Hydranten statt Brandmauern?

Verzichten wir auf Brandmauern zwischen den Häusern und stellen statt dessen vor jedes Haus einen Hydranten! Dies streben grosse Banken hinter den Kulissen seit Jahren an: Möglichst wenig Eigenmittel (Brandmauern), aber unbeschränkte Liquiditätsgarantien (Hydranten). Heute stehen sie knapp vor dem Ziel — paradoxerweise, weil eine von ihnen falliert ist.

Beim Untergang der Credit Suisse gab die SNB Liquiditätszusagen gestützt auf Notrecht ab. Der Bundesrat möchte solche ungedeckte Hilfskredite an grosse Banken durch die Nationalbank mit Bundesgarantie (im Jargon der Bankenregulierung: Public Liquidity Backstop, PLB) künftig unter ordentlichem Recht ermöglichen. Egal, wenn die Feuerwehr ausrücken muss.

Der Hintergrund: Wenn die Kunden einer Bank ihr Geld abholen, hat diese bald keine liquiden Mittel mehr, steht also mit leerer Kasse da. Dann kann sie bei der SNB noch Notkredite gegen Deckung erbitten. Wenn sie aber nichts mehr besitzt, was die SNB mit halbwegs gutem Gewissen belehnen kann, dürfte – gemäss Vorlage — die Nationalbank der klammen Bank trotzdem nochmals Geld leihen, und zwar blanko, falls im Hintergrund der Bund bürgt. Daher: Public (SNB und Bund) +  Liquidity (es gibt Geld) + Backstop (das Auffangnetz hinter dem Werfer beim Baseball).

Die vom Bundesrat zur Umsetzung des PLB erarbeitete Vorlage weist gravierende Schwächen auf und sollte nicht vorschnell umgesetzt werden. Die Gründe:

  1. Die Vorlage ist – zusammen mit den aus der CS-Krise noch bestehenden Bestimmungen – viel zu komplex. Für Nicht-Spezialisten sind die konzeptionellen Schwächen kaum erkennbar. Die geplante Trennung der Vorlage von der geplanten umfassenderen Revision der TBTF-Bestimmungen verhindert eine Regulierung „aus einem Guss“.
  2. Der PLB subventioniert die systemrelevanten Organisationen (UBS, Raiffeisen Gruppe, Zürcher Kantonalbank und PostFinance) gegenüber den kleineren Banken wie z.B. den Regionalbanken. Die vorgesehene Abgeltung (Versicherungsprämie) ist zu tief. Sie ist geringer als die Abgeltung für die Staatsgarantie, welche die Kantonalbanken ihren Kantonen zahlen (zusätzlich zur Erfüllung des Leistungsauftrags und zur Dividende!). Zudem ist die Abgeltung an die Kantone ohnehin schon eher tief gemessen an den statistischen Erfahrungswerten zu Verlusten der Kantonalbanken.
  3. Ein Konkursprivileg für Kredite durch die SNB macht die bereits ziemlich komplizierte Hierarchie der Ansprüche von Einlegern, Träger der Einlagensicherung (esisuisse) und SNB durcheinander (hierzu nur ein Beispiel). Die daraus folgenden rechtlichen Komplikationen erschweren eine Sanierung oder geordnete Abwicklung einer Bank zusätzlich. 
  4. Der PLB bringt schafft (entgegen der Behauptung in der Vorlage des Bundesrates) kein zusätzliches Vertrauen der Fremdkapitalgeber, im Gegenteil. Beruhigend wirkt Liquiditätshilfe durch die SNB nur, wenn die Solvenz der Bank ausser Zweifel steht, wenn also die Einleger bloss Angst voreinander haben. Bei zweifelhafter Solvenz jedoch bleibt für die letzten Einleger weniger übrig, wenn andere ihre Guthaben dank der Liquiditätshilfe durch die SNB zurückziehen. Ein sofortiger Rückzug (Bank Run) bei angebotener Liquiditätshilfe ist also rational.
  5. Liquiditätshilfe durch die SNB untergräbt die Rolle der FINMA. Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) eines Unternehmens ist in der Regel ein Zeichen für Insolvenz (Überschuldung). Anders als die Insolvenz lässt sich Illiquidität nicht verstecken. Sie ist die Guillotine: Die Unternehmung muss in neue Hände kommen. Bei Banken ist die Guillotine jedoch sehr teuer, auch volkswirtschaftlich. Deshalb gibt es eine Bankenaufsicht, die rechtzeitig eingreifen soll, wenn die Solvenz gefährdet ist. (Zu) grosszügige Liquiditätshilfe durch die SNB ermöglicht es aber der FINMA, die Illusion der Solvenz aufrechtzuerhalten Beispiel CS). Hier liegt sogar ein Fehlanreiz vor: Die SNB darf Liquiditätshilfe gewähren, solange die FINMA die Solvenz der empfangenden Bank noch bescheinigt. Der PLB verschlimmert das Problem noch.
  6. Die an eine Liquiditätshilfe unter dem PLB obligatorisch zu knüpfenden Sanierungsmassnahmen sind nicht genügend spezifiziert. Da Liquiditätshilfe das Leben einer möglcherweise insolventen Bank verlängert, schafft dies eine Lücke in der Unternehmenskontrolle.
  7. Die Gewährung von ungedeckten Krediten mit Bundesgarantie ist ökonomisch gleichbedeutend wie eine Kreditgewährung der SNB an den Bund (und von diesem an die Bank). Ob dies eine illegale Staatsfinanzierung (Art. 11 Abs. 2 NBG) darstellt, wäre mindestens genau zu prüfen.
  8. Unklar ist (mindestens für den Ökonomen), ob die vorgesehenen Bestimmungen (Art. 51a) nur die vergangene Kreditgewährung betreffen (wodurch sie überflüssig wären) oder auch eine Verpflichtung des Bundes zu künftiger Hilfeleistung enthalten (wesfalls sie gestrichen gehörten).

Trotz all dieser Mängel wurde die Vorlage des Bundesrates in der Vernehmlassung relativ positiv aufgenommen. Klar ist, dass die Bankiervereinigung, de facto das Sprachrohr der Grossbanken, das Geschenk des Bundes gerne annehmen möchte. Auch Economiesuisse findet den PLB eine gute Sache. Vielleicht hofft sie, irgendwann bekämen alle Schweizer Unternehmen im Krisenfall Bundesgarantie für Notkredite. Sogar der Kantonalbankenverband ist für den PLB, obwohl nur ein einziges seiner Mitglieder (die ZKB) von ihm profitieren kann — und ihn gar nicht braucht, da die Bank bereits von Gesetztes wegen Staatsgarantie geniesst. Das Kuriosum wird von Letti Robin (UniFR) analysiert. Der Regionalbankenverband schliesslich mag nicht gegen den PLB ankämpfen, sondern argumentiert, der PLB müsse auch den bisher ausgeschlossenen 98 Prozent der Schweizer Banken offenstehen.

Aus neutraler Warte wurde die Vorlage kaum kommentiert — sie ist schlicht zu kompliziert. Eine vorsichtig kritische Stimme erhob Christoph Schmutz in der NZZ. Schärfere Kritik kam von von Alexandra Janssen (Ecofin) und Adriel Jost und Corinne Zellweger-Gutknecht (UniSG/UniBa). Aymo Brunetti (UniBe) befürwortet zwar einen PLB, hält aber die vorgesehene Abgeltung für viel zu gering angesichts der Risiken für den Steuerzahler.

Fazit: Stop dem Back-Stop! Der Gesetzgeber täte gut daran, den PLB trotz Applaus durch die Banken nicht einfach durchzuwinken, sondern nochmals genauer anzusehen. Notwendig wäre mindestens eine Abstimmung zwischen Regeln zur Liquiditätshilfe und einer neuen TBTF-Regulierung. Auf Deutsch: Wieviel Brandmauer braucht es für ein Anrecht auf einen Hydranten?

CS-PUK mit Klartext

Gemäss Bericht der Medien — hier im Tages-Anzeiger — hat die PUK in einem Zwischenbericht zum Fall CS ein kollektives Versagen von FINMA, SNB und Finanzdepartement bestätigt. Die Behörden hätten die notwendigen Entscheidungen so lange hinausgezögert, bis kaum mehr eine andere Lösung als die Zwangsübernahme durch die UBS nötig war. Die PUK bestätigt damit die vernichtende Kritik internationaler Gremien.

Zusammen mit anderen Ökonomen habe ich die Behörden ebenfalls von Anfang an für die gewählte „Lösung“ kritisiert. Triumphgefühle kommen trotz der Bestätigung durch die PUK keine auf. Erstens ändert deren Zwischenfazit nichts am unglücklichen Ergebnis der für die Schweiz zu grossen Bank. Zweitens darf ich mich an der eigenen Nase nehmen.

Die versteckte Wurzel des Problems — die Aufgabenteilung zwischen FINMA und SNB — übersah ich selber auch: Die FINMA prüft die Solvenz einer Bank (d.h. diese muss mehr Guthaben aufweisen als Schulden) und die SNB hilft einer Bank mit Liquidität (d.h. Hilfskrediten), wenn diese — trotz grundsätzlicher Solvenz — kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten gerät.

Eine scheinbar logische und saubere Aufgabenteilung. Was ich dabei selber übersah (Tagesgespräch bei Radio DRS vom 17.3.2023): Die Aufgabenteilung gibt der FINMA einen Anreiz, einer Bank die Solvenz zu bescheinigen, auch wenn diese bereits sehr fraglich ist. Die FINMA interveniert nämlich nicht gern gegen grosse Banken. Und solange die SNB noch Liquiditätshilfe gibt, kann die FINMA noch zuwarten und hoffen. Geschehen im Herbst 2023, als die SNB (gemäss Cash) auf eine Verstaatlichung der CS drängte, derweil die FINMA und die CS-Spitze ein Weiterwursteln mit Liquiditätshilfe durch die SNB durchsetzen. Ich hoffe, dass bei der Diskussion des PUK-Zwischenberichts dieser Fehlanreiz nicht übersehen bleibt.

Financial Stability Board (FSB) blamiert Bundesrat

Urs Birchler

Der Bundesrat “löste” das CS-Problem im vergangenen März mit Gewalt – gegenüber der Credit Suisse, der UBS und de facto gegenüber der SNB. Den vorgesehenen Instrumenten des Bankengesetzes zog er Notrecht vor. Solches erfordert starke Gründe. Die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente hat jetzt das Financial Stability Board (FSB) in einem Bericht untersucht.

Das FSB ist das von den Behörden der G20-Länder getragene internationale Expertengremium zum Thema Finanzstabilität. Es ist das Dach-Gremium zu spezialisierteren Gremien wie dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Banken), IOSSCO (Versicherungen) u.a. Im FSB ist auch die Schweiz vertreten (aktuell mit Staatssekretärin Daniela Stoffel und Notenbankpräsident Thomas Jordan).

Das FSB als Behördenorganisation formuliert seine Berichte mit Bedacht. Auch der 35-seitige Bericht zur Behandlung der CS und anderer fallierter Banken ist sorgfältig abgefasst. Umso erstaunlicher die Aussagen: Die Kritik an der Entscheidung des Bundesrates klingt – entfernt man die übliche Watte der Diplomatie – vernichtend. 

Doch vorab zum Hintergrund: Wenn eine Bank ihre Probleme nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann, wie die CS im März 2023, gibt es im Prinzip drei Lösungen (die bei einer Aufteilung der Bank auch kombiniert werden können) :

  • Modell “Götti”: Jemand (UBS, Bund) kauft die Bank samt ihren Problemen.
  • Modell “Resolution”: Die Bank wird saniert.
    a) mittels Rückschnitt von Ansprüchen der Aktionäre und der Gläubiger (bail in)
    b) mittels Zufuhr neuer Mittel, notfalls durch den Staat (bail out)
  • Modell “Konkurs”: Die Bank wird liquidiert.

Der Bundesrat behauptete, das Modell Resolution – verbunden mit einer allfälligen (Teil-)Verstaatlichung sei nicht in Frage gekommen. Warum nicht? 

Die zuständige Finanzministerin (frisch im Amt) liess am Wochenende der Notlösung über ihren gemäss NZZ gut informierten Parteipräsidenten im Tages-Anzeiger verlauten, der Grund sei Druck aus dem Ausland gewesen. Später argumentierte der Bund:

  1. Das Vertrauen in die CS sei unwiederbringlich zerstört gewesen. 
  2. “dass eine Sanierung einer global systemrelevanten Grossbank und ein Bail-In im aktuellen Marktumfeld zu massiven Verwerfungen geführt hätte”.
  3. “Der Konkurs der Finanzgruppe unter Aktivierung des Schweizer Notfallplanes zur Fort- führung insbesondere der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz hätte mit [an] Sicherheit grenzender Wahrsch[e]inlichkeit in der aktuellen Lage erst recht zu einer massiven Destabilisierung der Märkte geführt.”

Ziemlich vage verwirft das Eidg. Finanzdepartements EFD auf der FAQ-Seite zur Credit Suisse die Möglichkeit einer geordneten Resolution mit Hinweis auf internationale und nationale Risiken. Eine (Teil-)Verstaatlichung wurde offenbar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen (und auch nicht den Kosten des TBTF-Status der Kombi-UBS gegenübergestellt), sobald am Horizont die Gotte UBS auftauchte.

Das Hauptargument des Bundesrates lautete zusammengefasst: Das vorhandene, in den vergangenen Jahren schrittweise ausgebaute, gesetzliche Instrumentarium des Modells „Resolution” war nicht anwendbar. 

Schon die FINMA teilte diese Auffassung in ihrem Recovery and Resolution Report per Ende 2022 (publiziert kurz nach der CS-“Rettung”) nicht: Beide Grossbanken erhielten in allen drei Kategorien (Recovery plan, Swiss emergency plan, Institution resolvability) die Note „grün“. Dennoch sah der Bundesrat rot.

Das Financial Stability Board verwirft nun die Argumentation des Bundesrates in ihrer Gänze. Eine Umsetzung der von der FINMA – in Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bis hin zu asiatischen Aufsehern – vorbereiteten Resolutions-Pläne wäre möglich gewesen (S. 11). Die FINMA sei auch bereit gewesen, diese Pläne umzusetzen, sollte die Übernahme-Lösung scheitern. Im Wortlaut:

Some have suggested that … the resolution framework is not workable. However, the FSB’s review does not support that conclusion. As indicated above, a resolution was ready to be implemented that weekend. (S. 11)

Dass ein internationales Gremium dies in aller Deutlichkeit sagt, zeigt zweierlei: Erstens war der “internationale Druck” in Richtung der vom Bundesrat gewählten Lösung wohl eher eingebildet. Und zweitens sind die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente zugunsten dieser Lösung, finanztechnisch gesprochen, Nonvaleurs. Langfristig, so sei angefügt, ziemlich teure.

50 Jahre und kein bisschen weiter?

Am 23. Januar 1973, einem trübkalten Dienstag, um 08.30 Uhr fand in der Schweiz ein Staatsstreich statt – mehr oder weniger unfreiwillig, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, und nur als provisorisch gedacht. Putschistin contre coeur war die Schweizerische Nationalbank. Nach kurzer Rücksprache mit dem Bundesrat teilte sie den Banken mit, dass sie “heute darauf verzichtet, ihre Interventionen am Dollarmarkt aufzunehmen. Sie wird sich vom Markte fernhalten, bis eine Beruhigung eingetreten ist.” 

Die Nationalbank zog damit die Notbremse: Die Notenbankgeldmenge hatte allein am Vortag um fast vier Prozent zugenommen; dies bei einer Inflationsrate von bereits über sieben Prozent pro Jahr. Sie wollte deshalb den Kurs des amerikanischen Dollars vorläufig nicht weiter durch Dollarkäufe stützen, zumal Präsident Nixon schon 1971 den Dollar vom Gold abgekoppelt hatte.

Indem die SNB die Fessel der vom Bundesrat festgelegten Goldparität (und – indirekt – Dollarparität) sprengte, mutierte sie – salopp gesprochen – von einem passiven Währungskiosk zu einer mündigen Notenbank. Sie übernahm erstmals in ihrer Geschichte die Kontrolle über die von ihr geschaffene Geldmenge. 

Die anderen Europäischen Notenbanken folgten der Pionierin kurz darauf und lösten ihre eigenen Währungen vom Dollar. Dies bedeutete, wie im Artikel von Thomas Fuster in der gestrigen NZZ nachzulesen ist, das Ende der Währungsordnung von Bretton-Woods (an der die Schweiz offiziell nicht einmal beteiligt war).

Aus dem “vorläufig” wurde ein “dauernd”: So begann im Januar 1973 das Zeitalter der flexiblen Wechselkurse – der Verantwortung der Nationalbank für Inflation oder Deflation. Die Währungen der wichtigen Länder wurden zu FIAT-Money, zu Geld, das allein in der Hand der einzelnen Notenbank liegt.

Der Ausstieg aus der Dollar-Parität bedeutete auch das Ende der Finanzierung von Staatsdefiziten (konkret: der Kosten des Vietnamkriegs und der amerikanischen Sozialpolitik) durch die Notenbanken der Partnerländer. Den meisten Notenbanken gelang es in der Folge, ihre Politik am Ziel der Preisstabilität auszurichten und von den Finanzbedürfnissen des Staates zu lösen.

Doch knapp vierzig Jahre später stand das FIAT-Geld auf dem Prüfstand. In der Finanzkrise von 2007-08 und der darauffolgenden Eurokrise von 2011 mussten die FIAT-Währungen beweisen, dass sie die Wirtschaft vor einem Absturz in die Deflation bewahren können – anders als das “barbarische Relikt” des Goldes in den 1930er Jahren. Dies gelang eindrücklich, doch wie die Katze durch den offenen Türspalt, schlich sich eine alte Bekannte ein: Die Finanzierung von Staatsdefiziten durch die Notenbanken.

Im Juli 2012 versprach der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, alles zu tun, was es brauchen würde, um den Euro zu retten. Dazu musste er den Anstieg der Risikoprämien auf italienische und griechische Staatsanleihen auf unbezahlbare Höhen wieder rückgängig machen. Er übersetzte “FIAT money“ von “Es werde Geld” in “Es werde beliebig viel Geld”. Draghi löste damit die Ankerleine des Euro, genauso wie der amerikanische Präsident Nixon 1971 den goldenen Anker des Bretton-Woods-Systems versenkt hatte. 

Mit seinem “all in” hat Präsident Draghi seine riskante Wette fürs erste gewonnen: Der Euro überlebte vorerst ohne Austritte. Doch ob die EZB und die anderen Notenbanken aus dem Gravitationsfeld der Staatsschulden wieder auf einen konsequenten Kurs der Preisstabilität zurückfinden werden, scheint 50 Jahre nach 1973 – mit viel grösseren Staatsschulden und mit viel grösseren Geldmengen als damals – noch offen. Die damals errungene Autonomie muss erneut verdient werden.

Auch dieser Beitrag beruht auf dem “Das Einmaleins des Geldes” (hep-Verlag, Sommer 2023)

Digitales Bargeld — Swiss Made?

Urs Birchler

So digital wie Bitcoin, so sicher wie ein Fünfliber oder eine Banknote der Schweizerischen Nationalbank — so wünschen sich manche das ideale Geld. Verschiedene Notenbanken prüfen deshalb seit einigen Jahren die Idee des digitalen Zentralbankgeldes (CBDC — Central Bank Digital Cash/Currency).

In einem Arbeitspapier der SNB haben drei Autoren — David Chaum (DigiCash u.v.m.), Christian Grothoff (Berner Fachhochschule), Thomas Moser (Mitglied des erweiterten Direktoriums der SNB) — unlängst untersucht, nicht ob, aber wie die SNB gegebenenfalls eine „Digitalnote“ schaffen könnte.

Am Anfang steht die Entscheidung: Konto oder Münze (token)? Digitales SNB-Geld in Kontoform gibt es bereits in Gestalt der Giroguthaben der Banken, mit denen diese den Zahlungsverkehr untereinander abwickeln. Die SNB müsste also bloss den Kundenkreis auf das Publikum ausweiten. Dieser Weg ist jedoch dornig: (1.) Die SNB müsste personalintensive Vorkehren zur Verhinderung von Geldwäscherei umsetzen (know your customer); (2.) Konti sind nicht anonym und damit nie hundertprozentig immun gegen staatlichen Missbrauch; (3.) Kontoüberweisungen hinterlassen Daten beim Empfänger.

Die Autoren entschieden sich daher für die Variante „Token“, d.h. die digitale Münze. Hier heisst die Herausforderung: Wie verhindert man eine Duplikation (Fälschung). Copy-Paste mit dem Münzcode wäre doch zu verführerisch. Hier kommt Entscheidung zwei: Hardware oder Software. Ein digitales Guthaben kann in einem geschützten Hardware-Bereich gespeichert werden, ähnlich der bereits bekannten SIM-Karte. Oder es kann in nicht-klonbarem Code niedergelegt werden. Die Autoren befürworten aus Sicherheitsgründen den letzteren Weg, das heisst eine „Sofware-Only“-Lösung.

Konkret befänden sich unsere Digitalfünfliber — wo sonst? — auf dem Handy. Dahin gelangen sie ab Bankkonto. Vom Handy aus können sie ausgegeben oder wieder auf ein Bankkonto zurück geschickt werden. Dieses Digitalgeld wäre also ein Inhaber“papier“. Es hinterlässt beim Bezahlen keine Spuren der Herkunft, genau wie herkömmliches Bargeld. Und wenn das digitale Portemonnaie beim Segeltörn ins Meer fällt, ist mit dem Handy auch das darauf gespeicherte Geld verloren, genau wie beim Portemonnaie.

Das Elegante an der vorgeschlagenen Lösung ist die klare Arbeitsteilung zwischen SNB und Geschäftsbanken. Der Bezug und die Rückgabe von Digitalmünzen erfolgt nur zwischen Inhaber (Kunde oder Händler) und Geschäftsbank. Die Überprüfung und Signatur wird von der SNB geleistet, an welche gebrauchte Digitalmünzen (ähnlich der abgenutzten Banknoten) zurückkehren. Damit bleibt die Trennung von Kundenprüfung (Geschäftsbank) und Schaffung von Zentralbankgeld (SNB) gewahrt.

Das Kernstück des Arbeitspapiers ist die kryptographische Umsetzung dieser Prozesse. Sie beruht, ähnlich wie die Verifizierung bei Bitcoin, auf der Kombination eines privaten Schlüssels und eines öffentlichen Schlüssels.

Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht, erzeugt einen privaten
Schlüssel und bekommt eine Signatur der Zentralbank über den
dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, ohne dass diese Schlüssel den
Banken zu diesem Zeitpunkt bekannt werden. Beim Ausgeben der Münze (via Händler und Empfängerbank) signiert der Kunde mit dem privaten Schlüssel die Anweisung zur Übertragung des Wertes der Münze an den Händler, und die Zentralbank prüft die Gültigkeit der Münze auf Basis der Signatur. Bisher alles genau wie Bargeld.

Der Trick bei der Echtheitsprüfung beruht darin, dass die SNB sehen kann, ob das Resultat einer Berechnung (konkret: einer in der Kryptgraphie üblichen Operation mit grossen Primzahlen) korrekt ist, ohne die Ausgangszahlen zu kennen. Wir erinnern uns an die Neunerprobe aus der Primarschule: Ein Blick auf die Neunerprobe zeigt der Lehrerin, ob das Ergebnis einer Division richtig ist (genauer: sein kann), ohne dass sie die Ausgangszahlen ansehen muss. Besser ist vielleicht der Vergleich mit der Prüfziffer einer IBAN-Nummer. Die Prüfziffer folgt aus der IBAN, aber die IBAN nicht aus der Prüfziffer. Die Mathematik der Echtheitsprüfung ist im Arbeitspapier ziemlich verständlich dargestellt. Denjenigen, die wie ich noch nie vom Inversen einer Modulo-Funktion gehört haben, sei eine kurze Nachhilfe empfohlen. Das Chaum-style blind-signature protocol sparen wir uns für den Party-talk. Wichtig ist aber, dass die ganze Software hinter der im Papier dargestellten Digitalmünze auf Open Source Software beruht, und zwar auf dem offensten der verschiedenen Standards, der sogenannten GNU Public License und dem System der GNU-Taler.

Zwischenfazit: Die vorgeschlagene Lösung besticht dadurch, dass sie von allen bisher vorgeschlagenen Formen von CBDC die bestmögliche Abbildung von Bargeld in digitaler Form zu sein scheint. Dennoch bestehen im Hinblick auf eine — von der SNB ausdrücklich nicht geplante — Implementierung noch einige Fragen:

  • Würden im Krisenfall die Kontoinhaber ihr Geld massenweise von den Banken abziehen und in SNB-Digitalgeld umtauschen (Bank Run)?
    Die Autoren bezweifeln dies, da das Geld nicht auf ein Koto bei der SNB fliesst, sondern bei den Inhabern auf dem Handy herumgetragen werden müsste.
  • Lassen sich mit der Digitalmünze Steuern hinterziehen. Die Autoren verneinen dies (ich bin nicht sicher, ob ich die Argumentation schon voll begriffen habe). Ob dies ein Vor- oder ein Nachteil wäre, dürfte umstritten sein (und wäre dann doch ein Unterschied zu Bargeld).
  • Wäre das Geld sicher vor Manipulation? Die digitalen Münzen hätten ein Verfallsdatum und kehrten immer wieder zur SNB zurück, wo sie vernichtet und ersetzt werden. Die Autoren machen geltend, dies sei wichtig, damit nicht immer mehr alte Nummern im Umlauf sind, was die Anfälligkeit zu Missbrauch erhöhen würde. Überdies würden auch die bestehenden Banknoten-Serien periodisch ausgetauscht, wenn auch nur ungefähr alle zehn Jahre. Gleichzeitig sehen sie beim Umtausch die Möglichkeit, zum Beispiel Gebühren zu erheben (=Negativzinsen). Auch dies wäre ein Unterschied zum bestehenden Bargeld, und ebenfalls ein absehbar umstrittener. Hier besteht daher noch eine Lücke in den Spielregeln.
  • Wäre digitales Bargeld eins zu eins gleich physischem Bargeld? Gemäss den Autoren bestünden gewisse Unterschiede, daher könnte also zwischen den beiden ein „Wechselkurs“ ungleich 1 entstehen. Die SNB könnte den Kurs natürlich mit flexiblem Angebot bei 1 fixieren, sei es freiwillig, sei es kraft (anzupassendem) Gesetz. Hier besteht noch Klärungsbedarf.

Fazit: Das im SNB-Arbeitspapier dargelegte Modell eines digitalen Zentralbankgeldes für jedermann scheint mir das interessanteste bisher vorgelegte Rezept. Näher zum physischen Bargeld kommt man kaum noch. In der Halbzeit liegt also die Schweiz mit ihrem „Digi-Taler“ vorne. Für die zweite Hälfte (oder sind wir schon in der Verlängerung?) würde ich noch jemanden aus der Rechtswissenschaft einwechseln.

[P.S: Christian Grothoff, einer der drei Autoren des Arbeitspapiers hat mich auf einen technischen Fehler aufmerksam gemacht. Seine korrigierte Version des Abschnitts „Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht“ habe ich in den Text integriert. Herzlichen Dank, Christian!]

Die Nationalbank muss transparenter werden

Yvan Lengwiler

Die Unabhängigkeit der Schweizer Notenbank ist unbestritten. Weil wir so viel Macht an sie delegieren, sollte sie uns aber wesentlich besser informieren.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt.

Die Geldpolitik berührt jeden Bürger: Sie steuert die Rendite unserer Vorsorge und den Wechselkurs, sie beeinflusst den Gang der Wirtschaft, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Preisniveaus. Sie ist eine der wichtigsten Komponenten der Wirtschaftspolitik, und dennoch löst sie kaum öffentliche Diskussionen aus.

Die SNB, welche die Geldpolitik verantwortet, geniesst ausserordentlich grosse Unabhängigkeit von der Politik. Sie ist noch unabhängiger als das Bundesgericht, dessen Richter abgewählt werden können. Mitglieder des Direktoriums können nur bei Fehlverhalten abgewählt werden und unterstehen auch keiner Amtszeitbeschränkung.

Dieses einmalige Mass an Unabhängigkeit und Machtfülle muss in einem demokratischen Staat mit ebenso umfassender Rechenschaftspflicht und Transparenz und einer funktionierenden Aufsicht gepaart sein.

Die Aufsicht obliegt dem Bankrat, der allerdings interessanterweise einen wesentlichen Teil dieser Kompetenz an das erweiterte Direktorium der SNB zurückübertragen hat (Art 10.2 lit i Organisationsreglement SNB). Die Aufsicht umfasst nur die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Handelns der SNB, nicht den Inhalt ihrer Entscheidungen. Das ist das Wesen der Unabhängigkeit.

Die Rechenschaftspflicht wird wahrgenommen, indem die SNB der Bundesversammlung jährlich einen Bericht übergibt, welcher aber explizit ausschliesslich «zur Information» dient. Der Öffentlichkeit gegenüber wird Rechenschaft in Form einer grossen Anzahl öffentlicher Reden wahrgenommen.

Kaum Debatten über die Geldpolitik

Interessanterweise findet in der Schweiz praktisch keine Debatte über die Geldpolitik statt. Das kann daran liegen, dass die Menschen zufrieden sind, oder es kann daran liegen, dass die Geldpolitik als sehr technisches Gebiet betrachtet wird, das Experten überlassen werden sollte. (Die Auswahl des Modelltyps von Militärflugzeugen ist allerdings auch etwas für Experten, und in diesem Bereich finden immer wieder öffentliche Debatten statt.)

Es könnte auch daran liegen, dass die Menschen nur vage verstehen, was die SNB wirklich tut, denn die Transparenz der SNB lässt zu wünschen übrig. Notenbanken waren früher alle sehr intransparent. Aber das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Es gehört heute zum Mindeststandard, zumindest die Protokolle der Sitzungen der entscheidenden Gremien zu veröffentlichen. Die SNB tut das nicht.

Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt. Was waren die Entscheidungsgrundlagen für die Einführung der negativen Zinsen? Wie kam die Einführung der Wechselkursuntergrenze zustande? Weshalb wurde deren Aufhebung entschieden? Gab es im Direktorium Dissens? Nach welchen Regeln erfolgen Deviseninterventionen? Diese und weitere Fragen bleiben dem Publikum schleierhaft, obwohl es eigentlich Transparenz erwarten dürfte.

Nur drei Personen entscheiden

Das ist besonders problematisch, weil in der Schweiz die wichtige Geldpolitik von einem Gremium entschieden wird, das, anders als in anderen grossen Notenbanken, aus nur drei Personen besteht.

Einer der grössten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Milton Friedman, hat vermerkt, dass eine unabhängige Notenbank zwar besser sei als eine politisch gesteuerte Notenbank, aber dennoch nicht unproblematisch: «Ein weiterer Mangel der Delegation der Geldpolitik an eine unabhängige Zentralbank, die über einen grossen Spielraum und viel Macht verfügt, ist das enorme Ausmass, in dem die Politik von einzelnen Persönlichkeiten abhängig gemacht wird.» (Milton Friedman, «Dollars and Deficits», 1968, S. 186.)

Die Unabhängigkeit der SNB von der Politik ist unbestritten. Aber die Öffentlichkeit sollte im Gegenzug über die Geldpolitik debattieren können. Die Voraussetzung dafür ist viel mehr Transparenz, als Gegenstück zur umfassenden Delegation von Macht an die SNB.

Artikel ist in der NZZ am Sonntag erschienen.

Die SNB und die AHV

Thomas von Ungern-Sternberg

Die SNB hat in den letzten 10 Jahren sehr hoch gepokert. Um eine zu starke Aufwertung des Frankens zu verhindern hat sie Jahr für Jahr hohe Fremdwärungsaktiva gekauft. Inzwischen sitzt sie auf einem Bestand von zirka 700 Millarden Franken (bei einem Brutto Inlandsprodukt von zirka 670 Millarden Franken).
Unter Ökonomen gibt das beherzte Eingreifen der SNB immer wieder Anlass zu Diskussion. Die finanziellen Risiken, welche unsere Nationalbank eingeht, sind beträchtlich. Immerhin hat die Schweiz die Wirtschaftskrise von 2008 bemerkenswert gut überstanden. Die Arbeitslosigkeit ist kaum gestiegen.und den Finanzen von Bund und Kantonen geht es blendend. Ohne das mutige Eingreifen der SNB würde das Bild wohl weniger erfreulich aussehen.
Bisher scheint der Poker der SNB aufgegangen zu sein. In ihrem Jahresbericht von 2017 weist sie ein scheinbar recht gesundes Eigenkapitalpolster (Reserven) von gut 130 Millarden Franken aus. Bei der Interpretation dieser Zahl ist allerdings sehr viel Vorsicht geboten. Sollte der Franken auch nur um 10% aufwerten, bleibt rein rechnerisch von dem „ausschüttbaren Gewinn“ kaum etwas übrig.
Auch kann die SNB ihre Buchhaltungsgewinne zum jetzigen Zeitpunkt kaum realisiseren. Würde sie in grösseren Stil Fremdwährungsaktiva verkaufen (d.h. Franken kaufen), so würde dies den Frankenkurs in die Höhe treiben und von den vermeintlichen Gewinnen würde nur noch wenig übrig bleiben.
Dies weist auf eine Schwäche in der zur Zeit gültigen Gesetzgebung hin. Es wird dort festgeschrieben, wie schnell das Eigenkapital (die Reserven) der SNB wachsen soll. Die Höhe der Fremdwährungsaktiva (und somit die Höhe der Währungsrisken) wird in dieser Regel nicht berücksichtigt. Man hat also eine Regel, in der die Höhe des Risikopolsters festgelegt wird…..ohne die Höhe der Risiken zu berücksichtigen. Das kann auf die Dauer keine gute Lösung sein!
Immerhin besteht eine gewisse Chance, dass der Schweizer Franken sich in der Zukunft soweit abschwächt (bzw der Euro sich soweit erholt), dass die SNB eine Teil ihrer Fremdwährungsaktiva verkaufen kann und will, um eine zu hohe inflationstreibende Abwertung des Frankens zu verhindern. Sollte dies der Fall sein, wird ihr Poker aufgegangen sein. Nicht nur hat sie den Franken dann, als es notwendig war geschwächt. Sie hat dazu auch noch enorm hohe Kapitalgewinne eingefahren.
Man kann sich darüber Gedanken machen, was in einem solchen Szenario mit den Milliarden-Gewinnen der SNB geschehen sollte. Die normal Gewinnausschüttung an Bund und Kantone wäre sowieso für die nächsten Jahrzehnte gesichert. Eine Möglichkeit bestände darin einen Teil der zusätzlichen Beträge zu verwenden, um die AHV für die nächsten Jahrzehnte zu sanieren.
Die Defizite der AVH kommen mit Sicherheit. Aber es besteht auch eine (gute?) Chance, dass die enormen Kapitalgewinnne der SNB sich eines Tages tatsächlich relisieren lassen. Es wäre zu überlegen, ob man sich mit der Sanierung der AHV erst einmal Zeit lässt und abwartet, wie sich die Bilanz der SNB in den nächsten Jahren entwickelt.

Falsch verstandene Unabhängigkeit der SNB

Urs Birchler

Es ist heiss, auch in den Redaktionsstuben. Daher ist sowohl der NZZ als auch die Sonntagszeitung je ein Beitrag zur Unabhängigkeit der SNB entschlüpft, der in kühleren Zeiten im Papierkorb gelandet wäre.

Ganz arg die NZZ: Der Autor Michael Rasch verwechselt Unabhängigkeit mit Allmacht. Und letztere liege in der Hand „nicht-gewählter“ Notenbanker.

„Der Blick ins Gesetzt erleichtert die Rechtsfindung“, spotten die Juristen. Und tatsächlich hätte das Notenbankgesetz (NBG) Herrn Rasch beruhigen können:

Art. 5 hält nämlich fest: „Die Nationalbank … gewährleistet die Preisstabilität.“ Damit ist der Pfad der Geldpolitik weitgehend gegeben. Die SNB ist statt ans Gold (wie bis 1936) oder den Dollar (bis 1973) an einen Güterkorb gebunden. Zugegeben: Die SNB hat kurzfristig ein bisschen mehr Flexibilität als dies unter festen Wechselkursen oder unter der Goldparität der Fall war. Doch von Allmacht keine Rede.

Die SNB-Leiter seien „Technokraten, die nie vom Volk gewählt worden sind“, bemängelt Herr Rasch. Dass die Leute bei der SNB ihr technisch anspruchsvolles Metier verstehen, hat bisher nicht geschadet. Vor allem aber werden die Mitglieder der Leitungsgremien der SNB durchaus gewählt, und zwar nach fein austarierten und demokratisch zäh ausgehandelten Regeln. Nur werden Notenbankleiter — ebensowenig wie Bundesräte — nicht direkt vom Volk gewählt, was aber m.W. weltweit noch nie jemand ernsthaft vorgeschlagen hat. Auch die laufende Politik der SNB steht nicht im politischen Vakuum: Die SNB erörtert ihre Politik regelmässig mit dem Bundesrat und informiert ebenso regelmässig Parlament und Öffentlichkeit (Art. 7).

Dass die Unabhängigkeit der Notenbank „einer Demokratie ohnehin wesensfremd“ sei, hat Herr Rasch vielleicht in einer venezolanischen oder türkischen Regierungsbroschüre gelesen. Unabhängigkeit helvetischer Prägung bedeutet, dass „die Nationalbank und die Mitglieder ihrer Organe weder vom Bundesrat noch von der Bundesversammlung oder von anderen Stellen Weisungen einholen oder entgegennehmen“ (Art. 6). Auch Sommerfantasien des Finanzministers hat die SNB also zu ignorieren (zu dessen Ehrenrettung: Er hat vielleicht bei seiner kürzlichen Bemerkung nicht daran gedacht, dass die Länge der SNB-Bilanz der Fussabdruck der Geldpolitik ist).

Die Sonntagszeitung beklagt nicht ein Übermass an Unabhängigkeit der SNB, sondern umgekehrt grade einen Mangel an Unabhängigkeit. Grund: Die SNB kann den Franken nicht beliebig gegenüber dem Euro erstarken lassen. Das ist nicht falsch, aber wir wissen es seit Jahren, und niemand hat ein Rezept gefunden, wie es die SNB anders machen könnte, ohne die Schweizer Wirtschaft zusammenzuschlagen. Auch dies steht nämlich im NBG (Art. 5): „Die Nationalbank führt die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes.“ Und bei der Gewährleistung der Preisstabilität „trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung.“ Kurz: Die Länge ihrer Bilanz belastet die SNB selbst wohl mehr als alle andern. Auch noch, wenn es wieder kühler wird.

Vollgeld-Autoritäten

Urs Birchler

Jörg Baumberger, mein Kollege von der UniSG, hat sich die Mühe gemacht, einige der von den Vollgeld-Initianten immer wieder zitierten Belege und Autoritäten genau anzusehen. Sein Bericht (hier im Volltext) ist ernüchternd:

  1. Die von den Initianten dauernd zitierte Studie der Copenhagen Business School: krass fehlerhaft. Die Reaktion der Initianten auf Feststellung der Fehler: im Stillen zugeben und öffentlich verschweigen.
  2. Die Behauptung, Island befinde sich auf dem Weg zum Vollgeld: Längst überholt.
  3. „Zeuge“ Thomas Mayer (ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank und bekennender Staatsskeptiker): wirr. Er befürwortet Vollgeld nur als Übergang zur Privatisierung des Geldwesens [wie das???] und hält Devisenmarktinterventionen der Zentralbank unter Vollgeld für unmöglich; bei Wechselkurs-Turbulenzen hälfen dann gemäss Mayer nur Kapitalverkehrskontrollen.
  4. Der (Vollgeld-)Vorschlag der IMF-Ökonomen von Kumhof&Benes: vom IMF mit einem fetten Disclaimer versehen und von den VGI-Vertretern (aufrund der vielleicht nicht so erfreulichen Implikationen) mittlerweile als Hirngespinst der Gegner abgetan.
  5. Ein Mitglied des akademischen Beirats der Kampagne meint, die Vollgeld-Idee beruhe auf einer ‚conception erronée de la monnaie‘; er stimme aber trotzdem „ja“, so als Denkanstoss.

Danke Jörg!

Geldpolitik unter Vollgeld

Urs Birchler

Ein Knackpunkt der Vollgeld-Initiative ist die Geldpolitik. Die Initiative fordert, dass neu geschaffenes Geld von der SNB à fonds perdu, also ohne Gegenleistung, an Bund und Kantone oder Bürgerinnen und Bürger abgegeben werden muss. Im vorgeschlagenen Art. 99a Abs. 3 heisst es:

Sie bringt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf, und zwar über den Bund oder über die Kantone oder, indem sie es direkt den Bürgerinnen und Bürgern zuteilt.

Die SNB erwirbt also bei der Geldausgabe keine Vermögenswerte (Auslandsdevisen und Wertpapiere) mehr, mit denen sie ausgegebenes Geld auch wieder zurückkaufen kann. Aber: Wie es SNB-Präsident Thomas Jordan formulierte: „Wie fordert man Geld zurück, das man zuvor verschenkt hat?“ Eine restriktive Geldpolitik, und damit Inflationsbekämpfung, ist unter der VGI unmöglich.

Die Initianten haben erkannt, dass sie einen Bock geschossen haben. Zum Glück steht im besagten Abs. 3 auch noch ein zweiter Satz:

Sie kann den Banken befristete Darlehen gewähren.

Über Kredite an die Banken wäre eine auf beide Seiten flexible Geldpolitik noch möglich. Nur: Das würde die Stellung der Banken gegenüber heute noch stärken und die Nationalbank zur Grossgläubigerin der Banken — mit den entsprechenden Risiken — zwingen. Genau das Gegenteil von dem, was die Initiative eigentlich wollte.

Drum suchten die Initianten verzweifelt nach einem dritten Weg und fanden ihn — in einer faustdicken Lüge. Klammheimlich fügten Sie in Der Initiativtext erläutert auf Ihrer Website einen Satz ein:

Zusätzlich kann die SNB wie bisher neues Geld durch den Kauf von Auslandsdevisen und Wertpapieren in Umlauf bringen und kann auch über diese Wege die Geldmenge vergrössern und verkleinern.

Dieser Satz war ursprünglich nicht drin [Dank an Joerg Baumberger für ein PDF des ursprünglichen Textes!]. Verständlich, denn er widerspricht dem Initiativtext frontal. Ob die Initianten die eigene Initiative nicht gelesen haben oder ob sie bereits den Teilrückzug anstreben, sei dahingestellt. Den Nimbus der ehrlichen Idealisten haben sie bei mir jedenfalls verloren.