Was soll das Pfand in meiner Hand?

Geld ist Macht und Geld entsteht gegen Pfandsicherung. (Die Notenbanken geben den Banken Kredit gegen Pfand.) Daher: Ohne Pfand keine Geldschöpfung. Die Pfandsicherung ist der dunkle, bisher kaum beschriebene Bereich der Geldpolitik.
So lautet grob gesagt die Ausgangsthese des neuen Buchs Collateral Frameworks meines Kollegen Kjell Nyborg.

Der Autor zeigt nicht nur auf, wie die Pfandbestimmungen die Finanzmärkte und indirekt die Realwirtschaft beeinflussen. Er kommt auch zu einem mit wissenschaftlicher Nüchternheit vorgetragenen, aber im Grunde vernichtenden Urteil an der Pfandpolitik der Europäischen Zentralbank. Mit ihrer Tendenz, schlechte Papiere zu begünstigen, verzerrt sie die Realwirtschaft und gefährdet ihre eigene Unabhängigkeit.

Morgen abend wird das Buch der Öffentlichkeit vorgestellt. Kjell referiert um 18h in der Aula der Uni Zürich.

Ein „Trailer“ ist vorhanden in Form eines früheren SFI working paper.

Kluger Rat — Notenvorrat

Urs Birchler

Morgen Montag, 2. Januar, sendet SRF „Blackout“, den angekündigten Beitrag über einen mehrtägigen Stromausfall in der Schweiz und in Europa. Teilbeiträge wurde schon in den Weihnachtstagen ausgestrahlt. Ich habe sie angesehen und fühle mich zu einer Ergänzung genötigt.

Die bisher gesendeten Beiträge zeigen — vermutlich einigermassen realistisch — die technischen Probleme, angefangen bei der Wasserversorgung, dem Verkehr bis zum Spital, einschliesslich der leicht überforderten Krisenstäbe. Das technische „Worst-Case“-Szenario ist aber eingebettet in eine gesellschaftlich idealisierte Schweiz. Krisenstäbe arbeiten mit schweizerischem Organisationsstandard, Hungrige stehen diszipliniert in der Schlange, Plünderungen verhindert die Polizei, Nachbarn helfen einander.

SRF erwähnt auf einer Liste Stromausfall — die Alltagskonsequenzen, dass Banken, Bancomaten und Ladenkassen ohne Strom nicht funktionieren. Dann folgt aber eher naiv:

Die Bevölkerung muss entweder auf ihre eigenen Nahrungsmittelvorräte zurückgreifen oder wendet sich direkt an die Produzenten von Nahrungsmitteln, beispielsweise an den Bauern von nebenan.

Nur haben mindestens 90 Prozent der Wohnbevölkerung keinen Bauern von nebenan. Und der Bauer wird seine (ohne Melkmaschine errungene) Milch nicht verschenken oder auf Kredit abgeben wollen. Nachbarschaftshilfe funktioniert (wie jede Versicherung) dann nicht, wenn alle dasselbe Problem haben. Für die „landwirtschaftsfernen“ 90 Prozent der Bevölkerung bedeutet „beispielsweise der Bauer von nebenan“ der Schwarzhändler. Zwar verhasst als Figur wird er (oder sie) plötzlich unverzichtbar, wenn es ums Überleben geht. Und die Branche versteht nur Bargeld.

Zum Notvorrat an Wasser, Zucker und Spaghetti lege ich deshalb immer auch ein paar Banknoten — in der mäusedichten Blechdose (Achtung: Aktuellste Notenserie verwenden und alle 10 Jahre überprüfen).

Batz-Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start ins Neue Jahr!

Lebenslanges Lernen lohnt sich

Monika Bütler

Eine leicht gekürzte Version erschien unter dem Titel „Es lohnt sich, im Alter nicht den Anschluss zu verlieren“ in der NZZ am Sonntag vom 25. Dezember 2016.

Vor einem Jahr erinnerte ich mich zu Weihnachten an einen Jahrzehnte alten, geheimen Wunschtraum: Violine spielen. Mit über 50? Um mich selber zu überzeugen, erzählte ich meinen Traum bei einem Radiointerview. Nun gab es kein Zurück mehr. Ich mietete mir eine Geige.

Als ich zu Hause das Instrument aus dem Kasten hob, wurde mir bang. Zu alt, um etwas völlig Neues zu lernen? Zu ungeschickt mit einer höchstens mittelmässigen musikalischen Begabung? Gehöre ich jetzt auch zu jenen Alten, die die Jungen imitieren und sich damit nur lächerlich machen?

Mit meiner Verunsicherung stehe ich in der heutigen Zeit nicht alleine da. Nur treffen solche Ängste viele Mitt-Fünfziger – und ihre Arbeitgeber – viel existentieller. Täglich lesen wir von Stellenverlusten älterer Mitarbeiter. Weniger agil, nicht mehr lernfähig; tapsig am Computer, stumm im Kreativitätsseminar – so das Vorurteil. Auch beim – messbaren – Wissen um finanzielle Zusammenhänge (Financial Literacy) schneiden die Älteren relativ schlecht ab. Andererseits: Noch nie war ein so grosser Teil der über Ü-55 berufstätig wie heute.

Was ist an den Vorurteilen und den widersprüchlichen Zahlen dran? Zum Glück wurden in den vergangenen 20 Jahren Zahlen gesammelt. Grosse Datenprojekte wie SHARE – Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe – haben geholfen, Wissenslücken zu schliessen. Vergleiche über die Zeit hinweg und zwischen den Ländern, mit Hundertausenden (anonymer) individueller Daten, erlauben die Identifikation kausaler Zusammenhänge.

Und die Forschungsresultate sind für einmal eindeutig: Die Alten abzuschreiben, ist dumm. Ältere Mitarbeiter sind nicht weniger produktiv als Junge. Nicht einmal am Fliessband: Eine etwas tiefere Geschwindigkeit machen die Älteren wett mit höherer Zuverlässigkeit und tieferen Fehlerquoten.

Beängstigend ist allerdings der starke negative Zusammenhang zwischen vorzeitiger Pensionierung und einem Verlust kognitiver Fähigkeiten. Zwar geht die Kausalität in beide Richtungen. Natürlich verlieren Menschen mit nachlassenden Fähigkeiten ihren Job eher als andere. Doch die Forschung zeigt auch, dass ein früher Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu einem Nachlassen wichtiger Fähigkeiten führt. Denn selbst als unangenehm empfundene Beschäftigungen halten das Gehirn auf Trab. Und die Arbeit verhindert eine soziale Isolation.

Den Anschluss nicht zu verlieren lohnt sich also. Und es geht. Zugegeben, es ist schwierig für Hans, eine neue Technik (oder ein neues Instrument) zu erlernen. Doch ist es das für Hänschen nicht auch? Der schmerzhaft langsame Unterricht, den wir an Schulbesuchen erleben, ist kein Zeichen unqualifizierter Lehrerinnen. Auch kleine Köpfe brauchen Zeit und vor allem viel, viel Übung.

Es ist vielleicht mühsamer, im fortgeschrittenen Alter noch etwas zu lernen. Aber unmöglich ist es nicht. Wichtiger als Begabung sind – im Alter nicht notwendigerweise schwächer – Disziplin und Zuversicht. Am Arbeitsplatz setzt Zuversicht voraus, dass beide Seiten daran glauben: Nicht nur die Angestellte, sondern auch die Chefs. Und dass beide Seiten um die Mühsal des lebenslangen Lernens wissen. Vielleicht sollten wir an Management-Trainings, statt noch mehr Case Studies und Theorie, die Teilnehmer etwas komplett Neues lernen lassen. Es muss ja nicht Geige sein, es geht auch mit Stricken oder Suaheli. Wer sich selber mit etwas neuem abmüht, hat eher Verständnis und Geduld für die Lernenden. Und – traurig aber wahr: die meisten schaffen es nicht von alleine. Es braucht Unterstützung, vielleicht sogar sanften Druck. Das ist bei Hans nicht anders als bei Hänschen.

Schon die ersten Erfolgserlebnisse helfen. Auch bei mir. Als ich am vierten Advent die Weihnachtslieder probte und insgeheim über schwierige Stellen und meinen kratzigen Stil fluchte, ging plötzlich die Türe auf. Vor mir stand mein jüngerer Sohn – ein Teenager –, die eigene Geige in der geübten Hand, und fragte: „Mama, darf ich mitspielen? Zusammen klingt es so schön.“

 

Mit dem Navi im Kofferraum gegen Uber

Letzten Donnerstag besuchte ich einen kranken Kollegen etwas ausserhalb von St. Gallen. Da ich rund 20 Minuten hätte auf den Bus warten müssen, nahm ich ein Taxi.

Also setzte ich mich ins Taxi und gab dem Fahrer die Adresse.

Fahrer freundlich: Wissen wo ist?

Ich habe Ihnen doch die Adresse gegeben!?

Fahrer etwas weniger freundlich: Ich meine, wo fahren?

Das weiss ich nicht. Deshalb nehme ich ja ein Taxi.

Fahrer verwirft die Hände.

Haben Sie kein Navi?

Fahrer verwirft die Hände und steigt aus. Im Kofferraum findet er das Navi, installiert es und tippt die Adresse ein. Nach mehr als 5 Minuten fahren wird dann doch noch los.

Geärgert hat mich die Sache besonders, weil ich sonst bei jeder Gelegenheit die Ostschweizer Taxis als service-orientiert, kundenfreundlich und zuverlässig lobe. Kein „Du schweigen, du Frau“, keine kostspieligen Umwege, keine versifften Taxis mit unfreundlichen Fahrern wie in Zürich.

Natürlich hätte ich mein eigenes Mobil Navi zücken können. Für einen ausländischen Gast wäre dies allerdings teuer geworden. So extravagant ist ein installiertes Navi in einem Taxi nun auch wieder nicht.

Man kann die ungleichen Bedingungen für Taxiunternehmen und für Uber anprangern. Glaubwürdiger wären die Bedenken über ungleiche Wettbewerbsbedingungen allerdings, wenn sich die Taxiunternehmen in Sachen Kundenfreundlichkeit an die von neuen Wettbewerbern mitgeprägten Standards hielten. Diese wären in den meisten Fällen gratis (freundlich) oder mit geringen Anstrengungen (Navi aus dem Kofferraum) zu erreichen.

 

 

 

Die verheiratete berufstätige Frau in der Schweiz

Monika Bütler

Heute habe ich bei der Aufbereitung der Publikationsgeschichte der Schweizerischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik – mit 152 Erscheinungsjahren gehört sie immerhin weltweit zu den ältesten Fachzeitschriften der Volkswirtschaftslehre – eine wahre Trouvaille entdeckt.

In der 1949 Ausgabe der Zeitschrift verfasste Dr. Albert Koller, Direktor des Eidgenössischen Statistischen Amts von 1946 bis 1957, einen Aufsatz zur schwindenden Bedeutung der verheirateten Frau im schweizerischen Berufsleben. Aus der Sicht von Koller war dies eine „wichtige, wenn auch wenig beachtete soziale Errungenschaft des letzten halben Jahrhunderts“. Während um 1900 war noch ungefähr jede fünfte nichtledige Frau berufstätig war, so sank dieser Anteil bis ins Jahr 1941 auf einen Achtel. Ziemlich bemerkenswert, gab es doch damals noch keine (für Witwen wichtige) AHV.

Die Zahlen sind spannend – die Interpretation durch Herrn Koller ebenfalls. Es lassen sich wenig überraschende Aussagen finden wie „Bildet die Ausübung eines Berufes für den Mann die Voraussetzung fur die Gründung einer Familie, so bedeutet bei den Frauen die Heirat im allgemeinen den Abschluss der beruflichen Karriere“. Oder aber Versuche, die Daten zur Untermauerung von statistischen Hypothesen heranzuziehen.

So fragt sich der Autor zum Beispiel, ob der Geburtenrückgang (!) mit der Berufstätigkeit der Frauen zusammenhängen könnte. Seine Methode – der Berechnung der Korrelation der Kinderzahl einer Frau mit ihrem Arbeitsmarktstatus – erfüllt die Kriterien einer modernen Ursache-Wirkungskette allerdings nicht ganz.

Der Text schliesst mit einem frommen Wunsch: „Die familienstatistischen Ergebnisse weisen den Weg für die künftige Sozialpolitik zugunsten der verheirateten berufstätigen Frau. Das Ziel erblicken wir in einer weiteren Abnahme der Zahl jener Ehefrauen, denen es aus wirtschaftlichen Gründen nicht vergönnt ist, die ganze Arbeitskraft ihrem Haushalt und ihrer Familie zu widmen oder dann wenigstens in einer Erleichterung der beruflichen Pflichten dieser Frauen und Mütter.“

Die Tücken der Tragbarkeitskriterien beim Hauskauf

Monika Bütler

Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien am 30. Oktober in der NZZ am Sonntag unter dem Titel „Banken entdecken ihr Herz für Familien“.

Partnerwahl und Hauskauf, − zwei der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Zur Partnerschaft genügen zwei; beim Hauskauf ist meist eine dritte Partei dabei: die Bank. Ihre Bedingungen entscheiden, ob Haus oder Wohnung erschwinglich sind. Neuestens haben die Banken ihr Herz für den Mittelstand entdeckt. Sie möchten die Tragbarkeitskriterien für Hypotheken lockern, um jungen Familien die Eigenheimidylle zu ermöglichen.

Nach alter Regel sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als einen Drittel des Bruttoeinkommens betragen.  Hauptkostenpunkt ist der Hypothekarzins. Der wäre heute eigentlich tief. Gewitzt durch die von einem Immobilienboom in den USA ausgelöste Finanzkrise (und angehalten durch die Finanzbehörden)  kalkulieren die Banken jedoch mit einem längerfristigen Durchschnittssatz von gegenwärtig 5%. Diesen möchten einzelne Banken auf 3% senken. Konkret: Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Franken und Eigenmitteln der Käufer von 200‘000 Franken wäre statt eines Bruttoeinkommens von 150‘000 Franken (bei 5% Zinsen und 1% des Kaufpreises als Unterhalt) neu nur noch eines von 102‘000 Franken notwendig. Gerade im Mittelstand ein beachtlicher Unterschied.

Auf den ersten Blick hat die vorgeschlagene Änderung durchaus ihren Charme. Fast alle Prognosen gehen von langfristig tiefer Realzinsen aus. Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Produktivität sind die Hauptgründe dafür. Und Inflation ist (noch) nicht in Sicht.

Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn, erstens, lauern im neuen makroökonomischen Umfeld mit tieferen Zinsen neue Gefahren für die Käufer:Nicht nur die Zinsen sind tief, das Wirtschaftswachstum ist es ebenfalls. Die Hauskäufer können nicht mehr damit rechnen, dass sich der relative Wert der Hypothek gemessen an ihrem Einkommen über die Zeit sozusagen magisch verkleinert. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Zahl der Rentner, für die die Hypothek eine zu grosse finanzielle Belastung darstellt, heute sehr viel höher liegt als früher.

Zwanzig Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns zudem vergessen lassen, wie sehr höhere Inflationsraten und somit Hypothekarsätze die Haushalte belasten – auch wenn Renten und Löhne vollständig an die Teuerung indexiert sind. Hypothekarzinsen von über 7% wie in den 1990er Jahren wären mit beim erwähnten Beispiel mit einem Einkommen von 100‘000 Franken kaum mehr tragbar.

Zweitens wird wohl ein Teil der Erleichterung beim Hauskauf gerade wieder aufgefressen von den dadurch ausgelösten Preissteigerungen: Bieten zwei Interessenten für eine Wohnung, hört das Preisangebot spätestens dann auf, wenn die Tragbarkeitsbedingungen binden. Sind diese lockerer, können dieselben Bieter nicht nur höhere Gebote machen, auch der Kreis der Anwärter wird grösser. Das logische Resultat: das Haus wechselt die Hand zu höherem Preis. Dies ist nicht einfach graue Theorie. Die empirische Evidenz aus verschiedenen Ländern zeigt eindeutig, dass direkte oder indirekte Erleichterungen des Immobilienkaufs durch für weniger reiche Haushalte immer auch zu höheren Preisen führen. Die vermeintliche Unterstützung geht teilweise oder ganz an die Hauseigentümer und Baufirmen.

Interessanterweise versteht man im Ausland, dass dank der Tragbarkeitskriterien die Immobilienpreise in der Schweiz nicht noch mehr gestiegen sind. Am letzten Dienstag versandte das deutsche Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der drohenden Immobilienblase. Eine der vorgeschlagenen Massnahmen: strengere Vergabekriterien.

Also nichts machen und gerade junge Mittelstandsfamilien weiterhin vom Hauskauf abhalten? Ein Kompromiss wäre die strengen Tragbarkeitskriterien etwas in die Zukunft zu verschieben und diese mit höheren verbindlichen Abzahlungsraten zu verbinden. Die Amortisation müsste so hoch sein, dass bei gleichem Einkommen in 15 Jahren wieder die konservativen 5% erreicht würden. Dies hätte zwei weitere Vorteile: Erstens ist die Bereitschaft einer hohen Amortisation für die Banken ein gutes Signal für das berufliche Selbstvertrauen der Schuldner.

Zweitens schützt eine tiefere Verschuldung die Betroffenen im – leider nicht seltenen – Scheidungsfall. Die amerikanische Ökonomin Betsey Stevenson zeigte nämlich, dass die Menschen das Scheidungsrisiko bei fast allen Entscheidungen berücksichtigen (Kinder, Sparen, Arbeit), sonderbarerweise nicht aber beim Hauskauf. Sie verkennen, dass von den zwei Entscheidungen die Partnerwahl die wichtigere ist: Wer dort einen Fehler macht, hat auch das Haus auf Sand gebaut.

Znacht mit Nobelpreisträger

Urs Birchler

Mit den heute gekrönten Wirtschaftsnobelisten habe ich je schon einmal ein Nachtessen bestritten und war nachher beide Mal nudelfertig. Mit Bengt Holmström (in grösserer Ökonomen-Tischrunde des Studienzentrims Gerzensee) bewegte sich das Gespräch auf einer Reiseflughöhe und in einer Geschwindigkeit, dass mir schwindlig wurde.
Noch schlimmer war es mit Oliver Hart (zu zweit ). Er ist ein derart interessierter Geist, dass er mich vom ersten Satz an ausfragte über die Schweiz, von Initiative und Referendum bis zur (Nicht-)Handelbarkeit von Milchkontingenten und Alprechten. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie oberflächlich ich mich in vielem auskannte und was intellektuelle Neugier bedeutet.

Oliver Hart hatte ich damals (1999) eingeladen als Referent in einem gemeinsamen Seminar von SNB und FINMA (damals EBK) zum Thema Bankenkonkursrecht. Hart hatte mit Lucien Bebchuk ein Konkursverfahren erfunden, welches den Wert der zu liquidierenden Unternehmung maximiert und die Anspruchsberechtigten fair behandelt. Wir waren damals überzeugt, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken so etwas brauchte. Eine vereinfachte Version floss dann schrittweise tatsächlich ins Bankengesetz ein und wird heute als „bail-in“ (Gläubigerbeteiligung an den Verlusten) international hoch gehandelt.

Als ich Oliver Hart Jahre später wieder traf, berichtete ich ihm stolz, wir hätten seinen Vorschlag immerhin teilweise umgesetzt. Doch liess ihn dies völlig kalt; er hatte seine Neugier längst auf neue Fragen gerichtet.

Immerhin haben wir Oliver Hart in den Artikeln 31ff. des Bankengesetzes ein „lebendes“ Denkmal gesetzt. Lange vor dem Nobelpreiskomittee.

Die Jungen sind die Armen

Monika Bütler

Eine Version dieses Texts erschien in der Annabelle Rubrik „Meine Meinung“

In GROSSBUCHSTABEN kündigte der Blick vor ein paar Jahren die grosse Serie zur Altersarmut in der Schweiz an. Die Rentnerportraits liessen die Leserinnen allerdings ratlos zurück. Die erste Person verdiente bis zur Pension 6000 Franken pro Monat, die zweite wurde – bei einem Einkommen 3000 Franken – von gut verdienenden Kindern unterstützt, die dritte hatte ein Renteneinkommen von 4000 Franken, ein Haus und eine halbprivate Krankenkasse. Neben den üblichen „die bösen Politiker verlochen alles Geld im Ausland statt zu den eigenen Leuten zu schauen“ Kommentaren lautete der Tenor der anderen Reaktionen: Ist dies nun wirklich Altersarmut? Nach dem dritten Teil verschwand die Serie leise wieder aus dem Blatt.

So erstaunlich ist dies nicht: Älteren Menschen in der Schweiz stehen im Durchschnitt mehr Mittel zur Verfügung haben als der aktiven Bevölkerung. Die Armutsquote liegt für Rentner rund viermal tiefer ist als für junge Familien. Zweite Säule und Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV sorgen für diese erfreulichen Zahlen. EL garantieren einer Einzelperson ein Einkommen von ungefähr 3000 Franken, einem Ehepaar von ungefähr 4200 Franken pro Monat; die Krankenkosten werden separat vergütet. Zugegeben, das ist nicht viel, aber einige hundert Franken mehr als die Sozialhilfe. Und mehr als vielen Familien selbst bei voller Berufstätigkeit zur Verfügung steht.

Dennoch: die AHV Renten sollen um 10% (nach dem Willen der AHV Plus Initiative), respektive um 70 Franken für eine Übergangsgeneration (Vorschlag Alterssicherung 2020) angehoben werden. Das Pikante an beiden Vorschlägen: die Ärmsten unter den RentnerInnen profitieren gar nicht – manche verlieren sogar.

In beiden Vorlagen geht nur ein Bruchteil der massiven Mehrkosten (4.1 Milliarden Franken bei der AHV Plus) an die armen Alten. Oder eigentlich noch schlimmer: Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen – im Gegensatz zur EL – Steuern entrichtet werden müssen.

Ein Plus, das die Frauen spüren werden, meinen die AHV Plus Initianten. Ein Plus, das die mittelalterliche Professorin oder die junge (Zweit-)Frau eines gut verdienenden Mannes spüren werden. Nur leider nicht diejenigen, die eine bessere Absicherung am Nötigsten hätten: alleinstehende Frauen mit oder ohne Kinder. Den ärmeren unter ihnen würde das, was sie durch eine höhere AHV Rente erhalten würden, gerade wieder durch tiefere (oder gar wegfallende EL) weggenommen. Für die anderen – gerade für viele geschiedene Frauen – wäre eine bessere Abdeckung durch die zweite Säule ungleich wertvoller.

Ob «AHV plus» oder «Alterssicherung 2020 + 70 Franken», am meisten profitierte die lauteste und im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes: Finanziell gutgestellte (meist verheiratete) Babyboomers – Männer und Frauen, links und rechts. Und wer zahlt? Die Jungen und künftige Generationen. Als ob sie mit den steigenden Gesundheits- und Pflegekosten nicht schon genug belastet wären.

Der Sozialstaat soll für eine Absicherung aller Bürger sorgen, die sich nicht selber helfen können. Tut er dies nicht sparsam, reichen die Mittel nicht für alle Bedürftigen. Wenn wir weiterhin so sorglos mit der Alterssicherung umgehen, wird es bald eine neue Serie im Blick geben: Junge Familien in der Steuerfalle. Diese wäre bestimmt nicht schon nach drei Portraits zu Ende.