Das Edel-Subventionat

Urs Birchler

Eine Klasse, die Karl Marx nicht vorgesehen hatte, war jene, die man das Subventionat nennen könnte. Der Begriff ist nicht böse gemeint; wir haben ja fast alle eine (fast) kostenlose Ausbildung genossen oder sind über subventionierte Wiesen gewandert oder mit einem unrentablen Tram gefahren. Es gibt aber im engeren Sinn eine — wie mir scheint zunehmende — Anzahl von Gruppen, für welche Subventionen (Krankenkasse, Kinderkrippe, Genossenschaftswohnung) einerseits eine wichtige Rolle spielen, aber andererseits auch eher schwierig zu begründen sind. Immerhin galt bisher ein tiefes Einkommen meist als Bedingung. Dies scheint sich zu ändern.

Der Tages-Anzeiger. zitiert die Co-Präsidentin einer Stadt-Zürcher Partei wie folgt:

„Auch wer gut verdient, hat ein Recht auf eine bezahlbare Wohnung.“

Nimmt mich nur wunder, wer von den Gutverdienende dann die günstige Wohnung bekommt. Meine Vermutung: Diejenigen, die jetzt schon am längsten drin sind.

P.S.: Der Artikel ist nicht parteipolitisch gemeint. Es gibt ja auch eine Partei, die der Meinung ist, jedermann habe das Recht auf „bezahlbare“ städtische Parkplätze und darauf, zu Stau-Zeiten bezahlbar=gratis mit dem Auto in die Stadt fahren zu dürfen.

Die Euro-Hintertür

Urs Birchler

Die NZZ berichtet, dass im Euro-Zahlungssystem TARGET die Guthaben (Deutschlands) und die Schulden (v.a. Spaniens und Italiens) auf 880 Mrd. Euro angeschwollen sind. Diese Target-Salden werden seit längerem diskutiert und dank den Bemühungen von Hans-Werner Sinn auch als Problem anerkannt.

Die NZZ erwähnt den Lösungsvorschlag in Form einer Parallelwährung zum Euro wie die Moneta Fiscale. Dabei handelt es sich um staatlich ausgegebene Gutscheine, die zur Bezahlung von Steuern angerechnet werden. Der im Artikel erwähnte italienische Finanz-Ökonom Marco Cattaneo hat dazu verschiedene Beiträge in seinem Blog geschrieben und mit Ko-Autoren ein Buch veröffentlicht.

In aller Bescheidenheit sei nachgetragen, dass batz.ch bereits vor fünf Jahren in einem Beitrag zu Griechenland die Idee der Steuergutscheine beschrieben hat als Möglichkeit, aus dem Euro auszusteigen, ohne ihn offiziell zu verlassen. Als Empfehlung waren die staatlichen kouponi nicht gemeint, denn der Verkauf von Steuergutscheinen heute geht auf Kosten der Steuereinnahmen von morgen. Dannzumal wird der Schatzkanzler wie in Goethes Papiergeldszene klagen: „…und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.“

Mini-Regierungsprogramme statt Sachvorlagen – die schleichende Abwertung der direkten Demokratie

Monika Bütler

(erschienen unter dem Titel „Je heikler die Reform, desto grösser die Vorlage“ in der NZZ am Sonntag, 8. Juli 2017)

„Ihr Schweizer stimmt über den Umwandlungssatz ab?? Du machst Witze?!“ Die Verblüffung meines kanadischen Kollegen ging weit über die politische Bestimmung des Umwandlungssatz hinaus: Eine Rentenreform direkt-demokratisch?

In Festreden und nach Abstimmungen – vor allem nach gewonnenen – wird unsere Direkte Demokratie gern gelobt. Zurück im politischen Alltag trauen unsere Parlamentarier und Regierenden dem Urteil der Stimmbürger(innen) nicht immer. Und verpacken heikle Entscheidungen mehr und mehr in wahre Monstervorlagen.

Die Auswirkungen der Energiestrategie ES2050 überblickte kaum jemand. Selbst Experten haben Mühe, alle Elemente der im Herbst zu entscheidenden Reform zur Alterssicherung AV2020 zu verstehen. Die vor kurzem abgelehnte Unternehmenssteuer-Reform war da fast schlank.

Solche umfangreichen und komplizierten Vorlagen mit kaum abschätzbaren Folgen sehen weniger wie Sachvorlagen aus als wie schwammige Mini-Regierungsprogramme einer grossen Koalition. Dies zeigt sich auch in den Debatten: Argumente treten in den Hintergrund, Überzeugungen in den Vordergrund. „Es gibt keine Alternative.“ „Wer gegen uns ist, spielt den Linken/Rechten in die Hände.“ Werbebüros werden dafür bezahlt, die Vorlagen wieder „einfach“ zu machen.

Zugegeben, die Welt ist komplex (was sie im Urteil der Zeitgenossen früher schon war). Drum sind gewisse Abstimmungsvorlagen notgedrungen anspruchsvoll. Nur: Sie werden noch komplexer, wenn unterschiedliche Vorlagen aus abstimmungstaktischen Gründen zu Paketen geschnürt werden. Oder wenn Zückerchen für potentielle Gegner die angedachten Reformen zu wahren Wundertüten anreichern.

Tatsächlich hat der Souverän nicht immer den Weitblick gehabt, eine letztlich erfolgreiche Reform bei der ersten Gelegenheit durchzuwinken. Die Langsamkeit der Direkten Demokratie ist aber nicht unbedingt schlecht. Mit Abstimmen ist ein Lernprozess der Stimmbürger verbunden. Gleichzeitig entwickeln sich auch die Vorlagen. Ein Paradebeispiel ist die AHV, die nach mehreren Fehlversuchen in den dreissiger Jahren 1949 in der Volksabstimmung obsiegte.

Die meisten Schweizer(innen) sind stolz auf die direkte Demokratie. Zu Recht: Sie haben sie nämlich nicht gratis erhalten. Und mussten schon früher mehrmals für sie kämpfen. Von 1914 bis 1949 hielten Bundesrat und Parlament – aus Angst vor dem unwissenden Volk – wenig von direkter Demokratie. Lieber regierten sie, wie Martin Beglinger in einem faszinierenden Essay (NZZ Geschichte No 10) nachweist, mittels Dringlichkeitsrecht. Initiativen wurden zum Teil über 10 Jahre verschleppt oder gingen ganz „vergessen“. Bis welsche Erzföderalisten und Gottlieb Duttweiler den Stimmbürgern wieder zu ihren Rechten verhalfen – dies gegen Willen sämtlicher grosser Parteien.

Vom obrigkeitlichen Misstrauen gegenüber dem Souverän zeugen noch heute die Hürden für Initiativen: nicht nur die Unterschriftenzahl, sondern auch das Erfordernis der Einheit der Materie. Dies kontrastiert seltsam zu den Monstervorlagen neueren Datums, die den Einheits-Test wohl verfehlen würden.

Man kann mit guten Gründen die direkte Demokratie kritisieren und sie anpassen wollen. Eine Aushebelung durch die Hintertür mit Miniregierungsprogrammen ist der falsche Weg. Die Vor- und Nachteile der direkten Demokratie müssen offen diskutiert werden können. Die Urteilskraft der Stimmbürgerinnen sollte man ohnehin nicht unterschätzen: So wurde die Direktwahl des Bundesrates schon dreimal abgelehnt: 1900, 1942 und 2013. Das fand mein kanadischer Kollege ebenfalls erstaunlich.

 

RentnerInnen im Ausland – ein kleiner Nachtrag

Monika Bütler

RentnerInnen im Ausland trügen nichts zur Wertschöpfung in der Schweiz bei, ärgerte sich die FDP Präsidentin Petra Gössi. Daher seien auch die 70 Franken Zuschlag für Neurentner abzulehnen, weil rund 30% der Pensionierten im Ausland leben. Tendenz steigend. Zu überlegen sei zudem eine Anpassung der Renten an die jeweiligen Lebenshaltungskosten der RentnerInnen im Ausland.

Der Aufschrei folgte sofort. Zu Recht. Erstens geht es niemanden etwas an, wo die Pensionierten ihren Lebensabend verbringen. Zumal gerade für ehemalige Gastarbeiter die Rente oft nur im Ausland genügend hoch ist für ein entspanntes Leben. In der Schweiz müssten sie dazu Ergänzungsleistungen beantragen. Zweitens haben sich diese Menschen den Anspruch auf ihre Rente genau so verdient, wie diejenigen, die in der Schweiz bleiben.

Drittens verstösst eine Indexierung der Renten an die Lebenshaltungskosten gegen das seit 1948 hochgehaltene Prinzip der Gleichbehandlung aller AHV Renter. Wie übrigens auch die 70 Franken gegen das Gleichbehandlungsprinzip verstossen. Wer aus Gründen der Gleichbehandlung gegen die 70 Franken Zuschlag ist, darf eine Ungleichbehandlung der Rentner im Ausland logischerweise nicht zulassen. Sonst müssten ja auch die Renten in Zürich höher sein als im Calancatal.

Viertens schliesslich habe ich Steuern (welche die Auslandrentner nicht in der Schweiz bezahlen) und Konsum (der nicht in der Schweiz bleibt) bisher nicht als Teil der Wertschöpfung eines Landes verstanden. Auch wenn Wertschöpfung meist ein schwammiger Begriff ist, Frau Gössis Interpretation ist doch eher etwas unkonventionell.

Ein wenig ist die Empörung dennoch heuchlerisch. Als Alternative zu den 70 Franken Zuschlag für alle Neurentner wurde gegen Ende der Debatte auch der Vorschlag diskutiert, stattdessen die Minimalrente um 450 Franken anzuheben. Bundesrat Berset begründete damals seine ablehnende Haltung gegenüber diesem Vorschlag unter anderem damit, dass 70% der Rentenerhöhung an AHV RentnerInnen im Ausland gehen würden. Der Aufschrei blieb aus.

70 Franken süsses Gift

Monika Bütler

Das erste Mal in der 70 (!) jährigen Geschichte der AHV kommt eine vorgeschlagene Rentenverbesserung nur einer Gruppe von Rentnern und Rentnerinnen zu. Den Neurentnern. Das mag auf den ersten Blick unwichtig klingen, ist es aber nicht. Die Schweiz ist eines der ganz wenigen Länder mit einer universellen 1. Säule. Es gibt keine Spezialregelungen für Militärangehörige, die Polizei, Politikerinnen, Feuerwehrleute, oder Lehrerinnen: alle erhalten die AHV Rente nach dem genau gleichen Prinzip. Bisher mindestens.

Sollte es nach dem Willen des Ständerates gehen, ist damit bald Schluss. Die NeurentnerInnen sollen 70 Franken mehr pro Monat erhalten. Und dies obwohl die Massnahmen zur Sicherung der Alterssicherung für viele dieser Empfänger noch gar nicht gelten.

Ich habe es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, dass eine solch ungerechte, primär aus abstimmungstaktischen Motiven entstandene Vorlage die Differenzbereinigung zwischen den Räten überleben würde. Auch wenn niemand wirklich an Argumenten interessiert zu sein scheint, hier nochmals die wichtigsten Punkte.

Die Ungleichbehandlung verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz der 1. Säule und öffnet so Tür und Tor für weitere Sonderbehandlungen in der Zukunft. Die Gleichbehandlung ist aber eine wichtige Komponente für den Zusammenhang der Versicherung. Weshalb nicht höhere Renten für Städter, weil dort das Leben so teuer ist. Oder für Landbewohner, weil diese auf ein Auto angewiesen sind.

Der Neurentenbonus ist ungerecht. Viele der heutigen Rentner hatten noch eine wenig ausgebaute berufliche Vorsorge. Obwohl sie aus der 2. Säule eine deutlich geringere Rente erhalten als viele künftige Rentner, kriegen Sie keinen Zustupf. Die Parlamentarier scheinen zudem nicht zu wissen – oder wollen einfach nicht wissen – dass ein Grossteil der in den letzten paar Jahren pensionierten Menschen bereits empfindliche Einbussen durch die Senkung des Umwandlungssatzes haben hinnehmen müssen. Auch diese Rentner erhalten keine Kompensation.

Die 70 Franken pro Monat haben eine miserable Zielgenauigkeit. Ein Grundsatz guter Sozialpolitik ist, dass die Massnahmen möglichst denjenigen zu Gute kommen, die sie am meisten benötigen. Nur ein Bruchteil der Kosten der 70 Franken (im Endausbau 2 Milliarden Franken pro Jahr) gehen an die armen Alten. Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen – im Gegensatz zur EL – Steuern entrichtet werden müssen.

Mit den 70 Franken begünstigt der Ständerat seine eigene Generation (zwischen 45 und 65, verheiratet). Es ist schon ein wenig störend, dass ausgerechnet die im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes von der Massnahme am meisten profitiert: Finanziell gutgestellte (meist verheiratete) Babyboomers – Männer und Frauen, links und rechts. Die Erhöhung der Rente für Verheiratete gehört ins gleiche Kapitel. Auch die heutigen Jungen sollen die 70 Franken erhalten, heisst es jeweils. Doch bis die heutigen Jungen ins Rentenalter kommen, haben sie ein Vielfaches dieser 840 Franken pro Jahr bezahlen müssen.

Die mit den 70 Franken versüsste Unterstützung der Reform könnte nach hinten raus gehen. Dann nämlich, wenn die heutigen über 65 jährigen realisieren, dass sie vom Zuschlag nichts erhalten, die Kosten der Reform aber über eine höhere Mehrwertsteuer mitfinanzieren müssen. Bisher wurde das Ausbleiben des Zuschlags von 70 Franken an die Ü65 von den Befürwortern sehr schlank kommuniziert. Das könnte sich rächen. Immerhin ist sich die wissenschaftliche Literatur ziemlich einig: Ungleichbehandlungen werden nicht goutiert, selbst wenn den heutigen Rentner direkt nichts weggenommen wird.

Mit den Mehrkosten liessen sich deutlich vernünftigere Reformen finanzieren: Zum Beispiel eine Erhöhung der Mindestrente in der AHV. Ich habe zu wenig Angaben, um die 70 Franken für alle in eine Erhöhung der Mindestrente umzurechnen: Mindestens 140 Franken sind es mindestens, es dürften aber eher 200-300 Franken pro Monat sein. (PS: Es sind – vom BSV nachgerechnet – 450 Franken pro Monat!) Von einer Erhöhung der Mindestrente würden zudem diejenigen am meisten profitieren, die heute im Alter die höchste Armutsgefährdung aufweisen: Die alleinstehenden Männer und Frauen (deren Altersrente im Durchschnitt 17% tiefer ausfällt als die Altersrente der Witwen).

 

Die Jungen sind die Armen

Monika Bütler

Eine Version dieses Texts erschien in der Annabelle Rubrik „Meine Meinung“

In GROSSBUCHSTABEN kündigte der Blick vor ein paar Jahren die grosse Serie zur Altersarmut in der Schweiz an. Die Rentnerportraits liessen die Leserinnen allerdings ratlos zurück. Die erste Person verdiente bis zur Pension 6000 Franken pro Monat, die zweite wurde – bei einem Einkommen 3000 Franken – von gut verdienenden Kindern unterstützt, die dritte hatte ein Renteneinkommen von 4000 Franken, ein Haus und eine halbprivate Krankenkasse. Neben den üblichen „die bösen Politiker verlochen alles Geld im Ausland statt zu den eigenen Leuten zu schauen“ Kommentaren lautete der Tenor der anderen Reaktionen: Ist dies nun wirklich Altersarmut? Nach dem dritten Teil verschwand die Serie leise wieder aus dem Blatt.

So erstaunlich ist dies nicht: Älteren Menschen in der Schweiz stehen im Durchschnitt mehr Mittel zur Verfügung haben als der aktiven Bevölkerung. Die Armutsquote liegt für Rentner rund viermal tiefer ist als für junge Familien. Zweite Säule und Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV sorgen für diese erfreulichen Zahlen. EL garantieren einer Einzelperson ein Einkommen von ungefähr 3000 Franken, einem Ehepaar von ungefähr 4200 Franken pro Monat; die Krankenkosten werden separat vergütet. Zugegeben, das ist nicht viel, aber einige hundert Franken mehr als die Sozialhilfe. Und mehr als vielen Familien selbst bei voller Berufstätigkeit zur Verfügung steht.

Dennoch: die AHV Renten sollen um 10% (nach dem Willen der AHV Plus Initiative), respektive um 70 Franken für eine Übergangsgeneration (Vorschlag Alterssicherung 2020) angehoben werden. Das Pikante an beiden Vorschlägen: die Ärmsten unter den RentnerInnen profitieren gar nicht – manche verlieren sogar.

In beiden Vorlagen geht nur ein Bruchteil der massiven Mehrkosten (4.1 Milliarden Franken bei der AHV Plus) an die armen Alten. Oder eigentlich noch schlimmer: Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen – im Gegensatz zur EL – Steuern entrichtet werden müssen.

Ein Plus, das die Frauen spüren werden, meinen die AHV Plus Initianten. Ein Plus, das die mittelalterliche Professorin oder die junge (Zweit-)Frau eines gut verdienenden Mannes spüren werden. Nur leider nicht diejenigen, die eine bessere Absicherung am Nötigsten hätten: alleinstehende Frauen mit oder ohne Kinder. Den ärmeren unter ihnen würde das, was sie durch eine höhere AHV Rente erhalten würden, gerade wieder durch tiefere (oder gar wegfallende EL) weggenommen. Für die anderen – gerade für viele geschiedene Frauen – wäre eine bessere Abdeckung durch die zweite Säule ungleich wertvoller.

Ob «AHV plus» oder «Alterssicherung 2020 + 70 Franken», am meisten profitierte die lauteste und im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes: Finanziell gutgestellte (meist verheiratete) Babyboomers – Männer und Frauen, links und rechts. Und wer zahlt? Die Jungen und künftige Generationen. Als ob sie mit den steigenden Gesundheits- und Pflegekosten nicht schon genug belastet wären.

Der Sozialstaat soll für eine Absicherung aller Bürger sorgen, die sich nicht selber helfen können. Tut er dies nicht sparsam, reichen die Mittel nicht für alle Bedürftigen. Wenn wir weiterhin so sorglos mit der Alterssicherung umgehen, wird es bald eine neue Serie im Blick geben: Junge Familien in der Steuerfalle. Diese wäre bestimmt nicht schon nach drei Portraits zu Ende.

AHV Debatte: Unbescheidene Babyboomers und ihre sparsamen Eltern

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 4. September 2016 unter dem Titel „Wenn das Sparsäuli der Enkel die Rente sichert“

„Ja, ja“, sagte mein Vater jeweils. Im Klartext: Erzähl mir, was Du willst. Dabei glaubte ich alle Argumente auf meiner Seite: Seit der Einführung der AHV leben 65-Jährige acht Jahre länger. Den heutigen «Alten» geht es im Durchschnitt finanziell viel besser als früher; es geht ihnen im Mittel auch besser als dem Rest der Bevölkerung. Ihre Armutsquote ist geringer, ihr Vermögen deutlich höher.

Mein 81-jähriger Vater mochte es lange gar nicht, wenn von solchen Fakten nur schon die Rede war. Auch bei meinen Vorträgen zur schweizerischen Altersvorsorge spüre ich immer wieder, wie vor allem ältere Rentnerinnen und Rentner betupft, manchmal sogar ungehalten reagieren. Sie hätten schliesslich ihr Leben lang hart gearbeitet und auf vieles verzichtet.

Sind die Alten überempfindlich?  Nein, das sind sie nicht. Denn die nackten Zahlen zeigen nur die halbe Wahrheit. Natürlich haben die heutigen Rentner vom Ausbau und der Grosszügigkeit des schweizerischen Alterssicherungssystems profitiert. Doch, erstens, wäre es unfair, ihnen dies vorzuwerfen. Schliesslich haben sie sich die Erhöhung der AHV-Renten in den 70-er Jahren und den Ausbau der beruflichen Vorsorge nicht einfach selber zugeschanzt. Alle Altersgruppen und alle Parteien – auch bürgerliche – trugen den Ausbau mit. Warnungen über drohende finanzielle Ungleichgewichte – die SNB schrieb bereits 1957 von einer «zunehmenden Überalterung» – wurden angesichts guter kurzfristiger Umlage-Ergebnisse in den Wind geschlagen.

Zudem waren, zweitens, die guten Zeiten nicht immer so gut wie es scheint. Die Mehrheit der älteren Rentner kam zwar in der Pensionskasse noch in den Genuss eines Umwandlungssatzes von 7,2 Prozent, ihr Kapital wurde mit 4 Prozent verzinst. Dies allerdings auch zu Zeiten mit über 5 Prozent Inflation. Wenn heute bei einer negativen Jahresteuerung die Pensionskassenvermögen mit 1.25 % verzinst werden müssen, sind die realen Erträge höher als früher. Ob die Alten unter dem Strich wirklich besser gefahren sind als die Mittelaltrigen, ist zumindest zweifelhaft.

Und drittens geht vergessen, dass ältere Rentner oft nicht nur für eine beträchtliche Anzahl künftiger Beitragszahler sorgen mussten, sondern auch für ihre bedürftigen Eltern oder behinderten Geschwister. Dass viele ältere Menschen einen rechten Batzen auf der Seite haben, ist daher nicht nur Glück. Sie waren sich gewohnt, sparsam zu leben. Sie verzichteten selbst dann auf vieles, als die Kinder ausgezogen und die Eltern verstorben waren und kamen erst so zu Vermögen.

Vom angesparten Vermögen der älteren Generation profitieren ironischerweise diejenigen, die in ihrem Leben viel weniger Unterstützungsleistungen stemmen mussten und sich ein komfortableres und freieres Leben leisten konnten. Meine eigene Generation nämlich, die gebärgeizigen Babyboomers. Wenn jetzt gerade diese Generation für sich Kompensationsmassnahmen oder Rentenerhöhungen verlangt, scheint mir dies, mit Verlaub, etwas unbescheiden.

Die lauten Diskussionen um die Alterssicherung haben meinen Vater doch noch aus der Reserve gelockt. Klar, er sei mit der Rente gut gefahren, meinte er kürzlich. Und die weniger gut gestellten Kollegen in seinem Umfeld seien dankbar über die Ergänzungsleistungen. Aber was sich heute abzeichnet, hätte seine Generation nie gewollt: Dass man Gelder verteilen möchte, sogar an Wohlhabende, die aus der Tasche der Jungen stammten. Es könne doch nicht sein, dass die Grosseltern den Enkeln statt einen Batzen ins Sparsäuli zu legen, sich aus diesem bedienen.