, dann dass die Risikomessung im entscheidenden Moment versagt. Krisen kommen oft oder meist aus dem toten Winkel. Risikomessung ist sogar dann unzuverlässig, wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen vorgenommen wurde. Aber erst recht gefährlich wird sie, wenn die Banker ein Interesse haben, geringe Risiken auszuweisen (zum Beispiel damit Boni fliessen). Sie beherrschen die Kunst, die gemessenen Risiken abzubauen, aber die effektiven Risiken zu erhöhen.

Zweite schlechte Nachricht. Auf den Eigenmittelzuschlag für Grösse, den mutigsten Teil der Vorschläge, gibt es einen Rabatt. Je besser die Bank glaubhaft machen kann, sich durch ihre Organisation im Krisenfall aufteilbar gemacht zu haben, desto grösser der Rabatt. Leider funktionieren diese Aufteilungspläne nur in behördlichen Wunschträumen.

Ein grundsätzlich richtiges Konzept wird also an zwei nicht tragfähigen Nägeln aufgehängt: Der Messbarkeit der Risiken durch die Banken selbst und der Organisierbarkeit der Aufteilung im Krisenfall.

Drittens schliesslich sind die vorgesehenen Eigenmittelanforderungen zwar strenger als Basel 3, aber nicht streng genug, um das TBTF-Problem zu lösen. Die Anforderungen wurden kalibriert auf die schweizerischen Erfahrungen aus der Finanzkrise. Dabei geht vergessen, dass die Finanzkrise für die Schweiz und die UBS, als Hauptbetroffene, trotz allem eigentlich glimpflich ablief, gemessen an früheren Krisen und an ausländischen Erfahrungen. In der Krise der frühen 1990er Jahre („Regionalbankenkrise“) verloren die Grossbanken 12,5 Prozent des Kreditvolumens. Dies wären heute rund 75 Milliarden Franken. Die von der Expertengruppe geforderten (bei heutigen Zahlen) 19 Prozent der risikogewichteten Assets beträgt gerade etwa so viel. Dabei ist aber nicht eingerechnet, dass die Banken ihre Bilanzen an das neue Konzept anpassen werden; auch nicht eingerechnet ist, dass die Banken die vorgesehenen Grössenpuffer wesentlich abbauen werden, indem sie den Organisationsrabatt abholen.

Dass die Arbeitsgruppe überhaupt soweit gekommen ist, ist namentlich den Behördenvertretern hoch anzurechnen. Die Banken und ihre Verbündeten haben massiv Druck gemacht, mit Abwanderung, Kreditklemme und der Pest gedroht. Sie haben sogar hart auf den Mann gespielt. Nur eines haben sie nicht: Ein einziges vernünftiges Argument gebracht, weshalb mehr Eigenmittel anstelle hoher Fremdfinanzierung teuer sein soll. Eigenmittel sind nur teuer für TBTF-Banken und für Manager, die ihre Boni nicht gerne mit den Aktionären teilen. Jeder, der diese Botschaft im Bundesrat und im Parlament verbreitet, tut etwas zur Lösung des TBTF-Problems und zur Erhaltung der Schweiz als Wirtschaftsstandort.

Link zum Bericht der Expertenkommission des Bundesrates
Link zur Studie Faktische Staatsgarantie für Grossbanken

Eigenmittel sind nicht teuer!

Mitten in die Diskussion, wieviel Eigenmittel die Schweizer Grossbanken Banken halten sollten, platzt eine Bombe: Die vier renommierten Ökonomen Anat Admati, Peter DeMarzo, Martin Hellwig und Paul Pfleiderer behaupten in einem Arbeitspapier der Stanford University schlicht: „Die Behauptung, Eigenmittel seien teurer als Fremdmittel, ist eine Legende.“  Eine hohe Fremdfinanzierung (leverage) ist nach Meinung der Autoren nicht erstrebenswert — nicht aus Sicht der Bank und schon gar nicht aus Sicht der Gesamtwirtschaft. Das Papier zieht die Konsequenzen aus den seit 1958 bekannten Modigliani-Miller-Theoremen, wonach die Finanzierungskosten nur unter bestimmten Voraussetzungen von der Leverage abhängen. Die Autoren prüfen diese Voraussetzungen und verwerfen die Gründe, die zugunsten einer hohen Leverage der Banken sprechen könnten.

Weshalb sich die Banken in den 65 Jahren seit der Formulierung der Modigliani-Miller-Theoremen nie ernsthaft mit diesen auseinandergesetzt haben und warum auch die Wissenschaft viel zu wenig unternahm, um den Mythos der teuren Eigenmittel zu hinterfragen, bleibt ein Geheimnis der Geistesgeschichte. Doch lieber spät als nie. Wenigstens kamen Admati, DeMarzo, Hellwig und Pfleiderer gerade noch rechtzeitig, bevor die Arbeitsgruppe des Bundes zur faktischen Staatsgarantie ihre Empfehlungen abliefern muss.

Sommerlektüre von Krugman

Im Beitrag zur Sommerlektüre habe ich Koo’s „The Holy Grail of Macroeconomics“ vorgeschlagen. Paul Krugman hat das nun aufgenommen und eine Rezension dazu geschrieben ;-). Krugman lobt Koo, dass er als einer der wenigen Vorschläge zur Bewältigung von Finanzkrisen macht. Sein Konzept der Bilanzsummen-Rezession sei durchdacht (es existieren Parallelen zwischen Firmenschulden in Japan und Haushaltsverschuldung in den USA). Er kritisiert Koo’s Meinung, dass einzig Fiskalpolitik wirksam sei. Mich würde interessieren, was Krugman bei seinem „multi-book review“ sonst noch liest.

Nobelpreisträger Krugman ist ein profunder Kenner von Japan’s Situation. Von ihm stammt der Gedanke, dass Japan in den 1990ern in einer Liquiditätsfalle steckte.

Zitat des Tages II

„Why did the banks – the sausage makers, so to speak – hold so many of the sausages for their own consumption when they knew what went into them?”

Raghuram Rajan über die Verbriefung in „Fault Lines“ (2010). Bei der Verbriefung von Hypotheken werden mehrere Hypothekarforderungen zu einer Obligation gebündelt – zu einer Wurst verarbeitet – und auf dem Finanzmarkt weiterverkauft. Verbriefung sollte die Finanzmärkte stabilisieren (das Risiko wird von denjenigen getragen, die es am besten können), ist aber eine der Ursachen der Finanzkrise. Der Inhalt der „Würste“ waren mehrheitlich Subprime-Hypotheken.

Bücher zur Finanzkrise

Im Beitrag zur ökonomischen Sommerlektüre versprach ich Literatur zur Finanzkrise. Da ich den Grossteil selber nicht gelesen habe, lasse ich die Bücher unkommentiert. Es ist ein Überblick und soll Ihnen eine erste Orientierungshilfe sein (viele Bücher sind auch auf Deutsch übersetzt worden). Ergänzen Sie die Liste mit Kommentarbeiträgen!

Für diejenigen, die es lieber kurz haben: Hier eine lehrreiche und unterhaltsame Präsentation zur Finanzkrise von Paul Embrechts (Direktor vom RiskLab ETH; gehalten am diesjährigen International Pension Workshop von Netspar)

Eine hilfreiche Webapplikation ist „Read it Later“: Mit ihr können Webseiten gespeichert werden, die man später lesen möchte (Dank geht an einen Kollegen für den Hinweis).

2010

“Fault Lines: How Hidden Fractures Still Threaten the World Economy” von Raghuram Rajan

“Crisis Economics: A Crash Course in The Future of Finance” von Nouriel Roubini und Stephen Mihm Lesen Sie bitte hier weiter

TBTF: Der grosse Tag

Auf diesen Tag hat sich unser Team gefreut: Unser Gutachten zuhanden der SP Schweiz erblickte an der Pressekonferenz von heute morgen das Licht dieser Welt. Inke Nyborg, Diana Festl-Pell, René Hegglin und ich haben seit Wochen nur noch TBTF verstanden. Jetzt freuen wir uns auf Reaktionen.

Das Gutachten kann heruntergeladen werden von der Homepage der SP Schweiz (samt Pressematerial) oder bei unserem Institut als PDF.

Eine FIFA für die Notenbanken

FIFA droht Frankreich mit Sanktionen: Die Politik (angeführt von Präsident Nicolas Sarcozy) habe sich in Fussball-interne Fragen eingemischt. Die Unabhängigkeit der Fussballverbände wird bei der FIFA offenbar gross geschrieben. Fussball ist eben wichtig.

Vielleicht bräuchten auch die Notenbanken eine FIFA. Die Notenbanken stehen in der Krise unter ganz besonderem Druck der Politik. Die Europäische Zentralbank hat politischen Wünschen zur Abwehr der „Spekulation“ gegen einzelne Mitgliedländer der Währungsunion stattgegeben — gegen den Geist von Währungsvertrag und Stabilitätspakt. Aber kein Sepp Blatter hat sie zurückgepfiffen.

Viel Negatives wurde über die FIFA in letzter Zeit geschrieben. Aber eins muss man ihr lassen. Im entscheidenden Moment weiss sie, was wichtig ist: Dass der Ball rollt — ohne Ablenkung durch den unsichtbaren Fuss (oder gar die Hand) der Politik.

Sooo stark ist der Franken auch wieder nicht!

In der Diskussion um den schwachen Euro geht schnell vergessen, dass die Welt nicht nur aus der EU und der Schweiz besteht. So hat der CHF gegenüber dem US $ und dem Japanischen Yen in den letzten 6 Monaten deutlich an Wert eingebüsst, wie die Graphiken zeigen. Das erklärt wohl auch, dass die Klagen der Exportindustrie trotz der massiven Abwertung des Euro weitgehend ausbleiben.

Vielleicht sollten wir unsere Sommerferien doch lieber in Spanien statt in Japan verbringen.

 

Tobin Tax zum Frühstück

Gute Zeiten für die empirische Finanzmarktforschung. Wie die Presse meldet, hat die EU beschlossen, eine Steuer auf Finanztransaktionen einzuführen. Das wird, im Jargon der Forscher, ein „natürliches Experiment“, das endlich eine breite Datenbasis zur umstrittenen Idee einer Transaktionssteuer (Tobin Tax) liefern wird.

Des Forschers Freud‘, des Bürgers Leid? Erhöht ein Transaktionssteuer die Markteffizienz und damit die Wohlfahrt oder setzt sie sie herab? Nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand, musste ich zur eigenen Schande auf Wikipedia zurückgreifen, wo ich ein anregendes Frühstücksmüesli vorfand. Am besten mundete mir der kritische Aufsatz von Charles Goodhart. Der emiritierte Professor der London School of Economics regt an, wenn schon eine Steuer, dann eher eine auf Spam (dieser nützt nämlich im Gegensatz zum Devisenhandel gar nichts)!

Die Idee der Tobin Tax hat lange geschwelt. Frühe Versuche in Schweden und in England verliefen eher enttäuschend (siehe die empirische Auswertung durch Campbell und Froot (1994). Die politische Wende kam nach der Finanzkrise, als der Internationale Währungsfonds (IWF) letzten Winter auf Druck der grossen europäischen Länder von Ablehnung auf Unterstützung schwenkte. Diejenigen Staaten, die einst durch die Globalisierung stark wurden, nehmen jetzt zu einem Rezept der Globalisierungsgegner Zuflucht.

Gespannt bin ich auf die praktische Ausgestaltung. Der geistige Vater der Idee, Nobelpreisträger James Tobin, propagierte die Steuer lediglich auf Kassengeschäfte im Devisenmarkt. Ob im europäischen Vorschlag die besonders ungeliebten Termingeschäfte ungeschoren davonkommen werden?

Nachtrag: Zwei Kommentare von Monika Bütler gehören eigentlich in den Text:

Eine interessante Ergänzung zur Empirie einer möglichen Transaktionsteuer: Harald Hau von der INSEAD findet aufgrund von Variationen der “tick size” (das ist die minimale Kursänderung, die an der Börse angegeben wird), dass eine Transaktionssteuer die Volatilität auf den Finanzmärkten eher noch vergrössert. Also genau das Gegenteil von dem, was die Tobin Tax verspricht. Das Papier, veröffentlicht im Journal of the European Economic Association ist hier. Wem das Original-Papier von Harald Hau zu technisch ist, liest den viel kürzeren und verständlicheren Kommentar von Christian Upper (Deutsche Bundesbank): hier.