Ökonomenstreit: Beispiel Target 2

Urs Birchler

Zahlungssysteme gelten nicht als die spannendste Materie innerhalb des Finanzwesens. Folgende Episode könnte dies widerlegen. Das Beispiel des EU-Zahlungssystem für internationale Grosszahlungen Target-2 zeigt nämlich, wie die EU Bankenrettung durch die Hintertür betreibt. Zudem war Target-2 bereits Gegenstand eines kleinen Ökonomenstreits, ausgelöst von — Hans-Werner Sinn.

Hans-Werner Sinn und Timo Wollmershäuser gruben in einem Ifo-Arbeitspapier einen dicken Hund aus. Sie wiesen darauf hin, dass die GIPS-Staaten massiv steigende Schulden innerhalb von Target-2 aufweisen, während sich bei Deutschland die Guthaben anhäufen auf mittlerweile rund 700 Mrd. Euro (siehe Grafik aus Wikipedia). Der Fehlbetrag der GIPS-Staaten entsprach Ende 2011 mit rund 500 Mrd. Euro ziemlich genau dem akkumulierten Ertragsbilanzdefizit dieser seit 2007, dem Jahr der Finanzkrise. Die Autoren zogen den Schluss, dass hier eine GIPS-Finanzierung durch die Hintertür stattfinde.


Der Bund Deutscher Steuerzahler in Bayer e.V. richtete daraufhin einen offenen Brief an die Deutsche Bundesbank und beteiligte sich, als dieser nichts fruchtete, and einer Klage gegen die Deutsche Bundesbank.

Alles verkehrt! monierten jetzt Kritiker wie Sebastien Dullien und Mark Schieritz. In einem Beitrag zu voxeu argumentieren sie: Target-2 ist kein Diebstahl am deutschen Steuerzahler, sondern vielmehr dessen Schutz. Wie ist das zu verstehen?

Angenommen eine deutsche Bank hat Geld an eine spanische Bank ausgeliehen. Nun traut sie dieser nicht mehr und zieht ihr Geld zurück und legt es einstweilen bei der Deutschen Bundesbank an. Die spanische Bank muss sich aber irgendwo refinanzieren und borgt in ihrer Not bei ihrer Zentralbank, dem Banco de España. Diese holt das Geld bei der BuBa — via Target-2. Damit ist alles wie am Anfang, ausser dass sich die beiden Notenbanken in die Kreditkette eingeschoben haben. Die Sparer, die ihr Geld bei der deutschen Bank haben, sind jetzt sicher.

Der Vorwurf, Deutschland habe damit Spanien geholfen, träfe daher nicht genau zu. Genau genommen haben nicht die Deutschen den Spaniern, sondern die Notenbanken (indirekt die Steuerzahler) den Geschäftsbanken geholfen. Sie nehmen das Kreditrisiko auf sich, das der Markt (die deutsche Gläubigerbank) nicht mehr tragen wollte. Es handelt sich weniger um ein Zahlungsbilanzproblem als um ein TBTF-Problem. Dass die Möglichkeit, im Notfall auf Staatsgarantie umzustellen Spareinlagen bei maroden Banken und die Kreditgewährung an gefährdete Länder fördert, gibt Sinn und Wollmershäuser dann doch ein Stück weit recht. Auf jeden Fall haben sie den Finger auf einen wunden Punkt gelegt.

Wie wund der Punkt ist, zeigen Aaron Tornell und Frank Westermann in einem anderen voxeu-Artikel darauf hin, dass die Kreditgewährung innerhalb von Target-2 bald an eine Grenze stösst, da der Bundesbank die Munition auszugehen droht. Dann steht die EZB vor dem Charaktertest.

Ökonomenstreit: Wer hat recht?

Urs Birchler und Monika Bütler

Zunächst natürlich beide — das heisst: Sowohl die 170 Professoren um Hans-Werner Sinn als auch die 15 Unterzeichner um Jan Krahnen und Martin Hellwig. Beide Gruppen sehen die Gefahren einer europäischen Bankenunion in voller Schärfe. Der Unterschied liegt im Vertrauen in die Wirksamkeit von Vereinbarungen, welche verhindern sollen, dass die Bankenunion zur reinen Bankensubvention wird.

Hier stehen wir (wie im TA-Online ausgeführt) auf der Seite der Pessimisten (Sinn & Co.). Die EU hat wiederholt bewiesen: Erst fliesst das Geld; die dabei vereinbarten Regeln sind nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Genau wie dann am Ende das Geld.

Europäische Bankenunion — leere Taschen, leere Worte

Urs Birchler

Die gegenwärtig populäre Idee einer „Europäischen Bankenunion“ beinhaltet auch eine europaweite Einlagenversicherung mit einem Fonds, der Schadenfälle abdecken soll. Sie baut zum Teil auf die bestehende EU-Richtlinie zur Einlagensicherung. Eine wohlwollende Darstellung und Analyse findet sich in einem CEPS-Paper von Dirk Schoenmaker und Daniel Gros. Die Autoren schätzen, dass für die 35 grössten Banken ein Fonds von 55 Mrd. Euro ausreicht, um 1,5 Prozent der versicherten Einlagen abzudecken.

Die Idee des gemeinsamen Versicherungsfonds wirkt auf den ersten Blick bestechend, hat aber ein paar gravierende Probleme:

  • Erstens sollte man eine Versicherung einführen, bevor der Schaden eingetreten ist. Zur Lösung der gegenwärtigen europäischen Bankenprobleme kommt die gemeinsame Versicherung zu spät.
  • Zweitens ist ein gemeinsamer Versicherungsfonds nur ein anderer Name für zentralisierte Eigenmittel. Die Eigenmittel werden nicht bei der einzelnen Bank gehalten, sondern in der gemeinsamen Kasse. Ein Pooling unabhängiger Risiken wäre vom Versicherungsgedanken her auf den ersten Blick plausibel. Nur handelt es sich nicht um unabhängige Risiken (gerade im Bankensektor kommt ein Unglück selten allein). Noch schlimmer: die schlechtesten Banken holen den Jackpot ab, die guten sind die Geprellten.
  • Drittens reicht eine Deckung von 1,5 Prozent der versicherten Einlagen nicht aus. Zwar arbeitet die US-amerikanische Einlagenversicherung (FDIC) mit ähnlichen Werten (1,35 Prozent), muss aber nach Krisen immer wieder ex post Beiträge erheben. Zudem ist die FDIC nur vertrauenswürdig, weil sie über Staatsgrantie verfügt. Schoenmaker und Gros weisen denn auch darauf hin, dass die europäische Einlagenversicherung nur funktioniert, solange die Staatshaushalte im Lot sind. Dies ist auf absehbare Zeit kaum der Fall. Auch die bestehenden nationalen Systeme, die gemäss Erläuterungsbericht zur EU-Direktive ebenfalls mit Deckungen von gut 1 Prozent arbeiten, wandern auf dünnem Eis. (Die absolut notwendige Absicherung der Einlagenversicherung via Konkursprivileg der versicherten Einlagen verwendet die EU nicht, im Gegensatz zur Schweiz, den USA, Australien und anderen Ländern, darunter EU-Beitrittskandidat Montenegro. Das Konzept wird im Bericht über die Regulierungsfolgen der Direktive lediglich kurz erwähnt.)

Fazit: Einmal mehr greift die EU unter dem Druck der Krise zu einem unausgegorenen Konzept, das auf Scheinlösungen beruht (Stopfen vorhandener Löcher mit Geldern Dritter) und die Probleme langfristig eher verschärft (Verleitung der Marktteilnehmer zu moral hazard).

Euro-Bills

Urs Birchler

Wie die Presse meldet, prüft die EU die Ausgabe von Euro-Bills (anstatt Euro-Bonds). Dazu habe ich ein Grundlagenpapier von Wim Boonstra, dem Chefökonomen der holländischen Rabobank, erhalten. Das Papier macht unter anderem eines klar: Ob man für oder gegen Eurobills (oder bonds) ist, hängt davon ab was man als Alternative sieht:

  • Wer glaubt, ohne Eurobills fänden die verschuldeten Länder den Weg zur Budgetdisziplin, ohne dass eine wirtschaftliche Katastrophe eintritt, ist dagegen.
  • Wer glaubt, Disziplin hin oder her bestehe die einzige realistische Alternative in einer Übernahme der Schulden durch die EZB, ist für die Eurobonds.

Griechenland: der stille Weg

Urs Birchler

Seit Wochen wird diskutiert: Soll Griechenland raus oder drin bleiben? Gleichzeitig ist offenkundig, dass niemand eine Entscheidung treffen wird:

  1. Griechenland wird nicht aus der EURO-Zone ausgeschlossen. Länder wie Portugal und Spanien werden sich hüten, für einen Austritt Griechenlands zu stimmen.
  2. Griechenland wird den EURO nicht offiziell aufgeben. Die Austrittsdrohung ist viel wertvoller als der Austritt.

Damit bleibt nur ein Weg: Der griechische Staat muss — angesichts leerer Kasse — Beamte, Lehrer, Strom und Papier mit Gutscheinen bezahlen. Diese können in einem künftigen Zahlungsversprechen bestehen (ähnlich den ähnlich den kalifornischen IOUs) oder der Staat kann die Gutscheine zur Bezahlung künftiger Steuern anrechnen. Die Gutscheine können durchaus auf Euro lauten — genauso wie in der Schweiz die WIR-Guthaben auf Franken lauten.

Dies ist kein Patentrezept, sondern ein Szenario, das eintritt, wenn „nichts“ geschieht (weder Austritt, noch Rauswurf). Ob sich im griechischen Alltag dann längerfristig der Euro durchsetzen wird oder der kouponi, das wollen wir hier nicht prognostizieren.

Euro 1.20: Warnung!

Urs Birchler

Heute hat die SNB, wie in der Presse bereits gemeldet, die neuesten Zahlen zu ihren Devisenbeständen publiziert (siehe unten). Diese zeigen, dass die SNB die Kursuntergrenze für den EURO von 1.20 CHF in den letzten Wochen verteidigen musste. In der Presse ist viel von den Risiken für die SNB die Rede. Dabei geht vergessen, dass auch die Angreifer hohe Risiken eingehen. Hedge-Funds spekulieren auf eine Aufwertung des Frankens und verschulden sich dazu „risikolos“ in Euro (in der Annahme, das Risiko einer Aufwertung gegenüber dem Franken sei null). Wenn es dann aber doch einmal in die andere Richtung geht — dann sind die Verluste gigantisch. Im Gegensatz zur SNB haben aber Hedge-Funds nicht beliebig lange Schnauf. Vielleicht probiert die SNB einmal einen Überraschungsschlag und stemmt den Euro für kurze Zeit auf 1.22? Hedge-Funds: Ich habe Euch gewarnt (Postcheckkonto auf Anfrage)!

Währungsreserven der SNB (gemäss IMF data dissemination standard; Monatsenden in Mio. CHF):

303’773 Mai 2012
237’588 Apr 2012
237’454 Mar 2012
227’230 Feb 2012
227’212 Jan 2012
254’254 Dez 2011
229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Gibt sich und hat Mühe: Die EU zur Restrukturierung von Banken

Urs Birchler

EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat heute seinen Vorschlag zur Restrukturierung und Abwicklung von Banken vorgeschlagen.
Verschiedene Vorschläge stammen aus dem bekannten Placebo-Vorrat der Behörden: Prävention (hat bisher schon nicht funktioniert), „living wills“ der Banken (unzuverlässig!), Aufteilung einer Bank (ist gut und recht, aber mit neu Mischen bringt man den Schwarzen Peter nicht aus dem Spiel).

Zwei Vorschläge aber gehen zur Substanz:

Erstens soll ein Krisenfonds (zuerst auf nationaler Ebene?) geäufnet werden, damit Banken nicht durch Steuerzahler gerettet werden müssen. Das heisst, die guten Banken müssen für die schlechten einstehen. So zementiert ein vorhandener Krisenfonds das TBTF-Problem, anstatt es zu lösen. Da in der EU alles nur angedacht ist, soll der Fonds ein Prozent der Bankverbindlichkeiten abdecken, was dann im Ernstfall nirgendwo hinreicht. Der Staat kommt also wieder zum Zug.

Zweitens soll der „bail-in“ (Kürzung von Schulden, bzw. Umwandlung in Eigenkapital) möglich werden. Das ist das einzige Mittel, das wirklich wirkt. Man muss es aber richtig konzipieren. Erste Zweifel kamen mir, als ich las, das deutsche Bundesfinanzministerium heisse die Vorschläge gut, da sie grossenteils mit dem deutschen Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten übereinstimmten. Also habe ich nachgesehen. Tatsächlich hat jenes Gesetz einen Paragraphen (§ 9) „Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital“ — aber mit einer unglaublichen Pointe: „Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen.“ Das ist, wie wenn man im Fussball gegen den Willen des betroffenen Torhüters kein Tor erzielen dürfte. Nun — vielleicht überlegt sich das die EU noch genauer; der bail-in soll ohnehin erst 2018 in Kraft treten (als verspätetes Requiem für die spanischen Banken wahrscheinlich).

Wenn nicht alles täuscht: Die EU hangelt sich weiter von Scheinlösung zu Scheinlösung in die Katastrophe.

Braucht der Euro Sarrazin?

Urs Birchler

Wie sagt man doch: Es gibt niemand überzeugteren als einen Konvertiten. Beispiel: Thilo Sarrazin mit seinem neuen Buch Europa braucht den Euro nicht. Wer glaubt, das Buch lesen zu müssen, möge parallel auch Sarrazins früheres Werk Der Euro — Chance oder Abenteuer? zur Hand nehmen (siehe diese Rezension). Der Leser trifft dort einen glühenden Befürworter des Euro mit wenig Sorge um Stabilitätskriterien.

Wahlanalyse: Das Schulden-Einmaleins

Die Wahlresultate in Frankreich und Griechenland, so meldet beispielsweise der Tagesanzeiger seien ein Votum „gegen den rigiden Sparkurs Europas, wie ihn Deutschland seinen Partnern aufgezwungen hat“. Wofür aber stimmt man, wenn man gegen das Sparen stimmt?

Ein Staat kann mit seinen Schulden auf vier [korr.] Arten umgehen:

  1. sie mit eigenem (gespartem) Geld zurückzahlen,
  2. sie mit neu geborgtem Geld zurückzahlen (refinanzieren),
  3. sie mit neu gedrucktem Geld (d.h. real nur teilweise) „zurückzahlen“,
  4. sie nicht zurückzahlen (Bankrott erklären).

Nun ist also Variante 1 politisch „out“. Variante 2 geht aber nur, wenn jemand neues Geld zur Verfügung stellt. Wer soll aber Geld geben, wenn der Schuldner das Sparen ausdrücklich ablehnt. Also ist Variante 2 auch out. Variante 3 ist im europäischen Verbund auch out, da die einzelnen Staaten kein Geld mehr drucken können (für die EZB lassen wir für einmal die Unschuldsvermutung gelten). Damit bleibt als einzige die Variante 4, der offene Staatsbankrott.

Man wird ja wohl noch für den Staatsbankrott stimmen dürfen!? Gewiss, nur hätte ich dann wohl nicht noch den culot, die Finanzmärkte und die Deutschen anzuschwärzen, wenn sie die Botschaft verstehen und nichts mehr geben.

P.S.: Die Baron-von-Münchhausen-Variante, wonach der bankrotte Staat mit noch mehr Ausgaben jenes Wirtschaftswachstum erzeugt, das dank zusätzlicher Steuern die Ausgaben finanziert, lasse ich dort, wo sie hingehört — im Märchenbuch.

Wechselkursampel: grün mit gelbem Blinklicht

Urs Birchler

Die neuesten Zahlen, die die SNB dem IMF liefert, deuten darauf hin, dass die Märkte nach wie vor an die Wechselkursgrenze von 1.20 zum Euro, bzw. an den Willen der SNB zu deren Verteidigung glauben, dass dieser Glaube aber auch nicht überstrapaziert werden darf. Im März lagen die gemeldeten Währungsreserven noch komfortabel unter dem Niveau vom vergangenen August, d.h. kurz vor der Einführung der Wechselkursgrenze. Gleichzeitig übertrafen sie zum ersten Mal im laufenden Jahr den Vormonatsstand (Ende Februar). Die Zunahme um 4,5 Prozent liegt wohl im Streubereich. Wer aus der Zunahme schliesst, eine Anhebung der Wechselkursgrenze wäre eine schlechte Idee und die Ernennung eines Präsidenten eine gute (siehe Eintrag von gestern), dürfte dennoch nicht ganz falsch liegen.

Währungsreserven der SNB (gemäss IMF data dissemination standard; Monatsenden in Mio. CHF:

237’454 Mar 2012
227’230 Feb 2012
227’212 Jan 2012
254’254 Dez 2011
229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011