Nachts sind alle Batzen grau

Unsere älteste liberale Partei macht uns Sorgen. Das Leuchtfeuer der Freiheit war in den letzten Tagen im Steuerstreit eher ein Irrlicht. Wir sind aber zuversichtlich. Die FDP wird sich demnächst auf eine klare Linie festlegen. Wir sind gespannt, was da kommt: Ein Weissbuch zur Schwarzgeldstrategie oder ein Schwarzbuch zur Weissgeldstrategie?

Wir verstehen die Probleme der FDP. Vorsätzliche Steuerhinterziehung ist passé. Eine Weissgeldstrategie ist sympathisch (auch unseren Partnerländern, die letztlich entscheiden, was sie tolerieren und was nicht). Die Weissgeldstrategie ist aber nicht ganz einfach in der Umsetzung. Urs Birchler hat dies im Focus von Radio DRS ausgeführt. Monika Bütler gibt sogar zu: „Auch ich habe unversteuertes Geld auf der Bank: Der Lohn kommt nämlich Monate, bevor ich meine Steuererklärung einreiche.“ (Sie wird aber im Rahmen ihrer bewährten Weissgeldstrategie erneut ehrlich deklarieren).

Des Guten zuviel

In der heutigen NZZ findet sich ein spannender Aufsatz meiner früheren Doktorandin und Mitarbeiterin Monika Engler zur Umverteilung in der Schweiz. Interessant, wenn auch wenig überraschend: am wenigsten bleibt oft den Arbeitenden.

Monika schliesst mit folgenden Sätzen:

„Die hohen Versicherungsleistungen im Alter nähren den Verdacht, dass der Staat «zu viel des Guten» tut: Wenn der Lebensstandard mit der Pensionierung ansteigt oder Haushalte, die selber wenig Einkommen generieren (können), nach Transfers besser dastehen als Haushalte mit höheren Vor-Transfer-Einkommen, weist dies darauf hin, dass Einkommensrisiken überversichert sind. Dies ist nicht nur hinsichtlich negativer Arbeitsanreize problematisch, sondern auch deswegen, weil der einzelne Haushalt in der freien Bestimmung seines Einkommenspfads übermässig eingeschränkt wird. Der transferierende Staat senkt die Zahl der wählbaren Lebensentwürfe – das ist letztlich der Preis, der für die Sicherung des Lebensstandards bezahlt werden muss.“

Es lohnt sich übrigens, den ganzen Aufsatz zu lesen.

Und nachdem bei der Abstimmung am Sonntag auch die Angst um einen sinkenden Lebensstandard im Alter eine Rolle spielte, hier nochmals die schweizerische Realität.

Quelle: Engler (2009), die ausgezogenen Linien entsprechen den durchschnittlichen Einkommen von Alterskohorten über die Zeit.

Gruss aus Subventistan

Die Sonntagszeitung Online von heute meldet, dass Gewerkschaften und Krippenverband 5 Mia Franken für Kinderkrippen und ähnliche Einrichtungen verlangen.
Da wir gegenüber Milliardenbeträgen schon etwas abgestumpft sind: Umgerechnet auf alle Schweizer Kinder zwischen 0 und 5 Jahren entspricht dies etwa 13’500 Franken pro Kind und Jahr. Zur Finanzierung notwendig wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte oder einer Erhöhung der Einnahmen aus der direkten Bundessteuer um einen Drittel.

Erdbeeren zum Semesterbeginn

Das Frühjahrssemester hat begonnen. Das heisst für mich Unterricht auf der Assessmentstufe (1300 Studentinnen und Studenten) und wenig Zeit für Blogging.

Ein Ziel der Vorlesung ist, dass die Studenten lernen, empirische wirtschaftspolitische Studien zu interpretieren und zu hinterfragen. Als Illustration ein Beispiel. Verheiratete Männer leben im Durchschnitt deutlich länger als ledige. Dies kann auf zwei Arten interpretiert werden. 1) Verheiratete Männer leben länger weil sie verheiratet sind. 2) Männer mit einer höheren Lebenserwartung sind eher verheiratet. Die Kausalität (oder Ursache-Wirkungskette) kann somit in beide Richtungen gehen. Zur Information: Bei den Frauen ist die Korrelation zwischen Zivilstand und Lebenserwartung nur sehr schwach.

Damit die Studierenden über solche Zusammenhänge nachdenken, erhalten sie beinahe jede Woche eine Aufgabe zum Überlegen.

Hier die erste: Zwei Forschungs-Institute untersuchen den Zusammenhang zwischen Qualität und Preis von Erdbeeren. Studie A findet, dass die Qualität der Früchte tatsächlich mit dem Preis steigt, sich der höhere Preis der Delikatessgeschäfte somit rechtfertigt. Studie B findet genau das Gegenteil: Bei hohen Preisen ist die Qualität der Erdbeeren tendentiell schlechter. Welche Studie hat recht? Und wem dies zu einfach ist: Gibt es wirtschaftspolitische Fragen, die zu ähnlich unterschiedlichen Resultaten führen können?

Rentenklau durch Inflation

Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds IWF, der MIT-Professor Olivier Blanchard, schlägt eine Erhöhung des Inflationsziels auf circa 4% vor.

Erstaunlich am Vorschlag ist vor allem, wie wenig Echo er bisher ausgelöst hat. Er betrifft ja nicht nur die Geldpolitik, sondern auch den Staatshaushalt sowie die Einkommens- und Vermögensverteilung.  Das mögen abstrakte Grössen sein. Weniger abstrakt, aber offensichtlich unterschätzt ist, dass von höheren Inflationsraten auch Rentensysteme stark betroffen sind. So wird in der Schweiz momentan heftig über die vorgeschlagene sechsprozentige Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8% auf 6.4% gestritten. Eine Erhöhung der durchschnittlichen Inflationsrate von 1% auf 4% käme jedoch – über die ganze Rentendauer gesehen – einer Senkung des Umwandlungssatzes um bis zu 25% gleich. Ohne dass jemand etwas dazu sagen könnte.

Den stabilitätsgewohnten Schweizern dürfte gar nicht mehr klar sein, wie sehr schon eine relativ geringe Inflation die Kaufkraft der Renten schmälern kann. Im Alter von 75 Jahren – einem Alter, in dem fast 90% der Rentenbezüger oder deren rentenberechtigte Partner noch leben – ist bei einer nicht ausgeglichenen Inflation von 2% die Kaufkraft der Rente 18% tiefer als bei der Pensionierung, bei einer Inflation von 4% sind es bereits 34%. Bei einem zu hohen Umwandlungssatz dürfte auch der Passus im BVG, dass die „Pensionskassen die Teuerung der Altersrenten im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten ausgleichen“, ein frommer Wunsch bleiben.

Die Bürger-Rückhaltevorrichtung

Eine Zeitung meldete gestern, dass Kinder über sieben Jahre im Auto nun doch nicht schon ab dem 1. April 2010 ins Kindersitzli müssen. Diese Meldung ist falsch — leider. Bis heute gibt es nämlich keinerlei wissenschaftliche Evidenz, dass mit dieser Massnahme die Sicherheit der Kinder über das Angurten hinaus verbessert wird. Der wirtschaftliche Nutzen ist hingegen klarer: Produzenten der sogenennten „Kinderrückhaltevorrichtungen“, Grossverteiler und Verleger von Testmagazinen, dürften begeistert sein. Für alle anderen ist die Ausdehnung der Kindersitz-Pflicht im Auto teuer und nutzlos, wie ich im externen Standpunkt in der NZZ am Sonntag vom 29. November dargelegt habe.

Wer stoppt diesen beispiellosen bürokratischen Unsinn?

Hier mein externer Standpunkt in der NZZ am Sonntag vom 29. November 2009:

Kindersitze für 12 -Jährige sind eine lächerliche Vorschrift

Meine Schwester braucht nun doch keine Lizenz für die Betreuung unserer Kinder. Als Ersatz sozusagen haben sich die Bürokraten etwas anderes ausgedacht, was uns sicherer macht: Die Kindersitzpflicht im Auto für grössere Buben und Mädchen bis 12. Glücklicherweise haben wir kein Auto. Glücklicherweise? Nein, dummerweise, denn die Massnahme betrifft unsganz besonders. Bei akuter Atemnot mitten in der Nacht oder nach einem Skateboard-Unfall werden wir nun nicht mehr einfach ein Taxi rufen können: es kommt nur über den Umweg zur Taxizentrale oder – wahrscheinlicher – gar nicht mehr.

Als Mutter erstaunt mich zunächst, dass den Eltern nicht mehr zugetraut wird, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Normalerweise tun sie dies nämlich nicht schlecht: Dies zeigt ein Blick auf die Skipisten: Kaum ein Kind fährt mehr ohne Helm. Ohne dass dies vorgeschrieben wäre; einfach weil die Schutzwirkung den Eltern einleuchtet. Ein Verzicht auf die Sitzli-Pflicht für grössere Kinder hiesse ja nicht, dass diese Kinderrückhaltevorrichtungen (wie sie offiziell heissen) verboten würden.

Natürlich braucht es manchmal Regeln, zum Beispiel wenn Dritte gefährdet werden (Tempolimiten) oder wenn der Einzelne sein Gegenüber nicht kennt oder nicht auswählen kann (obligatorische Haftpflichtversicherung). Bei vielen Regeln übersteigen die Kosten jedoch den angestrebten Nutzen. Die Sitzli-Pflicht für grosse Kinder ist so ein Fall, und zwar ein krasser. Selbst wenn sich alle autofahrenden Eltern daran halten, nützt der Schaumstoff-Thron für Grosse praktisch nichts. Die Sitzhersteller präsentieren zwar eindrückliche Zahlen zur Schutzwirkung. Nur: In ihren Statistiken vergleichen sie stets „angegurtet im Sitz“ mit „nicht angegurtet und ohne Sitz“. Die Gurte macht aber den Unterschied.

Gurten alleine können beinahe den ganzen Unterschied in der Verletzungshäufigkeit und -schwere von Kindern zwischen 2 und 6 Jahren erklären. Dies zeigt eine sorgfältige Analyse von Unfällen in den USA (Doyle & Levitt, 2008). Die zusätzliche Schutzwirkung der Sitze im Vergleich zu Gurten („restrained in any way“) ist sehr gering und meist gar nicht messbar. Wenn das schon für die 2 bis 6 jährigen gilt, bei denen die Gurten ohne Sitze offensichtlich ungeeignet sind und für die ein Obligatorium auch kaum bestritten wird, dann ist nicht mit einer Verbesserung der Sicherheit der grösseren Kinder zu rechnen.

Am meisten gefährdet durch Unfälle im Strassenverkehr sind ohnehin nicht die Kinder, die im Auto sitzen. Doppelt so viele Kinder sterben als Fussgänger oder Fahrradfahrer, bei den schweren Verletzungen sind es gar sechs mal mehr. Es erstaunt daher nicht, dass mehr und mehr Eltern ihre Kinder per Auto zur Schule fahren und so – ohne böse Absicht – die zu Fuss gehenden Kinder noch mehr gefährden.

Die Ausdehnung der Kindersitz-Pflicht bis 12 Jahre ist somit eine nutzlose Steuer für autofahrende Eltern, eine sperrige Art Kindervignette, deren Erlös direkt zum Hersteller der teuren Sitze fliesst sowie zu den Grossverteilern und den Verlegern der Testmagazine. Besonders bestraft werden die Familien ohne Auto. Also diejenigen, die nicht nur zu einerbesseren Umweltbilanz beitragen, sondern auch dafür sorgen, dass nicht noch mehr Autos die Sicherheit der Kinder gefährden. Durch den Sitzzwang wird es schwieriger, den Alltag ohne Auto zu bewältigen. Die Koffer zum Bahnhof kann notfalls auch die Mama alleine im Taxi bringen. Mit dem Loch im Kopf der Tochter oder dem Asthma-Anfall des Sohnes mitten in der Nacht, kann sie nicht allein fahren. Was tun, wenn der Taxifahrer sich weigert, ein Kind ohne Sitz zu befördern? Mit einem grosszügigen Trinkgeld bestechen oder gleich die Ambulanz rufen?

Dies mag leicht übertrieben klingen. Es geht aber nicht nur um Kindersitze. Es geht um ein Geflecht von Vorschriften, das anscheinend unkontrolliert wuchert. Die Sitzli-Pflicht für grosse Kinder wird nicht der letzte Akt in diesem Stück sein. Wir werden zwar nicht müde, Nachbarländer zu bemitleiden für ihre hohe Regulierungsdichte, aber wir leisten uns offenbar eine Bürokratie, die einen florierenden Import der geschmähten Vorschriften betreibt. Dabei wird der Unsinn in gewohnt schweizerischer Manier noch perfektioniert: Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern werden bei uns die Taxis nämlich nicht von der Sitzpflicht für grosse Kinder ausgenommen. Am Ende liegt die Schweiz da wie Gulliver im Lande Liliput – gefesselt von einer Vielzahl von Fäden, die einzeln leicht zu zerreissen wären, aber in ihrer Gesamtheit unüberwindlich sind. Dies untergräbt dann auch das Ansehen von Vorschriften dort, wo sie gerade sinnvoll oder notwendig sind. Selten lag eine Verordnung auf dem Tisch, die in ihrer Nutzen-Kosten-Bilanz derart lächerlich anmutet wie die Kinderrückhaltevorrichtungspflicht bis zum 12. Lebensjahr. Schade muss sie nicht vor die Landsgemeinde.

Oud wordt te duur voor de fondsen

Alt wird zu teuer für die Pensionskassen. Wie in der Schweiz wird in den Niederlanden heftig über die Zukunft der Beruflichen Vorsorge gestritten. Interessanterweise gleichen sich die Systeme in den Niederlanden und der Schweiz sehr stark. So wird in beiden Ländern viel Wert auf Leistungsgarantien – Mindestverzinsung und Umwandlungssatz – gelegt. Und wie überall gefährden eine  höhere Lebenserwartung und geringere Kapitalmarktrenditendie langfristige Finanzierbarkeit der Beruflichen Vorsorge bei.

Anstatt an einzelnen Parametern zu schrauben wie die Schweiz wagt die Niederlande den Versuch, das System der Beruflichen Vorsorge als Ganzes auf solidere Füsse zu stellen. Der am letzten Mittwoch veröffentlichte Bericht der sogenannten Goudswaard Commissie enthält viele Aspekte über die es sich zu diskutieren auch in der Schweiz lohnen würde. Neben der wenig überraschenden Forderung, weniger ehrgeizige Leistungsziele anzustreben, sind dies insbesondere zwei Punkte:

1)  Hohe nominale Leistungsversprechungen (= hoher Umwandlungssatz) beschränken die Möglichkeit, die Renten an die Inflation anzupassen. Viele Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns vergessen lassen, wie wichtig eine Indexierung an die Inflation sein kann. So bedeutet eine Inflation von jährlich 2% (was für die Schweizerische Nationalbank immerhin noch knapp Preisstabilität heisst) eine kalte Rentenkürzung um einen Drittel nach 20 Jahren Ruhestand.  20 Jahre entspricht der restlichen Lebenserwartung im Alter von 65.
Der Goudswaard Bericht schlägt vor, die „weichen Rechte“ (Indexierung an die Inflation) gegenüber „harten Rechten“ (Umwandlungssatz) stärker zu gewichten.

2) Berufliche Vorsorgesystem beinhalten eine Verteilung der systemischen Risikos (Finanzkrisen, Lebenserwartung) auf verschiedene Generationen. Es ist daher kein Zufall, dass die stark auf Risikoteilung basierenden Systeme in den Niederlanden und der Schweiz die Finanzkrise relativ gut überstanden haben. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass die Risikoteilung zwischen den Generationen zu einer Umverteilung zu Lasten der Aktiven führt.

Der Goudswaard Bericht schlägt vor, die bis anhin unvollständigen Verträge über den Risikoausgleich zwischen den Generationen in vollständige Verträge umzuwandeln. Weniger technisch gesprochen hiesse dies beispielsweise, dass die Eigentumsrechte an den Überschüssen und Schwankungsreserven der Pensionskassen klar definiert würden. Oder dass bei Unterdeckung automatisch ein im Voraus definierter Sanierungsplan zur Anwendung kommt, an dem sich Aktive und Pensionierte beteiligen. Näheres findt sich in der Präsentation von Prof. Theo Nijman (Professor für Finance Tilburg University, Mitglied der Goudswaard Commissie) am Netspar Pension Workshop in Amsterdam.

Zur Gerechtigkeit risiko-„gerechter“ Prämien

Wer höhere Schäden verursacht, soll auch höhere Versicherungsprämien zahlen. Was in der Autoversicherung sinnvoll ist, führt in den obligatorischen Sozialversicherungen nicht immer zu wünschbaren Resultaten.

Sie sind ein schlanker Nichtraucher? Lesen Sie meinen Aufsatz in der gestrigen NZZ am Sonntag und überzeugen Sie Sich, dass auch Sie ein schlechtes Risiko sein können – nicht anders als die aus dem Balkan stammenden Neulenker in der Autoversicherung.