Zu viel direkte Demokratie? Die Unterschriftenhürde

Monika Bütler und Katharina Hofer

Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen hier noch etwas aus unserer aktuellen Forschung am Institut. Die Frage ist, wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl bei Volksinitiativen auf die Anzahl und die Art der eingereichten Initiativen auswirken würde. Die Kurzfassung der Antwort:  Daten und Modell zeigen, dass wohl tatsächlich mit weniger Initiativen zu rechnen wäre. Ob dies allerdings wünschenswert ist, ist a priori nicht so klar (und können wir auch nicht beurteilen).

Wer noch etwas mehr wissen will lese unten weiter. Wer noch viel mehr wissen will konsultiere unser Arbeitspapier (Autoren: Katharina Hofer, Christian Marti und Monika Bütler).

Bis zu viermal jährlich werden die Schweizer Stimmbürger an die Urnen gerufen, um über eidgenössische Vorlagen zu entscheiden. Viele Stimmen äussern sich kritisch zur „Initiativenflut“, welche insbesondere in den letzten Jahren einen Aufwärtstrend aufweist (die Abbildung  zeigt die Anzahl zustande gekommener Initiativen pro Dekade, Quelle: Bundesamt für Statistik (2015)). Der Stimmberechtigte werde überfordert, wie auch die eidgenössischen Räte, welche sich über den parlamentarischen Prozess mit einem möglichen Gegenvorschlag sowie Parteiparolen auseinander setzen müssen.

Initiativen1891bis2015

Unbestritten ist, dass die Hürden für neue Initiativen seit der Einführung der Eidgenössischen Volksinitiative 1891 deutlich gesunken sind: Mussten damals noch 3,4% der stimmberechtigten Männer das Begehren unterschreiben, sind es heutzutage nur noch 1.9%. Als Antwort auf die Verdoppelung der Stimmberechtigten durch Einführung des Frauenstimmrechts wurde die Unterschriftenhürde für das Zustandekommen von Volksinitiativen 1978 das erste und letzte Mal auf 100’000 erhöht. Bemerkenswert: zwischen der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und der Erhöhung der Unterschriftenzahl 1978 lag die Unterschriftenhürde noch tiefer als heute. (Vielleicht hat man damals den Frauen einfach noch nicht zugetraut, politisch aktiv zu sein). Auf jeden Fall stieg die Anzahl der zustande gekommenen Initiativen in dieser Zeit (71-80 versus 61-70) um mehr als das doppelte.

Um der direkten Demokratie eine Verschnaufpause zu gönnen und die Anzahl Initiativen zu reduzieren, wird heute wieder eine deutliche Erhöhung der Hürde propagiert. Avenir Suisse schlägt beispielsweise 211’200 Unterschriften vor, was einem Anteil von 4% der Stimmbevölkerung entsprechen würde.

Wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl auf die Zusammensetzung der Initiativen auswirken würde ist hingegen nicht so klar. Ist die Senkung der Anzahl der Volksbegehren das alleinige Ziel, wäre dies vermutlich ein effektives Instrument. Zwei weitere Effekte sollten jedoch nicht vergessen werden. Denn eine höhere Unterschriftenhürde bedeutet gleichzeitig höhere Sammelkosten zumal die Sammelzeit seit 1978 auf 18 Monate begrenzt ist.

Erstens bevorzugt eine höhere Unterschriftenzahl zahlungskräftige Initiativkomitees. Weniger einfach zu organisierende, aber vielleicht ebenso berechtigte Anliegen hätten eine geringere Chance, die Hürde zu nehmen. Zweitens beeinflusst die Erhöhung der Unterschriftenzahl die Zusammensetzung der zur Abstimmung kommenden Initiativen: Initiativkomitees mit grösserer Unsicherheit bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit, den Status Quo ändern zu können, werden möglicherweise durch die hohen Sammelkosten abgeschreckt. Initiativen mit höheren Erfolgschancen würden hingegen weiterhin lanciert und könnten folglich auch eher zu einem Gegenvorschlag oder gar zu einem direkten Erfolg an der Urne führen. Dabei können aber auch Initiativen mit ex ante geringer Erfolgswahrscheinlichkeit eine Bereicherung für die politische Diskussion darstellen.

In unserem Forschungspapier zeigen wir – auch anhand der Daten aller Volksinitiativen seit 1891 – auf, dass die Unterschriftenhürde nicht nur ein Filter für die Anzahl gestarteter Volksinitiativen ist, sondern gleichermassen auch die Charakteristika der zustande gekommenen Initiativen beeinflusst. Anliegen mit unsichereren Erfolgsaussichten, die aber potenziell ebenfalls einen Beitrag zur politischen Diskussion leisten, werden bei höheren Hürden womöglich nicht mehr lanciert. Dies sollte bei Reformvorschlägen der Initiative bedacht werden. Immerhin sind Initiativen in ihrer Natur ein Mittel der politischen Minderheiten.

 

Mein Jein zur Erbschaftssteuerinitiative

Marius Brülhart

Regelmässigen Lesern dieses Blogs ist vielleicht nicht entgangen, dass ich mich grundsätzlich für das Prinzip Erbschaftsbesteuerung erwärmen kann. Diese Steuer ist im Vergleich zu den meisten anderen Steuerarten verzerrungsarm. Auf besser Deutsch: Sie bremst das Wirtschaftswachstum kaum oder gar nicht. Zudem steigt die Masse der vererbten Vermögen in der Schweiz stetig an und bildet somit einen volkswirtschaftlichen Fluss welcher im Sinne eines umfassend angelegten Steuersystems nicht brachliegen sollte. Schliesslich spricht auch aus der – zugegeben subjektiven – Gerechtigkeitsperspektive vieles für die Erbschaftssteuer: Wenn man denn umverteilen will, dann langt man doch besser bei den Gewinnern der Geburtslotterie zu als bei Leuten, die sich ihr Vermögen im Schweisse ihres Angesichts erarbeitet haben.

Die Gegner der Erbschaftssteuerinitiative führen zudem diverse zweifelhafte Argumente ins Feld. Die Geschichte von den gefährdeten Familien-KMU scheint mir völlig überzeichnet. Es sei hier nur daran erinnert, dass die finanzielle Unabhängigkeit von Unternehmenserben wenig zu tun hat mit dem Erhalt der Arbeitsplätze. Und die immer wieder thematisierte Mehrfachbesteuerung ist im Kreislauf der Wirtschaft ein Makel, welches so gut wie jeder Steuer anhaftet. Ein geraumer Anteil der vererbten Vermögenswerte beruht zudem mutmasslich auf Kapitalgewinnen, und solche sind in der Schweiz steuerfrei (leider fehlen uns zur Quantifizierung dieser Vermögensbildungskomponente allerdings verlässliche Schätzungen).

Schliesslich ist auch der Idee einer Nachlass- statt Erbschaftssteuer Gutes abzugewinnen. Direkte Nachkommen sind zu Lebzeiten des Erblassers und durch die gesetzlichen Pflichtteile eh bevorzugt, und es leuchtet nicht ein, wieso sie auch noch steuerlich besser gestellt werden sollte als Erben, die sich durch besondere Leistung verdient gemacht haben; man denke an den treuen Nachbarn oder die sorgsame Altenpflegerin.

Und dennoch kann mich die am Sonntag zur Abstimmung anstehende Initiative nicht überzeugen.

Erstens erachten die Initianten die Erbschaftssteuer so quasi als gerechtigkeitsfördernden Selbstzweck. Egal was mit den Einnahmen passiert scheint es ihnen wünschbar, dass der Vermögenskonzentration Einhalt geboten werde. Ich sehe bisher jedoch noch keine überzeugenden Anzeichen, dass sich die ökonomische Macht in unserem Land zum Schaden des Durchschnittsbürgers in einigen wenigen Dynastien ballen würde. Daten aus anderen Ländern deuten eher darauf hin, dass das Erbvolumen zwar stetig zunimmt, die Erbschaften sich jedoch auch breiter verteilen (Piketty spricht von „petits rentiers“).

Dass mit reinen Verteilungsargumenten in der Schweiz keine Mehrheit zu gewinnen ist, war offensichtlich auch den Initianten klar. Sie schlugen somit vor, die Mehreinnahmen der AHV zukommen zu lassen. Dabei unterliessen sie es jedoch, im Verfassungstext festzuschreiben, dass die Erbschaftssteuereinnahmen eine entsprechende Senkung der AHV-spezifischen Lohn- oder Mehrwertssteuerprozente zu bewirken hätten. Somit ist die Fiskalquotenneutralität nicht garantiert, und wir stimmen nicht bloss über eine einnahmenneutrale Optimierung des Steuersystems ab sondern über eine zumindest potenzielle Erhöhung der gesamten Steuerbelastung.

Schliesslich beschneidet die Initiative unseren Steuerföderalismus. Dieser ist zwar gewiss keine heilige Kuh, hat uns bisher jedoch gut gedient und sollte nur mit grosser Zurückhaltung eingeschränkt werden. Die Befürworter halten die Kantone für unfähig, Erbschaften angemessen zu besteuern, da sie untereinander unter zu starkem Wettbewerbsdruck stehen. Wenn dem so wäre, könnte man eine Übertragung dieser Steuerhoheit auf die Bundesebene durchaus rechtfertigen. Gemäss meiner Forschungsergebnisse jedoch stehen die Kantone bei der Erbschaftssteuer in einem grösstenteils „vermeintlichen“ Steuerwettbewerb. Die Wanderungsreaktionen vermögender älterer Steuerzahler auf Erbschaftssteuerveränderungen sind nämlich schlicht zu klein um aus finanzpolitischer Sicht ins Gewicht zu fallen.

Somit dürften sich einzelne Kantone durchaus überlegen, ob sie die Erbschaftssteuer nicht doch wieder etwas höher ansetzen sollten – beispielsweise als Kompensation für eine Senkung von Vermögens- oder Handänderungssteuern, oder auch im Zusammenhang mit der anstehenden Unternehmenssteuerreform. Wenn der eine oder andere Stimmbürger vor diesem Hintergrund und angesichts der sich abzeichnenden Abfuhr der Vorlage ein taktisches Ja in die Urne legen würde, hätte ich dafür gewisses Verständnis.

Mozart am Zoll

Urs Birchler

Presseberichte, wonach die Violonistin Esther Hoppe am Pfingstfestival auf Schloss Brunegg auf Mozarts Geige spielen soll, haben düstere Erinnerungen wachgerufen: Vor fünf Jahren haben wir unter dem Titel Saitensprung bei batz.ch die Probleme kommentiert, denen eine Geige aus der Sammlung der Österreichischen Nationalbank beim Schweizer Zoll am Flughafen Zürich begegnete.

Drücken wir Frau Hoppe die Daumen, dass diesmal die Geige das richtige Formular dabei hat und das Konzert nicht in die akkustisch ebenfalls aparte Transit-Lounge verlegt werden muss. Dennoch: Liquide Mozartliebhaber, die bereit sind, notfalls einen kurzfristigen Zollvorschuss in sechsstelliger Höhe zu leisten, mögen sich bitte vorsorglich raschmöglichst beim Konzertveranstalter melden.

Aus der Erbschaftssteuer schlüpfen

Monika Bütler

Der FDP Präsident Philipp Müller ärgert sich über die Meili-Brüder, welche die Erbschaftssteuerinitiative finanziell und ideell unterstützen. 3 Brüder teilen ihren Reichtum, heisst es auf der Webpage der Meilis – tatsächlich teilen die Brüder allerdings nur den Teil ihres Reichtums, den sie durch eine clevere Transaktion (eine rechtzeitige Überschreibung von Immobilien) gespart hätten, sollte die Initiative am 14. Juni angenommen werden.

Dennoch: Philipp Müller sollte sich nicht so sehr aufregen. Denn Meilis liefern gerade selber ein schönes Argument gegen die vorgeschlagene Erbschaftssteuer: Die Schlauen finden nämlich oft ein gutes Schlupfloch aus der Steuerpflicht. Im Falle der Meilis durch eine rechtzeitige Überschreibung der Vermögenswerte. Auch die von den Befürwortern zur Besänftigung der Gemüter vorgeschlagene Privilegierung der Familienfirmen hat ihre Tücken: Bei einem Vermögen von 30 Millionen lohnt sich der Aufwand, zur Vermeidung der Steuern ein Familienunternehmen zu gründen (batz and friends economic consulting), bei einem Vermögen von 3 Millionen ist dies wahrscheinlich zu umständlich.

Lars Feld, Wirtschaftsweiser in Deutschland, bezeichnet denn auch die Erbschaftssteuer als die grösste Dummensteuer. Soweit würde ich nie gehen. Tatsache ist aber, dass die richtig Vermögenden viel bessere Möglichkeiten haben, ihren Nachlass zu ihren Gunsten zu gestalten als die nicht ganz so Vermögenden. So ist es in vielen Ländern möglich, Stiftungen zu gründen, die dann später wieder primär (oder ausschliesslich) der Familie zukommen. Etwas plakativ ausgedrückt: Die Halbreichen zahlen die Erbschaftssteuer an den Staat, die ganz Reichen bestimmen selber, was mit dem Geld gemacht wird. Kampagnen unterstützen, zum Beispiel.

Ich bin selber nicht gegen eine moderate Erbschaftssteuer. Als im Kanton Waadt die damalige Erbschaftssteuer zur Diskussion stand, habe ich mit der Mehrzahl meiner damaligen Kollegen an der Uni Lausanne eine prise de position économistes HEC unterzeichnet zur Beibehaltung einer moderaten Einkommenssteuer (Gegenvorschlag der damaligen Regierung). Die Initiative, die am 14. Juni zur Abstimmung gelangt, würde ich allerdings nicht als moderat bezeichnen; sie ersetzt keine andere Steuer, hat eine Zweckbindung (ein ökonomischer Unsinn), unterscheidet nicht zwischen direkten Nachkommen und anderen Erben (4 Kinder, die zusammen 3 Millionen erben zahlen Steuern – die einzige Schwester, die 2 Millionen erbt, zahlt nichts) usw.

Erbschaften auf Jahrhunderthoch

Marius Brülhart

Am 14. Juni stimmen wir ab über die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer. Somit ist die Studie von Thomas Piketty zur langfristigen Entwicklung der Erbschaften in Frankreich nun auch für die Schweiz von einigem Interesse.

Piketty zeigt auf, dass Erbschaften seit einem Tiefpunkt in den Nachkriegsjahren wieder stetig an Gewicht gewinnen. Gemäss seiner aktuellsten Schätzung beträgt der Umfang der Erbschaften und Schenkungen derzeit ungefähr 15% des Volkseinkommens und könnte bis zum Jahr 2060 wieder die wirtschaftliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts erlangen.

Piketty hat in statistischer Hinsicht einigermassen leichtes Spiel, indem er sich auf Frankreich konzentriert. Dort werden Erbschaften seit 1791 nämlich umfassend registriert (und besteuert). Diese Errungenschaft der französischen Revolution beschert der Forschung sehr detailliertes und über die Zeit vergleichbares Datenmaterial.

Die Schweiz bietet uns keine solch reichen Datenschätze. Erbschaften werden seit je nur von den Kantonen besteuert und sind statistisch schlecht dokumentiert.

Andererseits hat die Eidgenossenschaft seit 1911 Vermögenssteuern erhoben, worauf basierend man Datenreihen zur Entwicklung der Privatvermögen erstellen kann. Mittels einer relativ einfachen Formel lässt sich das volkswirtschaftliche Gewicht der jährlich vererbten Summen indirekt messen. Die konkrete Umsetzung dieser Messmethode bedarf einiger zum Teil recht starker Annahmen und Annäherungen, doch angesichts des Interesses der Thematik habe ich in einem Arbeitspapier mit Elodie Moreau den Versuch gewagt.

Die unten stehende Grafik aus unserem Papier zeigt, wie sich der Anteil der Erbschaften und Schenkungen am Schweizer Volkseinkommen im Verlauf der letzten hundert Jahre entwickelt hat. Als Vergleich sind entsprechende Schätzwerte für Frankreich und Deutschland abgebildet.

Zur Zeit der Belle Epoque hatten Erbschaften in der Schweiz weniger Gewicht als in den beiden Nachbarländern. Unsere Schätzung für 1911 ist zwar um einiges unpräziser als diejenigen für spätere Jahre (daher die gestrichelte Linie), aber der errechnete Unterschied zwischen der Schweiz einerseits und Deutschland und Frankreich andererseits ist so gross, dass er wohl nicht bloss von Messfehler herrührt.

Umso eindrücklicher ist der Anstieg der Erbschaften in den letzten vier Jahrzehnten, von 5% im Jahr 1975 auf nunmehr über 13% des Volkseinkommens. Erbschaften in der Schweiz haben also offenbar eine seit mindestens hundert Jahren nicht erreichte Bedeutung erreicht – Tendenz weiterhin steigend.

In Franken ausgedrückt entspricht unser geschätzer Wert für 2011 einer vererbten Summe von 61 Milliarden. Extrapoliert auf 2015 (mittels der beobachteten Vermögenszuwachsraten von 2009 bis 2013) sind das gar 76 Milliarden Franken.

Die zunehmende Bedeutung der Erbschaften rührt von drei wichtigen Entwicklungen her. Erstens beobachtet man seit dem Ende der Nachkriegs-Boomjahre einen stetigen Anstieg der Vermögen relativ zu den Einkommen. Zweitens werden Menschen angesichts zunehmender Lebensdauer zum Zeitpunkt ihres Todes im Durchschnitt reicher. Und drittens wird der Umfang von Schenkungen zu Lebzeiten (die wir ebenfalls einberechnen) stetig grösser.

Was sagen uns diese empirische Befunde hinsichtlich der Besteuerung von Erbschaften? Einerseits liegt der Schluss nahe, dass der Fiskus das Steuersubstrat Erbschaft angesicht seiner steigenden Bedeutung nicht brachliegen lassen sollte, zumal die Erbschaftssteuer eine ökonomisch vergleichsweise verzerrungsarme Steuer darstellt. Einer Verschiebung der Steuerlast hin zu Erbschaften, und weg vom Faktor Arbeit und von den selber angesparten Vermögen, wäre aus ökonomischer Sicht wenig entgegenzuhalten.

Andererseits kann man daraus nicht schliessen, dass die Erbschaftsbesteuerung auf Bundesebene zu geschehen hat. Gemäss meiner früheren Studie mit Raphaël Parchet reagieren vermögende ältere Menschen nämlich kaum auf Veränderungen bei der Erbschaftsbesteuerung. Die Kantone könnten Erbschaften somit durchaus stärker besteuern, ohne Furcht vor Steuerwettbewerb.

Schliesslich gilt es zu bemerken, dass eine Zunahme der Erbflüsse nicht zwangsläufig eine wachsende dynastische Konzentration von Grossvermögen bedeutet. Piketty selber stellt fest, dass die Erbschaften der Gegenwart breiter und gleichmässiger verteilt sind als vor hundert Jahren (er spricht etwas süffisant von „petits rentiers“). Wir wissen nicht, wie es in der Schweiz um die Entwicklung der Ungleichheit unter Erben, und zwischen Erben und Nichterben, bestellt ist. Ein blendendes Thema für ein nächstes Forschungsprojekt.

Erbschaften in % des Volkseinkommens

Der Frauenfilter im Banking

Urs Birchler

Im Januar führten wir (Institut für Banking und Finance, UZH) zusammen mit der UBS das bereits traditionelle Banking Simulation Game durch. (Danke an die UBS, insbesondere an Christoph Rüttimann, Claudio Frei und Urs Bürli für Organisation, Mitarbeit, Infrastruktur einschliesslich Simulationsprogramm und Gastfreundschaft!).

Dabei fiel mir auf, dass in keiner der konkurrierenden „Banken“ (=Vierergruppen) eine Frau als CEO gewählt wurde. Zufall?

Hier die Statistik der beiden Durchführungen (Gruppen wurden alphabetisch nach Nachnamen gebildet, d.h. geschlechtsmässig zufällig):

  1. 7 Gruppen (à 4 Mitglieder); insgesamt 5 Frauen, davon 2 in derselben Gruppe, die anderen je einzeln in einer Gruppe.
  2. 7 Gruppen mit je genau einer Frau.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei rein zufälliger Wahl des CEO keine Frau zum Zuge kommt beträgt in Durchführung 1 rund 21% (0.5 x 0.75^3), in Durchführung 2 rund 13% (0.75^7). Die kombinierte Wahrscheinlichkeit, dass in keinem der beiden Durchgänge eine Frau CEO wird, beträgt somit magere 2.8 Prozent.

Leider sagt die Statistik nichts darüber aus, ob die Frauen nicht durften oder nicht wollten. Oder ob sie glaubten, sie dürfen nicht, oder ob die Männer glaubten, die Frauen wollten nicht… Dies liegt irgendwo in den Finesssen der menschlichen Kommunikation versteckt.

Sozialstaat und Anstand

Monika Bütler

Publiziert am 28. Dezember 2014 in der Schweiz am Sonntag

„You got the exchange rate wrong!“ (da stimmt etwas nicht mit dem Wechselkurs!) – diese Reaktion kommt prompt, wo immer ich im Ausland meine Forschung zu den schweizerischen Sozialversicherungen präsentiere,. Klar, die Schweiz sei reich, teuer, das Lohnniveau hoch, aber das von mir ausgewiesene Leistungsniveau müsse auf einem Rechenfehler beruhen. Tut es nicht. Unser Sozialstaat ist im internationalen Vergleich kaufkraftbereinigt sehr grosszügig –  die Leistungen sind hoch auch im Vergleich zum verfügbaren Einkommen arbeitender Mitbürger.

Wer jetzt denkt: „Typisch! Neoliberale Ökonomin will Leistungen kürzen“, täuscht sich. In einer idealen Gesellschaft wäre die Vollversicherung erstrebenswert, auch für Ökonomen: Wer bisher netto 5000 Franken zur Verfügung hatte, soll auch nach einem Notfall gleich viel ausgeben können.

Nur ist die Gesellschaft nicht ideal. Bei einer Vollversicherung zieht nicht jeder die Arbeit der Musse vor; Arbeitsunfähigkeit lässt sich nicht immer objektiv belegen, gewisse Krankheiten noch weniger. Es ist empirisch belegt: Je höher die Leistungen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass Unberechtigte Renten beantragen und erhalten. Studien finden aber auch, dass Kontrolle ein stumpfes Instrument gegen solchen Missbrauch ist;   zudem verwehrt sie einem Teil der wirklich Kranken die Unterstützung zu Unrecht. Niedrige Sozialleistungen bewirken zwar weniger Missbrauch – allerdings um den Preis einer schlechten Absicherung.

Die Schweiz ist mit ihrem grosszügigen Sozialsystem bisher nicht schlecht gefahren. Doch warum? Haben wir besonders gute Kontrollen, die unberechtigte Bezüger abschrecken? Vielleicht. Doch wichtiger ist ein anderer Grund: Die Schweiz profitiert vor allem vom Anstand ihrer Bürger. Viele, die auf dem Papier Anspruch auf staatliche Leistungen hätten, je nach Art der Unterstützung bis zu 50%, beanspruchen diese nicht.

Warum nicht? „Wil si Hemmige hei“, sang Mani Matter. Die meisten freiwilligen Nichtbezüger sind nicht einfach unwissend, sondern anständig. Sie hätten zwar Anrecht auf Hilfe, brauchen diese aber nicht. Lohnausweis und Bankkonto sind als Momentaufnahmen miserable Bilder der finanziellen Lebenssituation einer Person. Erwartete Erbschaften, künftiges Einkommen, Unterstützungen durch Verwandte und nichtgeldwertige Einnahmequellen bleiben den Behörden verborgen.

Solange die Hemmungen bestehen, bleiben die hohen Sozialleistungen und die grosszügigen Subventionen noch eine Weile finanzierbar. Aber nur dann. Während die demographische Bombe heute in aller Munde ist, spricht kaum jemand von der tickenden Anstandsbombe.

Ist der Anstand denn am bröckeln? Indizien lassen dies vermuten. Die Hemmung, Sozialleistungen zu beanspruchen, sinkt anscheinend auch in der Schweiz. Staunend liest man, dass Krippensubventionen und vergünstigte Wohnungen an Leute gehen, denen der Staat zuvor das Studium finanziert hat. Als wegen der drohenden nationalen Erbschaftssteuer eilig Vermögen und Häuser überschrieben wurden, beklagten sich die Erben über den Verlust von Subventionen für Krippen und Krankenkasse. Wie titelte doch Das Magazin einst so schön: „Wir Abzocker“.

Eines geht gern vergessen: Ein grosszügiger Sozialstaat muss erst einmal berappt werden. Je fairer die Steuerzahler die Gegenleistungen des Staates und das Steuer-Transfersystem einschätzen, desto höher ihre Steuermoral. Und je ehrlicher die Steuerzahler desto tiefer die Steuerbelastung. Wir zahlen Steuern im Vertrauen, dass sich die Mitmenschen an geschriebene und ungeschriebene Regeln halten – also auch, dass staatliche Unterstützung  nicht zu einem Selbstbedienungsladen führt.

Der Anstand der Leistungsbezügee und die Moral der Steuerzahler bilden ein Gleichgewicht, welches die Schweiz so lange ausgezeichnet hat. Allerdings ein labiles. Sinkt der Anstand, leidet die Steuermoral, und der Sozialstaat ist nicht mehr finanzierbar. Mit dem Wechselkurs stimmte dann tatsächlich etwas nicht: mit dem Wechselkurs zwischen Erwerbseinkommen und Sozialleistungen.

Die starke Frau als schwaches Anhängsel

Monika Bütler

Als Ergänzung zu den beiden wunderbaren Artikeln von Xenia Tchoumitcheva und Nicole Althaus in der heutigen NZZ am Sonntag. Frau muss nicht einmal schön und jung sein, auch spröderen mittelalterlichen Exemplaren wird die Kompetenz abgesprochen.

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Bütler, wir freuen uns, Sie und Ihre Familie in unserem Gasthaus begrüssen zu dürfen. So wurde meine Buchung bestätigt, die ich mit meiner HSG-emailadresse und dem Namen Monika Bütler getätigt hatte. Am Ferienort angekommen wurden wir herzlich begrüsst: Als Herr Professor Dr. Bütler und Frau Bütler. Auf die Intervention meines Mannes wurden dann unsere Tischkärtchen in Herrn Dr. Birchler und Frau Bütler geändert. Eine zweite Intervention – mit dem Hinweis, dass wir keinen Wert auf Titel legten, aber wenn schon, bitte die korrekten – hatte keine Folgen. Eine dritte wurde mit einer scheuen Bemerkung der jungen Dame am Empfang quittiert: Das hätte sie ihrem Kollegen schon gesagt, aber der meinte, das könne nicht sein. Wir gaben auf. Noch immer erhalten wir Angebote des Hotels: an meine HSG-Adresse – für Herrn Professor Dr. Birchler.

Ähnliche Geschichte mit unserem gemeinsamen Bankkonto. Bis vor kurzem stand in der Anschrift nur der Doktortitel (später der Professorentitel) meines Mannes, die wichtigen Informationen wurden nur an meinen Mann gesandt. Dies obwohl das Stammkonto unter meinem Namen läuft und mein Mann erst viel später dazu stiess. Als wir bei der Bank eine Hypothek aufnahmen, baten wir zusammen mit der Adressänderung auch, dass doch bitte entweder die Titel gelöscht werden oder auf den neuesten Stand gebracht werden. Resultat: Neue Adresse mit Herrn Prof. Dr. Birchler, Frau Bütler. Erst als ich kürzlich als Referentin für einen Kundenanlass der Bank angefragt wurde und die Geschichte erzählte, reagierte die Bank.

Etwas weniger lustig ist es, wenn mir als Frau auch die Kompetenzen abgesprochen werden, nur weil mein Mann im gleichen Fach ist. Ein Student monierte bei einer Lehrevaluation, dass ich Folien meines Mannes verwendet hätte (es war umgekehrt). Und ein Journalist stellte die neuen Mitglieder eines Gremium wie folgt vor: Bei meinem Kollegen wurde die fachlichen Qualifikationen erwähnt, bei mir die frühere Arbeitgeberin meines Mannes. So nachdem Motto: er kann etwas und sie hat wenigstens einen Mann, der etwas kann. Ich nehme nicht an, dass der Student und der Journalist böse Absichten hatten. Der Reflex ist einfach: Der Mann ist besser.

(Was) würde uns eine Abschaffung der Pauschalsteuer kosten?

Marius Brülhart

Gemäss NZZ „hätte die Abschaffung der Pauschalsteuer einen wirtschaftlichen Preis“. Die Frage lautet demnach einzig, wie hoch dieser Preis zu stehen käme – oder anders ausgedrückt, wie viel Steuer- und BIP-Franken uns das zusätzliche Stück Steuergerechtigkeit kosten würde. Der Autor des Artikels drückt sich zwar vorsichtig aus, prognostiziert aber dennoch „eine Einbusse der jährlichen Wertschöpfung in Milliardenhöhe sowie ein Verlust von Arbeitsplätzen in vier- oder fünfstelliger Höhe“.

Ob eine Annahme der Initiative überhaupt volkswirtschaftliche Nettokosten verursachen würde, scheint kaum jemand zu bezweifeln. Doch können wir tatsächlich mit Gewissheit davon ausgehen, dass uns eine Annahme der Initiative per Saldo etwas kosten würde?

Die rote Null, welche die Pauschalsteuer-Abschaffung dem Zürcher Fiskus beschert hat, ist ein gewichtiger Hinweis darauf, dass sich dieses Steuer-Instrument in fiskalischer Hinsicht nicht unbedingt lohnt.

Demgegenüber führt die NZZ zwei Bedenken ins Feld. Erstens generieren Pauschalbesteuerte durch ihren Konsum Wertschöpfung, welche wiederum Arbeitsplätze, Einkommen und damit verbundene zusätzliche Steuereinnahmen nach sich zieht. Und zweitens muss man nicht nur das Verhalten der existierenden Pauschalsteuerzahler betrachten sondern auch bedenken, wie sich eine Abschaffung dieser Steuer auf künftige Zuzüge reicher Ausländer niederschlagen würde.

Beide Aspekte sind absolut relevant, doch ihre Beurteilung ist nicht ganz so einfach, wie man meinen könnte.

Nehmen wir den Wegfall von Konsum durch Pauschalbesteuerte. Wäre dieser wirklich so gravierend, wenn ca. ein Drittel dieser Steuerzahler die Schweiz verlassen würde (eine angesichts der Zürcher Erfahrungen plausible Grössenordnung)? Auch hier hängt der Nettoeffekt nicht nur davon ab, wie viele wegziehen würden, sondern auch, wie die verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten reagieren würden. Ein oft übersehener Effekt der Pauschalbesteuerung ist nämlich, dass sie für die betroffenen Steuerzahler Anreize schafft, in der Schweiz auf relativ kleinem Fuss zu leben. Gerade nach ihren Ausgaben hierzulande richtet sich ja ihre Steuerrechnung. Somit liegt es im Interesse eines Pauschalbesteuerten, seine Steuerresidenz in der Schweiz relativ bescheiden zu halten, und die wirklich grossen Ausgaben irgendwo im Ausland zu tätigen. Dazu kommt, dass den Pauschalbesteuerten eine wirtschaftliche Tätigkeit in der Schweiz untersagt ist. Somit werden diese Ausländer davon abgehalten, ihr Kapital und unternehmerisches Talent in unserem Land einzusetzen – was beispielsweise in Vitznau zu reichlich bizarren Diskussionen führt.

Die nach einer Abschaffung verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten hätten also Anreize, sowohl ihren persönlichen Konsum wie auch ihre unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise vom Ausland in die Schweiz zu verlagern. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Anreizeffekt die wegzugsbedingten Verluste teilweise oder ganz wettmachen könnte.

Was die künftigen Zuzüge reicher Ausländer betrifft, gilt dieselbe Logik wie bei den bereits hier niedergelassenen Pauschalbesteuerten: Dass es ohne Pauschalsteuer weniger wären, steht ausser Frage. Aber dass gar keine derartigen Personen mehr zuziehen würden, wie im Artikel implizit angenommen, ist absolut unrealistisch. Ein Teil der derzeit anwesenden Pauschalbesteuerten wäre auch ohne dieses Steuerprivileg in die Schweiz gezogen, und andere würden das auch ohne Pauschalsteuer in der Zukunft tun. Ihnen offeriert die Pauschalbesteuerung einen klassischen Mitnahmeeffekt – Steuerersparnisse, auf welche sie eigentlich zu verzichten bereit wären ohne der Schweiz den Rücken zu kehren.

Unter dem Strich schlüge eine Pauschalsteuer-Abschaffung daher sowohl in fiskalischer wie auch in gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht unbedingt negativ zu Buche. Möglicherweise verkaufen wir uns derzeit zu billig.

Goldinitiative: Der Rumpelstilzchen Effekt

Urs Birchler

Wir haben behauptet (zusammen mit einem Teil der Presse), dass die Goldinitiative eine Einladung an Spekulanten darstellt, sich auf Kosten der Schweizerinnen und Schweizer zu bereichern. Und zwar massiv.

Primäreffekt: Bei Annahme der Initiative würde die SNB gezwungen, innert fünf Jahren für 61 Mrd. Franken Gold zu kaufen. Beim heutigen Goldpreis sind das 1’600 Tonnen, bzw. 2,5 Prozent des weltweit vorhandenen Barrengoldes (des nicht-verarbeiteten Teils des Weltgoldbestandes; siehe GFMS Gold Survey 2014, S. 53). Eine Zusatznachfrage von 2,4 Prozent erhöht den Goldpreis um schätzungsweise ebenfalls 2,4 Prozent. (Genauer gesagt: es kommt auf die sogenannte Elastizität an; diese liegt beim Gold als sicherer Hafen unter eins, bei Gold als Luxusgut über eins; wir rechnen daher mit dem Mittelwert von eins). Der gesamte Goldbestand stiege daher im Wert um um 167 Mrd. Franken (gesamter Welt-Goldbestand), um 62 Mrd. Franken (nur Barrengold), bzw. um 20 Mrd. Franken (Gold bei Privatinvestoren).

Sekundäreffekt: Noch nicht eingerechnet sind die Gewinne der Goldbesitzer, die durch künftige Goldkäufe der Nationalbank entstehen, wenn diese die Kursuntergrenze zum Euro von 1.20 Franken verteidigen muss. Die Spekulation gegen die Kursuntergrenze (bei gleichzeitiger Goldspekulation) wird zunehmend attraktiv, da die Nationalbank immer teureres Gold kaufen muss. Wie der armen Müllerstochter im Märchen muss sie immer mehr anbieten, um zum geforderten Gold zu kommen. Am Ende muss sie ihr eigenes Kind aufgeben: die schweizerische Wirtschaft, die bei einer Preisgabe der Kursuntergrenze zusammenbricht.

Der Investor George Soros zwang 1992 die Bank of England in die Knie. Er spekulierte gegen das Pfund, welches innerhalb des Europäischen Wechselkurssystems EWS (einem gescheiterten Vorläufer des Euro) mit anderen europäischen Währungen durch feste Kurse verbunden war. Das britische Schatzamt borgte 15 Mrd. Pfund zur Verteidigung des Pfundes. Soros hielt mit 10 Mrd. Leerverkäufen dagegen und erreichte am Ende eine Abwertung um 15 Prozent. Netto blieb ihm ein Gewinn von 1,3 Mrd. Pfund.

Der gesamte Gewinn aus der Goldinitiative für Privatinvestoren liegt, wie oben erwähnt, schon nur aufgrund des Primäreffekts, um ein Vielfaches höher. Wetten, dass Investoren Geld für Abstimmungspropaganda stiften? Darüber bald mehr bei batz.ch.