AHV Debatte: Unbescheidene Babyboomers und ihre sparsamen Eltern

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 4. September 2016 unter dem Titel „Wenn das Sparsäuli der Enkel die Rente sichert“

„Ja, ja“, sagte mein Vater jeweils. Im Klartext: Erzähl mir, was Du willst. Dabei glaubte ich alle Argumente auf meiner Seite: Seit der Einführung der AHV leben 65-Jährige acht Jahre länger. Den heutigen «Alten» geht es im Durchschnitt finanziell viel besser als früher; es geht ihnen im Mittel auch besser als dem Rest der Bevölkerung. Ihre Armutsquote ist geringer, ihr Vermögen deutlich höher.

Mein 81-jähriger Vater mochte es lange gar nicht, wenn von solchen Fakten nur schon die Rede war. Auch bei meinen Vorträgen zur schweizerischen Altersvorsorge spüre ich immer wieder, wie vor allem ältere Rentnerinnen und Rentner betupft, manchmal sogar ungehalten reagieren. Sie hätten schliesslich ihr Leben lang hart gearbeitet und auf vieles verzichtet.

Sind die Alten überempfindlich?  Nein, das sind sie nicht. Denn die nackten Zahlen zeigen nur die halbe Wahrheit. Natürlich haben die heutigen Rentner vom Ausbau und der Grosszügigkeit des schweizerischen Alterssicherungssystems profitiert. Doch, erstens, wäre es unfair, ihnen dies vorzuwerfen. Schliesslich haben sie sich die Erhöhung der AHV-Renten in den 70-er Jahren und den Ausbau der beruflichen Vorsorge nicht einfach selber zugeschanzt. Alle Altersgruppen und alle Parteien – auch bürgerliche – trugen den Ausbau mit. Warnungen über drohende finanzielle Ungleichgewichte – die SNB schrieb bereits 1957 von einer «zunehmenden Überalterung» – wurden angesichts guter kurzfristiger Umlage-Ergebnisse in den Wind geschlagen.

Zudem waren, zweitens, die guten Zeiten nicht immer so gut wie es scheint. Die Mehrheit der älteren Rentner kam zwar in der Pensionskasse noch in den Genuss eines Umwandlungssatzes von 7,2 Prozent, ihr Kapital wurde mit 4 Prozent verzinst. Dies allerdings auch zu Zeiten mit über 5 Prozent Inflation. Wenn heute bei einer negativen Jahresteuerung die Pensionskassenvermögen mit 1.25 % verzinst werden müssen, sind die realen Erträge höher als früher. Ob die Alten unter dem Strich wirklich besser gefahren sind als die Mittelaltrigen, ist zumindest zweifelhaft.

Und drittens geht vergessen, dass ältere Rentner oft nicht nur für eine beträchtliche Anzahl künftiger Beitragszahler sorgen mussten, sondern auch für ihre bedürftigen Eltern oder behinderten Geschwister. Dass viele ältere Menschen einen rechten Batzen auf der Seite haben, ist daher nicht nur Glück. Sie waren sich gewohnt, sparsam zu leben. Sie verzichteten selbst dann auf vieles, als die Kinder ausgezogen und die Eltern verstorben waren und kamen erst so zu Vermögen.

Vom angesparten Vermögen der älteren Generation profitieren ironischerweise diejenigen, die in ihrem Leben viel weniger Unterstützungsleistungen stemmen mussten und sich ein komfortableres und freieres Leben leisten konnten. Meine eigene Generation nämlich, die gebärgeizigen Babyboomers. Wenn jetzt gerade diese Generation für sich Kompensationsmassnahmen oder Rentenerhöhungen verlangt, scheint mir dies, mit Verlaub, etwas unbescheiden.

Die lauten Diskussionen um die Alterssicherung haben meinen Vater doch noch aus der Reserve gelockt. Klar, er sei mit der Rente gut gefahren, meinte er kürzlich. Und die weniger gut gestellten Kollegen in seinem Umfeld seien dankbar über die Ergänzungsleistungen. Aber was sich heute abzeichnet, hätte seine Generation nie gewollt: Dass man Gelder verteilen möchte, sogar an Wohlhabende, die aus der Tasche der Jungen stammten. Es könne doch nicht sein, dass die Grosseltern den Enkeln statt einen Batzen ins Sparsäuli zu legen, sich aus diesem bedienen.

Grundeinkommen: Wichtig ist die Diskussion – nicht

Monika Bütler

Wichtig sei es, die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in Gange zu bringen, betonen die Befürworter des Konzepts immer wieder gerne. Und die Diskussionen sind auch durchaus interessant, meistens wenigstens. Gestern abend allerdings – beim Tagi Podium im Kaufleuten – war die Bereitschaft des Publikums, sich auf eine Diskussion einzulassen, eher gering. Gelinde gesagt.

Während die Ausführungen der Befürworter Philip Kovce und Oswald Sigg frenetisch beklatscht wurde (was ich durchaus schön fand), wurden viele Voten von Katja Gentinetta und mir mit Zwischenrufen, Lachsalven und anderen Formen von Lärm unterbrochen oder ganz verunmöglicht (was ich weniger schön fand). Und dies selbst bei Diskussionen, die von beiden Seiten auf dem Podium als wichtig und interessant erachtet wurden. So zum Beispiel, was genau Bedingungslosigkeit heisst, wenn das Grundeinkommen zwar bedingungslos ist, die Zahlerinnen aber über alles mögliche (Einkommen, Vermögen, Familiensituation, Berufskosten) minutiös Rechenschaft ablegen müssen.

Es wäre ein Gaudi gewesen, wie die Gegner Lachsalven über sich ergehen lassen mussten, meinte jemand auf Twitter. Ich würde wie eine HSG Professorin klingen, die eigentlich Bäuerin sei, was schon fast wie ein Kompliment klang (und immerhin einen grossen wahren Kern hat). Ich bin aber auch verantwortlich für die Steuerhinterziehung der Reichen, die Steueramnestie einiger Kantone als Reaktion auf die Steuerhinterziehung der Reichen, das Diktat der Energie in der heutigen Wirtschaft, die Schwierigkeiten der über 55 jährigen auf dem Arbeitsmarkt und vieles mehr. Ich hätte wohl auch Alli miini Entli singen können – Hexe bleibt Hexe.

Schade. Vor einer Woche fand an der HSG im Rahmen des Symposiums eine sehr interessante Debatte zum Grundeinkommen statt (bei dem sich die Befürworter und Gegner etwa die Waage hielten). Solche Diskussionen bringen uns tatsächlich weiter.

Für weitere öffentliche Debatten stehe ich dennoch nicht mehr zur Verfügung, das überlasse sich gerne anderen und hole dafür – ganz im Sinne der Initianten – das gestern verpasste Eile mit Weile Spiel mit der Familie nach. Ich erneuere daher meine schon vor 3 Jahren gepostete Absage. Die Gründe gelten noch immer.

Nur eine inhaltliche Ergänzung noch. Das BGE wird uns als pro-aktives Allerheilmittel gegen die disruptiven Folgen der Digitalisierung angepriesen. Doch: Wer weiss denn schon, welches Konzept für die noch weitgehend unbekannten Folgen des Wandels das Richtige ist. Ist es wirklich das BGE? Könnte es nicht auch sein, dass die Zukunft massive Investitionen in die Bildung oder den Umweltschutz verlangt, bei welchen dann die mittels BGE weitgestreuten Mittel fehlten? Vielleicht ist ein Damm als Schutz vor den Fluten sogar effizienter als Flosse(n) für alle.

Die Finanzierungslücke des bedingungslosen Grundeinkommens ist viel höher als 25 Mia pro Jahr

Von Gebhard Kirchgässner

Am 5. Juni werden wir über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmen. Im Verfassungsartikel steht zwar, dass es „ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen“ soll, jedoch nichts über dessen genaue Höhe. Den Initianten schwebt ein Einkommen von 2’500 Fr. für alle Erwachsenen und 625 Fr. für alle Kinder und Jugendlichen vor. Davon geht auch der Bundesrat aus. Dies ergäbe insgesamt einen Betrag von 208 Milliarden Fr. pro Jahr.

Geht man nach der Botschaft des Bundesrats und dem Abstimmungsbüchlein, wären zur Finanzierung zusätzlich 25 Milliarden Fr. erforderlich. 55 Milliarden Fr. ergäben sich durch Einsparungen bei den Sozialausgaben, und es „könnten rund 128 Milliarden Fr. gedeckt werden, indem von jedem Erwerbseinkommen 2500 Fr. abgezogen würden, bei Einkommen unter 2500 Fr. entsprechend das ganze Einkommen.“ Um die restlichen 25 Milliarden Fr. zu finanzieren, müsste beispielsweise die Mehrwertsteuer um 8 Prozentpunkte angehoben werden.

Leider ist die tatsächliche Finanzierungslücke sehr viel grösser. Zum einen ist es nicht ganz einfach, von jedem Erwerbseinkommen bis zu 2500 Fr. abzuziehen. Man könnte es über eine proportionale Einkommensteuer versuchen. Geht man vereinfachend davon aus, dass das Nettonationaleinkommen als Steuerbasis zur Verfügung stünde, das garantierte Grundeinkommen jedoch steuerfrei bliebe, könnte ein Gesamteinkommen von 505 Milliarden besteuert werden. Dies bedeutete bei einer proportionalen Steuer allein für die Finanzierung des Grundeinkommens einen Grenzsteuersatz von 41 Prozent. Dazu kämen selbstverständlich noch die anderen Steuern, schliesslich hat der Staat neben anderem auch für das Rechtswesen, die Erziehung und den Verkehr zu sorgen. Albert Jörimann, ein Verfechter des Grundeinkommens, hat als Alternative für Erwerbs- und Kapitaleinkommen bis 4’000 Fr.pro Monat eine Proportionalsteuer von 67 Prozent und darüber eine Kopfsteuer von 2’500 Fr. vorgeschlagen.

Das ist aber noch nicht alles. Alle diese Berechnungen gehen davon aus, dass sich auf der Einnahmenseite des Staates nichts ändert. Wenn aber die AHV durch das Grundeinkommen ersetzt wird, fallen auch die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer dafür weg. Sie werden damit finanziell entlastet. Damit die Rechnung aufgeht, muss der entsprechende Betrag vom Staat an anderer Stelle wieder hereingeholt werden. Das Gleiche gilt für die Invaliden- und die Arbeitslosenversicherung, soweit sie durch das Grundeinkommen ersetzt werden. Die dann wegfallenden Beiträge bewegen sich in einer Grössenordnung von 35 Milliarden Fr. Sieht man einmal von den Problemen ab, die 2’500 Fr.pro Monat von denjenigen zurückzuholen, die über eigenes Einkommen verfügen, bleibt immer noch eine Finanzierungslücke von ca. 60 Milliarden Fr., die zu schliessen wäre. Wollte man diese beispielsweise über die Mehrwertsteuer erreichen, benötigte man (selbst unter idealen Bedingungen) nicht nur eine Erhöhung um 8 Prozentpunkte, sondern sogar um etwa 20 Prozentpunkte.

Nicht von den Initianten, sondern auch im Abstimmungsbüchlein wird die durch eine Annahme dieser Initiative entstehende Finanzierungslücke somit massiv unterschätzt.

(Eine ausführliche Version mit den genauen Berechnungen findet sich als Diskussionspapier hier)

Das BGE und die Arbeitsproduktivität

Monika Bütler

Für einmal bin ich sogar mit den Initianten des bedingungslosen Grundeinkommens einverstanden BGE. In einem Grundlagenpapier, von der NZZ als Ökonomie des Schlaraffenlands dargestellt, gehen die Verfasser der Studie von einer Steigerung der Arbeitsproduktivität um 5% aus. Das sieht nach viel aus, ist es aber nicht. Die Arbeitsproduktivität der Schweiz wäre selbst mit einer Erhöhung um 5% noch tiefer als diejenige von Frankreich (was die OECD ja ständig lehrmeistert). Eine Steigerung der Arbeitsproduktivität durch ein BGE scheint mir daher durchaus plausibel.

NUR: Der Grund einer höheren Arbeitsproduktivität wäre ein gaaaanz anderer. Die von den Autoren erwähnten positiven Effekte einer besseren Ausbildung würden sich erst viele Jahre nach einer Einführung bemerkbar machen – falls überhaupt. Vielleicht arbeiten die Menschen tatsächlich motivierter – mindestens diejenigen, die dann noch eine Beschäftigung haben. Denn genau da liegt der springende Punkt: Denn mit einem BGE bleiben im Arbeitsmarkt mit grosser Wahrscheinlichkeit diejenigen mit einer gut bezahlten und interessanten Arbeit. Also die Produktiveren.

Anders gesagt, wenn die Schweiz ihren weniger produktiven Bürger mit dem BGE einen Anreiz gibt, aus dem Arbeitsmarkt auszusteigen, steigert sie ganz automatisch ihre Arbeitsproduktivität. Für die noch arbeitende Durchschnittsbürgerin hiesse dies ein tieferes verfügbares Einkommen, weil sie über ihre Steuern deutlich mehr Transfers zu berappen hätte. Die höheren Steuern machen dann die Arbeit für weitere Menschen unattraktiv.

Die wirklich heroische Annahme der Studie liegt allerdings darin, dass eine höhere Arbeitsproduktivität mit einem höheren Volkseinkommen gleichgesetzt wird. Dies geht wirklich nur, wenn ALLE im gleichen Ausmass weiterarbeiten würden.wie bisher. Was selbst die Befürworter des BGE nicht glauben. Woher dann die Zeit für die Weiterbildung und die Pflege der Familienmitglieder kommen sollte, bleibt das Geheimnis der Autoren. Auch weshalb in einem solchen Land die stressbedingten Ausfälle abnehmen würden.

Vielleicht wollten uns die Autoren der Studie nur wieder einmal in Erinnerung rufen, welch untauchliches Konzept die Arbeitsproduktiviät darstellt. Auch da wären wir uns einig, wie ich in einer meiner ersten NZZaS Kolumnen ausgeführt habe.

BGE: eine attraktiv erscheinende, aber nicht realisierbare Utopie

von Gebhard Kirchgässner

Das BGE ist eine attraktiv erscheinende, aber nicht realisierbare Utopie

  • Das Konzept des Grundeinkommens bietet ohne Frage viele Vorteile.
  • Wieso soll ein Arbeitsverweigerer Anspruch auf staatliche Unterstützung haben?
  • Ein bedingungsloses existenzsicherndes Grundeinkommen wäre nicht finanzierbar.

Das Prinzip des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist einfach: Jede Bürgerin und jeder Bürger erhält pro Monat einen festen Betrag vom Staat. Dieser Betrag ist unabhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage des Bürgers und gesetzlich festgelegt. Der Staat muss dieses Geld aber über die Steuern wieder zurückholen, indem er beispielsweise das Einkommen besteuert. Das staatlich finanzierte Grundeinkommen würde mit dem eigentlichen Einkommen verrechnet. Bis zu einer gewissen Einkommensgrenze erhielte man somit netto Einkommen vom Staat, danach, wenn die zu zahlende Steuer höher als das Grundeinkommen ist, müsste man dem Staat etwas abgeben. Man spricht daher auch von der „negativen Einkommensteuer“.

Dieses Konzept hat drei Vorteile:

(i)      Es soll Arbeitsanreize schaffen. Sobald ein Sozialhilfeempfänger im traditionellen System unseres Sozialstaats Arbeit aufnimmt, werden die staatlichen Leistungen in erheblichem Umfang gekürzt, sodass er netto kaum mehr, unter Umständen sogar weniger Einkommen zur Verfügung hat, als wenn er nicht arbeiten würde. Unter diesen Bedingungen hat er kaum Anreiz, eine Beschäftigung aufzunehmen.

(ii)     Es soll das Sozialhilfesystem vereinfachen. Da Sozialleistungen wegfallen, müssen sie auch nicht mehr beantragt und verwaltet werden; die Sozialbürokratie könnte stark verringert werden.

(iii)    Es soll den Armen mehr Würde verschaffen. Heute müssen sie gegenüber dem Sozialamt nachweisen, dass sie bedürftig sind. Das muss zwar nicht, kann aber entwürdigend sein.

Befürworter, wie beispielsweise der holländische Philosoph Phillipe van Parijs, führen zusätzlich ins Feld, dass erst ein bedingungsloses Grundeinkommen wirkliche Freiheit und Selbstverwirklichung gewährleiste. Er vertritt die Auffassung, dass man nur so eine freie Wahl zwischen Arbeit und (Selbstverwirklichung in der) Freizeit hätte. Bei allen diesen Vorzügen wundert es nicht, dass dieses Konzept viele Befürworter findet.

Aber das BGE hat auch gewichtige Nachteile: Der wichtigste ist, dass es zumindest dann nicht finanzierbar ist, wenn es existenzsichernd sein soll. Setzt man das Existenzminimum auch nur bei 40 Prozent des Durchschnittseinkommens an und verteilt deshalb 40 Prozent des Sozialprodukts pro Kopf gleichmäßig an alle Bürgerinnen und Bürger, müsste man dieses Geld sofort wieder durch Steuern einziehen. Dies würde Grenzsteuersätze über 60 Prozent erfordern, d.h. von jedem zusätzlich zum Grundeinkommen verdienten Franken müsste man 60 Rappen an den Staat abliefern.

Damit wäre noch keine einzige Schule und keine Straße unterhalten, es gäbe kein Gerichtswesen und keine Polizei. Will man auf diese Einrichtungen nicht verzichten, lägen die Grenzbelastungssätze vermutlich eher 80 Rappen je zusätzlich verdienten Franken abliefern. Unter diesen Bedingungen wäre kaum ein positiver Beschäftigungseffekt zu erwarten. Vielmehr gäbe es starke Anreize, nicht mehr zu arbeiten und sich mit dem vom Staat erhaltenen Geld ein einfaches, aber nicht unattraktives Leben zu ermöglichen. Ist das bedingungslose Einkommen nicht existenzsichernd, mag es zwar finanzierbar sein, aber die oben genannten positiven Aspekte entfallen.

Nicht mehr als eine faszinierende Idee

Schliesslich stellt sich auch die Frage, mit welchem Recht jemand, der nicht arbeiten will, einen Anspruch auf staatliche Unterstützung erheben kann. Der amerikanische Philosoph John Rawls hat van Parijs widersprochen: Zwar hat jeder, der aus objektiven Gründen nicht arbeiten kann, Anspruch auf Unterstützung durch die Gemeinschaft. Wer aber arbeitsfähig ist und eine ihm angebotene Arbeit ablehnt, kann keinen Anspruch darauf erheben, dass die anderen Mitglieder der Gesellschaft seinen Lebensunterhalt finanzieren. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Insofern bleibt das bedingungslose Grundeinkommen zwar eine faszinierende Idee, aber da sie nicht finanzierbar ist, bleibt sie leider im Bereich der Utopie. Das gilt für die Schweiz ebenso wie für Deutschland.

Dieser Beitrag ist zuerst bei XING erschienen:

Die Helikoptergeld-Illusion

Urs Birchler

Wenn dem Schweizer auf der Bergwanderung die Luft ausgeht, schwenkt er den REGA-Ausweis und hofft auf den Helikopter. Ähnliches scheint sich gegenwärtig in der Geldpolitik abzuspielen. Der Konjunktur geht die Luft aus, und schon denken wir an den Helikopter. Dieser soll Geld abwerfen, sei es über den Bürgern oder gleich über dem Bundeshaus. Weiterlesen

Lauter Strafen in der AHV

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 22. Februar unter dem Titel „Das ständige Gefühl zu kurz zu kommen“.

Auf den ersten Blick scheint alles klar. Ein Paar in „wilder Ehe“, wie es früher so schön hiess, bekommt oft mehr Altersrente als ein verheiratetes Paar – dies bei gleichen Beiträgen. Weiterlesen

Zürich Bern 0:2 im Streit um Finanzausgleich

Kurt Schmidheiny, Universität Basel

Nach der Kritik von Zug und Schwyz am Nationalen Finanzausgleich (NFA) findet nun auch Zürich die Transferzahlungen an den grössten Nehmerkanton Bern ungerecht (siehe Tages-Anzeiger vom 19. November).

Der Kanton Bern ist im schweizerischen Steuerwettbewerb in der denkbar schwierigsten Ausgangslage: Als grosser Kanton kann er sich nicht wie Zug oder Schwyz als Steuerhafen für Firmen und Haushalte etablieren. Und anders als grosse Wirtschaftsagglomeration wie Zürich, Genf oder Basel kann er sich nicht auf hohe Einnahmen aus Gewinnsteuern stützen.

Der Kanton Bern hat deshalb ein einschneidendes Sparprogramm gestemmt mit jährlichen Einsparungen zwischen 231 Mio. Franken im Jahr 2014 und 491 Mio. Franken im Jahr 2017 (siehe hier). Dieses Sparprogramm war sinnvoll und nötig, führte aber zu schmerzhaften Kürzungen öffentlicher Leistungen. Der verdiente Ertrag dieser Sparanstrengungen ist ein nachhaltig gesundes Budget.

0:1 für Bern.

Der Kanton Bern erliegt auch nicht der kurzsichtigen Versuchung, die aktuellen Überschüsse für Steuersenkungen zu verwenden. Denn er weiss aufgrund einer bei Urs Müller, Marius Brülhart, Dominik Egli und mir in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie, dass dies die Finanzsituation des Kantons kurz- wie langfristig verschlechtern würde.

0:2 für Bern.

Der NFA gleicht die schwierige Ausgangslage des Nehmerkantons Bern mit seinem tiefen Ressourcenpotential teilweise aus. Dass der Kanton Bern mithilfe einer mustergültigen Finanzpolitik das Beste daraus macht, verdient nicht Schelte, sondern den Respekt der Geberkantone.

Der Kanton Zürich besteuert Haushalte und Firmen im Vergleich zum Kanton Bern deutlich tiefer (siehe die Abbildung unten) und hat deutlich höhere pro Kopf Ausgaben als der Kanton Bern. So betrug der Personalauwand pro Einwohner im Kanton Zürich und seine Gemeinden im Jahr 2013 rund 20% mehr als im Kanton Bern und seinen Gemeinden (5540 Franken gegenüber 4590 Franken). Die wenig erfreuliche Finanzlage des Kantons Zürich ist das Ergebnis der relativ tiefen Besteuerung seines hohen Ressourcenpotentials und der relativ grosszügigen Ausgabenpolitik. Mit einer moderaten Erhöhung der Steuern oder einer moderaten Sparrunde könnte der Kanton Zürich seine Finanzlage problemlos nachhaltig sanieren – und dies bei weiterhin deutlich tieferen Steuern und deutlich höheren öffentliche Ausgaben als der Kanton Bern.

einkst_v0k_ZH-BE

Abbildung: Steuerbelastung durch Kanton, Gemeinden und Kirchen im Jahr 2014 in Prozent des Reineinkommens für ein verheiratetes Paar ohne Kinder unter Berücksichtigung der üblichen Abzüge. Durchschnitt aller Gemeinden des Kantons gewichtet mit der Anzahl Steuerzahler. Zum Vergleich ist das Minimum, das unterste Viertel (25. Perzentil), der Durchschnitt, das oberste Viertel (75. Perzentil) und das Maximum aller Schweizer Kantone abgebildet. Quelle: Eidgenössische Steuerverwaltung, Steuerbelastung der Gemeinden. Aufbereitet im Rahmen des SNF Projektes Fiscal Federalism.

 

Weshalb die Schweiz nach Honig schmeckt

Monika Bütler

Nach gut zweijähriger Pause wieder zurück bei der NZZaS als Kolumnistin. Hier also mein erster Text (veröffentlicht am 6. September):

Das Leitungswasser schmeckt ja wie Honig, meinte einer unserer Söhne nach der Rückkehr aus Zentralasien. Und auch sonst sei alles so angenehm zu Hause, sogar die Schule.

Die Streitereien um Sozialhilfe und Mittelstandspolitik lassen uns zu oft vergessen, dass wir praktisch gratis – quasi direkt vom Hahn – viele staatliche Leistungen beziehen können. Zu Unrecht, denn die vom Staat gebotene Lebensqualität entlastet die Haushalte direkt – finanziell und organisatorisch. Ein Stück Luxus für alle.

So ist, erstens, unser Leitungswasser nicht nur sauber und wohlschmeckend, es ist auch gesund. Für Getränke kann in einem engen Haushaltbudget getrost eine Null eingesetzt werden. Wer im Ausland gelebt hat – auch in vielen reichen Gegenden der Welt – weiss hingegen, wie mühsam das Nach-Hause-Schleppen von Wasserkanistern aus dem Supermarkt ist. Dort, wo Trinkwasser kostet, geht dies bei einer Familie rasch ins Geld.

Zweitens: wir haben sehr viel öffentlichen Raum, der allen als Erholungsraum und Treffpunkt offen steht. Die Kinder können auch ohne Einfamilienhaus im Freien spielen (falls man sie denn lässt). Selbst unsere Seeufer sind im internationalen Vergleich gut zugänglich. Viele Sportplätze und Schulareale sind öffentlich. Und unterwegs kann man sich zwischendurch gemütlich niederlassen – ohne Schilderwald „Privat!“ mit abgebildeten gfürchigen Hunden und Gewehren.

Der kleine Platz am Ende unserer Strasse ist ein wunderbares Beispiel: Er verwandelt sich von einem morgendlichen Spielplatz für die Krippen und Kindergärten der Umgebung zu einem Imbissplatz über Mittag. Nach den Drinks nach Arbeitsschluss grillieren am Abend Familien aller Nationen friedlich nebeneinander. Es gibt wohl kaum eine bessere Methode der Integration und der Gewaltprävention als ein einladender öffentlicher Raum.

Drittens: Unsere öffentlichen Schulen bieten qualitativ hochstehende Bildung auf allen Stufen. Und sie kosten bis zur Matura oder Lehrabschluss nichts; die Gebühren an den Hochschulen sind bescheiden. Mindestens 20‘000 Franken kostet die Schulbildung eines Kindes in vielen Ländern – pro Jahr! – und reisst so den Mittelstandsfamilien grosse Löcher in die Kasse.

Viertens: Der Öffentliche Verkehr würde es der Mehrheit der Einwohner erlauben, ohne Auto auszukommen. Die Arbeitsstelle ist mit ÖV erreichbar; die Kinder müssen nicht zu Schule oder Sport chauffiert werden; einkaufen lässt sich ohne Auto (nur schon weil man kein Trinkwasser tragen muss). Dass davon einkommensärmere Haushalte am meisten profitieren, zeigt das Gegen-Beispiel Neuseeland. Sogar in Städten sind Familien für Berufstätigkeit, Organisation des Schulalltags und Einkauf auf ein oder zwei Autos angewiesen. Die Kosten dafür verschärfen die ohnehin schon angespannte finanzielle Situation dieser Familien weiter.

Fünftens schliesslich geniessen wir ein grosses Mass an Sicherheit in allen Bereichen. Kaum jemand wohnt in gated communities; wir können uns auch nachts unbewacht bewegen; die Lebensmittelsicherheit ist hoch (einigen vielleicht zu hoch) und sogar die Tollwut ist ausgerottet.

Die Schweiz ein Land, wo Milch und Honig fliessen? Auf jeden Fall wäre es schade, wenn wegen Verteilungskämpfen solche staatlichen Leistungen in Zukunft zu kurz kämen. Sie bilden als „bedingungslose Lebensqualität“ einen wichtigen Pfeiler der Sozial- und Familienpolitik. Einen Pfeiler nota bene, der ohne bürokratische Kontrollen und ohne Schwelleneffekte auskommt und von dem wir alle profitieren können.

Kein Wunder schmeckt die Schweiz nach Honig.

Kleine Ergänzungen zum SVP Positionspapier zur Sozialhilfe

Monika Bütler

Wenn die SVP mich schon in ihrem Positionspapier zur Sozialhilfe zitiert, dann doch bitte mit vollständigen Quellenangaben:

Das 1. Zitat stammt aus einem Interview mit der Annabelle, das hat sich die SVP offenbar nicht getraut zu erwähnen.

Das 2. Zitat stammt aus der Schweizer Ausgabe der Zeit. Thema der Ausgabe „Wie kann man die SVP stoppen? Meine Antwort: Sozialhilfe renovieren. Der ganze Text ist unten angefügt.

Das 3. Zitat stammt – wie angegeben – aus einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Die Aussage bezog sich lediglich auf die jungen Sozialhilfebezüger.

Das 4. Zitat stammt aus dem gleichen Text wie das 2. (siehe Text unten)

Vielen Dank an Marie Baumann für den Hinweis. Damit sich die Leser(innen) selber ein Bild meiner Position machen können, hier der ganze Text aus der Zeitausgabe des 9. Oktober 2014:

Sozialhilfe renovieren: Die falschen Anreize müssen weg.

Die SVP bläst zum Angriff auf die Sozialhilfe. Mit dem üblichen Slogan „x Franken sind genug“ und ihrem sicherem Gespür für den richtigen Zeitpunkt: Die Sozialhilfeausgaben steigen, viele Erwerbstätige leben mit weniger Geld als Sozialhilfebezüger, die Sozialindustrie nervt.

Die SVP ist nicht die erste Partei, die sich des Themas annimmt. Auch die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen will die Sozialhilfe ersetzen. Und liberale Kreise liebäugeln damit, die Existenzsicherung ins Steuersystem zu integrieren, was Schwelleneffekte beim Übergang ins Erwerbsleben vermeiden soll.

Bei so viel Skepsis von allen Seiten: Ist das Instrument überholt? Nein, Sozialhilfe ist gut, weil sie aus drei Gründen das verfassungsmäßige Recht auf Existenzsicherung kostengünstig und zielgerichtet erreicht. Im Prinzip.

Erstens ist nur für eine Minderheit der Sozialhilfebezüger das fehlende Einkommen das größte Problem. Viel eher leiden sie an Suchtverhalten, zerrütteten Familienverhältnissen und fehlender Integration. Nur eine eingehende Prüfung und entsprechende Maßnahmen führen hier zum Ziel.

Zweitens liefern die Sozialhilfebehörden das viel bessere Maß der Bedürftigkeit als das steuerbare Einkommen. Eine Ablösung der Sozialhilfe durch eine Integration ins Steuersystem würde zu viel höheren Kosten führen. Viele, die gemäß Steuererklärung arm scheinen, sind es gar nicht und können keine Sozialhilfe beantragen.

Drittens erhöht diese genaue Prüfung die Akzeptanz der Sozialhilfe. Nicht nur, wer die Leistung bezahlt, muss seine Einkünfte auf den letzten Rappen dokumentieren, sondern auch der Empfänger. Opfersymmetrie, sozusagen.

Die explodierenden Kosten sind damit noch nicht erklärt. Die Ausgesteuerten sind es kaum, sie sind zu wenige. Schwindende Hemmungen, Sozialhilfe zu beantragen? Eine aufgeblähte Sozialhilfeindustrie? Ohne Daten bleibt das Spekulation. Fest steht: Im Vergleich zu den stagnierenden Arbeitseinkommen von niedrig qualifizierten Menschen ist die Sozialhilfe eher attraktiver geworden. Denn die gestiegenen Wohn- und Gesundheitskosten werden separat entschädigt, während die durch den Grundbedarf abgedeckten Güter wie Lebensmittel billiger geworden sind.

Was tun? Der von der SVP vorgeschlagene Wettbewerb zwischen den Gemeinden differenziert am falschen Ort. Wir brauchen, erstens, eine stärkere Abstufung aller Leistungen nach Art der Bezüger: Was für den arbeitsscheuen 22-Jährigen passt, ist für die 60-jährige Ausgesteuerte mit gesundheitlichen Problemen zu wenig Geld und zu viel Druck. Zweitens müsste das Dickicht der Zusatzzahlungen ausgeholzt werden. Kinderreiche Familien kommen mit Sozialhilfebeiträgen teilweise auf ein höheres Einkommen als viele Ein- und Doppelverdiener-Haushalte; nicht gerade ein Ansporn für die Kinder, sich später selber helfen zu wollen. Heute könnte auch der Mutter eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden. Es ist schließlich nicht Aufgabe der Sozialhilfe, familiäre Machtverhältnisse mit schweizerischem Komfort zu finanzieren. Und obwohl die Sozialhilfe bereits das soziale Existenzminimum deckt, werden zusätzlich Integrationszulagen bis zu 300 Franken im Monat bezahlt, wenn jemand etwa aktiv nach einer Stelle sucht.

Man kann sich also fragen: Stünden Integrationszulagen nicht eher Geringverdienern und älteren Ausgesteuerten zu, die nach 40 Jahren Arbeit durch die Maschen fallen? Und was nützt ein Einkommensfreibetrag von 600 Franken, der den Anreiz erhöht, ein wenig zu arbeiten, aber wirksam den Ausstieg aus der Sozialhilfe verhindert, weil dieser mit einem erheblichen Einkommensverlust einhergehen würde? Und: Handelt der Staat klug, wenn er gleichzeitig niedrig qualifizierte Arbeiten wie auch die Integration der Niedrigqualifizierten auslagert? „Insourcing“ würde vielleicht keine Kosten senken, aber den Behörden eine enge Betreuung der Sozialhilfeempfänger ermöglichen.

Wird der SVP-Angriff auf die Sozialhilfe also gelingen? Nein. Wieso? Weil nationalkonservative Haltungen mittlerweile in weiten Kreisen salonfähig sind. Und welcher aufrechte Eidgenosse würde einen älteren ausgesteuerten Schweizer darben lassen, wenn er vorher noch ein paar Millionen bei den faulen Flüchtlingen sparen kann?