Wahlanalyse: Das Schulden-Einmaleins

Die Wahlresultate in Frankreich und Griechenland, so meldet beispielsweise der Tagesanzeiger seien ein Votum „gegen den rigiden Sparkurs Europas, wie ihn Deutschland seinen Partnern aufgezwungen hat“. Wofür aber stimmt man, wenn man gegen das Sparen stimmt?

Ein Staat kann mit seinen Schulden auf vier [korr.] Arten umgehen:

  1. sie mit eigenem (gespartem) Geld zurückzahlen,
  2. sie mit neu geborgtem Geld zurückzahlen (refinanzieren),
  3. sie mit neu gedrucktem Geld (d.h. real nur teilweise) „zurückzahlen“,
  4. sie nicht zurückzahlen (Bankrott erklären).

Nun ist also Variante 1 politisch „out“. Variante 2 geht aber nur, wenn jemand neues Geld zur Verfügung stellt. Wer soll aber Geld geben, wenn der Schuldner das Sparen ausdrücklich ablehnt. Also ist Variante 2 auch out. Variante 3 ist im europäischen Verbund auch out, da die einzelnen Staaten kein Geld mehr drucken können (für die EZB lassen wir für einmal die Unschuldsvermutung gelten). Damit bleibt als einzige die Variante 4, der offene Staatsbankrott.

Man wird ja wohl noch für den Staatsbankrott stimmen dürfen!? Gewiss, nur hätte ich dann wohl nicht noch den culot, die Finanzmärkte und die Deutschen anzuschwärzen, wenn sie die Botschaft verstehen und nichts mehr geben.

P.S.: Die Baron-von-Münchhausen-Variante, wonach der bankrotte Staat mit noch mehr Ausgaben jenes Wirtschaftswachstum erzeugt, das dank zusätzlicher Steuern die Ausgaben finanziert, lasse ich dort, wo sie hingehört — im Märchenbuch.

Banking for Dummies

Aleksander Berentsen

Die Lage in den europäischen Finanzmärkten hat sich jüngst merklich entspannt. Seit Beginn des Jahres haben die europäischen Finanzinstitute ihren Börsenwert um rund einen Viertel gesteigert. Zudem sind die Zinsen auf Anleihen vieler europäischer Problemländer deutlich gesunken.

Dieser Börsenfrühling ist der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken. Seit Dezember 2011 stellt die EZB den europäischen Banken unbegrenzt Liquidität zu einem Discountpreis von 1 Prozent zur Verfügung. Das Programm nennt sich „Long-Term Refinancing Operation“ (LTRO). Damit bezeichnet die EZB Gelder, die sich die europäischen Geschäftsbanken für drei Jahre ausleihen können. Bis vor kurzem waren solche Operationen nicht möglich, da die EZB nur kurzfristige Kredite bis maximal 3 Monate vergeben hatte.

Mit dem LTRO-Programm schlägt die EZB zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie stabilisiert das europäische Bankensystem und die Geldschwemme reduziert den Druck in den Anleihemärkten der europäischen Problemkinder.

Indem die EZB den Banken unbeschränkt Geld zum Discountpreis zur Verfügung stellt, stellt sie sicher, dass das Bankensystem in den nächsten Jahren hoch profitabel sein wird. Mit den Gewinnen können die Banken ihr Eigenkapital stärken und so den neuen verschärften Eigenkapitalanforderungen genügen.

Der von der EZB vorgeschlagene Banken-Business-Plan ist denkbar einfach. Er wurde von Mark Dittli, Chefredaktor der „Finanz und Wirtschaft“ im „Never Mind the Markets“-Blog am 10.02.2012 durch folgendes Beispiel treffend beschrieben: „Sie sind der Direktor einer italienischen Grossbank. Sie erhalten von Ihrer Zentralbank Geld für drei Jahre zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Gleichzeitig rentieren dreijährige Anleihen ihres Heimatstaates mehr als 6 Prozent. Man braucht kein Genie zu sein, um in dieser Zinsdifferenz eine Einladung zu einem nahezu risikofreien Geschäft zu sehen. Ich borge mir eine Milliarde von der EZB zu 1 Prozent, kaufe damit italienische Staatsanleihen zu 6 Prozent und streiche fünfzig Millionen Euro Gewinn ein.“

Die Einfachheit dieses Banken-Business-Plans bezeichne ich als “Banking for Dummies.“ Diese Einfachheit ist zwingend notwendig, da die leidvollen Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass nicht wenige Banker sonst überfordert sind. So richtig interessant wird es aber erst in ein bis zwei Jahren. Dann dürfte die Bonus-Diskussion wieder entfachen. Aufgrund der hohen Profitabilität der Banken werden die Boni dann wieder üppig ausfallen – wie zu den besten Zeiten vor der Finanzkrise. Die Rechtfertigung wird darauf hinauslaufen, dass der Wettbewerb um die besten Talente die Banker zwinge, Millionen in eigene Tasche zu stecken und nicht ins Eigenkapital.

Wie anfänglich erwähnt hat die EZB mit ihrem Programm auch die Preise von europäischen Staatsanleihen im Visier. Dazu muss man wissen, dass die EZB nach eigenem Statut keine Staatsanleihen aufkaufen darf. Sie hat es aber in der Vergangenheit natürlich trotzdem gemacht, wenn auch mit angezogener Handbremse. Die Idee des LTRO ist, dass die Europäischen Banken dies für die EZB erledigen. Das heisst, das frische Geld soll über die Banken in Staatsanleihen fliessen. Vorzugsweise natürlich in diejenigen der Problemkinder Italien, Portugal und Spanien – was auch tatsächlich bereits stattgefunden hat.

Für viele Beobachter ist klar, dass die EZB angesichts des drohenden Kollapses des europäischen Finanzsystems etwas unternehmen musste. Das LTRO-Programm hat kurzfristig auch erstaunlich gut funktioniert. Trotz des grossen Erfolgs bleibt aber ein mulmiges Gefühl. Die Grundfrage bleibt, wie verhindert werden kann, dass der Finanzsektor alle paar Jahre durch den Staat mit ungewöhnlichen geldpolitischen Massnahmen oder mittels versteckter Subventionen gerettet werden muss.

Ich möchte hierzu eine kurze Idee skizzieren. Sparen ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis, ähnlich wichtig wie Rechtssicherheit oder Zugang zu sauberem Wasser. Solche elementaren Bedürfnisse werden oft sehr erfolgreich an den Staat delegiert. Es bietet sich an, dass auch einige elementare Funktionen des Finanzsektors von öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt werden werden. Ich denke hier an einfachste Spar-, Zahlungs- und eventuell sogar simple Kreditprodukte. Eine solche Grundversorgung wäre für die meisten Leute ausreichend. Braucht eine Person oder eine Firma höher entwickelte Produkte, kann sie sich an den Privatsektor wenden.

Der Vorteil eines derartigen Konstrukts liegt auf der Hand: Elementaren Finanzbedürfnisse können auch dann weiter bedient werden, wenn die nächste Finanzkrise ins Haus steht. Zudem könnten man auch getrost marode Banken Konkurs gehen lassen, da deren Untergang nun nicht mehr die ganze Wirtschaft zum Stillstand brächte. Nach dem eklatanten Staatsversagen der griechischen Politik scheint es angebracht, diese einfache Finanzprodukte durch eine von der Politik unabhängigen Institution wie der Zentralbank anzubieten. Falls Ihre erste Reaktion auf diesen Vorschlag ist: Oh Schreck Staatsbank (!), darf ich Sie sogleich beruhigen. Das heutige Finanzsystem ist ohnehin nicht weit entfernt vom real existierenden Sozialismus: In guten Zeiten füllt sich eine kleine Elite die Taschen, in schlechten Zeiten wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

[Der Artikel erschien am 27.3.2012 in der BaZ; wir drucken ihn hier mit Genehmigung des Autors.]

Euros nach Madrid

Urs Birchler

Die EZB bietet den Banken für die nächsten drei Jahre unlimitiertes Geld zum Referenzsatz von 1 Prozent an (bei gleichzeitiger Lockerung der Bedingungen für zulässige Pfandsicherheiten). Was erreicht sie dadurch?

Beim Kaffee zeigen mir meine Kollegen Alexandre Ziegler und Per Östberg einen Artikel aus Bloomberg, der die Antwort enthält: Spanien nahm heute 5.6 Mrd. Euro auf drei, bzw. sechs Monate auf. Beide Tranchen wurden massiv überzeichnet und gingen weg mit Zinssätzen von 1.735 Prozent, bzw. 2.435 Prozent. Am 22. November hatte Spanien für dieselben Laufzeiten noch 5.11 Prozent, bzw. 5.23 Prozent bieten müssen. Mit andern Worten: Die EZB gibt billiges Geld an die Banken, die es postwendend in höher rentierende Regierungspapiere investieren.

Kurz und schlecht: Die EZB schafft Geld, leiht dieses den Banken in der Hoffnung, dass diese es an den finanziell maroden Staat weiterleihen. Das ist sozusagen TBTF im Rückwärtsgang (die Banken retten den Staat) plus Monetisierung durch die EZB — „Quantitative Easing“ auf europäisch.

EFTA gegen Island

Urs Birchler

Ein Kollege aus Island schickt mir soeben eine Nachricht, wonach die EFTA Surveillance Authority ihr Mitgliedland Island vor Gericht ziehen will. Island hat die britischen und niederländischen Gläubiger der konkursiten isländischen Banken noch nicht entschädigt. Die EFTA, einst stolze Konkurrenz zur EWG (der späteren EU), hat noch vier Mitglieder: Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz (die ersteren drei sind auch Teil des Europäischen Wirtschaftsraums EEA).

Von der EFTA hatte ich zur eigenen Schande seit langem nichts gehört. Und dann plötzlich die Nachricht, dass sie zugunsten zweier EU-Länder gegen ein eigenes Mitgliedland vorgehen will. Wäre ich bloss Jurist geworden!

Der Merkozy-Plan

Urs Birchler

In der Annahme, dass heute nachmittag die Staatschefs von Frankreich und Deutschland einen Plan bekanntgeben werden, hier zwei Bemerkungen pro memoria als Lesehilfe:

  • Eine Lösung des Schuldenproblems (z.B. ein Schuldenschnitt einiger europäischer Länder) löst nicht das Problem der divergierenden Konkurrenzfähigkeit der EURO-Länder. Sie rettet daher den Euro nicht.
  • Eine Rettung des Euro (z.B. durch Austritt schwacher Mitglieder) löst weder das Schuldenproblem noch das Problem der divergierenden Entwicklung der Mitgliedländer.

In einer Stunde wissen wir mehr …

Verschuldung und Demographie II

Monika Bütler

Vor einiger Zeit schrieb mein Kollege Uwe Sunde einen interessanten Beitrag über die
Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Verschuldung der Staaten. Auch
wenn es momentan wohl niemanden mehr gibt, der die explodierenden Schulden
verniedlichen möchte: Es kann noch schlimmer kommen. Wenn es die Staaten nicht
rechtzeitig schaffen, die implizite Verschuldung durch die Sozialwerke in den
Griff zu bekommen.

Für interessierte Leser(innen) hier der Link auf den ursprünglichen batz Beitrag und das Grundlagenpapier von Cecchetti, Mohanty und Zampolli.