Die starke Frau als schwaches Anhängsel

Monika Bütler

Als Ergänzung zu den beiden wunderbaren Artikeln von Xenia Tchoumitcheva und Nicole Althaus in der heutigen NZZ am Sonntag. Frau muss nicht einmal schön und jung sein, auch spröderen mittelalterlichen Exemplaren wird die Kompetenz abgesprochen.

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Bütler, wir freuen uns, Sie und Ihre Familie in unserem Gasthaus begrüssen zu dürfen. So wurde meine Buchung bestätigt, die ich mit meiner HSG-emailadresse und dem Namen Monika Bütler getätigt hatte. Am Ferienort angekommen wurden wir herzlich begrüsst: Als Herr Professor Dr. Bütler und Frau Bütler. Auf die Intervention meines Mannes wurden dann unsere Tischkärtchen in Herrn Dr. Birchler und Frau Bütler geändert. Eine zweite Intervention – mit dem Hinweis, dass wir keinen Wert auf Titel legten, aber wenn schon, bitte die korrekten – hatte keine Folgen. Eine dritte wurde mit einer scheuen Bemerkung der jungen Dame am Empfang quittiert: Das hätte sie ihrem Kollegen schon gesagt, aber der meinte, das könne nicht sein. Wir gaben auf. Noch immer erhalten wir Angebote des Hotels: an meine HSG-Adresse – für Herrn Professor Dr. Birchler.

Ähnliche Geschichte mit unserem gemeinsamen Bankkonto. Bis vor kurzem stand in der Anschrift nur der Doktortitel (später der Professorentitel) meines Mannes, die wichtigen Informationen wurden nur an meinen Mann gesandt. Dies obwohl das Stammkonto unter meinem Namen läuft und mein Mann erst viel später dazu stiess. Als wir bei der Bank eine Hypothek aufnahmen, baten wir zusammen mit der Adressänderung auch, dass doch bitte entweder die Titel gelöscht werden oder auf den neuesten Stand gebracht werden. Resultat: Neue Adresse mit Herrn Prof. Dr. Birchler, Frau Bütler. Erst als ich kürzlich als Referentin für einen Kundenanlass der Bank angefragt wurde und die Geschichte erzählte, reagierte die Bank.

Etwas weniger lustig ist es, wenn mir als Frau auch die Kompetenzen abgesprochen werden, nur weil mein Mann im gleichen Fach ist. Ein Student monierte bei einer Lehrevaluation, dass ich Folien meines Mannes verwendet hätte (es war umgekehrt). Und ein Journalist stellte die neuen Mitglieder eines Gremium wie folgt vor: Bei meinem Kollegen wurde die fachlichen Qualifikationen erwähnt, bei mir die frühere Arbeitgeberin meines Mannes. So nachdem Motto: er kann etwas und sie hat wenigstens einen Mann, der etwas kann. Ich nehme nicht an, dass der Student und der Journalist böse Absichten hatten. Der Reflex ist einfach: Der Mann ist besser.

(Was) würde uns eine Abschaffung der Pauschalsteuer kosten?

Marius Brülhart

Gemäss NZZ „hätte die Abschaffung der Pauschalsteuer einen wirtschaftlichen Preis“. Die Frage lautet demnach einzig, wie hoch dieser Preis zu stehen käme – oder anders ausgedrückt, wie viel Steuer- und BIP-Franken uns das zusätzliche Stück Steuergerechtigkeit kosten würde. Der Autor des Artikels drückt sich zwar vorsichtig aus, prognostiziert aber dennoch „eine Einbusse der jährlichen Wertschöpfung in Milliardenhöhe sowie ein Verlust von Arbeitsplätzen in vier- oder fünfstelliger Höhe“.

Ob eine Annahme der Initiative überhaupt volkswirtschaftliche Nettokosten verursachen würde, scheint kaum jemand zu bezweifeln. Doch können wir tatsächlich mit Gewissheit davon ausgehen, dass uns eine Annahme der Initiative per Saldo etwas kosten würde?

Die rote Null, welche die Pauschalsteuer-Abschaffung dem Zürcher Fiskus beschert hat, ist ein gewichtiger Hinweis darauf, dass sich dieses Steuer-Instrument in fiskalischer Hinsicht nicht unbedingt lohnt.

Demgegenüber führt die NZZ zwei Bedenken ins Feld. Erstens generieren Pauschalbesteuerte durch ihren Konsum Wertschöpfung, welche wiederum Arbeitsplätze, Einkommen und damit verbundene zusätzliche Steuereinnahmen nach sich zieht. Und zweitens muss man nicht nur das Verhalten der existierenden Pauschalsteuerzahler betrachten sondern auch bedenken, wie sich eine Abschaffung dieser Steuer auf künftige Zuzüge reicher Ausländer niederschlagen würde.

Beide Aspekte sind absolut relevant, doch ihre Beurteilung ist nicht ganz so einfach, wie man meinen könnte.

Nehmen wir den Wegfall von Konsum durch Pauschalbesteuerte. Wäre dieser wirklich so gravierend, wenn ca. ein Drittel dieser Steuerzahler die Schweiz verlassen würde (eine angesichts der Zürcher Erfahrungen plausible Grössenordnung)? Auch hier hängt der Nettoeffekt nicht nur davon ab, wie viele wegziehen würden, sondern auch, wie die verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten reagieren würden. Ein oft übersehener Effekt der Pauschalbesteuerung ist nämlich, dass sie für die betroffenen Steuerzahler Anreize schafft, in der Schweiz auf relativ kleinem Fuss zu leben. Gerade nach ihren Ausgaben hierzulande richtet sich ja ihre Steuerrechnung. Somit liegt es im Interesse eines Pauschalbesteuerten, seine Steuerresidenz in der Schweiz relativ bescheiden zu halten, und die wirklich grossen Ausgaben irgendwo im Ausland zu tätigen. Dazu kommt, dass den Pauschalbesteuerten eine wirtschaftliche Tätigkeit in der Schweiz untersagt ist. Somit werden diese Ausländer davon abgehalten, ihr Kapital und unternehmerisches Talent in unserem Land einzusetzen – was beispielsweise in Vitznau zu reichlich bizarren Diskussionen führt.

Die nach einer Abschaffung verbleibenden Ex-Pauschalbesteuerten hätten also Anreize, sowohl ihren persönlichen Konsum wie auch ihre unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise vom Ausland in die Schweiz zu verlagern. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Anreizeffekt die wegzugsbedingten Verluste teilweise oder ganz wettmachen könnte.

Was die künftigen Zuzüge reicher Ausländer betrifft, gilt dieselbe Logik wie bei den bereits hier niedergelassenen Pauschalbesteuerten: Dass es ohne Pauschalsteuer weniger wären, steht ausser Frage. Aber dass gar keine derartigen Personen mehr zuziehen würden, wie im Artikel implizit angenommen, ist absolut unrealistisch. Ein Teil der derzeit anwesenden Pauschalbesteuerten wäre auch ohne dieses Steuerprivileg in die Schweiz gezogen, und andere würden das auch ohne Pauschalsteuer in der Zukunft tun. Ihnen offeriert die Pauschalbesteuerung einen klassischen Mitnahmeeffekt – Steuerersparnisse, auf welche sie eigentlich zu verzichten bereit wären ohne der Schweiz den Rücken zu kehren.

Unter dem Strich schlüge eine Pauschalsteuer-Abschaffung daher sowohl in fiskalischer wie auch in gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht unbedingt negativ zu Buche. Möglicherweise verkaufen wir uns derzeit zu billig.

Der Adler und das Gold der SNB

Urs Birchler

Wieviel ist etwas wert, das man nie verkaufen darf? Diese Frage stammt nicht aus der mündlichen Prüfung bei einem sadistischen Buchhaltungsprofessor, sondern sie stellt sich, falls die Goldinitiative angenommen wird.

Die Initiative verbietet der Nationalbank, Gold zu verkaufen. Die Nationalbank ist aber eine Aktiengesellschaft und muss als solche Buch führen (sie bucht gemäss Geschäftsbericht nach Swiss GAAP FER). Sie müsste also für den kraft Verfassung unverkäuflichen Goldbestand einen Wert einsetzen.

Ich habe meine Assistentin und Buchhaltungsspezialistin, Diana Festl-Pell, gefragt: Hat’s sowas schon mal gegeben. Antwort: ja (nachzulesen hier). Der amerikanische Künstler Robert Rauschenberg schuf 1959 ein Werk mit dem Titel „Canyon“, in welches er einen ausgestopften Adler integrierte. Nun verbietet „The Bald and Golden Eagle Protection Act“ den Besitz, Kauf, Verkauf, Tausch, Transport, Export oder Import dieser Adler, lebend oder tot, sowie ihrer Teile, Nester oder Eier bei Busse bis zu $10’000 und Gefängnis bis zu einem Jahr. Da der fragliche Adler bei Erlass des Gesetzes bereits tot war, kam der Künstler ungestraft davon, ebenso die Galeristin, die das Werk erworben hatte. Als sie jedoch aufgrund des Verkaufsverbots einen Wert von null in die Steuererklärung einsetzte, flatterte eine gesalzene Rechnung der Steuerbehörde (IRS) ins Haus: Aufgrund einer Einschätzung mit $69 Mio. eine Nachforderung von $29 Mio. Vermögenssteuer plus $11 Mio.$ Strafsteuer wegen zu tiefer Deklaration.

Die Unverkäuflichkeit störte den IRS nicht im geringsten. Ein Steuerbeamter regte sogar an, das Werk liesse sich ja auf dem Schwarzmarkt z.B. an einen chinesischen Investor verkaufen. Am Ende zäher Verhandlungen landete der Adler im Museum of Modern Art als Dauerleihgabe. Zu einem Gerichtsentscheid betreffend die Bewertung kam es leider nicht. Der Adler hilft also der Nationalbank nicht weiter.

In der Verzweiflung wandte ich mich an Prof. Conrad Meyer, die Schweizer Kapazität in Buchaltung schlechthin. Von unterwegs sandte er mir — ohne Gewähr — zwei spontane Ideen: Eine Variante wäre eine Bewertung gemäss FER 21, Ziffer 18 als „unveräußerliches Anlagevermögen“. Theoretisch (bei einer Liquidation der SNB) wäre das Gold wohl veräusserlich und daher nicht auf null abzuschreiben. Die andere Variante könnte sein, das Gold in der Bilanz als Anlagevermögen zu erfassen mit der Anmerkung, dass Anlagevermögen im Wert von X nicht veräusserbar ist. Die Zulässigkeit beider Varianten (und allfällige weitere Möglichkeiten) wäre aber erst noch zu prüfen.

Die Entscheidung dürfte im Zweifelsfall bei der Nationalbank, bzw. bei deren Revisionsstelle, liegen. Die Revisionsstelle entscheidet damit letztlich darüber, ob die Goldinitiative überhaupt umsetzbar ist (bei einer Bewertung zu Null wäre sie es nicht), bzw. wieviel Gold die Nationalbank überhaupt kaufen muss (bei einer Teilabschreibung viel mehr als die von der Initiative verlangten 20% der Aktiven). Die Revisionsstelle hätte es nicht leicht: Die plausiblere der beiden Varianten, die Bewertung zum Liquidationswert führt nämlich in eine ewige Schleife: Das Nationalbankgesetz sagt in Art. 32, Abs. 2:

Wird die Nationalbank liquidiert, so erhalten die Aktionärinnen und Aktionäre den Nominalwert ihrer Aktien sowie einen angemessenen Zins für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten des Auflösungsbeschlusses ausbezahlt. Weitere Rechte am Vermögen der Nationalbank stehen ihnen nicht zu. Das übrige Vermögen geht in das Eigentum der neuen Nationalbank über.

Diese dürfte es dann wohl ihrerseits nicht verkaufen. Ein buchhaltungsphilosophischer Leckerbissen, an dem wir uns die Zähne ausbeissen könnten. Vielleicht stellen wir das Gold am besten auch ins Museum.

Dichte ohne Einwanderung

Kurioserweise muss nun auch Tokyo als Illustration für den von Ecopop bekämpften Dichtestress herhalten. Kurios deswegen, weil Japan seit Mitte der 90-er Jahre nicht gewachsen und in den letzten paar Jahren sogar geschrumpft ist. Zudem kennt Japan kaum Einwanderung, der Anteil Ausländer ist mit rund 2% sehr klein. Auch eingebürgerte Ausländer gibt es sehr wenige.

Japan ist aus zwei Gründen ein interessantes Beispiel. Erstens illustriert das Land, dass ein bedeutender Teil der Dichte aus der Binnenwanderung stammt. Die Menschen ziehen somit freiwillig von weniger dicht bevölkerten Gegenden in die Städte desselben Landes. Zweitens zeigt Japan, dass ein Nullwachstum vielleicht doch nicht so erstrebenswert ist.

Zum ersten Punkt, der Binnenwanderung. In fast allen Ländern der Welt sind die Städte sehr viel stärker gewachsen als die ländlichen Gegenden (die oft sogar schrumpfen). Die Gründe sind vielfältig. Die gefühlte Lebensqualität in den Städten hat trotz Dichte offenbar zugenommen, Pendeln ist teurer geworden. Ganz besonders dürften aber ökonomische Gründe die Wanderung in die Städte begünstigen – dies wie oben aufgeführt auch ohne irgendwelche Einwanderung von aussen. Ein Forschungszweig der Volkswirtschaftslehre, die sogenannte Stadtökonomik oder urban economics“ befasst sich seit rund 20 Jahren mit diesem Phänomen. Ein starkes Wachstum der Städte wird dann beobachtet, wenn die Vorteile einer stärkeren Konzentration – Skalenerträge*, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Informationen und Netzwerken – gegenüber den Nachteilen wie Überlastung von Infrastruktur und Umwelt überwiegen.

(In Klammern: Die Australische Stadt Melbourne ist übrigens ein weiteres interessantes Beispiel. Die Stadt ist in den letzten Jahren pro Jahr rund 5% gewachsen, bis 2050 wird eine Verdoppelung der Bevölkerung erwartet. Der Hauptgrund dieser Bevölkerungsexplosion ist die Wanderung im Innern eines nicht wahnsinnig dicht bevölkerten Landes).

Zum zweiten Punkt, den Folgen des Nullwachstums. Wer Japan als gutes Beispiel eines erfolgreichen Umgangs mit Nullwachstem anfügt, muss Scheuklappen auf alle Seiten hin tragen. Einer relativ gut laufenden Wirtschaft in den Städten (ja genau: im Dichtestress), steht eine  schrumpfende Wirtschaft im ländlichen Japan gegenüber. Ein Idyll ist daraus nicht geworden. Überall leerstehende Fabriken und Häuser. Zur Sanierung der Industrieruinen fehlt das Geld, für die Pflege der Betagten die Arbeitskräfte. Der Lebensstandard auf dem Land ist in den letzten 20 Jahren merklich gesunken. Der Anteil der über 65-jährigen ist von rund 15% im Jahre 1995 auf fast 25% angestiegen. Natürlich erzeugt der Druck der Überalterung auch Innovationen: So werden zur Betreuung der Pflegebedürftigen Roboter entwickelt und eingesetzt. Doch ist das wirklich, was wir uns wünschen?

Auf dem vollständigen Preisetikett des Nullwachstums in Japan steht zudem eine massive Staatsverschuldung von – je nach Mass – 150 bis 250% der jährlichen Produktion des Landes. Die Staatsverschuldung nimmt nämlich bei Nullwachstum nicht ab, sondern zu. Zahlen müssen die Rechnung irgendeinmal – die heutigen Jungen.

*Skalenerträge entstehen dann, wenn eine Verdoppelung der Anzahl Arbeitskräfte und des Kapitals zu mehr als einer Verdoppelung der Produktion führt. Je grösser die Konzentration, desto mehr kann mit der selber Anzahl Arbeitskräften geleistet werden – was sich auch in höheren Löhnen niederschlägt.

Katzengold

Urs Birchler

Wir haben gestern berichtet, dass die Goldinitiative die goldene Gelegenheit ist, auf die dubiose Goldspekulanten seit langem gewartet haben. Matterhorn Asset Management und deren Unterorganisationen Gold Money Foundation und GoldSwitzerland sammeln international Geld für die Gold-Initiative. Hier aus ihrem Video-Fundus zwei Beispiele für das Katzengold, das diese Goldspekulanten ihren Kunden verkaufen wollen:

  1. Behauptung 1: Die Notenbanken haben das Gold gar nicht, dass sie zu behaupten vorgeben. Im Video behaupet dies ein Bill Murphy, „Chairman of the Gold Anti-Trust Action Committee“ (GATA). Dieses Committee ist nicht etwa ein offizielles Gremium, sondern eine Erfindung von Murphy selbst. Dazu Wikipedia: „Murphy and GATA are widely dismissed as cranks, and their beliefs as fringe by reputable economists, business leaders and government officials“.
  2. Behauptung 2:Die ausstehenden Goldkontrakte führen früher oder später zu einer Goldpreisexplosion, da sie den Bestand physischen Goldes übersteigen. Das Video mit dem Interview spricht Bände.

Natürlich ist beides Quatsch. Man könnte solche Behauptungen als Verschwörungstheorien abtun, würden sie nicht dazu missbraucht, den Goldpreis über den Umweg über die Schweizer Bundesverfassung zu massieren.

P.S.: Natürlich gibt es seriöse Argumente für eine Goldwährung und ebenso seriöse dagegen. Nur hat die Goldinitiative ausser dem Namen wenig mit einer wirklichen Goldwährung zu tun. Sie ist vielmehr eine naive Fehlkonstruktion. Darüber später mehr bei batz.ch.

Gutscheine statt rationierte Krippenplätze in der Kinderbetreuung

Monika Bütler

Als erste Gemeinde der Schweiz führte die Stadt Luzern 2009 Betreuungsgutscheine für die ausserfamiliären Kinderbetreuung ein (man spricht manchmal auch von einem Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung der Krippenplätze). Mit dem neuen Finanzierungsmodell in Luzern werden staatliche Subventionen nicht mehr an die Betreuungseinrichtungen bezahlt (welche damit Plätze zu reduzierten Tarifen anbieten), sondern direkt an die Eltern. Eltern mit geringen oder mittleren Einkommen müssen somit nicht erst einen subventionierten Platz suchen, sondern können sich mit dem Gutschein in der Hand die Betreuungseinrichtung selber aussuchen.

Aus ökonomischer Sicht ist dieser Wechsel sinnvoll: Erstens wird die Anzahl der verbilligten Kinderbetreuungsplätze nicht mehr – wie heute in fast allen Städten – rationiert. Zweitens erhalten die Eltern Wahlfreiheit in der Betreuungseinrichtung. Diese Wahlfreiheit ermöglicht nicht nur einen Wettbewerb zwischen den Krippen, sondern erlaubt es den Eltern, die für sie passendere Lösung zu finden. Und nicht, wie bei der heute üblichen Objektfinanzierung, entweder keinen Platz zu erhalten oder durch die halbe Stadt reisen zu müssen.

Mit Betreuungsgutscheinen wird zudem Rechtsgleichheit geschaffen: Jeder Haushalt, der die notwendigen Kriterien zum Erhalt von Subventionen erfüllt, erhält diese auch. Lange Wartelisten werden vermieden und es gilt nicht „De gschneller isch de gschwinder“.  Dies ist umso wichtiger, weil bisherige Studien vermuten lassen, dass die Rationierung der subventionierten Plätze auf Kosten der weniger gut ausgebildeten Eltern geht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikereltern Krippenplätze beanspruchen rund dreimal höher als dies bei den übrigen Familien der Fall ist. Die Betreuungsgutscheine sind zudem an eine Erwerbstätigkeit geknüpft.

Nach der Einführung der Betreuungsgutscheine zeigte sich schnell: Auch in der Stadt Luzern überstieg die Nachfrage nach subventionierter Kinderbetreuung das Angebot bei weitem. Nach 2009 stieg die Anzahl betreuter Plätze steil an und stabilisierte schliesslich im Jahr 2013. Dies ohne Abstriche an der Betreuungsqualität dank Investitionen in die Qualität der Kinderbetreuung.

Kinderbetreuung ist ein kostspieliger Faktor  in der Schweiz. Die Kosten dürften ein Grund sein, dass Mütter dem Erwerbsleben fern bleiben oder nur mit geringem Pensum beschäftigt sind (siehe hier meine alte, aber noch immer gültige Analyse). Meine Doktorandin Alma Ramsden untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation, welchen Einfluss das neue, universelle Kinderbetreuungssystem in der Stadt Luzern (sowie in den Gemeinden Emmen und Kriens) auf die finanzielle Sicherheit die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden hat.

Almas Analyse zeigt, dass die Verfügbarkeit von Betreuungsgutscheinen die Einkommen der betroffenen Familien positiv und signifikant erhöhten – sowohl für Paarhaushalte mit Kindern wie auch für Alleinerziehende. Da Alleinerziehende einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, ist vor allem letzterer Befund von sozialpolitischer Relevanz: Betreuungsgutscheine helfen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Alleinerziehenden zu stärken. Weil eine Erhöhung der Einkommen immer auch mit grösseren Steuereinnahmen verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die Betreuungsgutscheine die Ausgaben der Gemeinden (zumindest teilweise) wieder kompensieren. Die Resultate zeigen auch, dass Eltern mit Betreuungsgutscheinen nicht einfach von informeller zu formeller Kinderbetreuung wechselten. Betreuungsgutscheine erhöhten auch die Arbeitstätigkeit von Alleinerziehenden und ZweitverdienerInnen deutlich. Die positiven Effekte finden sich nicht nur in der städtischen Gemeinde Luzern, sondern auch in den kleineren, vorstädtischen Gemeinden Emmen und  Kriens.

Almas Forschung ist in den heutigen Diskussionen zur Aktivierung der Frauen in der Wirtschaft besonders wertvoll. Sie zeigt auf, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur davon abhängt, wie viel die Kinderbetreuung den Familien kostet (die Kosten veränderten sich nämlich in Luzern nicht), sondern vor allem auch davon, ob die Familien überhaupt Zugang zu subventionierten Plätzen haben. Den Blogleser(innen) sei hier die Lektüre des Berichts empfohlen.

 

PS: Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Steuerbehörden der Stadt Luzern und den Gemeinden Emmen und Kriens, sowie bei der Abteilung Kind Jugend Familie der Stadt Luzern für die Bereitstellung der Daten und wertvolle Unterstützung.

Goldinitiative: Die Freunde der Schweiz

Urs Birchler

Saeuli
Jetzt legen sie los. Heute morgen mit einem Artikel des Goldpropheten Egon von Greyerz zugunsten der Goldinitiative bei In$ideParadeplatz. Der Artikel: auf englisch; Zielpublikum: offenbar nicht in erster Linie die Schweizer Stimmbürger, sondern internationale Investoren. Die Goldpromotoren hatten es angekündigt: „Social media promotional campaign … will in fact start on November 4 in Switzerland. … This Social Media campaign will ensure a penetration of close to 80% of the Swiss population“ (hier unter „Donations information“).

Die Kampagne lohnt sich: Die Goldinitiative verspricht im Falle einer Annahme massive Gewinne für Goldspekulanten (zulasten der Schweiz), wie wir hier und hier beschrieben haben. (Auch die CS sieht in ihrer „Swiss Strategy and
Relative Value“ von gestern 4. Nov. bei Annahme der Initiative einen höheren Goldpreis und Druck auf die Wechselkursgrenze; klipp und klar auch die Handelszeitung).

Goldinvestoren schlecken sich schon jetzt die Mäuler: Der CIO von Julius Baer, Burkart Varnholt, musste in einem Interview gegenüber arabischen Investoren zugeben, die Gold-Initiative sei zwar schlecht. „However, I think the referendum is likely to pass, and if a majority supports it then gold prices will go higher.“

GoldOunceEin höherer Goldpreis wäre eine Wohltat für Leute wie Egon von Greyerz, der seinen Investoren vor wenigen Jahren einen Goldpreis von USD 7’000-8’000 pro Unze in Aussicht stellte (hier und hier). Der Goldpreis erreichte jedoch nicht einmal USD 2’000 und ging seit dem Höchststand um ein Drittel zurück.

So kommt es, dass reiche Amerikaner derart besorgt sind über die Schweizer Währungsordnung, dass sie Geld für die Goldinitiative stiften. Besonders aktiv ist die Matterhorn Asset Management AG (MAM) mit Sitz in Zürich (einziger Vertreter mit Einzelunterschrift: Vizepräsident Egon von Greyerz). MAM verbreitet unter anderem die Schauermär, der Goldpreis werde von den Notenbanken durch Leerverkäufe künstlich tiefgehalten. Ferner übersteige der weltweite Bestand an Goldguthaben den physischen Bestand bei weitem [richtig] und deshalb würden diese Goldguthaben irgendwann einen Run auf physisches Gold auslösen [falsch] und den Goldpreis in den Himmel jagen. (Der Videoclip ist auf seine Weise sehenswert.)

Als glühende Befürworterin sammelt Matterhorn Asset Management als „Gold Switzerland“ auch Geld für’s Initiativkomittee. Der Spendenaufruf findet sich unter Donations information. Und anscheinend läufts. „During the past two weeks we have received donations from various parts of the world and many from the United States.“

Schön, dass sich die Schweiz auf ihre Freunde verlassen kann. Jedenfalls, wenn diese etwas zu gewinnen haben.

Goldinitiative: Der Rumpelstilzchen Effekt

Urs Birchler

Wir haben behauptet (zusammen mit einem Teil der Presse), dass die Goldinitiative eine Einladung an Spekulanten darstellt, sich auf Kosten der Schweizerinnen und Schweizer zu bereichern. Und zwar massiv.

Primäreffekt: Bei Annahme der Initiative würde die SNB gezwungen, innert fünf Jahren für 61 Mrd. Franken Gold zu kaufen. Beim heutigen Goldpreis sind das 1’600 Tonnen, bzw. 2,5 Prozent des weltweit vorhandenen Barrengoldes (des nicht-verarbeiteten Teils des Weltgoldbestandes; siehe GFMS Gold Survey 2014, S. 53). Eine Zusatznachfrage von 2,4 Prozent erhöht den Goldpreis um schätzungsweise ebenfalls 2,4 Prozent. (Genauer gesagt: es kommt auf die sogenannte Elastizität an; diese liegt beim Gold als sicherer Hafen unter eins, bei Gold als Luxusgut über eins; wir rechnen daher mit dem Mittelwert von eins). Der gesamte Goldbestand stiege daher im Wert um um 167 Mrd. Franken (gesamter Welt-Goldbestand), um 62 Mrd. Franken (nur Barrengold), bzw. um 20 Mrd. Franken (Gold bei Privatinvestoren).

Sekundäreffekt: Noch nicht eingerechnet sind die Gewinne der Goldbesitzer, die durch künftige Goldkäufe der Nationalbank entstehen, wenn diese die Kursuntergrenze zum Euro von 1.20 Franken verteidigen muss. Die Spekulation gegen die Kursuntergrenze (bei gleichzeitiger Goldspekulation) wird zunehmend attraktiv, da die Nationalbank immer teureres Gold kaufen muss. Wie der armen Müllerstochter im Märchen muss sie immer mehr anbieten, um zum geforderten Gold zu kommen. Am Ende muss sie ihr eigenes Kind aufgeben: die schweizerische Wirtschaft, die bei einer Preisgabe der Kursuntergrenze zusammenbricht.

Der Investor George Soros zwang 1992 die Bank of England in die Knie. Er spekulierte gegen das Pfund, welches innerhalb des Europäischen Wechselkurssystems EWS (einem gescheiterten Vorläufer des Euro) mit anderen europäischen Währungen durch feste Kurse verbunden war. Das britische Schatzamt borgte 15 Mrd. Pfund zur Verteidigung des Pfundes. Soros hielt mit 10 Mrd. Leerverkäufen dagegen und erreichte am Ende eine Abwertung um 15 Prozent. Netto blieb ihm ein Gewinn von 1,3 Mrd. Pfund.

Der gesamte Gewinn aus der Goldinitiative für Privatinvestoren liegt, wie oben erwähnt, schon nur aufgrund des Primäreffekts, um ein Vielfaches höher. Wetten, dass Investoren Geld für Abstimmungspropaganda stiften? Darüber bald mehr bei batz.ch.

Dutch Auction im Niederdorf

Urs Birchler

DutchAuctionGestern nachmittag auf dem Weg zur Uni: Ein Antiquitätenhändler bietet ein Ecksofa zu einem von Tag zu Tag abnehmenden Preis feil. Die abnehmende „Dutch auction“ trifft man seltener als die aufsteigende „English auction“ (vorherrschend z.B. bei eBay). Mal sehen, bei welchem Preis jemand zuschlägt.

[Adresse auf Anfrage]

Die Mühen von Ecopop mit Hong Kong und Singapur

Monika Bütler

Die Schweiz soll nicht wie Hong Kong oder Singapur werden. Ein griffiger und einleuchtender Slogan der Ecopop Befürworter. Nur leider falsch.

Natürlich möchten die meisten von uns (mich eingeschlossen) lieber in der Schweiz als in Hong Kong  leben. Nur ist der Vergleich der beiden asiatischen Städte mit der Schweiz unfair und berücksichtigt weder die Geschichte noch das wirtschaftliche, geopolitische und klimatische Umfeld der unterschiedlichen Gegenden. Das richtige Gegenstück im Vergleich mit Hong Kong oder Singapur wäre Hong Kong/Singapur ohne „Dichtestress“. Ein einfacher Blick über die Grenzen der beiden Städte zeigt: Die Wahl ist eben nicht zwischen 15 Quadratmetern/Person im Dichtestress und plus minus gleichem Lebensstandard auf 45 Quadratmetern/Person ohne Dichte. Sondern

  • zwischen 15 Quadratmetern/Person in guten hygienischen und relativ umweltfreundlichen Verhältnissen, mit Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Arbeitsstellen und guten Schulen, welche den Kindern die Tür zur Welt offen halten.
  • und 15 Quadratmetern/Person in prekären Behausungen ohne ÖV, ohne adäquate Arbeitsplätze mit beschränkter medizinischer Versorgung und qualitativ schlechten Schulen. Und ja: mit Dreck und Umweltbelastungen.

Kein Bewohner Singapurs würde mit einem Bewohner ännet der Johor Strait tauschen wollen. Umgekehrt hingegen schon.

Da ich Singapur viel besser kenne, hier etwas Hintergrund zu Singapur. Nach der Unabhängigkeit Singapurs von Grossbritannien schloss sich die Stadt nach dem 1962 Merger Referendum der Federation of Malaya an (im Wesentlichen Malaysia, Sarawak und Nord Borneo). Die Gründe: Grösse des Landes, Knappheit an Wasser, Land und natürlichen Ressourcen. Die zwei Jahre in Union mit Malaysia waren allerdings geprägt von Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten. So wollte Singapur eine Gleichbehandlung aller Rassen, Sprachen und Religionen, was vom Rest der Federation abgelehnt wurde. 1965 wurde Singapur aus der Federation geworfen, ohne in der Frage überhaupt angehört zu werden.

Interessanterweise wurde Singapur ein Stadtstaat contre coeur. Das heutige Singapur ist somit eine Antwort auf die Herausforderungen, welche dem neuen Staat mit dem knappen Land und der Abwesenheit von natürlichen Ressourcen erwuchsen. Wie auch die Schweiz setzte Singapur in der Folge auf eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf Unternehmertum, technologischem Fortschritt und Ausbildung basierte. Und auf eine gewisse Einwanderung, welche den Fortschritt erst ermöglichte. Singapur hat heute eine durchaus restriktive Einwanderungspolitik; diese berücksichtigt jedoch die Bedürfnisse der Bevölkerung insbesondere nach Arbeitskräften, die im Lande selber fehlen. Mit einer Abschottung wäre der Vorsprung Singapurs gegenüber seinen Nachbarn schnell weg. Immigration ist eben nicht nur Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch teilweise deren Ursache.

So unterschiedlich Hong Kong oder Singapur und die Schweiz auch sein mögen. Auch bei uns muss der breite Wohlstand in den ländlichen Gegenden zuerst erwirtschaftet werden. In den viel dichter bevölkerten Städten nämlich oder den nicht so idyllischen Industriezonen. Die Umsetzung eines weiteren Slogans der Ecopop Befürworter – die Arbeitsplätze zu den Bewohnern bringen und nicht umgekehrt – würde nie und nimmer die Wertschöpfung bringen, die nötig wäre, um unseren Lebensstandard zu halten.

PS: Die momentane Popularität von Ecopop hat allerdings nicht viel mit deren Argumenten zu tun als viel mehr dem Schweigen und der Untätigkeit der Politik in den Diskussionen um die Folgen Personenfreizügigkeit (siehe meinen früheren Beitrag). Niemand erklärte den besorgten Bürgern, woher die (nicht so zahlreichen) Ausländer kommen, die wirklich Probleme machen (nämlich mehrheitlich nicht aus der EU). Auf griffige – auch während der Personenfreizügigkeit mögliche – Massnahmen gegen eine Einwanderung in den Sozialstaat (Rückführungen, Einschränkungen des Familiennachzuges, Straffung des Asylwesens) wurde verzichtet. Und wir warten bis heute auf eine vernünftige Einwanderungspolitik für Bürger aus Drittstaaten. Statt den Zug sanft zu bremsen, schielte die Politik viel zu lange auf die Notbremse (in Form der Ventilklausel). Die Notbremse zogen am 9. Februar andere. Im Tunnel.