Kantonal-Bank-Gross-Räte

Urs Birchler

Kürzlich haben wir Parteizugehörigkeit von KB-Bankräten in ZH un BS verglichen. Dabei sind Bankräte oft nicht nur Parteimitglieder, sondern sitzen gleichzeitig in den Kantonsparlamenten (sie kontrollieren also, salopp gesagt, sich selbst). Claudio Kuster hat in einem Tweet auf die entsprechende Statistik verlinkt. Kurzfassung: Basel (7) „führt“ vor Schaffhausen (4).

Bedingungsloses Grundeinkommen: Eine Absage

Monika Bütler

In den letzten Monaten habe ich dermassen viele Anfragen für eine Teilnahme an einer Diskussion zum BGE erhalten, dass ich mich entschlossen habe, meine Antwort aufzuschreiben. Spätere Anfrager erhalten einfach den Link.

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr 

Herzlichen Dank für Ihre Einladung, im Rahmen der Veranstaltungsreihe V (Geld; neue Gesellschaftsmodelle; Neuordnung der sozialen Sicherung; …) mit Herrn H (Enno Schmidt; Daniel Häni; Oswald Sigg; …) über das bedingungslose Grundeinkommen BGE zu diskutieren.

Ich muss Ihnen aus drei Gründen absagen.

  1. Ich fühle mich nicht kompetent genug, auf der philosophischen Ebene über das BGE zu diskutieren. (Ich habe ausser zwei, drei Tweets ohnehin noch nie über das BGE geschrieben). Oft wird schon in den Ankündigungen zu Veranstaltungen zum BGE auf die Notwendigkeit eines neuen – natürlich viel besseren Menschenbilds – hingewiesen. Abgesehen davon, dass mir die Idee eines anderen Menschenbilds historisch vorbelastet scheint, stellt sich für mich auch ganz naiv die Frage,  wie ein solches herbeigeredet werden kann. Ich fühle mich allerdings nicht nur nicht kompetent genug, ich habe auch keine grosse Lust, im Abstrakten zu diskutieren. Ohne konkrete Vorschläge wer was wie finanzieren soll, kann man als Gegnerin des BGE nur verlieren. Auch wenn ich in der Zwischenzeit damit leben kann, als unsozial und neoliberal beschimpft zu werden, freiwillig tu ich mir das nicht an.
    (In Klammern: Auf einer philosophischen Ebene kann man auch aus liberaler Sicht für ein BGE eintreten. Easy. Man braucht ja nicht zu sagen, dass man darunter 1200 Franken pro Monat als Grundeinkommen, sowie den Ersatz und aller Sozialversicherungsleistungen versteht. Ich halte diese Attitüde für etwas frivol).
    Sie können eher wieder mit mir rechnen, wenn es weniger um die abstrakte Idee geht, sondern um die politische Diskussion und finanzpolitische Umsetzung.
  2. Meine Woche hat nur 7 Abende, meine Söhne gehen noch zur Schule. Abends arbeite ich nur ausser Haus, wenn ich muss (was immer noch häufig genug ist) oder ich meine Abwesenheit den Kindern (Einschub neu: und meinem Mann) erklären kann. Das kann ich in diesem Fall nicht.  Denn gerade die Verfechter des BGE preisen ihr Modell vollmundig an als Möglichkeit, mehr Zeit für die Familie zu haben. So werden Sie und vor allem meine potentiellen Gegenspieler dafür Verständnis haben müssen,  dass ich die Idee „mehr Zeit mit der Familie“ lieber direkt und privat finanziert umsetze.
  3. Ich mag es nicht,  vor allem als Frau eingeladen zu werden. Es gibt genügend männliche Kollegen, die viel kompetenter als ich über das BGE diskutieren können.  Es ist ja nicht mein Fehler, dass die meisten Initianten männlich sind. Vielleicht allerdings auch kein Zufall (siehe unten).

Sie fragen mich nach Alternativen (eine Frau). Meinen jungen Kolleginnen aus der Ökonomie kann ich nur abraten, sie können nur verlieren. Vielleicht kann ich ihnen dennoch etwas weiterhelfen. Es gibt nämlich zwei Aspekte des BGE, die in der aktuellen Diskussion oft vergessen gehen. Vielleicht finden sie in diesen Kreisen interessante Diskussionsteilnehmer(innen).

  • Wir haben in der Schweiz bereits ein Grundeinkommen, es ist einfach nicht bedingungslos. Doch solange selbst renitente und nicht kooperative Sozialhilfeempfänger Leistungen nahe der heute oft genannten Höhe des BGE erhalten, ist die Bedingungslosigkeit so weit nicht weg. AHV und IV Rentner und Rentnerinnen haben – für mich unbestritten – ein Anrecht auf ein Einkommen, welches um einiges höher liegt als alles, was als BGE finanzierbar wäre. Fragen sie doch jemanden aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen oder aus den AHV/IV Stellen (besser noch: eine betroffene Person) wie sinnvoll eine Abschaffung dieser bedingten Leistungen wäre. Wenn ein grosser Teil der Sozialleistungen auch unter einem BGE bedingt ausbezahlt wird, entfällt ein wichtiger Vorteil des BGE.
  • Das BGE wird uns oft als Lösung des Problems der unbezahlten Betreuungsarbeit verkauft. Auf den zweiten Blick scheint mir dies nicht mehr so offensichtlich. Es geht dabei ja nicht primär um die Entschädigung der Betreuungsarbeit, sondern vor allem darum, wer sie macht. Mit einem BGE können wir uns weiter um diese Frage drücken – unter dem Vorwand die Arbeit werde ja entschädigt (was natürlich so überhaupt nicht stimmt, denn das Grundeinkommen erhält man bedingungslos). Wer die Betreuungsarbeit leistet, bleibt ein Machtspiel. Am Schluss werden sich wohl, faute de mieux, meist Frauen in die Betreuungsarbeit schicken, obwohl auch sie mit dem BGE „grösseres“ vorhatten. Wer soll denn die vielen pflegebedürftigen Senior(inn)en der Zukunft betreuen?  Die jungen gesunden und kreativen Männer,  die so vehement hinter der Idee des BGE stehen, werden es bestimmt nicht sein.
    Mein Tipp: Suchen Sie sich für das Panel eine interessante Feministin, die sich schon entsprechend geäussert hat. Sie haben damit erst noch das Problem Frau gelöst.

 So wünsche ich Ihnen einen spannenden Abend und grüsse Sie freundlich

 Monika Bütler

Wirtschaftswissenschaften für alle

Urs Birchler

9781409376415H

Unsere Kinder durften in der Schule Bücher bestellen. Und womit kommt unser 11-jähriger nach Hause? Zum gelinden Entsetzen der Ökonomen-Eltern mit einem Buch Economics! Von aussen sieht’s zwar nicht schlecht aus. Und auch nach ausführlicher Innenbesichtigung müssen wir zugeben: echt gut. Geeignet für Nicht-Ökonomen und Ökonominnen gleichermassen.

Einige Wochen später: Vortrag über eine berühmte Persönlichkeit (Mensch und Umwelt). Und wen wählt der Junior? Einstein? Falsch. Federer? Falsch! Julius Cäsar? Erratum! Viel einfacher: Milton Friedman. Den Namen hat er bestimmt nicht am Familientisch aufgeschnappt. Aber eigentlich hat er Recht: Was ist denn besser als free to choose?

Parteien im Kantonalbank-Bankrat: Basel versus Zürich

Urs Birchler

Ich bin Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (@SusanneSlo) ein bisschen unhöflich vorbeigekommen. Sie schrieb bei Twitter „Kantonalbanken haben gefehlt. Verantwortung tragen sie dafür nicht. Ein gutes Vorbild für die Jugend.“ Ich fragte zurück: „Wieviele SP-Bankräte haben ZKB und BKB?“ Das war frech (ich bitte höflich um Entschuldigung) und faul: Ich hätte ja nachschauen können.

Bei der ZKB genügen drei Mausklicks, um Bankratsmitglieder samt Parteizuehörigkeit zu finden. Bei der Basler Kantonalbank findet man die Parteizugehörigkeit der Bankratsmitglieder, wie mich Claudio Kuster in einem Tweet vorgewarnt hatte, allerdings nur in Handarbeit. Nachstehend daher (damit die Basler am Tag nach der Meisterfeier nicht selber suchen müssen) die zusammengestellte Parteiliste der beiden Gremien. Die beiden gemeinsame Glückszahl 13 verteilt sich wie folgt auf die politischen Lager:

  1. ZKB: SVP+FDP (6), „Mitte“ (3), SP+Grüne (4)
  2. BKB: SVP+FDP (4), „Mitte“ (3), SP+Grüne+Alternativ (6)

Basler Kantonalbank

  • Andreas Albrecht (Präs.) (LDP)
  • Christine Keller (Vizepräs.) (SP)
  • Sebastian Frehner (SVP)
  • Jan Goepfert (SP)
  • Helmut Hersberger (FDP)
  • Markus Lehmann (CVP)
  • Ralph Lewin (SP)
  • Ernst Mutschler (FDP)
  • Hans Ulrich Scheidegger (Basta)
  • Karl Schweizer (SVP)
  • Jürg Stoecklin (Grüne)
  • Andreas Sturm (GLP)
  • Karoline Sutter Okomba (SP)

Zürcher Kantonalbank

  • Jörg Müller-Ganz (FDP) (Präs.)
  • János Blum (Vizepräs.) (SP)
  • Bruno Dobler (Vizepräs.) (SVP)
  • Alfred Binder (SVP)
  • Thomas Heilmann (Grüne)
  • Hans Kaufmann (SVP)
  • Peter Ruff (SVP)
  • Kurt Schreiber (EVP)
  • Anita Sigg (GLP)
  • Hans Sigg (Grüne)
  • Liliane Waldner (SP)
  • Rolf Walther (FDP)
  • Stefan Wirth (CVP)

Bankenplatz Schweiz: quo vadis?

Urs Birchler

Das Institut für Banking und Finance der Universität Zürich verliert einen der aufrechtesten und gradlinigsten Ökonomen der Schweiz. Drum am besten den Termin vormerken:

Abschiedsvorlesung Prof. Dr. Martin Janssen
Datum: Mittwoch, 12. Juni 2013
Thema: „Bankenplatz Schweiz: Quo vadis?“
Zeit: 18:15 Uhr
Ort: Aula (Raum KOL-G-201, Hauptgebäude der Universität Zürich, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

Aus der offiziellen Einladung:
Prof. Dr. Martin Janssen, Professor für Finanzmarktökonomie am Institut für
Banking & Finance (IBF) und bekannter Exponent des Schweizer Finanzplatzes,
wird Ende dieses Semesters nach 35 Jahren als Professor emeritiert. Neben
seiner Arbeit an der Universität Zürich gründete er 1985 das Beratungs- und
Software-Unternehmen Ecofin, welches massgeblich an der Entwicklung des
Swiss Market Index (SMI) beteiligt war. Martin Janssen ist Verfasser
mehrerer Bücher und Aufsätze im Bereich der Finanzmarktökonomie und zu
staatspolitischen Themen, sowie regelmässig Experte in verschiedensten Fach-
und Tageszeitschriften.

Einkommensverteilung und Lebenszyklus

Monika Bütler

(meine 3.-letzte NZZ am Sonntag Kolumne: publiziert am 19. Mai 2013 unter dem Titel „Bildung bringt nicht mehr Lohngleichheit“)

Ich bin eidgenössische Durchschnitts-Verdienerin. Zugegeben: nicht heute, aber über die ganze Berufslaufbahn gerechnet. Ich habe in den letzten 30 Jahren ziemlich genau den schweizerischen Durchschnittlohn verdient. Dies ohne statistische Tricks: Meine früheren Löhne sind sauber hochgerechnet auf heutige Löhne. Trotzdem lag mein Einkommen während eines Drittels meines Arbeitslebens unter oder nahe der Armutsgrenze. Es ging mir natürlich auch in jenen „armen“ Zeiten gut –  in jungen Jahren dank dem Zustupf der Eltern; später half der Griff in den Sparstrumpf über die kargen Zeiten.

Bestünde die Schweiz nur aus verschiedenen Jahrgängen meiner selbst, betrüge der Gini-Koeffizient ungefähr 0,46. Der Gini ist ein Mass für die Ungleichheit zwischen null (alle verdienen gleich viel) und eins (einer kriegt alles). Mein „Lebens-Gini“ entspricht damit ungefähr dem der Einkommensverteilung in den USA; die Schweiz ist mit gut 0,3 deutlich ausgeglichener. Am Rande bemerkt: Würde ich heute als Chefin meine früheren Kopien anstellen, käme ich sogar in die Nähe von 1:12. Mehr als heute dürfte ich dann aber nicht mehr verdienen.

Glücklicherweise besteht die Schweiz nicht nur aus Jahrgangs-Klonen meiner selbst. Das Gedankenexperiment illustriert aber klar: Der punktuelle Blick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung wird der Wirklichkeit oft nicht gerecht. Mein Einkommensprofil ist zwar nicht repräsentativ, aber auch nicht so aussergewöhnlich. Denn zu jedem Zeitpunkt leben in einem Land Menschen in den unterschiedlichsten Phasen im Lebenszyklus. Auch eine reiche Frau wird zwangsläufig manchmal in ihrer „Armutsphase“ registriert – sei es nur wegen eines Zweitstudiums oder einer umgebauten Küche.

Politische Vorstösse zur Einkommensverteilung haben Hochkonjunktur. Die Einkommensschere hat sich geöffnet, wenn auch moderat und nicht stärker als in den 1970er Jahren. Zudem ist für viele die fehlende Bodenhaftung einiger Spitzenverdiener das grössere Ärgernis als die Lohnschere an sich. Gerade deswegen ist es wichtig, die Rolle des Lebenszyklus in der Einkommensverteilung nicht zu vergessen. Die gemessene Ungleichheit kann nämlich ohne grundlegende Änderung im Lohngefüge zunehmen. Dies über drei Kanäle: Ausbildung, Berufstätigkeit der Frauen, Alterung der Gesellschaft.

Frauen: Früher zogen sich Mütter aus dem Arbeitsleben zurück, heute bleiben viele berufstätig – vor allem solche mit tiefen Löhnen (weil sie arbeiten müssen und die Kinderbetreuung subventioniert erhalten) und solche mit hohen Löhnen. Mütter aus dem Mittelstand hingegen werden mit einem absurden Subventions- und Steuerregime aus dem Arbeitsmarkt geekelt. Dazu kommt, dass sich das Bildungsniveau der Ehepartner immer mehr annähert; gleich und gleich gesellt sich heute lieber als früher. Beides zusammen führt im Quervergleich zu mehr gemessener Ungleichheit.

Demographie: Abschlussklassen einer Ausbildung ähneln sich alle; mit jedem Klassentreffen aber werden die Unterschiede innerhalb der Klasse grösser. Je mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter es in einem Land gibt, desto grösser fallen auch die Einkommensunterschiede aus, ohne dass sich – ausser der Demographie – etwas ändert.

Ausbildung: Eine berufliche Weiterbildung oder eine akademische Laufbahn vergrössert die Einkommensunterschiede über den Lebenszyklus automatisch. Wie in meinem Fall: In jungen Jahren sind die Einkommen wegen Studium und Praktika gering, später schlagen sich die Ausbildungsinvestitionen (hoffentlich) in höheren Löhnen nieder.

Ironie der Politik: Gerade die Investitionen in die Bildung eint rechte und linke Kreise im Bestreben nach mehr Wohlstand. Mehr Gleichheit sollten sie dabei nicht erwarten: Bildungsinvestitionen mögen die gefühlte Ungleichheit verringern. Die gemessenen Einkommensunterschiede in der Volkswirtschaft verkleinern sie dagegen kaum.

 

 

Zur Emeritierung von Gebhard Kirchgässner

Monika Bütler

Mein HSG Kollege und Mit-Batzer Gebhard Kirchgässner wird auf Ende des Frühlingssemesters 2013 emeritiert (Nein, nicht eremitiert, wie es kürzlich einmal irrtümlich in einem Dokument stand). Gebhard wird uns an allen Enden und Ecken fehlen, als freundlicher aber auch immer wieder kritischer Kollege, als Lehrer. Als Freund, Forscher und Mit-Batzer bleibt er uns glücklicherweise erhalten. Hier meine Würdigung, die ich für den HSGFocus verfasst habe:

On Minimal Morals“, „Econometric Estimates of Deterrence of the Death Penalty: Facts or Ideology?”, “Introduction to Modern Time Series Analysis”, “The Effect of Direct Democracy on Income Redistribution: Evidence for Switzerland”, und “Kaderschmieden der Wirtschaft und/oder Universitäten? Der Auftrag der Wirtschaftsuniversitäten und -fakultäten im 21. Jahrhundert“. Die schwindelerregende Breite der von Gebhard Kirchgässner in Forschung und Lehre abgedeckten Themen stellte die School und die verantwortliche Dekanin vor ein unlösbares Problem. Es hätte mindestens drei Wissenschaftler gebraucht um die Lücken zu schliessen. Selbst in Zeiten ohne Budgetkürzungen ein frommer Wunsch.

Mit Gebhard Kirchgässner wird nicht nur die Vielseitigkeit in Person emeritiert, sondern auch eine moralische Instanz und ein Brückenbauer zwischen verschiedenen Strömungen der Ökonomie, zwischen Theorie und Praxis. Vor allem aber ein brillanter Volkswirt, hochgeschätzter Kollege und Freund.

Gebhard Kirchgässner studierte und promovierte an der Universität Konstanz. Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte er als Oberassistent an der ETHZ bevor er 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an die Universität Osnabrück berufen wurde. Trotz seines – aus heutiger Perspektive – eher traditionellen Werdegangs: Mit Gebhard Kirchgässner kam 1992 ein Vertreter der modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Zusammen mit seinen damaligen Kollegen leitete er die Modernisierung der volkswirtschaftlichen Abteilung ein und legte so die Grundlage der Erfolge der School in Forschung, Lehre und Wirtschaftspolitischem Engagement.

In der Lehre ist Gebhard Kirchgässner kein Entertainer, er glänzt vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen, insbesondere der Philosophie und der Wissenschaftstheorie. Für die SEPS ist er ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Disziplinen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft. Gebhard prägte den Kontext lange bevor es das Kontextstudium an der HSG gab.

Gebhard Kirchgässner gehört seit Jahren zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschafter der Schweiz, was sich in mehr als 130 Aufsätzen in Fachzeitschriften (darunter auch in internationalen Top Journals) sowie zahlreichen weiteren Publikationen zeigt. Dabei schreibt er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit.

Die neue politische Ökonomie, die angewandte Ökonometrie, vor allem aber die Finanzwissenschaft mit all ihren Facetten gehören zu seinen Hauptforschungsgebieten. Gebhard Kirchgässner ist einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig. So ist Gebhard sozusagen der akademische Vater von Frau Merkels Schuldenbremse(r).

A propos Schweiz: „Wie viel Schweiz muss in einem Produkt drin stecken, damit Schweiz draufstehen darf?“ fragte sich das Parlament kürzlich im Rahmen der Swissness Vorlage. Obwohl erst vor wenigen Jahren eingebürgert, steckt bei Gebhard Kirchgässner sehr viel Schweiz drin; seine lokale Verankerung ist beispielhaft. In seiner Wohngemeinde engagiert er sich in der Geschäftsprüfungkommission, er nahm unzählige politische Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte bis 2007 die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen.

Eine Würdigung von Gebhard Kirchgässner wäre unvollständig ohne einige Worte zu seiner Persönlichkeit. Zwei – nur auf den ersten Blick altmodische – Eigenschaften kommen mir dabei in den Sinn: Treue und Ehrlichkeit. Was Gebhard Kirchgässner sagt, meint er auch. Das ist natürlich ausgesprochen angenehm. Allerdings: Was er meint, sagt er auch. Das ist dann nicht immer so gemütlich, weil Gebhard auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, wenn es der Sache dient.

Wer von Gebhard einen Rat erhält, tut gut daran, ihn zu befolgen. Oder aber sich genau und ehrlich zu überlegen, weshalb man seinen Rat nicht befolgen möchte. Gebhards Prinzipientreue und Aufrichtigkeit sind in unserer Zeit geradezu hochmodern.

Im Verlaufe seiner Forschertätigkeit erhielt Gebhard Kirchgässner zahlreiche Preise und Ehrungen. Die wichtigste Auszeichnung: Das Ehrendoktorat der Universität Freiburg im Uechtland im Jahre 2011. Hoch verdient, wie wir finden. Einen Ehrenplatz wird Gebhard in der School ohnehin erhalten. Allerdings hoffen wir, dass er uns als Sparringpartner und Lehrer noch lange erhalten bleibt. Als Freund sowieso.

Ehrendoktorat für Bank-Run Forscher

Urs Birchler

Die Universität Zürich hat heute den Ehrendoktor verliehen an Douglas Diamond (University of Chicago) für seine Arbeiten zur Theorie der Banken und der Finanzintermediation. Doug Diamond hat eine eindrückliche Liste von Publikationen zu Themen wie Banken, Fragilität der Finanzmärkte sowie Finanzkrisen — die meisten verfasst längst vor der jüngsten Finanzkrise. Am berühmtesten sind zwei ältere Arbeiten Publikationen:

Im zweitgenannten Aufsatz zeigen die Autoren, dass die Verletzlichkeit gegenüber Bank Runs (Schalterstürmen) zum Wesen einer Bank gehört. (Eine Bank, welche die „Goldene Bankregel“ befolgt ist daher keine Bank). Der Bank Run kann auch eine solvente Bank treffen, wenn die Einleger aus irgend einem Grund in Panik geraten. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entscheidungssituation reduziert auf zwei Spieler.

Wenn beide Spieler warten, d.h. ihr Geld in der Bank belassen, bleibt die Bank bestehen; beide Spieler erhalten am Ende je 3 Franken. Wenn ein Spieler in Panik gerät, und sein Geld abzieht, muss die Bank ihre Vermögensteile notfallmässig verkaufen, wobei sie insgesamt 2 Franken löst. BankRunMatrix Diese erhält der abziehende Spieler, der wartende geht leer aus. Wer dem Gegenspieler nicht traut, wird also bessser auch zur Bank rennen. Im Durchschnitt erhalten dann beide je einen Franken (obwohl immer der schnellere gewinnt). Sowohl „Warten/Warten“ als auch „Abziehen/Abziehen“ sind Gleichgewichte, d.h. Spielausgänge, bei denen keiner der Beteiligten seine Entscheidungen bereut.

Das Diamond-Dybvig-Modell ist, wie Beispiele von Northern Rock bis Zypern zeigen, nach wie vor aktuell und wird es wohl auch noch bleiben. Jedenfalls hat Douglas Diamond seinen ersten (!) Ehrendoktortitel redlich verdient. Wir gratulieren ihm ganz herzlich!

Warum der Euro scheitert

Ein Ende der Euro-Krise ist leider ebenso wenig in Sicht wie ein einfacher Ausweg, schreibt Prof. Gebhard Kirchgässner in Replik auf einen Vortrag von Prof. Heiner Flassbeck an der HSG.

Von Gebhard Kirchgässner

Heiner Flassbeck weiss es ganz genau, und er hat es in einem öffentlichen Vortrag, der an der Universität St. Gallen stattfand, allen erklärt: Die Eurozone steckt in einer Währungskrise, und diese wird dazu führen, dass sie spätestens in fünf Jahren auseinanderbrechen wird. Er sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder steigen die südlichen Länder aus und führen wieder eine eigene Währung ein, die dann stark abgewertet werden müsste, oder die gesamte Eurozone gerät in eine massive Krise.

Flassbeck weiss auch, warum dies so sein wird: Der Euro scheitert, weil die Inflation in Deutschland seit Einführung des Euro zu gering war. Deutschland hat sich nach seiner Auffassung nicht an die Abmachung gehalten, die mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden war: die Preise jährlich um 2 Prozent steigen zu lassen. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Deutschland sehr viel weniger stark angestiegen als insbesondere in den südlichen Ländern der Eurozone, aber auch als in Frankreich.

Dies hat die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder beeinträchtigt. Da ihnen das traditionelle Mittel einer Abwertung nicht mehr zur Verfügung stand, musste diese Währungskrise eintreten. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre war zwar der Auslöser, aber nicht die Ursache für die heutige Währungskrise in der Eurozone.
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Warum Deutsche weniger vermögend sind als Griechen

Monika Bütler

(Kolumne NZZ am Sonntag, 21. April 2013)

Wohlgenährte deutsche Häuslebauer, bedürftige Griechen – an die Bilder haben wir uns gewöhnt. Nun werden sie gestört: Die vor kurzem veröffentlichten Statistiken der Europäische Zentralbank wollen so gar nicht passen zu den armen Südeuropäern, die von den knausrigen Deutschen kurz gehalten werden. Deutsche Haushalte sind im Mittel weniger vermögend als die Haushalte in Italien, Spanien, Griechenland und Zypern.

Eine Sensation, würde man meinen. Anders als viele Studien, die es in die Schlagzeilen schaffen, stammen die Zahlen aus einer langjährigen und wissenschaftlich seriös durchgeführten Datenerhebung. Also: europaweit grosse Zeitungsartikel? Weit gefehlt: Die Resultate werden nur verschämt präsentiert. Selbst in Deutschland üben sich Medien und Politik nur ein einem: dem verzweifelten Versuch, Deutschland reich zu rechnen.

Viele Gründe werden angeführt, weshalb den Statistiken nicht zu trauen sei. Die Haushalte seien unterschiedlich gross. Die Hauseigentümer-Quoten und die Entwicklung der Immobilienpreise seien von Land zu Land sehr verschieden. Das stimmt alles. Nur: Die Lektüre des Berichts samt Methodenteil haben sich die Kommentatoren offenbar erspart: Da steht nämlich alles schon drin. Also auch, dass Haushaltgrösse und Immobilienpreise nicht reichen, um das Bild umzukehren. Wie man es auch immer dreht und wendet: Südliche Haushalte haben nicht weniger Vermögen als die nördlichen. Dabei behauptet niemand, Deutschland sei arm. Die Suche nach dem richtigen Trick, Deutschland doch noch reich aussehen zu lassen, ist ohnehin müssig. Viel gescheiter wäre es, zu fragen, weshalb die deutschen Haushalte im Vergleich zu den südlichen so arm an Vermögen sind. Oder mindestens so aussehen.

Mein Versuch einer Erklärung: Die Deutschen können, müssen und wollen weniger sparen.

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