Kartoffelgeld

Urs Birchler

Immer wieder kommt die Frage: „Warum dürfen Banken Geld schöpfen, aber andere nicht?“ Die Vollgeldbewegung will die Geldschöpfung der Banken abschaffen, und an der kommenden Generalversammlung der SNB wird das Thema sicher von verschiedenen Referenten aufgegriffen werden. Heute kam mir ein Text von Ivo Muri in die Hand: „Warum dürfen Landwirte kein Geld drucken?“ Drum versuche ich am Beispiel der Kartoffelwährung einmal mehr zu erklären, was Banken tun und was nicht.

Bauern verkaufen Kartoffeln. Banken verkaufen Guthaben. Mit Kartoffeln kann man zahlen, wenn jemand bereit ist, Kartoffeln an Zahlung zu nehmen. Dasselbe gilt für Bankguthaben. Ein potentielles Zahlungsmittel herstellen darf also jeder (Beispiel: Bitcoins); schwieriger ist es, die Leute zu überzeugen, dieses effektiv anzunehmen. In Kuba sind Kartoffeln ein sehr begehrtes Zahlungsmittel. In der Schweiz sind heutzutage Bankguthaben beliebter.

Fazit 1: Geld wird geschaffen durch die Bereitschaft der Allgemeinheit, ein Gut als Zahlungsmittel anzunehmen. Geld schafft also weder der Bauer noch die Bank, sondern wir, die uns durch Guthaben oder Kartoffeln zahlen lassen.

Kartoffeln bestehen aus Stärke. Bankguthaben bestehen aus versprochenem Geld. Der Unterschied: Stärke macht satt, ein Versprechen nicht. Wie J.A. Schumpeter sagte: Mit versprochenem Geld kann man bezahlen, aber auf einem versprochenen Pferd kann man nicht reiten. Mit versprochenen Kartoffeln kann man also zwar nicht kochen. Aber (siehe oben) man kann mit ihnen bezahlen, wenn das Lieferversprechen des Bauern glaubwürdig genug ist.

Fazit 2: Geld kann jeder schaffen, der glaubwürdige Versprechen abgeben kann und diese in eine übertragbare Form kleidet.

Kartoffeln kriegen Junge. Geld kriegt keine Jungen, aber es „arbeitet“, d.h. es lässt sich rentabel ausleihen. Bauer und Bank lassen ihre Kartoffeln, bzw. ihr Geld, daher nicht in der Scheune liegen. Das hat einen Vorteil: Die Inhaber der Kartoffelgutscheine und die Inhaber der Bankguthaben erhalten einen Zins (oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr). Im Wettbewerb frisst dieser Zins den Ertrag aus dem ausgeliehenen Geld, bzw. des gepflanzten Kartoffeln weitgehend auf, d.h. der Ertrag der Geldschöpfung fliesst in jenes Publikum, auf dessen Vertrauen die Geldschöpfung letztlich beruht. Dieses System — versprochene Kartoffeln nicht am Lager zu haben oder versprochenes Geld auszuleihen — hat auch einen Nachteil: Es ist fragil. Wenn Panik aufkommt, versuchen die Leute, die Kartoffeln im eigenen Keller zu bunkern oder das Geld bei der Bank in bar abzuholen. Dies ist die Achillesferse des „fractional reserve banking“.

Fazit 3: Unvollständig gesicherte Guthaben sind für ihre Inhaber rentabel, aber riskant. Ob die Guthaben auf Kartoffeln lauten oder auf Geld spielt keine Rolle.

Geld (in heutiger Form) ist beliebig vermehrbar. Kartoffeln nicht. Einem Bauern, der Kartoffel versprochen hat, sie aber nicht liefern kann, mag ein Kollege aushelfen. Wenn alle Bauern „short“ sind, kann ihnen niemand helfen. Wenn alle Banken zusammen Geld liefern müssen, weil die Kunden in Panik sind, kann ihnen die Nationalbank mit einem Notkredit helfen. Die Nationalbank — und nur die Nationalbank — schafft Geld „gratis“ aus dem Nichts. Fiat Money, „Es werde Geld“. Es werde Kartoffel, geht nicht. (Dasselbe gilt übrigens für Bitcoin, darum kann und wird es nie echte Bitcoin-Banken geben.) Einen Lender of Last Resort kann es nur geben in einem beliebig vermehrbaren Medium, d.h. in Fiat Money. Weil Banken (von der SNB geschaffenes) Fiat Money borgen und ausleihen und nicht Kartoffeln, sind sie anders als Bauern. Und die SNB schützt die Achillesferse des Systems (was man als Vollgeld durch die Hintertür bezeichnen könnte).

Fazit 4: Das einzige „Privileg“ der Banken besteht darin, dass ihre Versprechen auf Geld lauten, welches im Notfall von der Notenbank beliebig vermehrt werden kann (den Banken aber keineswegs geschenkt wird).

Eine Hunderternote zu drucken, kostet die Nationalbank weniger als einen Franken. Das rentiert. Kartoffelgeld oder Bankgeld zu schaffen, ist etwas ganz anderes: Die Halter von Guthaben bei Bank oder Bauern müssen nämlich „bestochen“ werden, sei es (siehe oben) in Form von Zinsen oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr. Sonst gehen sie zur Konkurrenz. Die Nationalbank hingegen hat keine direkte Konkurrenz, drum braucht sie den Inhabern der Banknoten auch keinen Zins zu bezahlen. (Den resultierenden Gewinn überweist sie im wesentlichen an Bund und Kantone.)

Fazit 5: Geldschöpfung durch die SNB einerseits und durch Banken (oder Bauern) andererseits sind zwei grundverschiedene Vorgänge.

Abschied von Gebhard Kirchgässner

Unser Mit-Batzer, Kollege und Freund Gebhard Kirchgässner ist viel zu früh gestorben.

Wir sind sehr traurig.

Monika Bütler, Urs Birchler, Marius Brülhart

Die untenstehende Würdigung erscheint in leicht gekürzter Form in der NZZ vom 5. April.

Am vergangenen 1. April verstarb – auf den Tag genau 25 Jahre nach seinem Eintritt in die HSG – Professor Dr. Dr. hc Gebhard Kirchgässner nach schwerer Krankheit in seinem 69. Altersjahr. Die Universität St. Gallen verliert mit ihm nicht nur einen brillanten Volkswirt und engagierten Lehrer, sondern auch eine moralische Instanz und einen Brückenbauer zwischen verschiedenen Disziplinen, zwischen Theorie und Praxis.

Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte Gebhard Kirchgässner ab 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Osnabrück. 1992 kam er als Vertreter einer modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Bis zu seiner Emeritierung 2013 prägte der Wandel der damaligen volkswirtschaftlichen Abteilung zu einer international ausgerichteten und interdisziplinären School of Economics and Political Science entscheidend mit.

Gebhard Kirchgässner gehörte zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschaftern der Schweiz. Dabei schrieb er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch – in den Medien und in jüngerer Zeit in Blogs – für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit. Seine Arbeiten deckten eine schwindelerregende Breite von Themen ab. So verfasste er zum Beispiel ein Lehrbuch zur Zeitreihenanalyse aber auch Aufsätze zur Bedeutung moralischen Handelns in Marktwirtschaft und Demokratie.

Ganz besonders in Erinnerung wird uns Gebhard Kirchgässner bleiben als einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig.

Gebhard Kirchgässners Forschung fand international grosse Anerkennung. Schweizerischen und internationalen Vereinigungen diente er mit grossem Einsatz, so als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik, als Präsident der European Public Choice Society und als Vertrauensperson der Ethikkommission des Vereins für Socialpolitik. Hochverdient wurde es im Jahre 2011 mit dem Ehrendoktor der Universität Freiburg i. Ue. ausgezeichnet.

Ein Entertainer war Gebhard Kirchgässner gewiss nicht, er glänzte vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen. Während vieler Jahre lehrte er gemeinsam mit Kollegen aus der Politikwissenschaft. Für die Studierenden vermittelten seine Kurse wertvolle Einsichten über den Tellerrand der Ökonomie hinaus, für die HSG bildeten sie ein wichtiger Bestandteil der angestrebten ganzheitlichen Bildung.

Gebhard Kirchgässner verstand sich immer im Dienst der Gesellschaft. Ganz besonders am Herzen lag ihm sein Engagement für die Schweiz. Bereits vor seiner Einbürgerung, auf die er sichtlich stolz war, diente er seiner Wahlheimat in verschiedenen Funktionen. Er nahm unzählige Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte während vieler Jahre die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen. In seiner Wohngemeinde engagierte er sich sogar in der Geschäftsprüfungskommission.

Gebhard Kirchgässner Prinzipientreue und Aufrichtigkeit waren legendär; er sprach auch unangenehme Wahrheiten aus, wenn es der Sache diente. Von seinen Ratschlägen, ob angenehm oder unangenehm, profitierten alle, seine Kolleg(inn)en, seine ehemaligen Studierenden, die Öffentlichkeit. Die Volkswirtschaftslehre als Disziplin verliert mit ihm eine grosse Persönlichkeit, die Schreibende und viele ihrer Kollegen einen spannenden Gesprächspartner und treuen Freund.

Neurentenbonus: (nur) die Übergangsgeneration profitiert

Monika Bütler

Der Ständerat schlägt einen Neurentenbonus von 70 Franken vor als Kompensation für die Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8% auf 6%. Bei genauer Betrachtung der Situation wird aber folgendes klar.

  1. Die Übergangsgeneration wird entschädigt für Verluste, die sie so gar nicht hat, weil die Reform auch eine Besitzstandwahrung enthält.
  2. Die bereits pensionierten Generationen werden für die erlittenen Verluste nicht entschädigt.

Um etwas Ordnung in die Diskussion zu bringen, hier eine Auslegeordnung.

Zwei Arten von Pensionskassen (vereinfacht…)

Es gibt im Wesentlichen zwei Arten, die Umwandlung des während des Arbeitslebens angesparten Vermögens in eine lebenslange Rente zu berechnen. Erstens mit zwei getrennten Sätzen für das obligatorische Altersguthaben (generiert von Jahreseinkommen unter circa 85‘000 Franken) und das überobligatorische Kapital (alles andere). Der Umwandlungssatz im Obligatorium unterliegt einer strengen Regulierung (die viel diskutierten 6.8%), den Umwandlungssatz im Überobligatorium hingegen können die Vorsorgeunternehmungen (in gewissen Grenzen) selber festlegen. Umhüllende Kassen, die meisten autonomen grossen Pensionskassen, andererseits, unterscheiden nicht zwischen Überobligatorium und Obligatorium. Sie versichern in der Regel grosszügiger als Kassen mit BVG Obligatorium (mit entsprechend höheren Beitragssätzen). Umhüllende Kassen können die Umwandlungssätze senken, solange die Mindestleistungen gemäss BVG noch immer gewährt sind.

Rentensenkungen in der BV schon seit 2004

Bis Ende 2003 galt in der Schweiz das Modell, von dem viele noch glauben, es existiere noch: Der Umwandlungssatz, der die Umrechnung vom angesparten Alterskapital in die jährliche Rente beschreibt, lag für fast alle Versicherten im BVG gleich, bei damals 7.2%. Ein Alterskapital von 100‘000 Franken löste somit eine jährliche lebenslange Rente von 7200 Franken aus.

Der Schock kam 2004 – also bereits vor 13 Jahren! Die Winterthur Versicherung senkte wegen sinkender Kapitalmarktzinsen und steigender Lebenserwartung den Umwandlungssatz im Überobligatorium auf 5.4% für Frauen und 5.8% für Männer. Weitere Versicherungen und Pensionskassen folgten kurz danach. Eine Frau, die von den 100‘000 Franken die Hälfte im Überobligatorium hatte, erhielte nur noch eine Rente von 6‘300 Franken (3600 (= 7.2% von 50‘000) + 2700 (=5.4% von 50‘000)). Also bereits 2004 faktisch nur noch einen Umwandlungssatz von 6.3%.

Das Überobligatorium ist ja nur für Einkommen über 80‘000 Franken pro Jahr, werden einige einwenden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit (oder noch weniger). Gerade weil der finanzielle Druck auf die Pensionskassen durch den überhöhten Umwandlungssatz so stark ist, nützen diese ihren Spielraum aus (d.h. müssen ihn ausnützen, wenn sie nicht pleite gehen wollen). Bei jedem Stellenwechsel wird ein Teil des Eintrittsguthabens als überobligatorisch ausgewiesen, je mehr Stellenwechsel und gewollte oder ungewollte Auszeiten, desto höher der Anteil im Überobligatorium. Rückzahlungen von früheren Kapitalauszahlungen durch Scheidung oder Wohneigentumsbezug gehen meist ebenfalls in den überobligatorischen Teil. Tatsächlich zeigen unsere Zahlen, dass selbst Versicherte mit relativ kleinem PK Vermögen oft 50% oder mehr im Überobligatium haben.

Doppelte Kompensation der Senkung des Umwandlungssatzes

Was heisst dies nun für die vorgeschlagene Reform: Die „neuen“ Rentner haben auf dem Überobligatorium (meist nur ein Bruchteil des Vermögens) neu einen tieferen Umwandlungssatz. Doch genau diese Senkung soll für die Übergangsgeneration zwischen 45 und 65 bereits durch die Pensionskasse kompensiert werden. Es heisst: „Die Vorsorgeeinrichtungen müssen diesen Personen die Altersrente, wie sie nach BVG in der bis zum Inkrafttreten der Reform geltenden Fassung berechnet wird, garantieren.“ Finanziert wird dies über den Sicherheitsfonds.

Die Besitzstandwahrung heisst nichts anderes als dass die Übergangsgeneration bereits kompensiert wird. Und die 70 Franken sollen sie erst noch dazu erhalten. Senkungen des Umwandlungssatzes im Überobligatorium werden hingegen nicht kompensiert. Weder für alte noch für neue Rentner.

Gleiche Konditionen in der Kasse, ungleiche Behandlung in der AHV

Schauen wir uns noch die Versicherten in umhüllenden Kassen an. Umhüllende Kassen können die Umwandlungssätze senken, solange die Mindestleistungen gemäss BVG noch immer gewährt sind. Und das machen sie auch bereits intensiv. Ich kenne keine umhüllende Kasse, die heute noch in der Nähe eines Umwandlungssatz von 6.8% hat. Die aktuellen Zahlen sind zwischen 4.6 und 5%. Für die Versicherten in diesen Kassen ändert sich durch die Reform: NICHTS. Einziger Unterschied: Die neuen Rentner erhalten einen Bonus, die alten Rentner (mit den genau gleichen Konditionen): NICHTS.

Noch gar nicht erwähnt sind die vielen über 80 jährigen, die zum Zeitpunkt der Pensionierung kein oder nur wenig Kapital in der Pensionskasse hatten, weil das Obligatorium erst 1985 eingeführt wurde. Das sind von den Männern zwar nur etwa 20%, bei den Frauen ist dieser Teil allerdings höher. Und als Kompensation erhalten Sie nun in der neuen Reform: NICHTS.

Der Run aufs Gymi ist verständlich

Monika Bütler

Jedes Jahr im März: Tausende Kinder schreiben in Zürich und anderen Kantonen die Gymiprüfung, schwitzen und leiden, freuen sich, wenn es klappt, sind enttäuscht, wenn es nicht klappt. Jedes Jahr werden sie begleitet durch eine Hintergrundserie in den Medien mit den immer gleichen Messages: Gymi ist nicht alles. Angeblich überehrgeizige Eltern werden mit Hohn überschüttet, weil sie ihren nicht so brillanten Nachwuchs  ans Gymi prügeln wollen. Das Ganze wird begleitet vom obligatorischen Lobgesang auf die duale Bildung, ohne den man heute sofort geteert und gefedert wird.

Wer allerdings nachschaut, wer all das schreibt, merkt schnell: Die allermeisten Kritiker sind selber ans Gymi gegangen und haben nachher studiert. Der eigene Nachwuchs geht natürlich ebenfalls aufs Gymi. Das ist dann aber etwas gaaaanz anderes: Aron wollte schon mit 3 Griechisch lernen, Lea ist ein Mathegenie und wäre in der Sek hoffnungslos unterfordert, Caesar ist ein Chemietüftler. Wie es die Zeit ausdrückt: Die Akademiker möchten das Gymi gerne für sich behalten. Oft schwingt noch ein Unterton mit, dass die Deutschen Nachbarn das CH Bildungssystem einfach nicht kapieren wollen.

Liegen denn die gescholtenen Eltern und Kandidaten so falsch? Wir wissen noch so wenig, was die digitale Revolution alles bringt. Aber sicher nicht weniger von den noch wenig zielgerichteten Fähigkeiten, die das Gymi vermitteln will und es meistens sogar erreicht. Das Gymi ist anstrengend, offeriert aber neben Wissensvermittlung auch eine Zeit der Orientierung, des Ausprobierens und des Nachdenkens. Ganz nutzlos kann dieser Weg nicht sein, wie die grosse Zahl importierter Akademiker zeigt.

Die Attraktivität der gymnasialen Bildung hat allerdings auch handfeste Gründe. Erstens ist es für viele Kinder zu früh, mit 14 Jahren eine Lehrstelle suchen zu müssen. Es ist bewundernswert, dass eine grosse Zahl von Kindern die schwierige Berufswahl offenbar mit Erfolg treffen kann.  Viele andere Kinder sind zum Ende der Schulpflicht allerdings weit weg, einigermassen informierte Entscheidungen zu treffen. Eine Lehre machen, nur um danach die Passarelle zu machen, ist für den Lehrbetrieb unbefriedigend (er wird um eine hoffnungvolle Nachwuchskraft gebracht), für den jungen Mann oder die junge Frau sehr aufwändig (fragen sie die Absolventen).

Es fehlt, zweitens, vielerorts ein 10. Schuljahr, eine 4. Sek sozusagen, für die guten SchülerInnen. Heute muss man ironischerweise einem begabten Kind mit Lehrwunsch fast raten, ans Gymi zu gehen. Nicht nur, um sich die Optionen offen zu halten, sondern um bei einem späteren Entscheid nicht ein Jahr in einer Orientierungsstufe mit nicht ganz so motivierten Mitschülern verbringen zu müssen. Ein Skandal zudem, dass das 10 Schuljahr in vielen Gemeinden 10000 Franken und mehr kostet, während die Privilegierten am Gymi nur Kopien und Ausflüge extra bezahlen müssen.

Zu guter Letzt ist das Gymnasium ein vom Steuerzahler paradiesisch ausgestattetes Privileg für die guten Schüler. Dieses Privileg anstreben zu wollen, ist ja nicht so unverständlich. Ich würde mir sogar wünschen, die Gymis würden bei ihren Demos gegen den Bildungsabbau nicht nur die wegfallenden Nebenfächer thematisieren, sondern dafür kämpfen, das Privileg der gymnasialen Bildung auch anderen begabten Kindern zu ermöglichen.

Die Diagnose, dass nicht immer die Richtigen ans Gymi gehen ist so falsch nicht. Dieses Problem löst man nicht mit einem erschwerten Zugang, sondern durch  geeignete Methoden, welche die bisher zu wenig berücksichtigten Kinder identifizieren und fördern (oft Knaben mit nicht akademisch geschulten Eltern).

Dass übermotivierte Eltern ihren minderbegabten Nachwuchs gegen deren Willen ans Gymi prügeln, ist ohnehin eine Legende. Die allermeisten Kinder wollen selber und wissen auch – wenn auch vage – weshalb. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, den heutigen Eltern ständig Führungsschwäche in der Erziehung vorzuwerfen. Ausgerechnet bei einer äusserst wichtigen Entscheidung, die eine sehr lange Zeit betrifft, sollten die Eltern dann nicht mehr reinreden. Wir würden gescheiter den Ehrgeiz der 12-14 jährigen Jugendlichen und ihrer Eltern applaudieren statt kritisieren. Wir werden ihn brauchen können.

PS: Nein, ich habe kein Kind an einer Gymiprüfung.

70 Franken süsses Gift

Monika Bütler

Das erste Mal in der 70 (!) jährigen Geschichte der AHV kommt eine vorgeschlagene Rentenverbesserung nur einer Gruppe von Rentnern und Rentnerinnen zu. Den Neurentnern. Das mag auf den ersten Blick unwichtig klingen, ist es aber nicht. Die Schweiz ist eines der ganz wenigen Länder mit einer universellen 1. Säule. Es gibt keine Spezialregelungen für Militärangehörige, die Polizei, Politikerinnen, Feuerwehrleute, oder Lehrerinnen: alle erhalten die AHV Rente nach dem genau gleichen Prinzip. Bisher mindestens.

Sollte es nach dem Willen des Ständerates gehen, ist damit bald Schluss. Die NeurentnerInnen sollen 70 Franken mehr pro Monat erhalten. Und dies obwohl die Massnahmen zur Sicherung der Alterssicherung für viele dieser Empfänger noch gar nicht gelten.

Ich habe es ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten, dass eine solch ungerechte, primär aus abstimmungstaktischen Motiven entstandene Vorlage die Differenzbereinigung zwischen den Räten überleben würde. Auch wenn niemand wirklich an Argumenten interessiert zu sein scheint, hier nochmals die wichtigsten Punkte.

Die Ungleichbehandlung verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz der 1. Säule und öffnet so Tür und Tor für weitere Sonderbehandlungen in der Zukunft. Die Gleichbehandlung ist aber eine wichtige Komponente für den Zusammenhang der Versicherung. Weshalb nicht höhere Renten für Städter, weil dort das Leben so teuer ist. Oder für Landbewohner, weil diese auf ein Auto angewiesen sind.

Der Neurentenbonus ist ungerecht. Viele der heutigen Rentner hatten noch eine wenig ausgebaute berufliche Vorsorge. Obwohl sie aus der 2. Säule eine deutlich geringere Rente erhalten als viele künftige Rentner, kriegen Sie keinen Zustupf. Die Parlamentarier scheinen zudem nicht zu wissen – oder wollen einfach nicht wissen – dass ein Grossteil der in den letzten paar Jahren pensionierten Menschen bereits empfindliche Einbussen durch die Senkung des Umwandlungssatzes haben hinnehmen müssen. Auch diese Rentner erhalten keine Kompensation.

Die 70 Franken pro Monat haben eine miserable Zielgenauigkeit. Ein Grundsatz guter Sozialpolitik ist, dass die Massnahmen möglichst denjenigen zu Gute kommen, die sie am meisten benötigen. Nur ein Bruchteil der Kosten der 70 Franken (im Endausbau 2 Milliarden Franken pro Jahr) gehen an die armen Alten. Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen – im Gegensatz zur EL – Steuern entrichtet werden müssen.

Mit den 70 Franken begünstigt der Ständerat seine eigene Generation (zwischen 45 und 65, verheiratet). Es ist schon ein wenig störend, dass ausgerechnet die im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes von der Massnahme am meisten profitiert: Finanziell gutgestellte (meist verheiratete) Babyboomers – Männer und Frauen, links und rechts. Die Erhöhung der Rente für Verheiratete gehört ins gleiche Kapitel. Auch die heutigen Jungen sollen die 70 Franken erhalten, heisst es jeweils. Doch bis die heutigen Jungen ins Rentenalter kommen, haben sie ein Vielfaches dieser 840 Franken pro Jahr bezahlen müssen.

Die mit den 70 Franken versüsste Unterstützung der Reform könnte nach hinten raus gehen. Dann nämlich, wenn die heutigen über 65 jährigen realisieren, dass sie vom Zuschlag nichts erhalten, die Kosten der Reform aber über eine höhere Mehrwertsteuer mitfinanzieren müssen. Bisher wurde das Ausbleiben des Zuschlags von 70 Franken an die Ü65 von den Befürwortern sehr schlank kommuniziert. Das könnte sich rächen. Immerhin ist sich die wissenschaftliche Literatur ziemlich einig: Ungleichbehandlungen werden nicht goutiert, selbst wenn den heutigen Rentner direkt nichts weggenommen wird.

Mit den Mehrkosten liessen sich deutlich vernünftigere Reformen finanzieren: Zum Beispiel eine Erhöhung der Mindestrente in der AHV. Ich habe zu wenig Angaben, um die 70 Franken für alle in eine Erhöhung der Mindestrente umzurechnen: Mindestens 140 Franken sind es mindestens, es dürften aber eher 200-300 Franken pro Monat sein. (PS: Es sind – vom BSV nachgerechnet – 450 Franken pro Monat!) Von einer Erhöhung der Mindestrente würden zudem diejenigen am meisten profitieren, die heute im Alter die höchste Armutsgefährdung aufweisen: Die alleinstehenden Männer und Frauen (deren Altersrente im Durchschnitt 17% tiefer ausfällt als die Altersrente der Witwen).

 

Vollgeld: Bravo NZZ

Urs Birchler

Kompliment an Hansueli Schöchli zu seinem luziden Artikel zur Vollgeld-Initiative in der heutigen NZZ! Alles sauber und unvoreingenommen erklärt.

Für Stimmbürger(innen) am wichtigsten: Wenn die SNB dem Bund Geld schenkt, wird die Schweiz als ganze nicht reicher. Statt auf der Vermögensseite der SNB steht das Geld dann auf der Vermögensseite des Bundes. Die Gefahr allerdings: Der Wunsch der Politik nach mehr, der nur durch Geldschöpfung (einer Form der Besteuerung) und indirekt Inflation erfüllt werden kann.

Was mich am meisten beeindruckt hat: Hansueli Schöchli hat die wissenschaftliche Literatur weiträumig studiert und zitiert. Von den Schweizer Ökonomen hätte man noch den NZZ-Gastbeitrag von Jörg Baumberger und vor allem die eigene (kritische) Website zu Vollgeld des Basler Professors Aleksander Berentsen erwähnen dürfen. Dieser gehört international zu den Top-Forschern auf dem Gebiet der monetären Ökonomie.

Frühere Beiträge bei Batz.ch zu Vollgeld: Vollgeld für Anfänger, das Experiment in Louisiana, und in meiner Abschiedsvorlesung zu Thema Geldreform–Weltreform.

Zürichsee zum Schleuderpreis

2017-02-27 10.03.13Urs Birchler

Die soeben eingetroffene Rechnung für die Schiffssteuer ist skandalös. Skandalös tief. Für 37 Franken darf ich wieder ein ganzes Jahr auf dem Zürichsee umherdümpeln. Lohnt es sich überhaupt, solche Beträge einzukassieren? Ich bezweifle es und schaue nach.

Massgebend ist §3 Abs. 1 Bst. b des kantonalen Schiffahrtsgesetzes vom 1. Dez. 1996. Demnach zahlen die Zürcher Süsswasser-Kapitän(e)(innen) pro Jahr einen Grundbetrag von 30 Franken plus einen progressiven Zuschlag pro PS. Mein magerer Obulus liegt also an meiner Antriebsschwäche von lediglich 2 PS.

Als sparsamer Steuermann vergleiche ich aber statt mit PS lieber mit den übrigen Kosten zur See, beispielsweise mit dem Wert des Bootes oder mit der gelegentlichen Zeche im Seerestaurant. Da scheint mir der Kanton schon sehr zurückhaltend. Auch gegenüber den Grösseren. Selbst für die Stadt Rapperswil käme ich pro Jahr mit 2’880 Franken davon (Die Schiffahrtsgesellschaft zahlt dank Spezialtarif weniger).

Macht es Sinn, gleichzeitig Wartelisten für Liegeplätze mit Erfolgshorizont von 30 Jahren zu führen und den Glücklichen den See fast zu schenken? Aus ökonomischer Sicht (in der Preise etwas mit Knappheit zu tun haben) kaum. Aus politischer Sicht dürfte ein Lake-Pricing hingegen kaum grössere Chancen haben als das Road-Pricing (oder ein knappheitsbasiertes Parkplatz-Pricing). Die Illusion der Freiheit, im Stau oder auf der Warteliste stecken zu dürfen, ist anscheinend zu kostbar.

Altern ist (nicht) lustig

Monika Bütler

Der Beitrag erscheint unter dem selben Titel im HSG Focus 01/2017.

Das Knie knirscht, der Rücken schmerzt, die Falten werden tiefer. Mein Jüngster meinte vor einiger Zeit, dass ich von hinten eigentlich jung aussähe – von vorne hingegen…. Altern ist nicht lustig. Dennoch: Fast alle möchten alt werden, ein immer grösserer Teil der Bevölkerung schafft es auch. Noch vor 20 Jahren kannte man zwar bereits die wachsenden Finanzierungslücken der Alterssicherung, man wusste allerdings herzlich wenig darüber, wie es den älteren Menschen geht. Materiell, gesundheitlich, sozial, und vor allem darüber, wie all dies zusammenhängt. Ob healthy, wealthy and wise oder krank, arm und vergesslich, die optimale Alterspolitik hängt eben nicht nur von den Finanzen ab, sondern auch von den Bedürfnissen der Empfänger.

Ebenfalls erstaunlich: die riesigen Unterschiede zwischen Weiterlesen