Vollgeld-Autoritäten

Urs Birchler

Jörg Baumberger, mein Kollege von der UniSG, hat sich die Mühe gemacht, einige der von den Vollgeld-Initianten immer wieder zitierten Belege und Autoritäten genau anzusehen. Sein Bericht (hier im Volltext) ist ernüchternd:

  1. Die von den Initianten dauernd zitierte Studie der Copenhagen Business School: krass fehlerhaft. Die Reaktion der Initianten auf Feststellung der Fehler: im Stillen zugeben und öffentlich verschweigen.
  2. Die Behauptung, Island befinde sich auf dem Weg zum Vollgeld: Längst überholt.
  3. „Zeuge“ Thomas Mayer (ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank und bekennender Staatsskeptiker): wirr. Er befürwortet Vollgeld nur als Übergang zur Privatisierung des Geldwesens [wie das???] und hält Devisenmarktinterventionen der Zentralbank unter Vollgeld für unmöglich; bei Wechselkurs-Turbulenzen hälfen dann gemäss Mayer nur Kapitalverkehrskontrollen.
  4. Der (Vollgeld-)Vorschlag der IMF-Ökonomen von Kumhof&Benes: vom IMF mit einem fetten Disclaimer versehen und von den VGI-Vertretern (aufrund der vielleicht nicht so erfreulichen Implikationen) mittlerweile als Hirngespinst der Gegner abgetan.
  5. Ein Mitglied des akademischen Beirats der Kampagne meint, die Vollgeld-Idee beruhe auf einer ‚conception erronée de la monnaie‘; er stimme aber trotzdem „ja“, so als Denkanstoss.

Danke Jörg!

Geldpolitik unter Vollgeld

Urs Birchler

Ein Knackpunkt der Vollgeld-Initiative ist die Geldpolitik. Die Initiative fordert, dass neu geschaffenes Geld von der SNB à fonds perdu, also ohne Gegenleistung, an Bund und Kantone oder Bürgerinnen und Bürger abgegeben werden muss. Im vorgeschlagenen Art. 99a Abs. 3 heisst es:

Sie bringt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf, und zwar über den Bund oder über die Kantone oder, indem sie es direkt den Bürgerinnen und Bürgern zuteilt.

Die SNB erwirbt also bei der Geldausgabe keine Vermögenswerte (Auslandsdevisen und Wertpapiere) mehr, mit denen sie ausgegebenes Geld auch wieder zurückkaufen kann. Aber: Wie es SNB-Präsident Thomas Jordan formulierte: „Wie fordert man Geld zurück, das man zuvor verschenkt hat?“ Eine restriktive Geldpolitik, und damit Inflationsbekämpfung, ist unter der VGI unmöglich.

Die Initianten haben erkannt, dass sie einen Bock geschossen haben. Zum Glück steht im besagten Abs. 3 auch noch ein zweiter Satz:

Sie kann den Banken befristete Darlehen gewähren.

Über Kredite an die Banken wäre eine auf beide Seiten flexible Geldpolitik noch möglich. Nur: Das würde die Stellung der Banken gegenüber heute noch stärken und die Nationalbank zur Grossgläubigerin der Banken — mit den entsprechenden Risiken — zwingen. Genau das Gegenteil von dem, was die Initiative eigentlich wollte.

Drum suchten die Initianten verzweifelt nach einem dritten Weg und fanden ihn — in einer faustdicken Lüge. Klammheimlich fügten Sie in Der Initiativtext erläutert auf Ihrer Website einen Satz ein:

Zusätzlich kann die SNB wie bisher neues Geld durch den Kauf von Auslandsdevisen und Wertpapieren in Umlauf bringen und kann auch über diese Wege die Geldmenge vergrössern und verkleinern.

Dieser Satz war ursprünglich nicht drin [Dank an Joerg Baumberger für ein PDF des ursprünglichen Textes!]. Verständlich, denn er widerspricht dem Initiativtext frontal. Ob die Initianten die eigene Initiative nicht gelesen haben oder ob sie bereits den Teilrückzug anstreben, sei dahingestellt. Den Nimbus der ehrlichen Idealisten haben sie bei mir jedenfalls verloren.

Vollgeld: eine Schlangenfangerei

Urs Birchler

Auf die bevorstehende Abstimmung vom 10. Juni hin, hier eine aktuelle Version des von Jean-Charles Rochet und mir verfassten Vollgeld-Leifaden. Der Leifaden ist neutral geschrieben und versucht, den Argumenten sowohl der Befürworter als auch der Gegner gerecht zu werden.

Die teilweise völlig verdrehten Argumente der Initianten in der öffentlichen Diskussion (kürzlich war ich mit Kathrin Bertschy (GLP) und Raffael Wüthrich (VGI) am Radio, nachzuhören im Kontext) erfordern hier aber auch einmal Gegensteuer.

Ich sag’s daher frei heraus: „Vollgeld“, so wie es die VGI vorschlägt, ist ein Etikettenschwindel. Und der geht so:

  1. Die VGI fordert, dass Einlagen des Publikums bei den Banken zu 100 Prozent, d.h. „voll“, durch Guthaben dieser Banken bei der Nationalbank gedeckt sind,
  2. Die VGI fordert gleichzeitig, dass die SNB neugeschaffenes Geld an Bund und Kantone oder Bürgerinnen und Bürger verschenkt. Den Banknoten und den Guthaben der Banken bei der SNB steht dann also in letzter Konsequenz kein Gegenwert mehr gegenüber, sie würden dann zu „Leergeld“ (meine Terminologie), dessen Wert nicht mehr durch ein SNB-Vermögen gestützt wird.

Die VGI würde also dazu führen, dass unser Geld „Vollgeld“ heisst, aber voll nur noch durch Leergeld gedeckt ist.

Das Ende der Banken: Replik

Urs Birchler

Auf meinen gestrigen Beitrag zu Das Ende der Banken habe ich einen längeren Kommentar der Autoren bekommen, der es verdient, hier anstatt nur versteckt als Kommentar, publiziert zu werden. Ich möchte aber die Kontroverse nicht hier und jetzt weiterführen, in der Annahme, es gäbe dazu künftig noch Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Birchler,

Wir freuen uns sehr, dass Sie «Das Ende der Banken» gelesen und unsere Argumentation als geradlinig und überzeugend empfunden haben. Gerne nehmen wir den Ball auf und stellen uns Ihren Kritikpunkten.

Uns lag in der Tat viel daran, unseren Standpunkt so präzise und klar wie möglich darzulegen. Und wir sind froh, dass Sie unser Bestreben hier erkennen. Deshalb waren wir auch etwas irritiert, dass unsere Vorschläge mit «Kastration» oder gar Totschlag bezeichnet werden. Im Grunde ist unser Buch ja lediglich eine nüchterne ökonomische Analyse mit dem folgenden Kern:

Das Bankenwesen hat uns im Industriezeitalter gute Dienste geleistet. Es überbrückte die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern und war damit unerlässlich für ein florierendes Kreditwesen. Aber das Bankenwesen war schon immer fragil (Stichwort: bank run). Nur dank einem ausgeklügelten System von Zentralbanken, Einlagesicherungen, Staatsgarantien und Bankenregulierungen konnten die systemischen Risiken im Griff gehalten werden.

Die digitale Revolution hat dieses System dann untergraben. Die Bankenregulierung erwies sich ab den 1970er Jahren zunehmend als zahnlos. Ausserhalb des Sichtfelds vom Regulator konnte in den vergangenen Jahrzehnten das digitalisierte Bankenwesen unkontrolliert Geld und Kredit schöpfen – mit verheerenden Folgen.

Wir sind überzeugt:
Die systemischen Risiken des Bankenwesens können im digitalen Zeitalter nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden. Der Regulierungsansatz aus dem industriellen Zeitalter funktioniert nicht mehr.

Wir sind aber auch überzeugt:
Die digitale Revolution ermöglicht neue Wege, die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern zu überbrücken. Diese neuen Möglichkeiten sind dezentral, transparent und funktionieren ohne das Bankenwesen.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist klar:
Wir haben die Kontrolle über das Bankenwesen verloren, benötigen es jedoch auch nicht mehr. Es ist deshalb an der Zeit, den bisherigen Regulierungsansatz fundamental zu überdenken.

Hier geht es weder um «Kastration», noch wollen wir etwas «umbringen», wie Sie etwas pointiert in Ihrem Beitrag festhalten. Nein, als liberale Ökonomen glauben wir vielmehr, dass transparente und faire Märkte eine positive Kraft für unsere Gesellschaft sind. Jedem freiheitlich denkenden Menschen ist zum Heulen zumute, wenn er oder sie das aktuelle Finanzwesen mit den gewaltigen Risk- und Compliance-Abteilungen und gleichzeitig boomender «regulatory arbitrage» sieht.

Im Kern geht es in «Das Ende der Banken» also darum, dass freiheitliche und marktorientierte Regeln auch wieder für das Finanzsystem gelten können. All unsere Vorschläge sind an diesen liberalen Prinzipien ausgerichtet – und ja, das ist im Kontext der aktuellen Debatte um das Bankenwesen in der Tat «knüppeldick».

Nun sind wir natürlich sehr gespannt auf Gegenargumente, welche wir nicht berücksichtigt haben. Wir haben redlich versucht, alle wichtigen Einwände bereits im Buch vorwegzunehmen und zu diskutieren – an dieser Stelle sei auf den ganzen Abschnitt der Besprechung von Professor Tobias Straumann hingewiesen, aus dem Sie den letzten Nebensatz zitiert haben:

«Die Autoren verzichten auf eine Diskussion über die Realisierbarkeit ihres Vorschlags. Ihr einziger Anspruch ist es, zu zeigen, dass ein Finanzsystem ohne Banken «sowohl erstrebenswert als auch möglich» sei. Dies ist ihnen vorzüglich gelungen, auch wenn ihre Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird.»

Wir sehen ein, dass unsere Kritik an der derzeitigen Finanzarchitektur nicht auf ungeteilte Zustimmung stösst. Doch das Problem an der Wurzel zu packen scheint uns immer noch besser, als Tausende weitere Seiten an Bankenregulierungen zu erarbeiten, zu analysieren und zu implementieren. Denn – da sind wir uns sicher – diese Sisyphusarbeit wird uns nicht vor der nächsten Krise bewahren.

Mit freundlichen Grüssen,
Jonathan McMillan

P.S: Der «Staubsauger» ist die Liquiditätsprämie, und unsere Definition von Eigenmittel und Finanzanlagen sind in den elementaren Buchhaltungstechniken begründet. Falls diese Definitionen nicht halten würden, wären auch die Konzepte der beschränkten Haftung und der juristischen Personen nicht mehr haltbar.

Banken abschaffen?

Urs Birchler

Jetzt kommt’s knüppeldick. Heute ist das Buch Das Ende der Banken: Warum wir sie nicht brauchen (basierend auf einer englischen Version von 2014) erschienen. Der fiktive Autor Jonathan McMillan steht für ein Duo bestehend aus dem NZZ-Wirtschaftsredaktor Jürg Müller und einem anonymen Investmentbanker. Die NZZ hat bereits vor zwei Wochen als Primeur eine Besprechung durch Tobias Straumann abgedruckt.

Die Autoren gehen aufs Ganze. Sie wollen verbieten, dass finanzielle Anlagen durch Schulden finanziert werden. Beispiel: Wer einen Hypothekarkredit gewähren will, darf diesen nicht mit Spareinlagen oder Kassenobligationen finanzieren. Im Klartext: Die Banktätigkeit wird verboten. Finanzielle Investitionen dürfen nur noch durch Eigenmittel finanziert werden. Eine „Bank“ bräuchte also hundert Prozent Eigenmittel (ausser für irgendwelche nicht-finanziellen Anlagen wie z.B. ihr Gebäude), wodurch sie zu einem Anlagefonds würde. Als zweite — „systemische“ — Sicherung müsste eine Unternehmung stets solvent sein, d.h. ein bisschen mehr Vermögen haben als Schulden.

Während die Vollgeldinitiative verlangt, dass Banken Kredite nicht mit Einlagen finanzieren („kein Geld schöpfen“), gehen die Autoren einen Schritt weiter und verbieten die Kreditfinanzierung mit Schulden überhaupt, egal ob mit Lohnkonti oder zehnjährigen Obligationen. Grob gesprochen: Die Vollgeldinitiative will die Banken in ihrer Fähigkeit zur Geldschöpfung kastrieren; die beiden Autoren von Das Ende der Banken wollen die Banken umbringen.

Gemein ist beiden Vorschlägen die „zweite Säule“: Die Geldschöpfung — die nur noch durch die Nationalbank erfolgen kann — soll nicht in Form eines Ankaufs von Vermögen (der Währungsreserven) erfolgen. Die Autoren sind auch hier radikaler als die Vollgeldinitiative: Neu geschaffenes Geld soll die Nationalbank an die Bürgerinnen und Bürger überweisen (die Vollgeldinitiative erlaubt auch eine Auszahlung an Bund und Kantone). Der Vorschlag beinhaltet also ein bedingungsloses Einkommen (wie die Autoren betonen: nicht Grundeinkommen, da die jährliche Geldschöpfung der SNB zu einem solchen nicht ausreicht). Und damit niemand auf dem Geld sitzen bleibt, kommt eine Liquiditätsprämie (gemeint: -steuer) dazu; Bargeld, das man einer solchen Besteuerung zu leicht entziehen könnte, wird abgeschafft.

Die Autoren versprechen sich (und den Leserinen und Lesern) einiges: Ein Ende von Finanzkrisen; Wegfall der (unbestritten) komplizierten Bankenregulierung; der impliziten Staatsgarantie für Banken und daher Wegfall des moral hazard im Bankenbereich — kurz: „Stabilität, Produktivität und Verteilungsgerechtigkeit“. Ein (zu) schöne neue Welt?

Die Autoren sind zu loben für eine überaus lesbare, flüssig geschriebene Einführung in die ökonomische Rolle der Banken. Die Argumentation wirkt auch selten propagandistisch (ausser: „Unser Vorschlag ist einzigartig, weil er das Digitalzeitalter mit offenen Armen begrüsst“). Ich habe auch keine Behauptungen entdeckt, die mir geradewegs falsch vorkamen. Die Argumentation wirkt geradlinig und überzeugt — fast. Ihre Stärke ist nämlich gleichzeitig ihre grösste Schwäche: Gegenargumente werden gar nicht erwähnt, geschweige denn geprüft.

Beispiel 1: Eine Bankenverbot dürfte wohl mit Kosten verbunden sein. Banken sind nicht nur eine (gelegentliche) Quelle von Krisen, sie haben auch über Jahrhunderte die wirtschaftliche Entwicklung begleitet und unterstützt. Ob dies im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr der Fall sein soll oder aber noch effizienter stattfinden wird, scheint mir offen. Die Autoren beklagen denn auch, dass die Fintech-Pioniere zunehmend mit den Banken kooperieren oder verschmelzen.

Beispiel 2: Wenn die Nationalbank Geld direkt an die Bürgerinnen und Bürger verschenkt, mögen sich diese freuen. Wie aber kann die SNB den Geldumlauf wieder reduzieren, sollte dies notwendig sein? Sie hat zwar einen Helikopter, aus dem sie Geld abwerfen kann, aber keinen Staubsauger, mit dem sie es wieder zurückholen kann. Eine Geldpolitik, die Wechselkursschwankungen abfedern kann, würde als auch gleich abgeschafft. Da klingt das Lippenbekenntnis zugunsten einer „unabhängigen Geldpolitik“ etwas hohl.

Und wetten, dass wir mit der Notwendigkeit „Eigenmittel“ und „Finanzielle Anlagen“ zu definieren, rasch wieder in der bösen alten Welt der Detailregulierung landen würden?

Fazit: Das Ende der Banken propagiert eine Rosskur, die ohne klinische Tests und ohne Packungsbeilage zu den Nebenwirkungen daherkommt. Tobias Straumann dürfte richtig prognostiziert haben, dass „die Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird“.

Die Euro-Hintertür

Urs Birchler

Die NZZ berichtet, dass im Euro-Zahlungssystem TARGET die Guthaben (Deutschlands) und die Schulden (v.a. Spaniens und Italiens) auf 880 Mrd. Euro angeschwollen sind. Diese Target-Salden werden seit längerem diskutiert und dank den Bemühungen von Hans-Werner Sinn auch als Problem anerkannt.

Die NZZ erwähnt den Lösungsvorschlag in Form einer Parallelwährung zum Euro wie die Moneta Fiscale. Dabei handelt es sich um staatlich ausgegebene Gutscheine, die zur Bezahlung von Steuern angerechnet werden. Der im Artikel erwähnte italienische Finanz-Ökonom Marco Cattaneo hat dazu verschiedene Beiträge in seinem Blog geschrieben und mit Ko-Autoren ein Buch veröffentlicht.

In aller Bescheidenheit sei nachgetragen, dass batz.ch bereits vor fünf Jahren in einem Beitrag zu Griechenland die Idee der Steuergutscheine beschrieben hat als Möglichkeit, aus dem Euro auszusteigen, ohne ihn offiziell zu verlassen. Als Empfehlung waren die staatlichen kouponi nicht gemeint, denn der Verkauf von Steuergutscheinen heute geht auf Kosten der Steuereinnahmen von morgen. Dannzumal wird der Schatzkanzler wie in Goethes Papiergeldszene klagen: „…und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.“

Vollgeld-Leitfaden

Urs Birchler

In ungefähr einem Jahr kommt die Vollgeld-Initiative (VGI) an die Urne. Sie zielt auf eine grundlegende Reform unserer Geldordnung. Die Argumente der Befürworter und Gegner klaffen entsprechend weit auseinander. Angesichts der polarisierten Diskussion und der teils technischen Materie haben Jean-Charles Rochet und ich versucht, einen sachlichen und auch für ein breiteres Publikum gut verständlichen Leitfaden zu schreiben. Ein paar kleinere Beiträge sind hier auf Batz.ch schon früher erschienen: 1, 2, 3, 4, 5, 6.

Hier nun also unser Beitrag:

Die Vollgeld-Initiative — ein Leitfaden für jedermann

Wir legen den Text schon als (fortgeschrittenen) Entwurf vor, damit er zeitgerecht zur Debatte im Nationalrat zur Verfügung steht (die WAK-NR tagt am 23. Oktober). Der Ständerat hat die Initiative bereits behandelt (Ablehnung ohne Gegenvorschlag).

Update 13.10.2017: Ergänzend haben wir eine Kurzversion auf englisch, die demnächst auch auf deutsch und französisch folgen soll:

Die Vollgeld-Initiative — a summary in english

Über Kommentare freuen wir uns.

Kartoffelgeld

Urs Birchler

Immer wieder kommt die Frage: „Warum dürfen Banken Geld schöpfen, aber andere nicht?“ Die Vollgeldbewegung will die Geldschöpfung der Banken abschaffen, und an der kommenden Generalversammlung der SNB wird das Thema sicher von verschiedenen Referenten aufgegriffen werden. Heute kam mir ein Text von Ivo Muri in die Hand: „Warum dürfen Landwirte kein Geld drucken?“ Drum versuche ich am Beispiel der Kartoffelwährung einmal mehr zu erklären, was Banken tun und was nicht.

Bauern verkaufen Kartoffeln. Banken verkaufen Guthaben. Mit Kartoffeln kann man zahlen, wenn jemand bereit ist, Kartoffeln an Zahlung zu nehmen. Dasselbe gilt für Bankguthaben. Ein potentielles Zahlungsmittel herstellen darf also jeder (Beispiel: Bitcoins); schwieriger ist es, die Leute zu überzeugen, dieses effektiv anzunehmen. In Kuba sind Kartoffeln ein sehr begehrtes Zahlungsmittel. In der Schweiz sind heutzutage Bankguthaben beliebter.

Fazit 1: Geld wird geschaffen durch die Bereitschaft der Allgemeinheit, ein Gut als Zahlungsmittel anzunehmen. Geld schafft also weder der Bauer noch die Bank, sondern wir, die uns durch Guthaben oder Kartoffeln zahlen lassen.

Kartoffeln bestehen aus Stärke. Bankguthaben bestehen aus versprochenem Geld. Der Unterschied: Stärke macht satt, ein Versprechen nicht. Wie J.A. Schumpeter sagte: Mit versprochenem Geld kann man bezahlen, aber auf einem versprochenen Pferd kann man nicht reiten. Mit versprochenen Kartoffeln kann man also zwar nicht kochen. Aber (siehe oben) man kann mit ihnen bezahlen, wenn das Lieferversprechen des Bauern glaubwürdig genug ist.

Fazit 2: Geld kann jeder schaffen, der glaubwürdige Versprechen abgeben kann und diese in eine übertragbare Form kleidet.

Kartoffeln kriegen Junge. Geld kriegt keine Jungen, aber es „arbeitet“, d.h. es lässt sich rentabel ausleihen. Bauer und Bank lassen ihre Kartoffeln, bzw. ihr Geld, daher nicht in der Scheune liegen. Das hat einen Vorteil: Die Inhaber der Kartoffelgutscheine und die Inhaber der Bankguthaben erhalten einen Zins (oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr). Im Wettbewerb frisst dieser Zins den Ertrag aus dem ausgeliehenen Geld, bzw. des gepflanzten Kartoffeln weitgehend auf, d.h. der Ertrag der Geldschöpfung fliesst in jenes Publikum, auf dessen Vertrauen die Geldschöpfung letztlich beruht. Dieses System — versprochene Kartoffeln nicht am Lager zu haben oder versprochenes Geld auszuleihen — hat auch einen Nachteil: Es ist fragil. Wenn Panik aufkommt, versuchen die Leute, die Kartoffeln im eigenen Keller zu bunkern oder das Geld bei der Bank in bar abzuholen. Dies ist die Achillesferse des „fractional reserve banking“.

Fazit 3: Unvollständig gesicherte Guthaben sind für ihre Inhaber rentabel, aber riskant. Ob die Guthaben auf Kartoffeln lauten oder auf Geld spielt keine Rolle.

Geld (in heutiger Form) ist beliebig vermehrbar. Kartoffeln nicht. Einem Bauern, der Kartoffel versprochen hat, sie aber nicht liefern kann, mag ein Kollege aushelfen. Wenn alle Bauern „short“ sind, kann ihnen niemand helfen. Wenn alle Banken zusammen Geld liefern müssen, weil die Kunden in Panik sind, kann ihnen die Nationalbank mit einem Notkredit helfen. Die Nationalbank — und nur die Nationalbank — schafft Geld „gratis“ aus dem Nichts. Fiat Money, „Es werde Geld“. Es werde Kartoffel, geht nicht. (Dasselbe gilt übrigens für Bitcoin, darum kann und wird es nie echte Bitcoin-Banken geben.) Einen Lender of Last Resort kann es nur geben in einem beliebig vermehrbaren Medium, d.h. in Fiat Money. Weil Banken (von der SNB geschaffenes) Fiat Money borgen und ausleihen und nicht Kartoffeln, sind sie anders als Bauern. Und die SNB schützt die Achillesferse des Systems (was man als Vollgeld durch die Hintertür bezeichnen könnte).

Fazit 4: Das einzige „Privileg“ der Banken besteht darin, dass ihre Versprechen auf Geld lauten, welches im Notfall von der Notenbank beliebig vermehrt werden kann (den Banken aber keineswegs geschenkt wird).

Eine Hunderternote zu drucken, kostet die Nationalbank weniger als einen Franken. Das rentiert. Kartoffelgeld oder Bankgeld zu schaffen, ist etwas ganz anderes: Die Halter von Guthaben bei Bank oder Bauern müssen nämlich „bestochen“ werden, sei es (siehe oben) in Form von Zinsen oder Dienstleistungen im Zahlungsverkehr. Sonst gehen sie zur Konkurrenz. Die Nationalbank hingegen hat keine direkte Konkurrenz, drum braucht sie den Inhabern der Banknoten auch keinen Zins zu bezahlen. (Den resultierenden Gewinn überweist sie im wesentlichen an Bund und Kantone.)

Fazit 5: Geldschöpfung durch die SNB einerseits und durch Banken (oder Bauern) andererseits sind zwei grundverschiedene Vorgänge.

Vollgeld: Bravo NZZ

Urs Birchler

Kompliment an Hansueli Schöchli zu seinem luziden Artikel zur Vollgeld-Initiative in der heutigen NZZ! Alles sauber und unvoreingenommen erklärt.

Für Stimmbürger(innen) am wichtigsten: Wenn die SNB dem Bund Geld schenkt, wird die Schweiz als ganze nicht reicher. Statt auf der Vermögensseite der SNB steht das Geld dann auf der Vermögensseite des Bundes. Die Gefahr allerdings: Der Wunsch der Politik nach mehr, der nur durch Geldschöpfung (einer Form der Besteuerung) und indirekt Inflation erfüllt werden kann.

Was mich am meisten beeindruckt hat: Hansueli Schöchli hat die wissenschaftliche Literatur weiträumig studiert und zitiert. Von den Schweizer Ökonomen hätte man noch den NZZ-Gastbeitrag von Jörg Baumberger und vor allem die eigene (kritische) Website zu Vollgeld des Basler Professors Aleksander Berentsen erwähnen dürfen. Dieser gehört international zu den Top-Forschern auf dem Gebiet der monetären Ökonomie.

Frühere Beiträge bei Batz.ch zu Vollgeld: Vollgeld für Anfänger, das Experiment in Louisiana, und in meiner Abschiedsvorlesung zu Thema Geldreform–Weltreform.

Geldreform — Weltreform

Urs Birchler

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Am Dienstagabend gab ich an der Uni Zürich meine Abschiedsvorlesung. Inhalt: Geldreformen, die gleichzeitig als Weltreformen gedacht waren oder sind: Corvaja’s Bankokratie, Gesell’s Freiwirtschaft, die Vollgeldinitiative, der Euro. Fazit: Der Versuch, über das Geld die Welt zu erneuern, ist zum Scheitern verurteilt. Im schlimmsten Fall gehen dabei sowohl das Geld kaputt, als auch die angestrebte neue Welt. Bestes Beispiel: der Euro. Der Versuch, Europa via Gemeinschaftswährung zur Einheit zu zwingen, hat den Euro und die Einheit untergraben.

Die Vorlesung kann auf der Homepage des IBF hier oder hier als Video abgerufen werden.

Zusätzlich hat Klaus Ammann von Radio SRF ein wohlgesonnenes (danke!) Interview gemacht und in Echo der Zeit gesendet.

Ich danke nochmals allen, die gekommen sind und Ihre Zeit mit mir geteilt haben!