Hydranten statt Brandmauern?

Verzichten wir auf Brandmauern zwischen den Häusern und stellen statt dessen vor jedes Haus einen Hydranten! Dies streben grosse Banken hinter den Kulissen seit Jahren an: Möglichst wenig Eigenmittel (Brandmauern), aber unbeschränkte Liquiditätsgarantien (Hydranten). Heute stehen sie knapp vor dem Ziel — paradoxerweise, weil eine von ihnen falliert ist.

Beim Untergang der Credit Suisse gab die SNB Liquiditätszusagen gestützt auf Notrecht ab. Der Bundesrat möchte solche ungedeckte Hilfskredite an grosse Banken durch die Nationalbank mit Bundesgarantie (im Jargon der Bankenregulierung: Public Liquidity Backstop, PLB) künftig unter ordentlichem Recht ermöglichen. Egal, wenn die Feuerwehr ausrücken muss.

Der Hintergrund: Wenn die Kunden einer Bank ihr Geld abholen, hat diese bald keine liquiden Mittel mehr, steht also mit leerer Kasse da. Dann kann sie bei der SNB noch Notkredite gegen Deckung erbitten. Wenn sie aber nichts mehr besitzt, was die SNB mit halbwegs gutem Gewissen belehnen kann, dürfte – gemäss Vorlage — die Nationalbank der klammen Bank trotzdem nochmals Geld leihen, und zwar blanko, falls im Hintergrund der Bund bürgt. Daher: Public (SNB und Bund) +  Liquidity (es gibt Geld) + Backstop (das Auffangnetz hinter dem Werfer beim Baseball).

Die vom Bundesrat zur Umsetzung des PLB erarbeitete Vorlage weist gravierende Schwächen auf und sollte nicht vorschnell umgesetzt werden. Die Gründe:

  1. Die Vorlage ist – zusammen mit den aus der CS-Krise noch bestehenden Bestimmungen – viel zu komplex. Für Nicht-Spezialisten sind die konzeptionellen Schwächen kaum erkennbar. Die geplante Trennung der Vorlage von der geplanten umfassenderen Revision der TBTF-Bestimmungen verhindert eine Regulierung „aus einem Guss“.
  2. Der PLB subventioniert die systemrelevanten Organisationen (UBS, Raiffeisen Gruppe, Zürcher Kantonalbank und PostFinance) gegenüber den kleineren Banken wie z.B. den Regionalbanken. Die vorgesehene Abgeltung (Versicherungsprämie) ist zu tief. Sie ist geringer als die Abgeltung für die Staatsgarantie, welche die Kantonalbanken ihren Kantonen zahlen (zusätzlich zur Erfüllung des Leistungsauftrags und zur Dividende!). Zudem ist die Abgeltung an die Kantone ohnehin schon eher tief gemessen an den statistischen Erfahrungswerten zu Verlusten der Kantonalbanken.
  3. Ein Konkursprivileg für Kredite durch die SNB macht die bereits ziemlich komplizierte Hierarchie der Ansprüche von Einlegern, Träger der Einlagensicherung (esisuisse) und SNB durcheinander (hierzu nur ein Beispiel). Die daraus folgenden rechtlichen Komplikationen erschweren eine Sanierung oder geordnete Abwicklung einer Bank zusätzlich. 
  4. Der PLB bringt schafft (entgegen der Behauptung in der Vorlage des Bundesrates) kein zusätzliches Vertrauen der Fremdkapitalgeber, im Gegenteil. Beruhigend wirkt Liquiditätshilfe durch die SNB nur, wenn die Solvenz der Bank ausser Zweifel steht, wenn also die Einleger bloss Angst voreinander haben. Bei zweifelhafter Solvenz jedoch bleibt für die letzten Einleger weniger übrig, wenn andere ihre Guthaben dank der Liquiditätshilfe durch die SNB zurückziehen. Ein sofortiger Rückzug (Bank Run) bei angebotener Liquiditätshilfe ist also rational.
  5. Liquiditätshilfe durch die SNB untergräbt die Rolle der FINMA. Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) eines Unternehmens ist in der Regel ein Zeichen für Insolvenz (Überschuldung). Anders als die Insolvenz lässt sich Illiquidität nicht verstecken. Sie ist die Guillotine: Die Unternehmung muss in neue Hände kommen. Bei Banken ist die Guillotine jedoch sehr teuer, auch volkswirtschaftlich. Deshalb gibt es eine Bankenaufsicht, die rechtzeitig eingreifen soll, wenn die Solvenz gefährdet ist. (Zu) grosszügige Liquiditätshilfe durch die SNB ermöglicht es aber der FINMA, die Illusion der Solvenz aufrechtzuerhalten Beispiel CS). Hier liegt sogar ein Fehlanreiz vor: Die SNB darf Liquiditätshilfe gewähren, solange die FINMA die Solvenz der empfangenden Bank noch bescheinigt. Der PLB verschlimmert das Problem noch.
  6. Die an eine Liquiditätshilfe unter dem PLB obligatorisch zu knüpfenden Sanierungsmassnahmen sind nicht genügend spezifiziert. Da Liquiditätshilfe das Leben einer möglcherweise insolventen Bank verlängert, schafft dies eine Lücke in der Unternehmenskontrolle.
  7. Die Gewährung von ungedeckten Krediten mit Bundesgarantie ist ökonomisch gleichbedeutend wie eine Kreditgewährung der SNB an den Bund (und von diesem an die Bank). Ob dies eine illegale Staatsfinanzierung (Art. 11 Abs. 2 NBG) darstellt, wäre mindestens genau zu prüfen.
  8. Unklar ist (mindestens für den Ökonomen), ob die vorgesehenen Bestimmungen (Art. 51a) nur die vergangene Kreditgewährung betreffen (wodurch sie überflüssig wären) oder auch eine Verpflichtung des Bundes zu künftiger Hilfeleistung enthalten (wesfalls sie gestrichen gehörten).

Trotz all dieser Mängel wurde die Vorlage des Bundesrates in der Vernehmlassung relativ positiv aufgenommen. Klar ist, dass die Bankiervereinigung, de facto das Sprachrohr der Grossbanken, das Geschenk des Bundes gerne annehmen möchte. Auch Economiesuisse findet den PLB eine gute Sache. Vielleicht hofft sie, irgendwann bekämen alle Schweizer Unternehmen im Krisenfall Bundesgarantie für Notkredite. Sogar der Kantonalbankenverband ist für den PLB, obwohl nur ein einziges seiner Mitglieder (die ZKB) von ihm profitieren kann — und ihn gar nicht braucht, da die Bank bereits von Gesetztes wegen Staatsgarantie geniesst. Das Kuriosum wird von Letti Robin (UniFR) analysiert. Der Regionalbankenverband schliesslich mag nicht gegen den PLB ankämpfen, sondern argumentiert, der PLB müsse auch den bisher ausgeschlossenen 98 Prozent der Schweizer Banken offenstehen.

Aus neutraler Warte wurde die Vorlage kaum kommentiert — sie ist schlicht zu kompliziert. Eine vorsichtig kritische Stimme erhob Christoph Schmutz in der NZZ. Schärfere Kritik kam von von Alexandra Janssen (Ecofin) und Adriel Jost und Corinne Zellweger-Gutknecht (UniSG/UniBa). Aymo Brunetti (UniBe) befürwortet zwar einen PLB, hält aber die vorgesehene Abgeltung für viel zu gering angesichts der Risiken für den Steuerzahler.

Fazit: Stop dem Back-Stop! Der Gesetzgeber täte gut daran, den PLB trotz Applaus durch die Banken nicht einfach durchzuwinken, sondern nochmals genauer anzusehen. Notwendig wäre mindestens eine Abstimmung zwischen Regeln zur Liquiditätshilfe und einer neuen TBTF-Regulierung. Auf Deutsch: Wieviel Brandmauer braucht es für ein Anrecht auf einen Hydranten?

Die Eigenmittel-Leugner

Die UBS braucht anscheinend Hilfe. Nicht finanziell, aber intellektuell. Jamie Dimon, der Chef der gemäss NZZ „mächtigsten Bank der Welt“ (J.P. Morgan), unterstützt die UBS in ihrer Behauptung, die grossen Banken bräuchten kein zusätzliches Kapital: Der „Hyperfokus auf das Kapital und auch auf die Governance ist fehlgeleitet.“

Schon in einem früheren Interview geisselte er Eigenmittelanforderungen als unamerikanisch. Klingt in meinen Ohren nicht nach einer sehr wissenschaftlichen Begründung. Aber sind solide Eigenmittel, d.h. ein gutes Polster gegen die eingegangenen Risiken, auch unschweizerisch?

Jede Schweizer Familie, die ein Eigenheim erwarben möchte, und jeder Gewerbebetrieb, der Kredit braucht, hört bei der Bank als erstes die Frage: „Wieviel eigene Mittel können Sie einbringen?“ Bei der Hypothek aufs Eigenheim sind gewöhnlich 20 Prozent das Minimum. Dabei ist die Hypothek erst noch gesichert durch das verpfändete Eigenheim. Das Risiko für die Bank ist also relativ gering. Trotzdem verlangt sie 20 Prozent Eigenmittel.

Im Gegensatz dazu sind die Schulden der Banken zu einem grossen Teil ungedeckt. Nur ein kleiner Teil der Einlagen bei der UBS sind durch die Einlagensicherung gedeckt. Die Risiken für die Bankgläubiger sind also höher. Und da sollen Eigenmittel plötzlich Luxus sein?

Als vermeintlichen Beweis für die Nutzlosigkeit höherer Eigenmittel dient die Behauptung, die CS sei nicht wegen fehlender Eigenmittel untergegangen, sondern wegen fehlender Liquidität, d.h. dem panikartigen Rückzug durch die Gläubiger. Vordergründig richtig, aber: Eigenmittel sind eben gerade dazu da, Vertrauen zu schaffen. Wenn die Einleger wissen, dass Substanz da ist, brauchen sie keine Angst zu haben. Aber wenn die FINMA behauptet, die Eigenmittel seien intakt, wenn sie dies bei professioneller, zukunftsgerichteter Betrachtung nicht sind, laufen die Einleger zu Recht davon.

Ohne die Aussicht auf Liquiditätshilfe durch die Notenbank und Rettung durch den Bund, bräuchten die Banken wie früher Eigenmittel von 50 Prozent ihrer Bilanz. Aber mit dem Staat in Geiselhaft kann man gut von Hyperfokus auf den Eigenmitteln reden.

Auf die Frage des Interviewers, wie er denn die Banken regulieren würde, antwortete Jamie Dimon:

Auch grosse Banken müssen scheitern können, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Es ist machbar. Aber nicht so, wie wir es momentan angehen. Wir fügen nur weitere Schichten von Regeln und Vorschriften und Kapital hinzu. Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass sie nicht den Preis dafür zahlen muss, wenn eine Bank versagt.

Das ist, mit Verlaub, warme Luft. Und sie riecht nicht besonders gut.

CS-PUK mit Klartext

Gemäss Bericht der Medien — hier im Tages-Anzeiger — hat die PUK in einem Zwischenbericht zum Fall CS ein kollektives Versagen von FINMA, SNB und Finanzdepartement bestätigt. Die Behörden hätten die notwendigen Entscheidungen so lange hinausgezögert, bis kaum mehr eine andere Lösung als die Zwangsübernahme durch die UBS nötig war. Die PUK bestätigt damit die vernichtende Kritik internationaler Gremien.

Zusammen mit anderen Ökonomen habe ich die Behörden ebenfalls von Anfang an für die gewählte „Lösung“ kritisiert. Triumphgefühle kommen trotz der Bestätigung durch die PUK keine auf. Erstens ändert deren Zwischenfazit nichts am unglücklichen Ergebnis der für die Schweiz zu grossen Bank. Zweitens darf ich mich an der eigenen Nase nehmen.

Die versteckte Wurzel des Problems — die Aufgabenteilung zwischen FINMA und SNB — übersah ich selber auch: Die FINMA prüft die Solvenz einer Bank (d.h. diese muss mehr Guthaben aufweisen als Schulden) und die SNB hilft einer Bank mit Liquidität (d.h. Hilfskrediten), wenn diese — trotz grundsätzlicher Solvenz — kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten gerät.

Eine scheinbar logische und saubere Aufgabenteilung. Was ich dabei selber übersah (Tagesgespräch bei Radio DRS vom 17.3.2023): Die Aufgabenteilung gibt der FINMA einen Anreiz, einer Bank die Solvenz zu bescheinigen, auch wenn diese bereits sehr fraglich ist. Die FINMA interveniert nämlich nicht gern gegen grosse Banken. Und solange die SNB noch Liquiditätshilfe gibt, kann die FINMA noch zuwarten und hoffen. Geschehen im Herbst 2023, als die SNB (gemäss Cash) auf eine Verstaatlichung der CS drängte, derweil die FINMA und die CS-Spitze ein Weiterwursteln mit Liquiditätshilfe durch die SNB durchsetzen. Ich hoffe, dass bei der Diskussion des PUK-Zwischenberichts dieser Fehlanreiz nicht übersehen bleibt.

Financial Stability Board (FSB) blamiert Bundesrat

Urs Birchler

Der Bundesrat “löste” das CS-Problem im vergangenen März mit Gewalt – gegenüber der Credit Suisse, der UBS und de facto gegenüber der SNB. Den vorgesehenen Instrumenten des Bankengesetzes zog er Notrecht vor. Solches erfordert starke Gründe. Die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente hat jetzt das Financial Stability Board (FSB) in einem Bericht untersucht.

Das FSB ist das von den Behörden der G20-Länder getragene internationale Expertengremium zum Thema Finanzstabilität. Es ist das Dach-Gremium zu spezialisierteren Gremien wie dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Banken), IOSSCO (Versicherungen) u.a. Im FSB ist auch die Schweiz vertreten (aktuell mit Staatssekretärin Daniela Stoffel und Notenbankpräsident Thomas Jordan).

Das FSB als Behördenorganisation formuliert seine Berichte mit Bedacht. Auch der 35-seitige Bericht zur Behandlung der CS und anderer fallierter Banken ist sorgfältig abgefasst. Umso erstaunlicher die Aussagen: Die Kritik an der Entscheidung des Bundesrates klingt – entfernt man die übliche Watte der Diplomatie – vernichtend. 

Doch vorab zum Hintergrund: Wenn eine Bank ihre Probleme nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann, wie die CS im März 2023, gibt es im Prinzip drei Lösungen (die bei einer Aufteilung der Bank auch kombiniert werden können) :

  • Modell “Götti”: Jemand (UBS, Bund) kauft die Bank samt ihren Problemen.
  • Modell “Resolution”: Die Bank wird saniert.
    a) mittels Rückschnitt von Ansprüchen der Aktionäre und der Gläubiger (bail in)
    b) mittels Zufuhr neuer Mittel, notfalls durch den Staat (bail out)
  • Modell “Konkurs”: Die Bank wird liquidiert.

Der Bundesrat behauptete, das Modell Resolution – verbunden mit einer allfälligen (Teil-)Verstaatlichung sei nicht in Frage gekommen. Warum nicht? 

Die zuständige Finanzministerin (frisch im Amt) liess am Wochenende der Notlösung über ihren gemäss NZZ gut informierten Parteipräsidenten im Tages-Anzeiger verlauten, der Grund sei Druck aus dem Ausland gewesen. Später argumentierte der Bund:

  1. Das Vertrauen in die CS sei unwiederbringlich zerstört gewesen. 
  2. “dass eine Sanierung einer global systemrelevanten Grossbank und ein Bail-In im aktuellen Marktumfeld zu massiven Verwerfungen geführt hätte”.
  3. “Der Konkurs der Finanzgruppe unter Aktivierung des Schweizer Notfallplanes zur Fort- führung insbesondere der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz hätte mit [an] Sicherheit grenzender Wahrsch[e]inlichkeit in der aktuellen Lage erst recht zu einer massiven Destabilisierung der Märkte geführt.”

Ziemlich vage verwirft das Eidg. Finanzdepartements EFD auf der FAQ-Seite zur Credit Suisse die Möglichkeit einer geordneten Resolution mit Hinweis auf internationale und nationale Risiken. Eine (Teil-)Verstaatlichung wurde offenbar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen (und auch nicht den Kosten des TBTF-Status der Kombi-UBS gegenübergestellt), sobald am Horizont die Gotte UBS auftauchte.

Das Hauptargument des Bundesrates lautete zusammengefasst: Das vorhandene, in den vergangenen Jahren schrittweise ausgebaute, gesetzliche Instrumentarium des Modells „Resolution” war nicht anwendbar. 

Schon die FINMA teilte diese Auffassung in ihrem Recovery and Resolution Report per Ende 2022 (publiziert kurz nach der CS-“Rettung”) nicht: Beide Grossbanken erhielten in allen drei Kategorien (Recovery plan, Swiss emergency plan, Institution resolvability) die Note „grün“. Dennoch sah der Bundesrat rot.

Das Financial Stability Board verwirft nun die Argumentation des Bundesrates in ihrer Gänze. Eine Umsetzung der von der FINMA – in Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bis hin zu asiatischen Aufsehern – vorbereiteten Resolutions-Pläne wäre möglich gewesen (S. 11). Die FINMA sei auch bereit gewesen, diese Pläne umzusetzen, sollte die Übernahme-Lösung scheitern. Im Wortlaut:

Some have suggested that … the resolution framework is not workable. However, the FSB’s review does not support that conclusion. As indicated above, a resolution was ready to be implemented that weekend. (S. 11)

Dass ein internationales Gremium dies in aller Deutlichkeit sagt, zeigt zweierlei: Erstens war der “internationale Druck” in Richtung der vom Bundesrat gewählten Lösung wohl eher eingebildet. Und zweitens sind die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente zugunsten dieser Lösung, finanztechnisch gesprochen, Nonvaleurs. Langfristig, so sei angefügt, ziemlich teure.

Digitales Bargeld — Swiss Made?

Urs Birchler

So digital wie Bitcoin, so sicher wie ein Fünfliber oder eine Banknote der Schweizerischen Nationalbank — so wünschen sich manche das ideale Geld. Verschiedene Notenbanken prüfen deshalb seit einigen Jahren die Idee des digitalen Zentralbankgeldes (CBDC — Central Bank Digital Cash/Currency).

In einem Arbeitspapier der SNB haben drei Autoren — David Chaum (DigiCash u.v.m.), Christian Grothoff (Berner Fachhochschule), Thomas Moser (Mitglied des erweiterten Direktoriums der SNB) — unlängst untersucht, nicht ob, aber wie die SNB gegebenenfalls eine „Digitalnote“ schaffen könnte.

Am Anfang steht die Entscheidung: Konto oder Münze (token)? Digitales SNB-Geld in Kontoform gibt es bereits in Gestalt der Giroguthaben der Banken, mit denen diese den Zahlungsverkehr untereinander abwickeln. Die SNB müsste also bloss den Kundenkreis auf das Publikum ausweiten. Dieser Weg ist jedoch dornig: (1.) Die SNB müsste personalintensive Vorkehren zur Verhinderung von Geldwäscherei umsetzen (know your customer); (2.) Konti sind nicht anonym und damit nie hundertprozentig immun gegen staatlichen Missbrauch; (3.) Kontoüberweisungen hinterlassen Daten beim Empfänger.

Die Autoren entschieden sich daher für die Variante „Token“, d.h. die digitale Münze. Hier heisst die Herausforderung: Wie verhindert man eine Duplikation (Fälschung). Copy-Paste mit dem Münzcode wäre doch zu verführerisch. Hier kommt Entscheidung zwei: Hardware oder Software. Ein digitales Guthaben kann in einem geschützten Hardware-Bereich gespeichert werden, ähnlich der bereits bekannten SIM-Karte. Oder es kann in nicht-klonbarem Code niedergelegt werden. Die Autoren befürworten aus Sicherheitsgründen den letzteren Weg, das heisst eine „Sofware-Only“-Lösung.

Konkret befänden sich unsere Digitalfünfliber — wo sonst? — auf dem Handy. Dahin gelangen sie ab Bankkonto. Vom Handy aus können sie ausgegeben oder wieder auf ein Bankkonto zurück geschickt werden. Dieses Digitalgeld wäre also ein Inhaber“papier“. Es hinterlässt beim Bezahlen keine Spuren der Herkunft, genau wie herkömmliches Bargeld. Und wenn das digitale Portemonnaie beim Segeltörn ins Meer fällt, ist mit dem Handy auch das darauf gespeicherte Geld verloren, genau wie beim Portemonnaie.

Das Elegante an der vorgeschlagenen Lösung ist die klare Arbeitsteilung zwischen SNB und Geschäftsbanken. Der Bezug und die Rückgabe von Digitalmünzen erfolgt nur zwischen Inhaber (Kunde oder Händler) und Geschäftsbank. Die Überprüfung und Signatur wird von der SNB geleistet, an welche gebrauchte Digitalmünzen (ähnlich der abgenutzten Banknoten) zurückkehren. Damit bleibt die Trennung von Kundenprüfung (Geschäftsbank) und Schaffung von Zentralbankgeld (SNB) gewahrt.

Das Kernstück des Arbeitspapiers ist die kryptographische Umsetzung dieser Prozesse. Sie beruht, ähnlich wie die Verifizierung bei Bitcoin, auf der Kombination eines privaten Schlüssels und eines öffentlichen Schlüssels.

Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht, erzeugt einen privaten
Schlüssel und bekommt eine Signatur der Zentralbank über den
dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, ohne dass diese Schlüssel den
Banken zu diesem Zeitpunkt bekannt werden. Beim Ausgeben der Münze (via Händler und Empfängerbank) signiert der Kunde mit dem privaten Schlüssel die Anweisung zur Übertragung des Wertes der Münze an den Händler, und die Zentralbank prüft die Gültigkeit der Münze auf Basis der Signatur. Bisher alles genau wie Bargeld.

Der Trick bei der Echtheitsprüfung beruht darin, dass die SNB sehen kann, ob das Resultat einer Berechnung (konkret: einer in der Kryptgraphie üblichen Operation mit grossen Primzahlen) korrekt ist, ohne die Ausgangszahlen zu kennen. Wir erinnern uns an die Neunerprobe aus der Primarschule: Ein Blick auf die Neunerprobe zeigt der Lehrerin, ob das Ergebnis einer Division richtig ist (genauer: sein kann), ohne dass sie die Ausgangszahlen ansehen muss. Besser ist vielleicht der Vergleich mit der Prüfziffer einer IBAN-Nummer. Die Prüfziffer folgt aus der IBAN, aber die IBAN nicht aus der Prüfziffer. Die Mathematik der Echtheitsprüfung ist im Arbeitspapier ziemlich verständlich dargestellt. Denjenigen, die wie ich noch nie vom Inversen einer Modulo-Funktion gehört haben, sei eine kurze Nachhilfe empfohlen. Das Chaum-style blind-signature protocol sparen wir uns für den Party-talk. Wichtig ist aber, dass die ganze Software hinter der im Papier dargestellten Digitalmünze auf Open Source Software beruht, und zwar auf dem offensten der verschiedenen Standards, der sogenannten GNU Public License und dem System der GNU-Taler.

Zwischenfazit: Die vorgeschlagene Lösung besticht dadurch, dass sie von allen bisher vorgeschlagenen Formen von CBDC die bestmögliche Abbildung von Bargeld in digitaler Form zu sein scheint. Dennoch bestehen im Hinblick auf eine — von der SNB ausdrücklich nicht geplante — Implementierung noch einige Fragen:

  • Würden im Krisenfall die Kontoinhaber ihr Geld massenweise von den Banken abziehen und in SNB-Digitalgeld umtauschen (Bank Run)?
    Die Autoren bezweifeln dies, da das Geld nicht auf ein Koto bei der SNB fliesst, sondern bei den Inhabern auf dem Handy herumgetragen werden müsste.
  • Lassen sich mit der Digitalmünze Steuern hinterziehen. Die Autoren verneinen dies (ich bin nicht sicher, ob ich die Argumentation schon voll begriffen habe). Ob dies ein Vor- oder ein Nachteil wäre, dürfte umstritten sein (und wäre dann doch ein Unterschied zu Bargeld).
  • Wäre das Geld sicher vor Manipulation? Die digitalen Münzen hätten ein Verfallsdatum und kehrten immer wieder zur SNB zurück, wo sie vernichtet und ersetzt werden. Die Autoren machen geltend, dies sei wichtig, damit nicht immer mehr alte Nummern im Umlauf sind, was die Anfälligkeit zu Missbrauch erhöhen würde. Überdies würden auch die bestehenden Banknoten-Serien periodisch ausgetauscht, wenn auch nur ungefähr alle zehn Jahre. Gleichzeitig sehen sie beim Umtausch die Möglichkeit, zum Beispiel Gebühren zu erheben (=Negativzinsen). Auch dies wäre ein Unterschied zum bestehenden Bargeld, und ebenfalls ein absehbar umstrittener. Hier besteht daher noch eine Lücke in den Spielregeln.
  • Wäre digitales Bargeld eins zu eins gleich physischem Bargeld? Gemäss den Autoren bestünden gewisse Unterschiede, daher könnte also zwischen den beiden ein „Wechselkurs“ ungleich 1 entstehen. Die SNB könnte den Kurs natürlich mit flexiblem Angebot bei 1 fixieren, sei es freiwillig, sei es kraft (anzupassendem) Gesetz. Hier besteht noch Klärungsbedarf.

Fazit: Das im SNB-Arbeitspapier dargelegte Modell eines digitalen Zentralbankgeldes für jedermann scheint mir das interessanteste bisher vorgelegte Rezept. Näher zum physischen Bargeld kommt man kaum noch. In der Halbzeit liegt also die Schweiz mit ihrem „Digi-Taler“ vorne. Für die zweite Hälfte (oder sind wir schon in der Verlängerung?) würde ich noch jemanden aus der Rechtswissenschaft einwechseln.

[P.S: Christian Grothoff, einer der drei Autoren des Arbeitspapiers hat mich auf einen technischen Fehler aufmerksam gemacht. Seine korrigierte Version des Abschnitts „Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht“ habe ich in den Text integriert. Herzlichen Dank, Christian!]

Verbot der Staatshilfe an die Kantonalbank

Urs Birchler und Christoph Basten

Der Kanton Glarus hat nichts weniger als eine Pioniertat vor.
Wir haben kürzlich über sein Vorhaben berichtet, die Kantonalbank zu privatisieren. In der Zwischenzeit hat die Glarner Regierung die gesamten diesbezüglichen Unterlagen an den Landrat publiziert. Zu diesen Unterlagen gehört namentlich ein Rechtsgutachten von Prof. Christoph Bühler (UZH) zur Frage der sogenannten impliziten, d.h. nicht ausdrücklich im Gesetz abgestützten Staatsgarantie.

Das Gutachten Bühler nennt drei mögliche Gründe einer Staatshaftung ohne gesetzliche Staatsgarantie:

  1. Haftung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 39 BankG, Art. 754 OR)
  2. Vertrauenshaftung des Kantons (Art. 2 ZGB)
  3. Risiko eines „Faktischen Beistandszwangs“ (keine gesetzliche Verankerung)

Die ersten beiden Risiken sind zivilrechtlicher Natur. Der Kanton kann diese Risiken — immer gemäss Gutachten — minimieren, indem er seine konkreten Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit der Bank aufgibt und auf die Formulierung einer eine Eignerstrategie verzichtet. Der Kanton würde sich wie ein gewöhnlicher Aktionär verhalten und sich beschränken auf Wahrnehmung seiner Interessen an der jährlichen Generalversammlung. Ferner wäre im Auftritt sowohl des Kantons als auch der Bank jeder Anschein auf eine Garantie oder Solidarbürgschaft strikt zu vermeiden; zusätzlich wäre sicherheitshalber ausdrücklich im Gesetz festzuhalten, das der Kanton nicht für die Verbindlichkeiten der Bank haftet.

Das drittgenannte Risiko — der faktische Beistandszwang — beruht darauf, dass der Kanton auch ohne ausdrückliche Haftung für die Verbindlichkeiten im Krisenfall versucht sein könnte, die Kantonalbank “freiwillig“ finanziell zu unterstützen, anstatt sie zu liquidieren (siehe dazu auch unser ökonomisches Gutachten. Gegen dieses Risiko empfiehlt das Gutachten Bühler lediglich, im Kantonalbankgesetz vorbeugend eine komfortable Eigenmittel-Ausstattung zu verlangen. Es weist ferner auf den entscheidenden Faktor hin, dass das Bankensanierungs- und -insolvenzrecht des Bundes (bei nicht international verflochtenen Banken) bereits verschiedene Mittel zum Verhindern einer Bankliquidation und einer Kantonshilfe bietet.

Der Kanton Glarus fasst nun aber auch den letzten Schritt ins Auge: Er formuliert in der revidierten Verfassung ein ausdrückliches Verbot von Staatshilfe:

Der Kanton garantiert nicht für die Verbindlichkeiten der Kantonalbank. Eine Unterstützung ist selbst in einer Notlage und anderen Fällen zeitlicher Dringlichkeiten gestützt auf Artikel 99 Absatz 1 Buchstabe d ausgeschlossen.

[Jener Artikel besagt: Der Regierungsrat ist zuständig für … Verordnungen und Verfügungen in Notlagen und andern Fällen zeitlicher Dringlichkeiten, insbesondere zur raschen Einführung von Bundesrecht; diese Erlasse sind sobald als möglich dem Landrat oder der nächsten Landsgemeinde vorzulegen.]

Damit dürfte die Glarner Kantonalbank zur ersten Kantonalbank werden, bei der im Rahmen einer Privatisierung auch die Risiken konsequent privatisiert werden.

Privatisierung der Glarner Kantonalbank?

Christoph Basten und Urs Birchler

Der Glarner Regierungsrat (Exekutive) hat heute dem Landrat (Legislative) eine grundlegende Änderung im Verhältnis des Kantons zur Kantonalbank beantragt. Dies geht hervor aus einer entsprechenden Medienmitteilung.

Kernpunkte sind:

  1. Aufhebung der Staatsgarantie
  2. Umwandlung in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft
  3. Aufgabe der Mehrheitsbeteiligung des Kantons

Der Regierungsrat hatte im Juni 2020 eine Vorlage zur Vernehmlassung gegeben. Dies basierte zum Teil auf einem Gutachten, das wir im Herbst 2019 im Auftrag des Departements für Finanzen und Gesundheit verfassten. Die Vernehmlassung ist in der Zwischenzeit abgeschlossen (die einzelnen Eingaben werden anders als beim Bund nicht publiziert) und die Ergebnisse sind in die neue Vorlage eingeflossen.

Diese geht nun in den Landrat (sie wird vermutlich in den nächsten Tagen publiziert). Geändert werden sollen nicht nur das Kantonalbankgesetz. Die Revision erfordert auch eine Änderung der Kantonsverfassung. Daher bedarf sie auch der Zustimmung durch die Landsgemeinde. Dies könnte zu einer Verzögerung führen, falls die Landsgemeinde wegen der Covid-19 Pandemie nicht abgehalten werden kann. Eine schriftliche Abstimmung ist nämlich nicht zulässig, da an einer Landsgemeinde nicht nur JA oder NEIN beschlossen, sondern auch Abänderungsanträge eingebracht werden können.

Wir haben bei der Arbeit an unserem Gutachten vieles gelernt, aber jetzt auch noch etwas zur Glarner und damit zur Schweizer Demokratie.

Die Nationalbank muss transparenter werden

Yvan Lengwiler

Die Unabhängigkeit der Schweizer Notenbank ist unbestritten. Weil wir so viel Macht an sie delegieren, sollte sie uns aber wesentlich besser informieren.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt.

Die Geldpolitik berührt jeden Bürger: Sie steuert die Rendite unserer Vorsorge und den Wechselkurs, sie beeinflusst den Gang der Wirtschaft, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Preisniveaus. Sie ist eine der wichtigsten Komponenten der Wirtschaftspolitik, und dennoch löst sie kaum öffentliche Diskussionen aus.

Die SNB, welche die Geldpolitik verantwortet, geniesst ausserordentlich grosse Unabhängigkeit von der Politik. Sie ist noch unabhängiger als das Bundesgericht, dessen Richter abgewählt werden können. Mitglieder des Direktoriums können nur bei Fehlverhalten abgewählt werden und unterstehen auch keiner Amtszeitbeschränkung.

Dieses einmalige Mass an Unabhängigkeit und Machtfülle muss in einem demokratischen Staat mit ebenso umfassender Rechenschaftspflicht und Transparenz und einer funktionierenden Aufsicht gepaart sein.

Die Aufsicht obliegt dem Bankrat, der allerdings interessanterweise einen wesentlichen Teil dieser Kompetenz an das erweiterte Direktorium der SNB zurückübertragen hat (Art 10.2 lit i Organisationsreglement SNB). Die Aufsicht umfasst nur die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Handelns der SNB, nicht den Inhalt ihrer Entscheidungen. Das ist das Wesen der Unabhängigkeit.

Die Rechenschaftspflicht wird wahrgenommen, indem die SNB der Bundesversammlung jährlich einen Bericht übergibt, welcher aber explizit ausschliesslich «zur Information» dient. Der Öffentlichkeit gegenüber wird Rechenschaft in Form einer grossen Anzahl öffentlicher Reden wahrgenommen.

Kaum Debatten über die Geldpolitik

Interessanterweise findet in der Schweiz praktisch keine Debatte über die Geldpolitik statt. Das kann daran liegen, dass die Menschen zufrieden sind, oder es kann daran liegen, dass die Geldpolitik als sehr technisches Gebiet betrachtet wird, das Experten überlassen werden sollte. (Die Auswahl des Modelltyps von Militärflugzeugen ist allerdings auch etwas für Experten, und in diesem Bereich finden immer wieder öffentliche Debatten statt.)

Es könnte auch daran liegen, dass die Menschen nur vage verstehen, was die SNB wirklich tut, denn die Transparenz der SNB lässt zu wünschen übrig. Notenbanken waren früher alle sehr intransparent. Aber das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Es gehört heute zum Mindeststandard, zumindest die Protokolle der Sitzungen der entscheidenden Gremien zu veröffentlichen. Die SNB tut das nicht.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt. Was waren die Entscheidungsgrundlagen für die Einführung der negativen Zinsen? Wie kam die Einführung der Wechselkursuntergrenze zustande? Weshalb wurde deren Aufhebung entschieden? Gab es im Direktorium Dissens? Nach welchen Regeln erfolgen Deviseninterventionen? Diese und weitere Fragen bleiben dem Publikum schleierhaft, obwohl es eigentlich Transparenz erwarten dürfte.

Nur drei Personen entscheiden

Das ist besonders problematisch, weil in der Schweiz die wichtige Geldpolitik von einem Gremium entschieden wird, das, anders als in anderen grossen Notenbanken, aus nur drei Personen besteht.

Einer der grössten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Milton Friedman, hat vermerkt, dass eine unabhängige Notenbank zwar besser sei als eine politisch gesteuerte Notenbank, aber dennoch nicht unproblematisch: «Ein weiterer Mangel der Delegation der Geldpolitik an eine unabhängige Zentralbank, die über einen grossen Spielraum und viel Macht verfügt, ist das enorme Ausmass, in dem die Politik von einzelnen Persönlichkeiten abhängig gemacht wird.» (Milton Friedman, «Dollars and Deficits», 1968, S. 186.)

Die Unabhängigkeit der SNB von der Politik ist unbestritten. Aber die Öffentlichkeit sollte im Gegenzug über die Geldpolitik debattieren können. Die Voraussetzung dafür ist viel mehr Transparenz, als Gegenstück zur umfassenden Delegation von Macht an die SNB.

Artikel ist in der NZZ am Sonntag erschienen.

Der e-Franken

Urs Birchler

Vollgeld hat an der Urne verloren. Scheinbar. Der Kern der Idee — unser Geld soll SNB-Geld sein — lebt nämlich weiter in der viel einfacheren Form des elektronischen Zentralbankgeldes, des e-Frankens. Weshalb sollen wir nicht alle ein Guthaben direkt bei der SNB eröffnen können? Sicher, bequem, elektronisch. Und wenn die SNB nicht selber ein paar Millionen Konti führen will, läge hier nicht vielleicht die wahre Aufgabe für die arme Postfinance.

Verschiedene Zentralbanken sind daran, die Idee des Central Bank Digital Cash (oder Currency), CBDC, intern zu prüfen. Letzte Woche wurde die Idee aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert an einer SUERF-Konferenz (Do we need central bank digital currency? Economics, Technology and Psychology) in Mailand. Hier kurz einige der diskutierten Fragen.

  • Will das Publikum noch Bargeld in Papierform? In einzelnen Ländern geht der Notenumlauf stark zurück (Schweden als Paradebeispiel taugt allerdings nicht, da die Notenbank den Banken das Bargeld selber vergrault hat). In anderen steigt er.
  • Wäre e-Geld eine Art Bitcoin? Kaum eine Notenbank möchte sich mit anonymen Konti dem Vorwurf der Geldwäscherei aussetzen. Aber digitales Geld ist nicht gleichbedeutend mit Krypto-Geld und muss auch nicht unbedingt auf einer Blockchain beruhen. Ein herkömmliche Buchhaltung tut’s auch (Stichwort: accounts, not tokens). Die Frage bleibt: Wer hat Einblick in Kundendaten und Transaktionen? Die Notenbank? Ein zwischengeschalteter Abwickler? Nur Strafverfolger mit richterlicher Ermächtigung?
  • Wäre e-Bargeld verzinslich? Im Prinzip ja. Die technische Beschränkung, die einen Zins auf Banknoten praktisch Ausschliesst, bestünde bei e-Geld nicht. Möglich wäre auch eine negative Verzinsung. Die Notenbank könnte also das Geldaussgeben direkt anheizen. Dies gefiele vor allem jenen Ökonomen, welche die faktische Untergrenze der Bargeldverzinsung bei null als Deflationsursache sehen.
  • Verträgt sich zentrales e-Geld mit elektronischem Geld auf Bankkonti? Eher schlecht; im Krisenfall würden die Bankkunden ihr Geld rasch auf die Notenbank übertragen wollen.
  • Würden die Bilanzen der Notenbanken länger? Wie der Vize-Gouverneur der Banca d’Italia warnte: Ja, sehr. Im Umfang, in dem das Publikum von Bankeinlagen auf elektronisches Notenbankgeld umstiege, wüchsen die Bilanzen der Notenbanken und mit ihnen auch die Höhe der von diesen verwalteten Vermögen.
  • Gibt es schon Versuche? Ja, zum Beispiel den vom Gouverneur der Zentralbank von Uruguay vorgestellten Pilotversuch mit einem e-Peso.
  • Besteht eine Garantie, dass e-Geld nicht in der Verwendung eingeschränkt würde, z.B. „ungültig zum Erwerb von Alkohol“ oder von fossilen Brennstoffen, etc.? Diese Frage wurde in der Diskussion aufgeworfen; niemand wagte ein klares Nein.

Alle Präsentationen sind hier zugänglich. Eine ausführlichere Analyse der Pros und Contras von CBDC folgt hier zu gegebener Zeit. Vorläufiges Fazit: Der Fall für oder wider „Vollgeld light“ in Form von Central Bank Digital Cash ist verzwickter, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

Vollgeld-Autoritäten

Urs Birchler

Jörg Baumberger, mein Kollege von der UniSG, hat sich die Mühe gemacht, einige der von den Vollgeld-Initianten immer wieder zitierten Belege und Autoritäten genau anzusehen. Sein Bericht (hier im Volltext) ist ernüchternd:

  1. Die von den Initianten dauernd zitierte Studie der Copenhagen Business School: krass fehlerhaft. Die Reaktion der Initianten auf Feststellung der Fehler: im Stillen zugeben und öffentlich verschweigen.
  2. Die Behauptung, Island befinde sich auf dem Weg zum Vollgeld: Längst überholt.
  3. „Zeuge“ Thomas Mayer (ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank und bekennender Staatsskeptiker): wirr. Er befürwortet Vollgeld nur als Übergang zur Privatisierung des Geldwesens [wie das???] und hält Devisenmarktinterventionen der Zentralbank unter Vollgeld für unmöglich; bei Wechselkurs-Turbulenzen hälfen dann gemäss Mayer nur Kapitalverkehrskontrollen.
  4. Der (Vollgeld-)Vorschlag der IMF-Ökonomen von Kumhof&Benes: vom IMF mit einem fetten Disclaimer versehen und von den VGI-Vertretern (aufrund der vielleicht nicht so erfreulichen Implikationen) mittlerweile als Hirngespinst der Gegner abgetan.
  5. Ein Mitglied des akademischen Beirats der Kampagne meint, die Vollgeld-Idee beruhe auf einer ‚conception erronée de la monnaie‘; er stimme aber trotzdem „ja“, so als Denkanstoss.

Danke Jörg!