Saitensprung

Am Zürcher Flughafen hat sich eine Schlange gebildet. Die CEO’s und Verwaltungsratsmitglieder mehrerer Finanzinstitute und einiger Industrieunternehmen drängeln zum Zollschalter. Jeder will den Zuschlag als Erlöser der beschlagnahmten Geige. Die Kaution von Fr. 400’000.– ist ein Trinkgeld für Bezüger von Milliarden-Boni. „Endlich“, gesteht einer der Wartenden, „könnte ich wieder einmal sinnvoll Geld ausgeben — und erst noch Vielen eine Freude machen“.

Tatsächlich: Immer mehr verdienen (als die andern) mag zwar Spass machen. Immer mehr ausgeben hingegen ist ein Sau-Krampf. In mehr als einem Fünfstern-Hotel pro Nacht schläft kaum jemand. Die 100 reichsten Schweizer sind schlicht unfähig, auch nur einen Bruchteil ihres Einkommens, geschweige denn ihr Vermögen zu konsumieren. Viele Ausgaben (z.B. Kauf eines Ferienhauses) sind nämlich Investitionen, das heisst blosse Umschichtungen des Vermögens.

Die Schlange am Zoll gibt es, erstaunlicherweise, trotzdem nicht. Keiner unserer Spitzenverdiener war auf dem Sprung und schoss die Kaution vor.

Standortförderung light

Auf einer Webpage einer internationalen Schule habe ich folgendes Zitat gefunden:

„We consider xxx International School an asset for the Canton of Zurich – and not only for economic reasons.  Just as important are other, soft factors: for internationally mobile families, institutions like xxx represent far more than just a school.  They provide a place for social interaction among children and parents, for a close-knit family, and special community events outside the regular school day.“
Regine Aeppli, Head of Zurich Cantonal Education Department.

Leider geht es internationalen Schulen nicht besser als Google. Wegen der drastisch gekürzten Kontingente für Nicht-EU-Ausländer fehlen die Lehrer. Dabei gäbe es durchaus bewährte Alternativen zur Schweizerischen Einwanderungspolitik. Lesen Sie meinen Beitrag in der NZZaS vom 25. April 2010 hier.

Ein Studium des Nutzens von Nutzenstudien

Gestern in der NZZ gefunden: Ein interessanter Aufsatz zum fraglichen Nutzen der weitverbreiteten Nutzenstudien verfasst von meinem Berner Kollegen Reto Föllmi: Was nützen die Nutzenstudien?.

 „Der Stoff ist (leider) zeitlos“ schreibt mir Reto Föllmi; frühere Beiträge zumselben Thema haben auch nichts genützt.

Hier eine Auswahl:

Konsum hängt nicht von Bahn und Bus ab. Kritik an Studie zum öffentlichen Verkehr. Reto Föllmi und Urs Meister, NZZ 23. Oktober 2004.

Wie Studien die Wirtschaft fünfmal grösser machen. Tilman Slembeck, NZZ am Sonntag, 3. Dezember 2006.

Bass erstaunt. Fragwürdige Studie zum Nutzen von Sozialleistungen. Silvio Borner, NZZ 6. Januar 2007. Mit Folgebeitrag „Ökonomen glauben nicht an Wunder“, ebenfalls von Silvio Borner, NZZ 18. Januar 2007.

Woher nehmen?

Die SP Schweiz hat den Entwurf eines neuen Parteiprogramms vorgestellt. Mit vielen guten Ideen und noch mehr frommen Wünschen. Weniger schnell findet die Leserin Ideen, woher die Mittel für diese Wunschliste kommen könnten.

Zur Einnahmenseite habe ich nur folgendes gefunden (allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

 „Die Zuwanderung von Menschen im erwerbsfähigen Alter trägt zu wirtschaftlichem Erfolg, der Finanzierung der Sozialwerke und dem Ausgleich der Alterspyramide bei, stellt aber gleichzeitig hohe Anforderungen an die Integrationspolitik.“ (Seite 12)

 „Es braucht eine nationale Erbschaftssteuer, eine Kapitalgewinnsteuer, wirksame Schranken gegen den schädlichen Steuerwettbewerb und eine konsequente Weissgeld Strategie.“ (Seite 44)

Andere Hinweise zur Finanzierung der gewünschten Ausgaben erinnern mich eher an einen Stossseufzer eines US Politikers im amerikanischen Fernsehen vor einigen Jahren: „The tax payer should not have to bear these costs, the government should.“ 

Zum Beispiel:

„So könnten und sollten Pensionskassen zur Finanzierung öffentlicher Infrastrukturvorhaben herangezogen werden.“ (Seite 24)

 „Die Gesundheitspolitik muss dafür sorgen, dass die notwendigen Ressourcen dafür bereit gestellt und sozialverträglich finanziert werden.“ (Seite 30)

 „Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Verkehrs müssen verlässlich und langfristig finanziert werden. Die dafür geschaffenen Finanzierungsinstrumente (Fonds) sollen weitergeführt werden und auch den Substanzerhalt umfassen.“  (Seite 53)

Und vielleicht kann mir jemand bei Gelegenheit sagen, was genau mit solidarischer Finanzierung gemeint ist:

„Dem Service public kommen aus sozialdemokratischer Sicht drei  weitere, entscheidende Vorteile zu: Er wird demokratisch geregelt, solidarisch finanziert und hat Vorbildcharakter bezüglich Arbeitsbedingungen, Umweltverträglichkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“ (Seite 46)

Immerhin funktioniert der Service Public in der Schweiz im Grossen und Ganzen wirklich hervorragend – finanziert werden muss er trotzdem.

Wer schützt uns vor dem Datenschutz?

Ich war letzte Woche für einige Tage Sans-Papiers — das Portemonnaie wurde mir gestohlen. Mitsamt den Ausweisen. Für die Ausstellung eines neuen Passes oder einer neuen ID benötigt man einen Verlustschein der Polizei. Leichter gesagt als getan. Die Polizei hat zwar der Zugang auf die Datenbank der schweizerischen IDs und Reisepässe, nicht aber — aus Datenschutzgründen — auf die zugehörigen gespeicherten Fotos. Somit bleibt die einzige von der Polizei einwandfrei identifizierbare Information die Körpergrösse der bestohlenen Person. Diejenigen, die mit Kopien der Ausweispapiere auf dem Polizeiposten erscheinen (also nicht ich), sind wohl nicht das Problem. Bei allen anderen wäre eine optische Identifikation sicher hilfreich. Es fragt sich, wer hier vor wem datengeschützt werden soll. Wer – wenn nicht die Polizei – sollte denn Zugang zu diesen Daten haben?

Ich habe zu guter letzt den gewünschten Verlustschein erhalten — ohne Messung der Körperlänge.

RAV online – ein Erfahrungsbericht

Wir suchen eine Haushalthilfe mit circa 50%-Pensum. Das wäre keinen Blogeintrag wert. Dafür die Online-Stellenvermittlung Treffpunkt Arbeit: Die vom seco organisierte Informationsplattform ist zumindest aus der Sicht potentieller Arbeitgeber verbesserungsfähig — um es milde auszudrücken.

Eine Online-Suche nach Haushalthilfen/Haushälterinnen für den Arbeitsplatz Zürich lieferte am Stichtag 168 Hits. Die vom Computer ausgespuckte Liste enthielt folgende Information: Je eine Identifikationsnummer im Format AE123456, Kanton und Beruf. Neben einer für uns nutzlosen Nummer somit die zwei Suchbegriffe, die wir bereits selber eingegeben hatten. Hingegen keine brauchbare Kurzbeschreibung wie: „Ältere Italienisch sprechende Frau sucht 60% Stelle in Familie mit Kindern“, welche mindestens eine erste Vorauswahl zugelassen hätte.

Die 168 potentiellen Bewerberinnen müssen einzeln angeklickt werden. Das Studium der Einträge ist allerdings wenig ergiebig: Es finden sich auch im Dossier keine Informationen, die einem potentiellen Arbeitgeber erlauben würden, eine engere Auswahl zu treffen und sich dann mit dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) in Verbindung zu setzten. Abgesehen davon, dass alleine schon die Ansicht von 168 Profilen mehrere Stunden dauern würde.

Im Dossier finden sich Informationen zu Alter, Geschlecht, Führerausweiskategorie (meistens B) und detaillierte Infos über den Aufenthaltsstatus. Letzteres, obwohl des RAV kaum Personen ohne Arbeitsbewilligung vermitteln dürften. Der Wohnort wird nicht erwähnt,  dafür die Bereitschaft diesen zu wechseln (fast immer „nein“). Aus der Adresse des RAV ist dann der ungefähre Wohnort indirekt doch ersichtlich.

Aus gut gemeinten Datenschutzgründen nicht erwähnt wird die Nationalität. Bei einer Person mit Bewilligung F (= vorläufig aufgenommen) und Muttersprache Französisch wird es sich allerdings kaum um eine Französin handeln. Apropos Sprachen: Unter den aufgelisteten Kandidatinnen scheint es einige Sprachwunder zu geben, die neben ihrer Muttersprache mehrere Sprachen in Wort und Schrift gut beherrschen. Mindestens steht es so im Dossier.

Am Schluss bleibt Ratlosigkeit: Wie soll denn ein potentieller Arbeitgeber aufgrund dieser Angaben Kandidatin AE123456 (46, Aufenthalt B, Muttersprache Spanisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) von Kandidatin AE987654 (35, Aufenthalt C, Portugiesisch, Wohnortswechsel nein, Tagespendler) unterscheiden können? Es fehlen genau die Informationen, welche normalerweise in der Stellenvermittlung im Zentrum stehen: Frühere Erfahrungen, Fertigkeiten (Kochen? Bügeln?), Motivation, persönliche Angaben, Engagement, Flexibilität und zeitliche Verfügbarkeit.

Möglich, dass das RAV die Zügel selber in der Hand behalten möchten, weil es die Bewerberinnen besser kennt. Mit der gewählten Informationsstrategie steigt allerdings die Chance auf erfolgreiche Vermittlung kaum.

Harter Fall statt Härtefall

Eine Hiobsbotschaft für die Lehrerin unseres jüngeren Sohnes: Sie darf ab sofort nicht mehr unterrichten. Nein, sie hat weder gestohlen noch Kinder geschlagen. Es ist viel einfacher: Sie ist Südafrikanerin. Ihre Arbeitsbewilligung wird nach zwei Jahren erfolgreicher Tätigkeit nicht mehr verlängert.

Der Hintergund: Der Bundesrat hat das Kontingent für Arbeitsbewilligungen für Spezialistinnen und Spezialisten aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) halbiert. Es wird 2010 deshalb maximal 2000 unbeschränkte Aufenthaltsbewilligungen („B“) und maximal 3500 Kurzzeit-Aufenthaltsbewilligungen („L“) geben. Entsprechend werden die Kantone auch nur halb so viele Arbeitsbewilligungen erteilen können. Zu den Nicht-EU Staaten gehören Länder wie die USA, Kanada und Australien, aus denen von schweizerischen Firmen hoch begehrte Spezialisten kommen. IT Firmen, internationale Schulen und Forschungsanstalten sind von den Einschränkungen ganz besonders betroffen.

Zum Vergleich: Im Jahre 2009 erhielten rund 50’000 Personen aus EU17- und EFTA-Staaten B- und L-Aufenthaltsbewilligungen. Ferner erhielten 10’542 Personen Asyl, wurden vorläufig aufgenommen, oder ihr Aufenthalt wurde aus anderen Gründen mit einer fremdenpolizeilichen Bewilligung geregelt, davon 2700 aufgrund einer Härtefallregelung.

Unsere Kinder und ihre hoch-qualifizierte und engagierte Lehrerin werden nicht die einzigen sein, die unter der absurden Einwanderungspolitik leiden. Ein Härtefall ist dies offenbar dennoch nicht. Öffentlicher Widerstand gegen den Verhältnisblödsinn bei den Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen scheint sich auch nicht zu regen. Der nichtgewährte Härtefall für einen in der Schweiz mehrfach vorbestraften, in seinem Heimatland in keiner Weise bedrohten Kolumbianer rührte hingegen die Tränen der Härtefallkommission und füllte während Tagen mehrere Seiten im Tagesanzeiger.

Flirts und Zwangsehen in der Geldpolitik

Peter Keller kommentiert in der heutigen Weltwoche den Flirt des IWF Chefökonomen Olivier Blanchard mit höheren Inflationsraten. Leider ist auch eine moderate Inflation nicht so harmlos wie sie scheint. Die Kosten tragen in erster Linie die sozial schwächeren, die Kleinsparer und Rentner, die sich nicht vor den Folgen der Inflation schützen können. Aber auch die ganze Volkswirtschaft, wie die historischen Beispiele zeigen. Ein Flirt mit moderaten Inflationsraten zum Zweck der Schuldensanierung führt leicht zu einer Zwangsheirat mit hoher Inflation und Instabilität. Letztlich ist auch eine Scheidung von der Inflation teuer. Und die Scheidungskosten tragen ebenfalls die Kleinen. Der Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank Philipp Hildebrand und der Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber haben dem Vorschlag auch aus geldpolitischer Perspektive eine klare Absage erteilt. Die Argumente für eine höhere Inflation beruhten auf falschen Annahmen.

Woher das Wort „flirt“ kommt ist etymologisch nicht eindeutig geklärt.  Möglicherweise vom altfranzösischen fleureter, blumigen Unsinn schwatzen. Hoffentlich bleibt es diesmal beim Geschwätz. Lesetipp: Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Im Buch werden die dramatischen Folgen einer galoppierenden Inflation im Österreich der Zwischenkriegszeit beschrieben.