Das Ende der Banken: Replik

Urs Birchler

Auf meinen gestrigen Beitrag zu Das Ende der Banken habe ich einen längeren Kommentar der Autoren bekommen, der es verdient, hier anstatt nur versteckt als Kommentar, publiziert zu werden. Ich möchte aber die Kontroverse nicht hier und jetzt weiterführen, in der Annahme, es gäbe dazu künftig noch Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Birchler,

Wir freuen uns sehr, dass Sie «Das Ende der Banken» gelesen und unsere Argumentation als geradlinig und überzeugend empfunden haben. Gerne nehmen wir den Ball auf und stellen uns Ihren Kritikpunkten.

Uns lag in der Tat viel daran, unseren Standpunkt so präzise und klar wie möglich darzulegen. Und wir sind froh, dass Sie unser Bestreben hier erkennen. Deshalb waren wir auch etwas irritiert, dass unsere Vorschläge mit «Kastration» oder gar Totschlag bezeichnet werden. Im Grunde ist unser Buch ja lediglich eine nüchterne ökonomische Analyse mit dem folgenden Kern:

Das Bankenwesen hat uns im Industriezeitalter gute Dienste geleistet. Es überbrückte die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern und war damit unerlässlich für ein florierendes Kreditwesen. Aber das Bankenwesen war schon immer fragil (Stichwort: bank run). Nur dank einem ausgeklügelten System von Zentralbanken, Einlagesicherungen, Staatsgarantien und Bankenregulierungen konnten die systemischen Risiken im Griff gehalten werden.

Die digitale Revolution hat dieses System dann untergraben. Die Bankenregulierung erwies sich ab den 1970er Jahren zunehmend als zahnlos. Ausserhalb des Sichtfelds vom Regulator konnte in den vergangenen Jahrzehnten das digitalisierte Bankenwesen unkontrolliert Geld und Kredit schöpfen – mit verheerenden Folgen.

Wir sind überzeugt:
Die systemischen Risiken des Bankenwesens können im digitalen Zeitalter nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden. Der Regulierungsansatz aus dem industriellen Zeitalter funktioniert nicht mehr.

Wir sind aber auch überzeugt:
Die digitale Revolution ermöglicht neue Wege, die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern zu überbrücken. Diese neuen Möglichkeiten sind dezentral, transparent und funktionieren ohne das Bankenwesen.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist klar:
Wir haben die Kontrolle über das Bankenwesen verloren, benötigen es jedoch auch nicht mehr. Es ist deshalb an der Zeit, den bisherigen Regulierungsansatz fundamental zu überdenken.

Hier geht es weder um «Kastration», noch wollen wir etwas «umbringen», wie Sie etwas pointiert in Ihrem Beitrag festhalten. Nein, als liberale Ökonomen glauben wir vielmehr, dass transparente und faire Märkte eine positive Kraft für unsere Gesellschaft sind. Jedem freiheitlich denkenden Menschen ist zum Heulen zumute, wenn er oder sie das aktuelle Finanzwesen mit den gewaltigen Risk- und Compliance-Abteilungen und gleichzeitig boomender «regulatory arbitrage» sieht.

Im Kern geht es in «Das Ende der Banken» also darum, dass freiheitliche und marktorientierte Regeln auch wieder für das Finanzsystem gelten können. All unsere Vorschläge sind an diesen liberalen Prinzipien ausgerichtet – und ja, das ist im Kontext der aktuellen Debatte um das Bankenwesen in der Tat «knüppeldick».

Nun sind wir natürlich sehr gespannt auf Gegenargumente, welche wir nicht berücksichtigt haben. Wir haben redlich versucht, alle wichtigen Einwände bereits im Buch vorwegzunehmen und zu diskutieren – an dieser Stelle sei auf den ganzen Abschnitt der Besprechung von Professor Tobias Straumann hingewiesen, aus dem Sie den letzten Nebensatz zitiert haben:

«Die Autoren verzichten auf eine Diskussion über die Realisierbarkeit ihres Vorschlags. Ihr einziger Anspruch ist es, zu zeigen, dass ein Finanzsystem ohne Banken «sowohl erstrebenswert als auch möglich» sei. Dies ist ihnen vorzüglich gelungen, auch wenn ihre Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird.»

Wir sehen ein, dass unsere Kritik an der derzeitigen Finanzarchitektur nicht auf ungeteilte Zustimmung stösst. Doch das Problem an der Wurzel zu packen scheint uns immer noch besser, als Tausende weitere Seiten an Bankenregulierungen zu erarbeiten, zu analysieren und zu implementieren. Denn – da sind wir uns sicher – diese Sisyphusarbeit wird uns nicht vor der nächsten Krise bewahren.

Mit freundlichen Grüssen,
Jonathan McMillan

P.S: Der «Staubsauger» ist die Liquiditätsprämie, und unsere Definition von Eigenmittel und Finanzanlagen sind in den elementaren Buchhaltungstechniken begründet. Falls diese Definitionen nicht halten würden, wären auch die Konzepte der beschränkten Haftung und der juristischen Personen nicht mehr haltbar.

Schlaflos wegen Postfinance?

Urs Birchler

Postfinance verliert die Staatsgarantie. Ende September endet die fünfjährige Frist, die das Postorganisationsgesetz (POG) vom 1.10.2012 in Art. 15 festgelegt hatte. Da die Postfinance die Bedeutung dieser Änderung für die Kontinhaber offenbar nicht zur Zufriedenheit der Medien klärte, versuche ich’s hier:

  • Die Postfinance gehört zum halben Dutzend der in der Schweiz als „systemrelevant“ eingestuften Institute. Das heisst, die Postfinance (mit strategischer Bedeutung im Zahlungsverkehr und jedem/r zweiten Stimmbürger/in als Kunden) wäre im Ernstfall „too-important-to-fail“. Sie würde (alles andere wäre grobfahrlässig) vom Staat gerettet. Abgeschaffte Garantie hin oder her.
  • Einlagen bei der Postfinance sind zwar bis zu CHF 100’000 durch Esisuisse versichert — theoretisch. Deren Gesamtdeckung ist aber auf CHF 6 Mrd. beschränkt (eine Folge der unversicherbaren Grössenunterschiede im Schweizer Bankensystem). Versichert wären also nur diejenigen, die rasch genug zum Schalter rennen (und nahe genug bei einer noch nicht geschlossenen Postfiliale wohnen).
  • Umstritten ist, woher der Postfinance überhaupt Gefahren drohen. Postfinance selber beklagt, dass sie keine Kredite gewähren darf und deshalb auf Anlagen mit schlechterem Rsiko-Ertragsprofil angewiesen ist. Andere sind eher froh, dass Postfinance nicht auch noch im Hypothekargeschäft — historisch gesehen Systemrisko Nummer eins — mittun darf.

Fazit: Als Kunde der Postfinance darf ich weiterhin ruhig einschlafen; nur muss ich weiterhin hoffen, nicht als Steuerzahler schlecht zu erwachen.

[Nachtrag: Ähnlich habe ich argumentiert gegenüber „Echo der Zeit“]

Freiwilliges Vollgeld?

Urs Birchler

Gemäss Presseberichten (NZZ, Reuters) plant eine Gruppe von gegenwärtig sechs Banken die Einführung einer digitalen Geldeinheit namens USC (utility settlement coin, nicht zu verwechseln mit der bestehenden Crypto-Währung USC).

Was ist USC und was ist es nicht?

  1. USC ist keine Währung wie Bitcoin, sondern lediglich eine Form, Guthaben in einer bestimmten Währung, z.B. CHF, zu halten. USC-Einheiten können jederzeit 1:1 in Bankguthaben umgetauscht werden.
  2. Der Sinn von USC ist ein anderer: der eines Zahlungsmittels innerhalb einer Blockchain-Technologie. Die Banken erhoffen sich durch Einsatz der Blockchain-Technologie raschere und billigere Überweisungen im Vergleich zu heute, wo eine Börsentransaktion via Bank abgewickelt wird mit um bis zu drei Arbeitstagen verzögerter Gutschrift und Belastung.
  3. USC sind jederzeit zu 100% durch Guthaben bei der entsprechenden Notenbank gedeckt. Sie sind also im Kern freiwilliges „Vollgeld“ im Sinne der Vollgeld-Initiative.

Verstehe ich das falsch? Die Vorteile einer Blockchain-Technologie überwiegen die Nachteile einer (unverzinslichen) Volldeckung (in Notenbankgeld) der von Banken ausgegebenen Zahlungsmittel? Das wäre noch die Pointe: Die Banken setzen die (ihnen offiziell verhasste) VGI um, bevor wir darüber abgestimmt haben.

Das Finanzsystem der Zukunft

Urs Birchler

Diese Woche war ich in Wien auf der Volkswirtschaftlichen Tagung der OeNB, durchgeführt gemeinsam mit SUERF. Vom Anlass — am besten umschrieben als europäisches Jacksonhole plus österreichische Gastfreundschaft — hier ein paar selektive Notizen. (Ausgenommen: Das nicht für die Berichterstattung gemeinte, informelle „Kamingespräch“ des österreichischen Finanzministers Hans-Jörg Schelling, moderiert von OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. Es war in Wien im übrigen auch ohne Feuer heiss genug.)

Portable Kundendaten: Die europäische Payments Directive wird an sensibler Stelle ins Finanzsystem eingreifen. Zahlungsdaten der Kunden werden portabel (Kunden werden ihre bei den Banken gespeicherte Transaktions-Geschichte Dritten öffnen können). Dies erlaubt Kunden und Händlern, Zahlungen direkt über Programmierschnittstellen (sogenannte APIs) abzuwickeln — unter Umgehung von, beispielsweise, Kreditkarten und die entsprechenden Gebühren. Näheres dazu und den möglichen Konsequenzen in der Präsentation von Patricia Jackson (Ernst&Young).

Smart Contracts: Selbstausführende Verträge sind zur Zeit der Hype. David Yermack (NY Stern School of Business) zeigte in seinem Beitrag, dass die Idee nicht ganz neu ist. Ein früher Anwendungsfall von „smart contracts“ ist der Selbstbedienungsautomat. Ferner benötigen smart contracts keineswegs eine blockchain, wie heute oft angenommen wird.

Blockchain: Ist die Blockchain vielleicht sogar eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Auch François R. Velde (Chicago Fed) versuchte in seinem Beitrag, die Erwartungen etwas zu dämpfen. Besonders schön: Sein Entscheidungs-Schema „Brauche ich eine Blockchain (und, wenn ja, was für eine)?“

Bargeld oder Cyber Money: Helmut Stix (OeNB) zeigte in seinem Referat, dass das schon halb totgesagte Bargeld sich anhaltender Beliebtheit erfreut. Die Möglichkeit, dass Notenbanken digitale Guthaben für jedermann anbieten können, erwähnte Paul Tucker (ex Bank of England) in einem eher vorsichtigen Beitrag.

Regulierung: Vor regulatorischer Ermüdung warnte Erkki Liikanen (Gov. Bank of Finland) in der SUERF Annual Lecture und argumentierte zugunsten einer gesamteuropäischen Einlagenversicherung als dritter, noch unvollständiger Säule der „Banking Union“. Ferner kündigte er eine Tagung zum Thema Shadow Banks an (Helsinki 14.-15. Sept. 2017).

Ich kann nur anregen, angesichts meines lückenhaften und einseitigen Berichts die Referate selbst anzusehen.

Vollgeld: Bravo NZZ

Urs Birchler

Kompliment an Hansueli Schöchli zu seinem luziden Artikel zur Vollgeld-Initiative in der heutigen NZZ! Alles sauber und unvoreingenommen erklärt.

Für Stimmbürger(innen) am wichtigsten: Wenn die SNB dem Bund Geld schenkt, wird die Schweiz als ganze nicht reicher. Statt auf der Vermögensseite der SNB steht das Geld dann auf der Vermögensseite des Bundes. Die Gefahr allerdings: Der Wunsch der Politik nach mehr, der nur durch Geldschöpfung (einer Form der Besteuerung) und indirekt Inflation erfüllt werden kann.

Was mich am meisten beeindruckt hat: Hansueli Schöchli hat die wissenschaftliche Literatur weiträumig studiert und zitiert. Von den Schweizer Ökonomen hätte man noch den NZZ-Gastbeitrag von Jörg Baumberger und vor allem die eigene (kritische) Website zu Vollgeld des Basler Professors Aleksander Berentsen erwähnen dürfen. Dieser gehört international zu den Top-Forschern auf dem Gebiet der monetären Ökonomie.

Frühere Beiträge bei Batz.ch zu Vollgeld: Vollgeld für Anfänger, das Experiment in Louisiana, und in meiner Abschiedsvorlesung zu Thema Geldreform–Weltreform.

Mit dem Navi im Kofferraum gegen Uber

Letzten Donnerstag besuchte ich einen kranken Kollegen etwas ausserhalb von St. Gallen. Da ich rund 20 Minuten hätte auf den Bus warten müssen, nahm ich ein Taxi.

Also setzte ich mich ins Taxi und gab dem Fahrer die Adresse.

Fahrer freundlich: Wissen wo ist?

Ich habe Ihnen doch die Adresse gegeben!?

Fahrer etwas weniger freundlich: Ich meine, wo fahren?

Das weiss ich nicht. Deshalb nehme ich ja ein Taxi.

Fahrer verwirft die Hände.

Haben Sie kein Navi?

Fahrer verwirft die Hände und steigt aus. Im Kofferraum findet er das Navi, installiert es und tippt die Adresse ein. Nach mehr als 5 Minuten fahren wird dann doch noch los.

Geärgert hat mich die Sache besonders, weil ich sonst bei jeder Gelegenheit die Ostschweizer Taxis als service-orientiert, kundenfreundlich und zuverlässig lobe. Kein „Du schweigen, du Frau“, keine kostspieligen Umwege, keine versifften Taxis mit unfreundlichen Fahrern wie in Zürich.

Natürlich hätte ich mein eigenes Mobil Navi zücken können. Für einen ausländischen Gast wäre dies allerdings teuer geworden. So extravagant ist ein installiertes Navi in einem Taxi nun auch wieder nicht.

Man kann die ungleichen Bedingungen für Taxiunternehmen und für Uber anprangern. Glaubwürdiger wären die Bedenken über ungleiche Wettbewerbsbedingungen allerdings, wenn sich die Taxiunternehmen in Sachen Kundenfreundlichkeit an die von neuen Wettbewerbern mitgeprägten Standards hielten. Diese wären in den meisten Fällen gratis (freundlich) oder mit geringen Anstrengungen (Navi aus dem Kofferraum) zu erreichen.

 

 

 

Die Tücken der Tragbarkeitskriterien beim Hauskauf

Monika Bütler

Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien am 30. Oktober in der NZZ am Sonntag unter dem Titel „Banken entdecken ihr Herz für Familien“.

Partnerwahl und Hauskauf, − zwei der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Zur Partnerschaft genügen zwei; beim Hauskauf ist meist eine dritte Partei dabei: die Bank. Ihre Bedingungen entscheiden, ob Haus oder Wohnung erschwinglich sind. Neuestens haben die Banken ihr Herz für den Mittelstand entdeckt. Sie möchten die Tragbarkeitskriterien für Hypotheken lockern, um jungen Familien die Eigenheimidylle zu ermöglichen.

Nach alter Regel sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als einen Drittel des Bruttoeinkommens betragen.  Hauptkostenpunkt ist der Hypothekarzins. Der wäre heute eigentlich tief. Gewitzt durch die von einem Immobilienboom in den USA ausgelöste Finanzkrise (und angehalten durch die Finanzbehörden)  kalkulieren die Banken jedoch mit einem längerfristigen Durchschnittssatz von gegenwärtig 5%. Diesen möchten einzelne Banken auf 3% senken. Konkret: Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Franken und Eigenmitteln der Käufer von 200‘000 Franken wäre statt eines Bruttoeinkommens von 150‘000 Franken (bei 5% Zinsen und 1% des Kaufpreises als Unterhalt) neu nur noch eines von 102‘000 Franken notwendig. Gerade im Mittelstand ein beachtlicher Unterschied.

Auf den ersten Blick hat die vorgeschlagene Änderung durchaus ihren Charme. Fast alle Prognosen gehen von langfristig tiefer Realzinsen aus. Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Produktivität sind die Hauptgründe dafür. Und Inflation ist (noch) nicht in Sicht.

Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn, erstens, lauern im neuen makroökonomischen Umfeld mit tieferen Zinsen neue Gefahren für die Käufer:Nicht nur die Zinsen sind tief, das Wirtschaftswachstum ist es ebenfalls. Die Hauskäufer können nicht mehr damit rechnen, dass sich der relative Wert der Hypothek gemessen an ihrem Einkommen über die Zeit sozusagen magisch verkleinert. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Zahl der Rentner, für die die Hypothek eine zu grosse finanzielle Belastung darstellt, heute sehr viel höher liegt als früher.

Zwanzig Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns zudem vergessen lassen, wie sehr höhere Inflationsraten und somit Hypothekarsätze die Haushalte belasten – auch wenn Renten und Löhne vollständig an die Teuerung indexiert sind. Hypothekarzinsen von über 7% wie in den 1990er Jahren wären mit beim erwähnten Beispiel mit einem Einkommen von 100‘000 Franken kaum mehr tragbar.

Zweitens wird wohl ein Teil der Erleichterung beim Hauskauf gerade wieder aufgefressen von den dadurch ausgelösten Preissteigerungen: Bieten zwei Interessenten für eine Wohnung, hört das Preisangebot spätestens dann auf, wenn die Tragbarkeitsbedingungen binden. Sind diese lockerer, können dieselben Bieter nicht nur höhere Gebote machen, auch der Kreis der Anwärter wird grösser. Das logische Resultat: das Haus wechselt die Hand zu höherem Preis. Dies ist nicht einfach graue Theorie. Die empirische Evidenz aus verschiedenen Ländern zeigt eindeutig, dass direkte oder indirekte Erleichterungen des Immobilienkaufs durch für weniger reiche Haushalte immer auch zu höheren Preisen führen. Die vermeintliche Unterstützung geht teilweise oder ganz an die Hauseigentümer und Baufirmen.

Interessanterweise versteht man im Ausland, dass dank der Tragbarkeitskriterien die Immobilienpreise in der Schweiz nicht noch mehr gestiegen sind. Am letzten Dienstag versandte das deutsche Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der drohenden Immobilienblase. Eine der vorgeschlagenen Massnahmen: strengere Vergabekriterien.

Also nichts machen und gerade junge Mittelstandsfamilien weiterhin vom Hauskauf abhalten? Ein Kompromiss wäre die strengen Tragbarkeitskriterien etwas in die Zukunft zu verschieben und diese mit höheren verbindlichen Abzahlungsraten zu verbinden. Die Amortisation müsste so hoch sein, dass bei gleichem Einkommen in 15 Jahren wieder die konservativen 5% erreicht würden. Dies hätte zwei weitere Vorteile: Erstens ist die Bereitschaft einer hohen Amortisation für die Banken ein gutes Signal für das berufliche Selbstvertrauen der Schuldner.

Zweitens schützt eine tiefere Verschuldung die Betroffenen im – leider nicht seltenen – Scheidungsfall. Die amerikanische Ökonomin Betsey Stevenson zeigte nämlich, dass die Menschen das Scheidungsrisiko bei fast allen Entscheidungen berücksichtigen (Kinder, Sparen, Arbeit), sonderbarerweise nicht aber beim Hauskauf. Sie verkennen, dass von den zwei Entscheidungen die Partnerwahl die wichtigere ist: Wer dort einen Fehler macht, hat auch das Haus auf Sand gebaut.

Znacht mit Nobelpreisträger

Urs Birchler

Mit den heute gekrönten Wirtschaftsnobelisten habe ich je schon einmal ein Nachtessen bestritten und war nachher beide Mal nudelfertig. Mit Bengt Holmström (in grösserer Ökonomen-Tischrunde des Studienzentrims Gerzensee) bewegte sich das Gespräch auf einer Reiseflughöhe und in einer Geschwindigkeit, dass mir schwindlig wurde.
Noch schlimmer war es mit Oliver Hart (zu zweit ). Er ist ein derart interessierter Geist, dass er mich vom ersten Satz an ausfragte über die Schweiz, von Initiative und Referendum bis zur (Nicht-)Handelbarkeit von Milchkontingenten und Alprechten. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie oberflächlich ich mich in vielem auskannte und was intellektuelle Neugier bedeutet.

Oliver Hart hatte ich damals (1999) eingeladen als Referent in einem gemeinsamen Seminar von SNB und FINMA (damals EBK) zum Thema Bankenkonkursrecht. Hart hatte mit Lucien Bebchuk ein Konkursverfahren erfunden, welches den Wert der zu liquidierenden Unternehmung maximiert und die Anspruchsberechtigten fair behandelt. Wir waren damals überzeugt, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken so etwas brauchte. Eine vereinfachte Version floss dann schrittweise tatsächlich ins Bankengesetz ein und wird heute als „bail-in“ (Gläubigerbeteiligung an den Verlusten) international hoch gehandelt.

Als ich Oliver Hart Jahre später wieder traf, berichtete ich ihm stolz, wir hätten seinen Vorschlag immerhin teilweise umgesetzt. Doch liess ihn dies völlig kalt; er hatte seine Neugier längst auf neue Fragen gerichtet.

Immerhin haben wir Oliver Hart in den Artikeln 31ff. des Bankengesetzes ein „lebendes“ Denkmal gesetzt. Lange vor dem Nobelpreiskomittee.

Falscher Fokus in der Bailout-Diskussion

Urs Birchler

Banken: Retten oder nicht? Gegenwärtig ringt Italien mit dem Rettungs-Dilemma (und mit der EU). Allgemein anerkannt ist die Devise “Staatshilfe fördert moral hazard”, d.h. eine übermässig riskante Geschäftspolitik der Banken.
Leider nur ist sie gerade dort falsch, wo staatliche Rettungen hauptsächlich vorkommen, nämlich bei sogenannt systemrelevanten Banken. Dies sind Banken, deren Untergang schwere Kosten für das Finanzsystem und die Gesamtwirtschaft mit sich zöge, im Jargon der Regulatoren SIFIs (systemically important financial institutions) geheissen.
Nachzulesen ist die Begründung in meinem neuen working paper.
In Kürze: Bei nicht systemrelevanten Instituten stimmt die Formel “Staatshilfe fordert übermässige Risiken”. Der Grund, weshalb sie bei SIFIs nicht stimmt, liegt im Wort “übermässig”. SIFIs nehmen schon übermässige Risiken, wenn weit und breit kein hilfsbereiter Staat da ist. Sie kalkulieren nämlich bei ihrer Risikowahl die Systemschäden ihres Zusammenbruchs nicht ein. Dies ist bereits moral hazard.
Kommt jetzt staatliche Rettung dazu, geschieht zweierlei. Einerseits entfallen diese Systemkosten für die Allgemeinheit. Damit steigt auch das aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimale Risiko der Banken. Der moral hazard würde also gemildert. Bloss nehmen andererseits die Banken mit der Aussicht auf staatliche Rettung (mit Billigung ihrer Geldgeber, wohlverstanden) noch höhere Risiken. So landen wir wieder beim ungefähr selben Übermass an Risiken der SIFIs wie in Abwesenheit des Staates.
Die Moral: Wer übermässige Bankrisiken auf Kosten der Steuerzahler nicht mag, darf die Existenz systemrelevanter Finanzinstitutionen nicht dulden. Wer umgekehrt scharfe Massnahmen gegen systemrelevante Finanzinstitutionen scheut, sollte sich nicht gegen staatliche Hilfe wehren. Jedenfalls nicht mit dem moral hazard-Argument wie Mark Carney, damals Präsident des Financial Stability Board (heute Gouverneur der Bank of England):

[t]he expectation that systemically important institutions can privatize gains and socialize losses encourages exessive private sector risk taking.

Dieses Argument ist mindestens irreführend und lenkt vom Hauptproblem, der Systemrelevanz, ab.

Der Coach als Schiedsrichter

Urs Birchler

Die NZZ berichtet heute unter dem Titel „Die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt“ über die seit 1989 bestehenden IMD-Rankings. Die gute Nachricht: Die Schweiz, neu auf Platz 2, hat sich verbessert. Die schlechte: Hong-Kong ist uns grad noch vor die Nase auf Platz 1 gekurvt. Wie haben die das bloss geschafft?

Einerseits betreibt Hong-Kong auch unter chinesischer Flagge eine wirtschaftsfreundliche Politik. Zudem haben aber die Hong-Kong-Chinesen auch die Spielregeln verstanden. Die NZZ berichtet nämlich:

Ein positives Echo finde[t] … die Tatsache, dass die Hongkonger Behörden das IMD ersucht haben, zusätzliche Massnahmen vorzuschlagen, um die Kompetitivität des Standortes weiter zu verbessern. Habe ich das richtig gelesen? Das IMD ist also einerseits Schiedsrichter im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking und andererseits Berater einzelner Teilnehmer?

Das hatten wir doch schon: Schon zu Beginn der Finanzkrise wurde den Rating-Agenturen vorgeworfen, sie verkauften gleichzeitig sowohl Ratings als auch Beratung, wie ein Unternehmen sein Rating verbessern könne. Der US-Senator Menendez kritisierte, die Rating Agenturen spielten gleichzeitig Trainer und Schiedsrichter. In der Tat erhalten Unternehmen, die mehr Geschäfte mit den Agenturen machen, bessere Ratings, wie Mathias Efing (UniGE) und Harald Hau in einem Paper des Swiss Finance Institute nachweisen.

Muss die Schweiz, um auf Platz 1 zu kommen oder wenigstens Platz 2 zu verteidigen, jetzt beim IMD ein Wettbewerbsfähigkeitsprogramm kaufen? Nein. Das für Unternehmen entwickelte Konzept Wettbewerbsfähigkeit angewendet auf ganze Staaten ist nämlich mehr als umstritten. Sogar Wikipedia bezeichnet „Internationale Wettbewerbsfähigkeit als substanzloses Schlagwort“. Wir können es also getrost bleiben lassen.

Das IMD könnte sich aber einmal Gedanken zu Interessenkonflikten machen.