Staatshilfe für Banken: FDP versus SNB

Urs Birchler

Kürzlich hat der Leiter des Finanzstabilität bei der SNB, Bertrand Rime, in der NZZ eine glasklaren Standortbestimmung zum Too-Big-To-Fail-Problem in der Schweiz vorgenommen. Noch einiges bleibe zu tun, auch bei der Eigenmittelausstattung der Banken. Obwohl die Vorschläge moderat schienen, konnte der Präsident der WAK-NR, Ruedi Noser, nicht umhin, ebenfalls in der NZZ, zu warnen.

Die Stellungnahme ist bemerkenswert. Mit der einen Gehirnhälfte denkt Noser liberal: Der Staat soll nicht für private Risiken haften. „Die Too-big-to-fail-Regulierung bezweckt, dass eine Bank bei individuellen Fehlern auf Kosten der Geldgeber abgewickelt werden kann und nicht vom Steuerzahler gerettet werden muss. Das unterstütze ich als Liberaler zu 100%.“ In der anderen Gehirnhälfte hat er jedoch Angst vor den logischen Folgen des liberalen Denkens, d.h. vor der Notwendigkeit von Massnahmen, welche die implizite Staatsgarantie zurückdämmen. Keines seiner Argumente sticht aber:

  1. Eigenmittel verteuern Kredite. Das ist auch nach der 1001-sten Wiederholung noch nicht wahr. (Hansruedi Schöchli von der NZZ hat’s begriffen, siehe NZZ von heute, S. 27 und v.a. 36.)
  2. Regulierung führt zu Bürokratie. Das habe ich selber oft angeprangert; aber auch TBTF ist eine (versteckte) Regulierung. Und kaum etwas würde mehr Bürokratie produzieren als Nosers (rechtsstaatlich wohl kaum haltbarer) Vorschlag: „weitaus sinnvoller wäre es aber, wenn die Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung für jede Bank auf Grundlage ihrer Strategie und ihrer geschäftlichen Ausrichtung vom Regulator individuell festgelegt würde.“
  3. Eine global einheitliche Regulierung zwingt letztlich allen Banken weltweit dasselbe Geschäftsmodell auf. Gegenfrage: Zwingen die international geltenden Vorschriften zur Sicherheit im Flugverkehr allen Fluggesellschaften dasselbe Geschäftsmodell auf?
  4. Selbstverständlich gehen [die Banken] … Verlustrisiken ein, welche in Extremsituationen dazu führen können, dass die Bilanz einer Bank saniert werden muss. Im Extremfall braucht es dazu vielleicht sogar staatliche Mittel. Wollten wir nicht gerade das abschaffen oder eindämmen?
  5. Die Restrukturierungen der staatlich kontrollierten Axpo, BKW und Alpiq werden dem Steuerzahler weit höhere Kosten verursachen als die Rettung der UBS. Das klingt aufrichtig, scheint mir aber eher ein schwacher Trost. Zudem darf man die Kosten der UBS-Rettung nicht im nachhinein messen, sondern im Zeitpunkt der Rettung, wie Monika Bütler hier schon dargelegt hat.

Kurz: Was uns der Präsident der auf diesem Gebiet zuständigen Nationalratskommission auftischt, ist weder konsistent noch liberal.

Zu viel direkte Demokratie? Die Unterschriftenhürde

Monika Bütler und Katharina Hofer

Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen hier noch etwas aus unserer aktuellen Forschung am Institut. Die Frage ist, wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl bei Volksinitiativen auf die Anzahl und die Art der eingereichten Initiativen auswirken würde. Die Kurzfassung der Antwort:  Daten und Modell zeigen, dass wohl tatsächlich mit weniger Initiativen zu rechnen wäre. Ob dies allerdings wünschenswert ist, ist a priori nicht so klar (und können wir auch nicht beurteilen).

Wer noch etwas mehr wissen will lese unten weiter. Wer noch viel mehr wissen will konsultiere unser Arbeitspapier (Autoren: Katharina Hofer, Christian Marti und Monika Bütler).

Bis zu viermal jährlich werden die Schweizer Stimmbürger an die Urnen gerufen, um über eidgenössische Vorlagen zu entscheiden. Viele Stimmen äussern sich kritisch zur „Initiativenflut“, welche insbesondere in den letzten Jahren einen Aufwärtstrend aufweist (die Abbildung  zeigt die Anzahl zustande gekommener Initiativen pro Dekade, Quelle: Bundesamt für Statistik (2015)). Der Stimmberechtigte werde überfordert, wie auch die eidgenössischen Räte, welche sich über den parlamentarischen Prozess mit einem möglichen Gegenvorschlag sowie Parteiparolen auseinander setzen müssen.

Initiativen1891bis2015

Unbestritten ist, dass die Hürden für neue Initiativen seit der Einführung der Eidgenössischen Volksinitiative 1891 deutlich gesunken sind: Mussten damals noch 3,4% der stimmberechtigten Männer das Begehren unterschreiben, sind es heutzutage nur noch 1.9%. Als Antwort auf die Verdoppelung der Stimmberechtigten durch Einführung des Frauenstimmrechts wurde die Unterschriftenhürde für das Zustandekommen von Volksinitiativen 1978 das erste und letzte Mal auf 100’000 erhöht. Bemerkenswert: zwischen der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und der Erhöhung der Unterschriftenzahl 1978 lag die Unterschriftenhürde noch tiefer als heute. (Vielleicht hat man damals den Frauen einfach noch nicht zugetraut, politisch aktiv zu sein). Auf jeden Fall stieg die Anzahl der zustande gekommenen Initiativen in dieser Zeit (71-80 versus 61-70) um mehr als das doppelte.

Um der direkten Demokratie eine Verschnaufpause zu gönnen und die Anzahl Initiativen zu reduzieren, wird heute wieder eine deutliche Erhöhung der Hürde propagiert. Avenir Suisse schlägt beispielsweise 211’200 Unterschriften vor, was einem Anteil von 4% der Stimmbevölkerung entsprechen würde.

Wie sich eine Erhöhung der Unterschriftenzahl auf die Zusammensetzung der Initiativen auswirken würde ist hingegen nicht so klar. Ist die Senkung der Anzahl der Volksbegehren das alleinige Ziel, wäre dies vermutlich ein effektives Instrument. Zwei weitere Effekte sollten jedoch nicht vergessen werden. Denn eine höhere Unterschriftenhürde bedeutet gleichzeitig höhere Sammelkosten zumal die Sammelzeit seit 1978 auf 18 Monate begrenzt ist.

Erstens bevorzugt eine höhere Unterschriftenzahl zahlungskräftige Initiativkomitees. Weniger einfach zu organisierende, aber vielleicht ebenso berechtigte Anliegen hätten eine geringere Chance, die Hürde zu nehmen. Zweitens beeinflusst die Erhöhung der Unterschriftenzahl die Zusammensetzung der zur Abstimmung kommenden Initiativen: Initiativkomitees mit grösserer Unsicherheit bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit, den Status Quo ändern zu können, werden möglicherweise durch die hohen Sammelkosten abgeschreckt. Initiativen mit höheren Erfolgschancen würden hingegen weiterhin lanciert und könnten folglich auch eher zu einem Gegenvorschlag oder gar zu einem direkten Erfolg an der Urne führen. Dabei können aber auch Initiativen mit ex ante geringer Erfolgswahrscheinlichkeit eine Bereicherung für die politische Diskussion darstellen.

In unserem Forschungspapier zeigen wir – auch anhand der Daten aller Volksinitiativen seit 1891 – auf, dass die Unterschriftenhürde nicht nur ein Filter für die Anzahl gestarteter Volksinitiativen ist, sondern gleichermassen auch die Charakteristika der zustande gekommenen Initiativen beeinflusst. Anliegen mit unsichereren Erfolgsaussichten, die aber potenziell ebenfalls einen Beitrag zur politischen Diskussion leisten, werden bei höheren Hürden womöglich nicht mehr lanciert. Dies sollte bei Reformvorschlägen der Initiative bedacht werden. Immerhin sind Initiativen in ihrer Natur ein Mittel der politischen Minderheiten.

 

Der Bundesrat als Unternehmensberater

Urs Birchler

Die Schweiz geht zu einer neuen Wirtschaftsform über. Weiss (freie Marktwirtschaft) oder schwarz (reine Staatswirtschaft) war zwar nie. Dem Bundesrat schwebt aber neuestens eine Schattierung von dunkelgrau vor, die mich schaudern lässt.

Am 1. April hat der Bundesrat (aufgrund eines Auftrags des Nationalrats) ein Dokument mit dem wohlklingenden Titel „Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen“ vorgestellt. Grund gemäss Medienmitteilung: „Der Bund erwartet von den Wirtschaftsakteuren, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.“ Dabei brauchen sie seine Hilfe.

Oder eigentlich: er braucht ihre Hilfe. Das bundesrätliche Osterei enthält unter dem Schokoladeüberzug aus Verantwortung für Umwelt, Gesellschaft und Menschenrechte eine langfristig giftige Wirtschaftsphilosophie: Die Unternehmen sind ein verlängerter Arm des Staates. Denn die ihnen aufzuerlegende soziale Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR)

„umfasst ein breites Spektrum von Themen, die bei der Unternehmensführung neben den Eigentümerinteressen zu berücksichtigen sind. Dazu gehören die Arbeitsbedingungen (inkl. Gesundheitsschutz), Menschenrechte, Umwelt, Korruptionsprävention, fairer Wettbewerb, Verbraucherinteressen, Steuern, Transparenz und weitere Aspekte (Berücksichtigung der Bedürfnisse der lokalen Umgebung, Einbindung lokaler Kapazitäten, Wissenstransfer, Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, usw.)“ (S. 5).

Kurz: Die Unternehmungen haben eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, zu denen dem Staat die Rechtsgrundlege, die Mittel oder der Wille fehlen.

Offenkundig ist es dem Bundesrat auf dieser schiefen Ebene selbst nicht ganz wohl:

  • Zu bindenden CSR-Vorschriften an die Unternehmen fehlt dem Staat im Grunde die Kompetenz, deshalb „informiert“ er sie über seine „Erwartungen“, eine Formulierung mit der auch kriminelle Organisationen gerne den illegalen Tarif durchgeben.
  • Das Argument, CSR liege im ureigenen Interesse der Unternehmen, hat viel für sich. Schon heute findet eine schweizerische Unternehmung kaum mehr fähige Mitarbeiter, wenn sie verantwortungslose Praktiken duldet; auch hat der Bundesrat recht, wenn er Reputationsrisiken erwähnt. Nur: Weshalb braucht es den Bund, um die Unternehmen an ihre eigensten Interessen zu erinnern?
  • Die vom Bund gewünschten Bemühungen sind für die Unternehmen ein Kostenfaktor: „Die Umsetzung der CSR stellt Unternehmen, insbesondere KMU, im In- und Ausland vor verschiedene Herausforderungen.“ (S. 14)

Dennoch will der Bundesrat auf dem gewählten Weg entschieden weiterschreiten. Dabei malt er mit mehr als 50 Grautönen das Zusammenwirken von Staat und staatsdienender Privatwirtschaft. Es erwarten uns unter vielem anderem (der Aktionsplan umfasst 25 Seiten!): Öffentlich-private Partnerschaften, Runde Tische mit Anspruchsgruppen (auch bei KMUs!), ein „Kompass Nachhaltigkeit“, Schulungen, Austausch von Best Practices, Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten, Unterstützung international anerkannter Institute, die Förderung von CSR-Themen in Ausbildungsgänge von Hochschulen (endlich eine Alternative zu Mathematik!). Aber es soll auch Geld fliessen, z.B. in als Beiträge zur Förderung nachhaltiger und entwicklungsfördernder privater Investitionen.

Da der Bundesrat von der neuen Wirtschaftform überzeugt ist, möchte er sie auch im Ausland propagieren: „Die Regierungen dieser Länder unterstützt der Bund bei der Schaffung und Umsetzung eines gesetzlichen Rahmens, der es ihnen erlaubt, den Privatsektor auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung auszurichten.“

Natürlich beruht alles auf entsprechenden Empfehlungen der OECD, einer EU-Richtlinie und einem Leitfaden ISO26000 (immerhin: keine Norm!). Und ebenso selbstverständlich benötigt eine Umsetzung der „Erwartungen“ des Bundes eine Zusammenarbeit vieler Beteiligter: Staatsbeamte, administrative Mitarbeiter in Unternehmen, Nicht-Regierungs-Organisationen (die dabei schleichend zu indirekten Regierungsorganisationen werden), Unternehmensberatern und PR-Agenturen. (Wer sagt als erster: „Arbeitsplätze“?)

Der langen Rede kurzer Sinn: Woher nimmt eine Regierung das Recht, Unternehmen für ihre Ziele einzuspannen, wenn sie selbst nicht einmal imstande ist, ihren hehren Umweltzielen mit einer CO2-Abgabe auf Benzin nachzuleben?

Geldpolitik und Finanzstabilität: Forschungsprogramm

Urs Birchler

Inke Nyborg hat was Leckeres aus London mitgebracht: Eine umfassende Forschungsagenda der Bank of England zu den Themen Geldpolitik, Makro-Finanzstabilität und Mikro-Finanzstabilität. Die Bank of England weist in der Einleitung stolz darauf hin, dass sie als eine der wenigen Notenbanken der Welt für alle drei Bereiche zuständig sei [Anm.: seit ihr nach der Finanzkrise die Bankenaufsicht wieder unterstellt wurde].

Die One Bank Research Agenda gibt nicht nur dem am Finanzsystem interessierten Leser einen einmaligen und ehrlichen Überblick über die offenen Fragen (und über die Gewichtungen seitens der BoE). Er ist auch eine Goldgrube für Studenten (und Dozenten, hmm), die ein Thema für eine Abschlussarbeit suchen.

Hier noch die Liste der fünf Kernthemen:

  1. Zentrabankpolitik angesichts der Wechselwirkungen zwischen
    Geldpolitik, makroprudentieller und mikroprudentieller Politik;
  2. Beurteilung von Regulierung und Abwicklung im Lichte der Finanzkrise und der sich verändernden Rolle der Finanzintermediation;
  3. Umsetzung der Zentralbankpolitik und Erfolgskontrolle;
  4. Verwendung neuer Daten, Methodologien und Ansätze zum Verständnis von Makroökonomie und Finanzrisiken;
  5. Zentralbankpolitik angesichts grundlegender Umwälzungen in Technologie, Institutionen, Gesellschaft und Umwelt.

Und als Student hatte ich seinerzeit Angst, die Dissertations-Themen könnten uns ausgehen…

Gutscheine statt rationierte Krippenplätze in der Kinderbetreuung

Monika Bütler

Als erste Gemeinde der Schweiz führte die Stadt Luzern 2009 Betreuungsgutscheine für die ausserfamiliären Kinderbetreuung ein (man spricht manchmal auch von einem Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung der Krippenplätze). Mit dem neuen Finanzierungsmodell in Luzern werden staatliche Subventionen nicht mehr an die Betreuungseinrichtungen bezahlt (welche damit Plätze zu reduzierten Tarifen anbieten), sondern direkt an die Eltern. Eltern mit geringen oder mittleren Einkommen müssen somit nicht erst einen subventionierten Platz suchen, sondern können sich mit dem Gutschein in der Hand die Betreuungseinrichtung selber aussuchen.

Aus ökonomischer Sicht ist dieser Wechsel sinnvoll: Erstens wird die Anzahl der verbilligten Kinderbetreuungsplätze nicht mehr – wie heute in fast allen Städten – rationiert. Zweitens erhalten die Eltern Wahlfreiheit in der Betreuungseinrichtung. Diese Wahlfreiheit ermöglicht nicht nur einen Wettbewerb zwischen den Krippen, sondern erlaubt es den Eltern, die für sie passendere Lösung zu finden. Und nicht, wie bei der heute üblichen Objektfinanzierung, entweder keinen Platz zu erhalten oder durch die halbe Stadt reisen zu müssen.

Mit Betreuungsgutscheinen wird zudem Rechtsgleichheit geschaffen: Jeder Haushalt, der die notwendigen Kriterien zum Erhalt von Subventionen erfüllt, erhält diese auch. Lange Wartelisten werden vermieden und es gilt nicht „De gschneller isch de gschwinder“.  Dies ist umso wichtiger, weil bisherige Studien vermuten lassen, dass die Rationierung der subventionierten Plätze auf Kosten der weniger gut ausgebildeten Eltern geht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikereltern Krippenplätze beanspruchen rund dreimal höher als dies bei den übrigen Familien der Fall ist. Die Betreuungsgutscheine sind zudem an eine Erwerbstätigkeit geknüpft.

Nach der Einführung der Betreuungsgutscheine zeigte sich schnell: Auch in der Stadt Luzern überstieg die Nachfrage nach subventionierter Kinderbetreuung das Angebot bei weitem. Nach 2009 stieg die Anzahl betreuter Plätze steil an und stabilisierte schliesslich im Jahr 2013. Dies ohne Abstriche an der Betreuungsqualität dank Investitionen in die Qualität der Kinderbetreuung.

Kinderbetreuung ist ein kostspieliger Faktor  in der Schweiz. Die Kosten dürften ein Grund sein, dass Mütter dem Erwerbsleben fern bleiben oder nur mit geringem Pensum beschäftigt sind (siehe hier meine alte, aber noch immer gültige Analyse). Meine Doktorandin Alma Ramsden untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation, welchen Einfluss das neue, universelle Kinderbetreuungssystem in der Stadt Luzern (sowie in den Gemeinden Emmen und Kriens) auf die finanzielle Sicherheit die Erwerbstätigkeit von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden hat.

Almas Analyse zeigt, dass die Verfügbarkeit von Betreuungsgutscheinen die Einkommen der betroffenen Familien positiv und signifikant erhöhten – sowohl für Paarhaushalte mit Kindern wie auch für Alleinerziehende. Da Alleinerziehende einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, ist vor allem letzterer Befund von sozialpolitischer Relevanz: Betreuungsgutscheine helfen, die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Alleinerziehenden zu stärken. Weil eine Erhöhung der Einkommen immer auch mit grösseren Steuereinnahmen verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die Betreuungsgutscheine die Ausgaben der Gemeinden (zumindest teilweise) wieder kompensieren. Die Resultate zeigen auch, dass Eltern mit Betreuungsgutscheinen nicht einfach von informeller zu formeller Kinderbetreuung wechselten. Betreuungsgutscheine erhöhten auch die Arbeitstätigkeit von Alleinerziehenden und ZweitverdienerInnen deutlich. Die positiven Effekte finden sich nicht nur in der städtischen Gemeinde Luzern, sondern auch in den kleineren, vorstädtischen Gemeinden Emmen und  Kriens.

Almas Forschung ist in den heutigen Diskussionen zur Aktivierung der Frauen in der Wirtschaft besonders wertvoll. Sie zeigt auf, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur davon abhängt, wie viel die Kinderbetreuung den Familien kostet (die Kosten veränderten sich nämlich in Luzern nicht), sondern vor allem auch davon, ob die Familien überhaupt Zugang zu subventionierten Plätzen haben. Den Blogleser(innen) sei hier die Lektüre des Berichts empfohlen.

 

PS: Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den Steuerbehörden der Stadt Luzern und den Gemeinden Emmen und Kriens, sowie bei der Abteilung Kind Jugend Familie der Stadt Luzern für die Bereitstellung der Daten und wertvolle Unterstützung.

Sollen nicht berufstätige Akademiker die Kosten für ihr Studium zurückzahlen?

Gebhard Kirchgässner

Kürzlich wurde vorgeschlagen, dass Akademiker einen Teil ihrer Ausbildungskosten zurückzahlen sollen, wenn sie freiwillig über längere Zeit nicht berufstätig sind. Damit soll u.a. dem Fehlen qualifizierter Fachkräfte begegnet werden. Damit würden freilich nur Symptome und nicht die Ursachen bekämpft, und zweitens hätte dies aller Voraussicht nach sehr negative Nebenwirkungen.

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Systemrelevanz rentiert

Urs Birchler

Ein Vertreter der Bank Notenstein (Vermögensverwaltungs- und Asset Management-Tochter der Raiffeisen-Bank) sagt es in entwaffnender Ehrlichkeit (gemäss by Finews):

„Unsere Kunden haben es auch geschätzt, dass die Schweizerische Nationalbank Raffeisen als systemrelevant eingestuft hat.“

Recht hat er, natürlich. Doch das Zitat zeigt: Die Lebensversicherung „Systemrelevanz“ vergiftet den Wettbewerb noch in den hintersten Ecken des Bankgeschäfts.

Bankenrettung ohne Staat?

Urs Birchler

Der portugiesische Banco Espírito Santo muss (trotz Werbung durch Cristiano Ronaldo) gerettet werden. „Ohne Staatsgeld“, lügen die Verantwortlichen. Die Elemente der Rettung:

  1. Die Bank wird aufgespaltet in eine „bad bank“ und eine gute namens Novo Banco.
  2. Der Novo Banco erhält eine Finanzspritze von 4,9 Mrd. Euro.
  3. Der Novo Banco wird (bis zu einem Verkauf) übernommen von einem Auffang-Fonds, den die Banken selbst gebildet haben. Der Fonds hat aber nur wenig Mittel; der grösste Teil der 4,9 Mrd. Euro bestehen deshalb in einem Hilfskredit des Staates (aus Geldern der „Troika“, genauer: aus dem IMF/EU-Hilfsprogramm für Portugal).
  4. Die normalen Einleger kommen in die gute Bank; Aktionäre (von der Börse seit Juni schon mit einem Verlust von 90% gebeutelt) sowie nachrangige und „junior“ Gläubiger und erhalten die „bad bank“.

Die gute Seite: Aktionäre und ungeschützte Gläubiger werden nicht gerettet. (Ob auch Cristiano Ronaldo die bis 2022 versprochenen Werbeeinnahmen verlieren wird?). Die schlechte Seite: Ohne Geld vom Staat geht es immer noch nicht. Erstens ist auch Geld aus einem Banken-Rettungsfonds Steuergeld, nur wurde es anstatt von den allgemeinen Steuerzahlern von den Banken erhoben. Die guten Banken zahlen also für die schlechten. Zweitens war der Hilfskredit von knapp 5 Mrd. Euro kaum zu den geltenden Bedingungen am Markt erhältlich. Der portugiesische Staat subventioniert also den Novo Banco durchaus — trotz allen gegenteiligen Beteuerungen. Und hinter ihm (falls er nicht zahlen kann) die europäischen Geldgeber und der IMF (also ein kleines bisschen auch der Schweizer Steuerzahler).

Keine PK Gelder mehr für Wohneigentum?

Monika Bütler

Heute Nachmittag erhielt ich eine email von Jacqueline Badran: Ich war am Wochenende doppelt erstaunt, nun bist du Bankenprofessorin..;-) und glaubst, dass die Häuserpreise steigen werden auf Grund des aufgehobenen Vorbezugs. Zwar stand (MB: in der Sonntagszeitung), dass das nur kurzfristige die Preise ansteigen lassen könnte. Ich wette aber, dass Du gesagt hattest, mittelfristig hätte die Massnahme preisdämpfende Wirkung. Habe ich recht?

Sie hat.

(Dass ich in der Sonntagszeitung erwähnt wurde, wusste ich nicht. Herr Rutishauser fand es nicht mehr nötig, auf meine ausführlichen Argumente und Berechnungen zu reagieren.)

Worum geht es? Aussagen aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen von letzter Woche lassen – je nach politischer Position – hoffen oder befürchten, dass der Vorbezug von PK Geldern zur Finanzierung von Wohneigentum bald eingeschränkt werde. Es gibt gute Gründe, über die Art der Vorbezüge zu diskutieren. So wird ironischerweise ein Teil der zum Kauf verwendeten PK Kapitalien gerade wieder durch die damit ausgelösten höheren Häuserpreise weggefressen. Die lockeren Tragbarkeitskriterien erhöhen nämlich die Nachfrage nach Immobilien, wodurch deren Preis steigt. Insbesondere Studien zur Wohneigentumsförderung in Australien zeigen, dass diese theoretische Aussage durch die Daten sehr eindrücklich gestützt wird. Probleme mit dem Vorbezug von PK Geldern ergeben sich auch bei Scheidungen.

Die These der Sonntagszeitung war allerdings eine andere: Die Einschränkung des PK Vorbezugs sei unsozial (leider kein Link).

Hier für diejenigen die es interessiert noch meine ganze Aussage zu diesem Punkt (ich habe auch noch weitere Fragen beantwortet):

Die Massnahme selber ist kurzfristig unsinnig, da sie ein Strohfeuer auf dem Immobilienmarkt auslösen wird (kaufen solange PK Gelder bezogen werden können) und damit sowohl den Selbstregulierungsmassnahmen zuwider läuft als auch die Hauspreise steigen lässt. Auch mittelfristig gäbe es gescheitere Wege, dem Problem „Verarmung im Alter wegen PK Vorbezugs“ Herr zu werden, ohne die Freiheiten der mittelständischen Sparer so sehr einzuschränken. Zum Beispiel durch eine zwingende Rückzahlung in den 20 Jahren nach dem Vorbezug der PK Gelder. Bei einem Vorbezug von 100’000 Franken und einem Zins von 2% würde dies circa 6000 Franken pro Jahr während 20 Jahren betragen.

Dass die Tragbarkeitskriterien dadurch verschärft werden, ist an sich richtig. Dies bedeutet zwangsläufig, dass ein höheres Einkommen verlangt wird. Wie mein obiges Beispiel aber zeigt, wäre dieser Anstieg bei einer obligatorischen Rückzahlung der Vorbezüge deutlich geringer als bei einem Verbot. Zudem haben lose Tragbarkeitskriterien auch einen preistreibenden Effekt – und fressen einen Teil des Vorteils geringer Zinsen gerade wieder auf. Es ist zu erwarten, dass strengere Tragbarkeitskriterien die Preisentwicklung dämpfen und somit einen Teil ihrer Nachteile wieder kompensieren.

Ob die geplante Massnahme tatsächlich unsozial ist, lässt sich somit nicht abschliessend beurteilen. Auch als Bankenprofessorin nicht. Und solange ich meine Aussagen auf dem Blog ergänzen muss, kann ich weitere Anfragen der Sonntagszeitung getrost ignorieren. Auch die vom Chefredaktor.

 

Ungeeignete Leverage Ratio?

Urs Birchler

Der Tages-Anzeiger lobt die Universität Zürich für die Wahl der Bankenkritikerin Anat Admati zur Ehrendoktorin: „Ihre Ehrung markiert Distanz zum Bankenplatz: zur UBS, die ein eigenes Kompetenzzentrum sponsert [das UBS Center for Economics in Society], und zum Swiss Finance Institute, das von den Banken finanziell unterstützt wird. Regulierungsfragen werden dort mehr als zurückhaltend behandelt.“ [Hyper-Links von uns eingesetzt.]

Dass uns der TA Unabhängigkeit attestiert, ist erfreulich. Er hätte noch erwähnen können: Am Institut für Banking und Finance und dessen Zentrum für Finanzmarktregulierung (ZeFiR) nehmen wir ständig zu Regulierungsfragen Stellung. (Das Institut erhält m.W. keine Gelder von Grossbanken und ist nicht zu verwechseln mit dem bankenfinanzierten SFI.)

Ferner hat der TA mit dem Zitat „Ungewichtete Kapitalquoten sind völlig ungeeignet, um das «Too big to fail»-Problem zu managen“ ein unglückliches Beispiel erwischt. Die Aussage stammt aus einem White Paper des SFI, verfasst unter der Leitung von Prof. Jean-Charles Rochet (UZH). Das Paper zieht Bilanz zur Diskussion um die Kapitalkosten und kommt zum — keineswegs bankenfreundlichen — Schluss, dass der Nutzen höherer Eigenmittel der Banken die Kosten vor allem aus gesamtwirtschaftlicher Sicht klar übersteigen dürfte.

Eine Leverage-Ratio als einzige Eigenmittelanforderung für Banken ist gleichwohl ungeeignet. Eine solche würde das Bankgeschäft in die riskantesten Ecken abdrängen. Wenn Anat Admati fordert, die Banken sollen Eigenmittel von 20% der Bilanz haben, heisst dies nicht, dass diese Eigenmittel durch eine alleinige Leverage-Ratio erzwungen werden sollen.

Wir können Anat Admati selber fragen. Morgen Dienstag, 17 Uhr, hält sie einen öffentlichen Vortrag an der UZH.