Hydranten statt Brandmauern?

Verzichten wir auf Brandmauern zwischen den Häusern und stellen statt dessen vor jedes Haus einen Hydranten! Dies streben grosse Banken hinter den Kulissen seit Jahren an: Möglichst wenig Eigenmittel (Brandmauern), aber unbeschränkte Liquiditätsgarantien (Hydranten). Heute stehen sie knapp vor dem Ziel — paradoxerweise, weil eine von ihnen falliert ist.

Beim Untergang der Credit Suisse gab die SNB Liquiditätszusagen gestützt auf Notrecht ab. Der Bundesrat möchte solche ungedeckte Hilfskredite an grosse Banken durch die Nationalbank mit Bundesgarantie (im Jargon der Bankenregulierung: Public Liquidity Backstop, PLB) künftig unter ordentlichem Recht ermöglichen. Egal, wenn die Feuerwehr ausrücken muss.

Der Hintergrund: Wenn die Kunden einer Bank ihr Geld abholen, hat diese bald keine liquiden Mittel mehr, steht also mit leerer Kasse da. Dann kann sie bei der SNB noch Notkredite gegen Deckung erbitten. Wenn sie aber nichts mehr besitzt, was die SNB mit halbwegs gutem Gewissen belehnen kann, dürfte – gemäss Vorlage — die Nationalbank der klammen Bank trotzdem nochmals Geld leihen, und zwar blanko, falls im Hintergrund der Bund bürgt. Daher: Public (SNB und Bund) +  Liquidity (es gibt Geld) + Backstop (das Auffangnetz hinter dem Werfer beim Baseball).

Die vom Bundesrat zur Umsetzung des PLB erarbeitete Vorlage weist gravierende Schwächen auf und sollte nicht vorschnell umgesetzt werden. Die Gründe:

  1. Die Vorlage ist – zusammen mit den aus der CS-Krise noch bestehenden Bestimmungen – viel zu komplex. Für Nicht-Spezialisten sind die konzeptionellen Schwächen kaum erkennbar. Die geplante Trennung der Vorlage von der geplanten umfassenderen Revision der TBTF-Bestimmungen verhindert eine Regulierung „aus einem Guss“.
  2. Der PLB subventioniert die systemrelevanten Organisationen (UBS, Raiffeisen Gruppe, Zürcher Kantonalbank und PostFinance) gegenüber den kleineren Banken wie z.B. den Regionalbanken. Die vorgesehene Abgeltung (Versicherungsprämie) ist zu tief. Sie ist geringer als die Abgeltung für die Staatsgarantie, welche die Kantonalbanken ihren Kantonen zahlen (zusätzlich zur Erfüllung des Leistungsauftrags und zur Dividende!). Zudem ist die Abgeltung an die Kantone ohnehin schon eher tief gemessen an den statistischen Erfahrungswerten zu Verlusten der Kantonalbanken.
  3. Ein Konkursprivileg für Kredite durch die SNB macht die bereits ziemlich komplizierte Hierarchie der Ansprüche von Einlegern, Träger der Einlagensicherung (esisuisse) und SNB durcheinander (hierzu nur ein Beispiel). Die daraus folgenden rechtlichen Komplikationen erschweren eine Sanierung oder geordnete Abwicklung einer Bank zusätzlich. 
  4. Der PLB bringt schafft (entgegen der Behauptung in der Vorlage des Bundesrates) kein zusätzliches Vertrauen der Fremdkapitalgeber, im Gegenteil. Beruhigend wirkt Liquiditätshilfe durch die SNB nur, wenn die Solvenz der Bank ausser Zweifel steht, wenn also die Einleger bloss Angst voreinander haben. Bei zweifelhafter Solvenz jedoch bleibt für die letzten Einleger weniger übrig, wenn andere ihre Guthaben dank der Liquiditätshilfe durch die SNB zurückziehen. Ein sofortiger Rückzug (Bank Run) bei angebotener Liquiditätshilfe ist also rational.
  5. Liquiditätshilfe durch die SNB untergräbt die Rolle der FINMA. Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) eines Unternehmens ist in der Regel ein Zeichen für Insolvenz (Überschuldung). Anders als die Insolvenz lässt sich Illiquidität nicht verstecken. Sie ist die Guillotine: Die Unternehmung muss in neue Hände kommen. Bei Banken ist die Guillotine jedoch sehr teuer, auch volkswirtschaftlich. Deshalb gibt es eine Bankenaufsicht, die rechtzeitig eingreifen soll, wenn die Solvenz gefährdet ist. (Zu) grosszügige Liquiditätshilfe durch die SNB ermöglicht es aber der FINMA, die Illusion der Solvenz aufrechtzuerhalten Beispiel CS). Hier liegt sogar ein Fehlanreiz vor: Die SNB darf Liquiditätshilfe gewähren, solange die FINMA die Solvenz der empfangenden Bank noch bescheinigt. Der PLB verschlimmert das Problem noch.
  6. Die an eine Liquiditätshilfe unter dem PLB obligatorisch zu knüpfenden Sanierungsmassnahmen sind nicht genügend spezifiziert. Da Liquiditätshilfe das Leben einer möglcherweise insolventen Bank verlängert, schafft dies eine Lücke in der Unternehmenskontrolle.
  7. Die Gewährung von ungedeckten Krediten mit Bundesgarantie ist ökonomisch gleichbedeutend wie eine Kreditgewährung der SNB an den Bund (und von diesem an die Bank). Ob dies eine illegale Staatsfinanzierung (Art. 11 Abs. 2 NBG) darstellt, wäre mindestens genau zu prüfen.
  8. Unklar ist (mindestens für den Ökonomen), ob die vorgesehenen Bestimmungen (Art. 51a) nur die vergangene Kreditgewährung betreffen (wodurch sie überflüssig wären) oder auch eine Verpflichtung des Bundes zu künftiger Hilfeleistung enthalten (wesfalls sie gestrichen gehörten).

Trotz all dieser Mängel wurde die Vorlage des Bundesrates in der Vernehmlassung relativ positiv aufgenommen. Klar ist, dass die Bankiervereinigung, de facto das Sprachrohr der Grossbanken, das Geschenk des Bundes gerne annehmen möchte. Auch Economiesuisse findet den PLB eine gute Sache. Vielleicht hofft sie, irgendwann bekämen alle Schweizer Unternehmen im Krisenfall Bundesgarantie für Notkredite. Sogar der Kantonalbankenverband ist für den PLB, obwohl nur ein einziges seiner Mitglieder (die ZKB) von ihm profitieren kann — und ihn gar nicht braucht, da die Bank bereits von Gesetztes wegen Staatsgarantie geniesst. Das Kuriosum wird von Letti Robin (UniFR) analysiert. Der Regionalbankenverband schliesslich mag nicht gegen den PLB ankämpfen, sondern argumentiert, der PLB müsse auch den bisher ausgeschlossenen 98 Prozent der Schweizer Banken offenstehen.

Aus neutraler Warte wurde die Vorlage kaum kommentiert — sie ist schlicht zu kompliziert. Eine vorsichtig kritische Stimme erhob Christoph Schmutz in der NZZ. Schärfere Kritik kam von von Alexandra Janssen (Ecofin) und Adriel Jost und Corinne Zellweger-Gutknecht (UniSG/UniBa). Aymo Brunetti (UniBe) befürwortet zwar einen PLB, hält aber die vorgesehene Abgeltung für viel zu gering angesichts der Risiken für den Steuerzahler.

Fazit: Stop dem Back-Stop! Der Gesetzgeber täte gut daran, den PLB trotz Applaus durch die Banken nicht einfach durchzuwinken, sondern nochmals genauer anzusehen. Notwendig wäre mindestens eine Abstimmung zwischen Regeln zur Liquiditätshilfe und einer neuen TBTF-Regulierung. Auf Deutsch: Wieviel Brandmauer braucht es für ein Anrecht auf einen Hydranten?

Digitales Bargeld — Swiss Made?

Urs Birchler

So digital wie Bitcoin, so sicher wie ein Fünfliber oder eine Banknote der Schweizerischen Nationalbank — so wünschen sich manche das ideale Geld. Verschiedene Notenbanken prüfen deshalb seit einigen Jahren die Idee des digitalen Zentralbankgeldes (CBDC — Central Bank Digital Cash/Currency).

In einem Arbeitspapier der SNB haben drei Autoren — David Chaum (DigiCash u.v.m.), Christian Grothoff (Berner Fachhochschule), Thomas Moser (Mitglied des erweiterten Direktoriums der SNB) — unlängst untersucht, nicht ob, aber wie die SNB gegebenenfalls eine „Digitalnote“ schaffen könnte.

Am Anfang steht die Entscheidung: Konto oder Münze (token)? Digitales SNB-Geld in Kontoform gibt es bereits in Gestalt der Giroguthaben der Banken, mit denen diese den Zahlungsverkehr untereinander abwickeln. Die SNB müsste also bloss den Kundenkreis auf das Publikum ausweiten. Dieser Weg ist jedoch dornig: (1.) Die SNB müsste personalintensive Vorkehren zur Verhinderung von Geldwäscherei umsetzen (know your customer); (2.) Konti sind nicht anonym und damit nie hundertprozentig immun gegen staatlichen Missbrauch; (3.) Kontoüberweisungen hinterlassen Daten beim Empfänger.

Die Autoren entschieden sich daher für die Variante „Token“, d.h. die digitale Münze. Hier heisst die Herausforderung: Wie verhindert man eine Duplikation (Fälschung). Copy-Paste mit dem Münzcode wäre doch zu verführerisch. Hier kommt Entscheidung zwei: Hardware oder Software. Ein digitales Guthaben kann in einem geschützten Hardware-Bereich gespeichert werden, ähnlich der bereits bekannten SIM-Karte. Oder es kann in nicht-klonbarem Code niedergelegt werden. Die Autoren befürworten aus Sicherheitsgründen den letzteren Weg, das heisst eine „Sofware-Only“-Lösung.

Konkret befänden sich unsere Digitalfünfliber — wo sonst? — auf dem Handy. Dahin gelangen sie ab Bankkonto. Vom Handy aus können sie ausgegeben oder wieder auf ein Bankkonto zurück geschickt werden. Dieses Digitalgeld wäre also ein Inhaber“papier“. Es hinterlässt beim Bezahlen keine Spuren der Herkunft, genau wie herkömmliches Bargeld. Und wenn das digitale Portemonnaie beim Segeltörn ins Meer fällt, ist mit dem Handy auch das darauf gespeicherte Geld verloren, genau wie beim Portemonnaie.

Das Elegante an der vorgeschlagenen Lösung ist die klare Arbeitsteilung zwischen SNB und Geschäftsbanken. Der Bezug und die Rückgabe von Digitalmünzen erfolgt nur zwischen Inhaber (Kunde oder Händler) und Geschäftsbank. Die Überprüfung und Signatur wird von der SNB geleistet, an welche gebrauchte Digitalmünzen (ähnlich der abgenutzten Banknoten) zurückkehren. Damit bleibt die Trennung von Kundenprüfung (Geschäftsbank) und Schaffung von Zentralbankgeld (SNB) gewahrt.

Das Kernstück des Arbeitspapiers ist die kryptographische Umsetzung dieser Prozesse. Sie beruht, ähnlich wie die Verifizierung bei Bitcoin, auf der Kombination eines privaten Schlüssels und eines öffentlichen Schlüssels.

Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht, erzeugt einen privaten
Schlüssel und bekommt eine Signatur der Zentralbank über den
dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, ohne dass diese Schlüssel den
Banken zu diesem Zeitpunkt bekannt werden. Beim Ausgeben der Münze (via Händler und Empfängerbank) signiert der Kunde mit dem privaten Schlüssel die Anweisung zur Übertragung des Wertes der Münze an den Händler, und die Zentralbank prüft die Gültigkeit der Münze auf Basis der Signatur. Bisher alles genau wie Bargeld.

Der Trick bei der Echtheitsprüfung beruht darin, dass die SNB sehen kann, ob das Resultat einer Berechnung (konkret: einer in der Kryptgraphie üblichen Operation mit grossen Primzahlen) korrekt ist, ohne die Ausgangszahlen zu kennen. Wir erinnern uns an die Neunerprobe aus der Primarschule: Ein Blick auf die Neunerprobe zeigt der Lehrerin, ob das Ergebnis einer Division richtig ist (genauer: sein kann), ohne dass sie die Ausgangszahlen ansehen muss. Besser ist vielleicht der Vergleich mit der Prüfziffer einer IBAN-Nummer. Die Prüfziffer folgt aus der IBAN, aber die IBAN nicht aus der Prüfziffer. Die Mathematik der Echtheitsprüfung ist im Arbeitspapier ziemlich verständlich dargestellt. Denjenigen, die wie ich noch nie vom Inversen einer Modulo-Funktion gehört haben, sei eine kurze Nachhilfe empfohlen. Das Chaum-style blind-signature protocol sparen wir uns für den Party-talk. Wichtig ist aber, dass die ganze Software hinter der im Papier dargestellten Digitalmünze auf Open Source Software beruht, und zwar auf dem offensten der verschiedenen Standards, der sogenannten GNU Public License und dem System der GNU-Taler.

Zwischenfazit: Die vorgeschlagene Lösung besticht dadurch, dass sie von allen bisher vorgeschlagenen Formen von CBDC die bestmögliche Abbildung von Bargeld in digitaler Form zu sein scheint. Dennoch bestehen im Hinblick auf eine — von der SNB ausdrücklich nicht geplante — Implementierung noch einige Fragen:

  • Würden im Krisenfall die Kontoinhaber ihr Geld massenweise von den Banken abziehen und in SNB-Digitalgeld umtauschen (Bank Run)?
    Die Autoren bezweifeln dies, da das Geld nicht auf ein Koto bei der SNB fliesst, sondern bei den Inhabern auf dem Handy herumgetragen werden müsste.
  • Lassen sich mit der Digitalmünze Steuern hinterziehen. Die Autoren verneinen dies (ich bin nicht sicher, ob ich die Argumentation schon voll begriffen habe). Ob dies ein Vor- oder ein Nachteil wäre, dürfte umstritten sein (und wäre dann doch ein Unterschied zu Bargeld).
  • Wäre das Geld sicher vor Manipulation? Die digitalen Münzen hätten ein Verfallsdatum und kehrten immer wieder zur SNB zurück, wo sie vernichtet und ersetzt werden. Die Autoren machen geltend, dies sei wichtig, damit nicht immer mehr alte Nummern im Umlauf sind, was die Anfälligkeit zu Missbrauch erhöhen würde. Überdies würden auch die bestehenden Banknoten-Serien periodisch ausgetauscht, wenn auch nur ungefähr alle zehn Jahre. Gleichzeitig sehen sie beim Umtausch die Möglichkeit, zum Beispiel Gebühren zu erheben (=Negativzinsen). Auch dies wäre ein Unterschied zum bestehenden Bargeld, und ebenfalls ein absehbar umstrittener. Hier besteht daher noch eine Lücke in den Spielregeln.
  • Wäre digitales Bargeld eins zu eins gleich physischem Bargeld? Gemäss den Autoren bestünden gewisse Unterschiede, daher könnte also zwischen den beiden ein „Wechselkurs“ ungleich 1 entstehen. Die SNB könnte den Kurs natürlich mit flexiblem Angebot bei 1 fixieren, sei es freiwillig, sei es kraft (anzupassendem) Gesetz. Hier besteht noch Klärungsbedarf.

Fazit: Das im SNB-Arbeitspapier dargelegte Modell eines digitalen Zentralbankgeldes für jedermann scheint mir das interessanteste bisher vorgelegte Rezept. Näher zum physischen Bargeld kommt man kaum noch. In der Halbzeit liegt also die Schweiz mit ihrem „Digi-Taler“ vorne. Für die zweite Hälfte (oder sind wir schon in der Verlängerung?) würde ich noch jemanden aus der Rechtswissenschaft einwechseln.

[P.S: Christian Grothoff, einer der drei Autoren des Arbeitspapiers hat mich auf einen technischen Fehler aufmerksam gemacht. Seine korrigierte Version des Abschnitts „Wer bei seiner Bank eine Digitalmünze bezieht“ habe ich in den Text integriert. Herzlichen Dank, Christian!]

NZZ-Gemüsetrick mit Selbstüberlistung

„Bauern als Preistreiber!“ scholl es einst durch die Lande, als Inflation noch ein Thema war. Was war geschehen? Die meisten Gemüse und Früchte sind aufgrund der jahreszeitlichen Ernteschwankungen im Winter teurer als im Sommer. Nehmen wir als Zahlenbeispiel an, sie waren im Winter doppelt so teuer wie im Sommer. Das heisst: Von Sommer zu Winter steigen die Preise um 100 Prozent, vom Winter zum Sommer sanken sie um 50 Prozent, woraus sich scheinbar eine durchschnittliche Verteuerung von 25 Prozent (100-50 durch 2) ergab. Die Bauern, denen kein entsprechender Cash-Flow im Portemonnaie aufgefallen war, protestierten sofort und mit Erfolg. Die Berechnungsweise des Konsumentenpreisindex wurde entsprechend korrigiert.

Jahrzehnte später serviert die NZZ zum Frühstück den „Gemüse-Trick“ in ihrem Börsenteil. Ziel des Artikels ist, das Halten von Bargeld zwecks Flexibilität (Jargon: als Option) zu begründen. Dies wäre weder falsch noch neu. Nur fällt Autor Patrick Herger in die Gemüsefalle: Er benutzt den Durchschnitt der Prozentsätze (Renditen) anstatt die Renditen des Durchschnitts. .

Konkret: Eine Familie bucht Ferien entweder früh für 500 Franken oder spät für (mit fifty-fifty Chancen) entweder 250 oder 1000 Franken. Klar ist früh zu 500 Franken billiger als spät zu einem Erwartungswert von 625 Franken. Jetzt aber vergleicht der Autor Renditen: Da die Reise ohne Frührabatt oder Last-Minute-Preis 1000 Franken kosten würde, ergibt sich bei Frühbuchung ein Gewinn von 100 Prozent (1000 Franken für 500 Franken); bei Spätbuchung von entweder 300 Prozent (1000 Franken für 250 Franken) oder von null, das sind im Durchschnitt immer noch 150 Prozent. Voilà!

Schon die Verwendung von Renditen ist unglücklich. Anleger haben letztlich lieber Franken als Prozente. Sie maximieren — bei Strafe des langsamen Untergangs — den Wert des Vermögens, nicht erwartete Renditen. Aber richtig schlimm: Der Autor verwendet für seine Prozentsätze (wie beim Sommer- und Wintergemüse) unterschiedliche Basen (einmal 500 Franken, dann 250 Franken).

Abgesehen von den für eine Börsenseite eher unerwarteten Fehlern, wischt der Autor mit seinem einfachen Beispiel auch ein paar weitere Probleme unter den Tisch: Die Familie könnte in Wirklichkeit auch zuwarten und die Reise am Ende gar nicht buchen. Vielleicht taucht ein noch besseres Angebot auf, oder die Tochter bricht sich beim Sturz vom Pferd ein Bein. Der Optionswert des Wartens enthält daher auch eine Versicherungsprämie gegen Überraschungen.

Ich schreibe dies nicht, weil ich an der Fähigkeit von Schweizer Familien zweifle, ihre Ferien auch nach Lektüre der NZZ (rechtzeitig umleiten!) optimal zu buchen. Vielmehr: Der Autor, der selber vor „kostspieligen Fehlern“ warnt, lässt dem verunglückten Ferienbeispiel eine genauso verunglückte Börsenanleitung folgen. Da wird es dann tatsächlich kostspielig. Was, wenn mein(e) Pensionskassenverwalter(in) den Artikel liest und befolgt? Die Forderung nach einem obligatorischen Warnhinweis auf Börsenseiten scheint vielleicht verfrüht. Aber die NZZ, wäre gut beraten, wenn sie sich anscheinend schon kein Finanzlektorat leistet, anspruchsvolle Berechnungen wenigstens vorher dem Schweizerischen Bauernverband vorzulegen.

NZZ reitet auf totem Pferd

Urs Birchler

In der NZZ von gestern präsentiert der Direktor des Liberalen Instituts, Oliver Kessler, unter dem Titel „Falsche Lehren aus der Grossen Depression“ eine alte, längst widerlegte Kritik an der amerikanischen Zentralbank FED.

Die Federal Reserve soll die Krise von 1929 mit einer übermässig expansiven Geldpolitik (mit)verursacht haben. Kessler bezieht sich auf den 1995 verstorbenen radikalen Vertreter der (staatskritischen) Österreichischen Schule (Mises, Hayek u.a.) Murray Rothbard, Autor des Buches America’s Great Depression (1963).

Das Argument von Rothbard/Kessler, die FED habe in den Jahren 1921-29 die Geldmenge ausgeweitet, ist aber falsch:

  • Die als „Beweis“ angeführten Käufe der FED von Staatsobligationen sind nur ein Teil des Ganzen: Die gleichzeitig auslaufenden Guthaben der FED werden dabei ausgeblendet.
  • Die FED war in diesen Jahren keineswegs autonom, sondern operierte unter dem Goldstandard. Unter diesem floss aber aufgrund der Entwicklung in Europa in grösserem Ausmass Gold in die USA. Die eigenständigen Massnahmen der FED zielten darauf ab, diese expansiven Einfluss wenigstens teilweise zu kompensieren.

Die „übermässig expansive“ Politik der FED ist daher eine Legende, bzw. eine Folge des Goldstandards, der gerade bei der Östereichischen Schule einen guten Ruf geniesst. Auch die Interpretation des Börsenbooms bis 1929 als „verdrängte Inflation“ wurde schon von Friedmann und Schwarz „A Monetary History of the United States 1867-1960“ — nach wie vor dem Standardwerk zur amerikanischen Geldgeschichte (siehe zum Beispiel die detaillierte Diskussion durch Michael Bordo) — ausdrücklich verworfen:

„The widespread belief that what goes up must come down … plus the dramatic stock market boom, have led many to suppose that the United States experienced severe inflation before 1929 and the Reserve System served as an engine of it. Nothing could be further from the truth.“ Noch weiter von der Wahrheit entfernt dürfte dennoch Rothbards Behauptung sein, die FED sei nach dem Börsencrash von 1929 zu expansiv gewesen.

Die NZZ und der Leiter des Liberalen Instituts reiten hier auf einem zumindest lahmen Pferd. Das ist schade: Wer selber liberal fühlt (wie der Autor dieses Beitrags) wünscht sich den Wettstreit der (gerne auch neuen) Ideen und nicht das Aufwärmen längst abgetischter Irrtümer.

P.S.: Dieser Beitrag ist in keiner Weise gemeint als Verharmlosung der Geldmengenexpansion der meisten Notenbanken seit Beginn der Finanzkrise von 2007.

Libra für Eilige

Urs Birchler

Zur kürzlich von Facebook angekündigten Privatwährung „Libra“ ist bei SUERF ein Leitfaden erschienen. Autor ist Beat Weber, Ökonom bei der Österreichischen Nationalbank. Von ihm stammt auch das Buch
Democratizing Money? Debating Legitimacy in Monetary Reform Proposals (Cambridge University Press, 2018).

Webers Analyse lautet in (meinen) Stichworten:

  • Libra ist keine Kryptowährung, sondern eine private Digitalwährung. Solche Währungen haben durchaus Chancen, wie das Beispiel von Q-Coin (emittiert von Tencent) zeigt.
  • Libra beruht — im Gegensatz zu Bitcoin — auch nicht auf einem dezentralisierten System; zwar sind mehrere Unternehmen beteiligt, aber die Ausgabe und die Vewaltung von Libra erfolgt zentral durch einen Libra-Council, der eine private Zentralbank darstellt. Libra ähnelt dem Euro, einfach mit Firmen anstatt Staaten.
  • Libra beruht — entgegen der Aussage von Facebook — nicht auf einer Blockchain; die Konti werden nicht dezentral und unabänderlich geführt.
  • Libra ist konzipiert als „stablecoin“; der Wert wird — gemäss Ankündigung von Facebook — konstant gehalten im Vergleich zu einem Korb bestehender Währungen. Libra ähnelt daher einer Bankeinlage (die auch immer im Verhältnis von 1:1 in SNB-Franken eintauschbar ist. (Der Libra-Council kann daher auch nie als Lender of Last Resort auftreten oder eine aktive Politik führen.) Libra ist damit auch kein Hedge gegen Inflation der Währungen, die im korb enthalten sind.
  • Das Versprechen, den Wert von Libra konstant zu halten kann in Konflikt stehen mit dem Interesse der dahinter stehenden Unternehmen.
  • Geld existiert aufgrund von (oder: besteht in) Vertrauen. Bei Libra fehlt aber einstweilen eine Legitimation, die Vertrauen schafft.
  • Die Marktmacht der hinter Libra stehenden Unternehmen kann der Währung eine starken Rückhalt geben, auch wenn diese nicht im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt, für welches sie gemäss Facebook geschaffen ist.

Libra existiert bisher nur als Idee in einem White Paper. Wie sich die Behörden und Regulatoren verhalten werden, sollte Libra tatsächlich dereinst vom Stapellaufen, ist noch ungewiss.

Finanzelite macht Bargeld den Prozess

Urs Birchler

So lautet, leicht gekürzt, die Schlagzeile im Tagesanzeiger zu unserer kürzlichen Aufführung im English Theatre in Frankfurt.

Dass das Bargeld noch einmal freigesprochen wurde, ist das eine. Mir (und der Dramaturgin Barbara Ellenberger) ist etwas anderes wichtig: Man kann eine Konferenz von morgens 8:30 bis abends 17:00 so inszenieren, dass den ganzen Tag lang (mit 2-3 unwesentlichen kurzen Ausnahmen) kein(e) Teilnehmer(in) je aufs Handy schaut. Und so, dass alle Referent(inn)en exakt zum Punkt reden. Und keine(r) überzieht.

Fragen gerne an:
Barbara Ellenberger
Urs Birchler
SUERF

Bargeld: Schuldig oder nicht schuldig?

Urs Birchler

Jetzt geht’s hart auf hart! Soll Bargeld abgeschafft werden? Am 20. Mai 2019 von morgens 8:30 bis 17:00 treten am English Theatre in Frankfurt erstklassige Experten als Zeugen pro und contra Bargeld vor den Richter. Der Ausgang ist offen.

Es wirken mit: Fritz Zurbrügg (Vizepräsident SNB), Friedrich Schneider (Uni LInz), Doris Schneeberger (Deutsche Bank), Marc Niederkorn (Mc Kinsey), Simon Riondet (Europol), Kathrin Assenmacher (EZB), Doris Schneeberger (EZB), Cecilia Skingsley (Vizegouverneurin Schwedische Riksbank).

Anklage und Verteidigung spielen die Mitglieder des Council of Management von SUERF, die die Konferenz zusammen mit der Deutschen Bundesbank organisiert. Am Richterpult sitzt der legendäre David Llewellyn.

Informationen und Anmeldung. Der Eintritt ist frei.

20 Jahre Euro — live auf Youtube

Urs Birchler

Bei der Banque de France findet heute und morgen eine SUERF-Konferenz zum zwanzigsten Jarestag der Einführung des Euro statt. Die Konferenz wird live auf Youtube übertragen. Auf der Rednerliste die erste Garde:

Heute, Do 28. März, ab 13:40 (Youtube):

  • Christine Lagarde, Managing Director, International Monetary Fund (IMF)
  • François Villeroy de Galhau, Governor, Banque de France
  • Laurence Boone, Chief economist, Organisation of Economic Cooperation & Development (OECD)
  • Agustin Carstens, General Manager, Bank for International Settlements (BIS)
  • Richard Clarida, Vice Chairman, Board of Governors of the Federal Reserve System
  • Pascal Lamy, former President, World Trade Organisation

Morgen, Fr 29. März, ab 9:00 (Youtube):

  • Hélène Rey, Professor, London Business School
  • Lorenzo Bini Smaghi, Chairman, Société Générale
  • Benoît Coeuré, Member of the Board, European Central Bank
  • Gita Gopinath, Chief Economist, IMF
  • Lucrezia Reichlin, Professor, London School of Economics
  • Jean Tirole, Nobel Prize in economics, Professor, Toulouse School of Economics

Daneben gibt es Poster Sessions mit Arbeiten jüngerer Ökonomen/innen, unter denen auch der Marjolin-Preis vergeben wird.

Falsch verstandene Unabhängigkeit der SNB

Urs Birchler

Es ist heiss, auch in den Redaktionsstuben. Daher ist sowohl der NZZ als auch die Sonntagszeitung je ein Beitrag zur Unabhängigkeit der SNB entschlüpft, der in kühleren Zeiten im Papierkorb gelandet wäre.

Ganz arg die NZZ: Der Autor Michael Rasch verwechselt Unabhängigkeit mit Allmacht. Und letztere liege in der Hand „nicht-gewählter“ Notenbanker.

„Der Blick ins Gesetzt erleichtert die Rechtsfindung“, spotten die Juristen. Und tatsächlich hätte das Notenbankgesetz (NBG) Herrn Rasch beruhigen können:

Art. 5 hält nämlich fest: „Die Nationalbank … gewährleistet die Preisstabilität.“ Damit ist der Pfad der Geldpolitik weitgehend gegeben. Die SNB ist statt ans Gold (wie bis 1936) oder den Dollar (bis 1973) an einen Güterkorb gebunden. Zugegeben: Die SNB hat kurzfristig ein bisschen mehr Flexibilität als dies unter festen Wechselkursen oder unter der Goldparität der Fall war. Doch von Allmacht keine Rede.

Die SNB-Leiter seien „Technokraten, die nie vom Volk gewählt worden sind“, bemängelt Herr Rasch. Dass die Leute bei der SNB ihr technisch anspruchsvolles Metier verstehen, hat bisher nicht geschadet. Vor allem aber werden die Mitglieder der Leitungsgremien der SNB durchaus gewählt, und zwar nach fein austarierten und demokratisch zäh ausgehandelten Regeln. Nur werden Notenbankleiter — ebensowenig wie Bundesräte — nicht direkt vom Volk gewählt, was aber m.W. weltweit noch nie jemand ernsthaft vorgeschlagen hat. Auch die laufende Politik der SNB steht nicht im politischen Vakuum: Die SNB erörtert ihre Politik regelmässig mit dem Bundesrat und informiert ebenso regelmässig Parlament und Öffentlichkeit (Art. 7).

Dass die Unabhängigkeit der Notenbank „einer Demokratie ohnehin wesensfremd“ sei, hat Herr Rasch vielleicht in einer venezolanischen oder türkischen Regierungsbroschüre gelesen. Unabhängigkeit helvetischer Prägung bedeutet, dass „die Nationalbank und die Mitglieder ihrer Organe weder vom Bundesrat noch von der Bundesversammlung oder von anderen Stellen Weisungen einholen oder entgegennehmen“ (Art. 6). Auch Sommerfantasien des Finanzministers hat die SNB also zu ignorieren (zu dessen Ehrenrettung: Er hat vielleicht bei seiner kürzlichen Bemerkung nicht daran gedacht, dass die Länge der SNB-Bilanz der Fussabdruck der Geldpolitik ist).

Die Sonntagszeitung beklagt nicht ein Übermass an Unabhängigkeit der SNB, sondern umgekehrt grade einen Mangel an Unabhängigkeit. Grund: Die SNB kann den Franken nicht beliebig gegenüber dem Euro erstarken lassen. Das ist nicht falsch, aber wir wissen es seit Jahren, und niemand hat ein Rezept gefunden, wie es die SNB anders machen könnte, ohne die Schweizer Wirtschaft zusammenzuschlagen. Auch dies steht nämlich im NBG (Art. 5): „Die Nationalbank führt die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes.“ Und bei der Gewährleistung der Preisstabilität „trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung.“ Kurz: Die Länge ihrer Bilanz belastet die SNB selbst wohl mehr als alle andern. Auch noch, wenn es wieder kühler wird.

Der e-Franken

Urs Birchler

Vollgeld hat an der Urne verloren. Scheinbar. Der Kern der Idee — unser Geld soll SNB-Geld sein — lebt nämlich weiter in der viel einfacheren Form des elektronischen Zentralbankgeldes, des e-Frankens. Weshalb sollen wir nicht alle ein Guthaben direkt bei der SNB eröffnen können? Sicher, bequem, elektronisch. Und wenn die SNB nicht selber ein paar Millionen Konti führen will, läge hier nicht vielleicht die wahre Aufgabe für die arme Postfinance.

Verschiedene Zentralbanken sind daran, die Idee des Central Bank Digital Cash (oder Currency), CBDC, intern zu prüfen. Letzte Woche wurde die Idee aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert an einer SUERF-Konferenz (Do we need central bank digital currency? Economics, Technology and Psychology) in Mailand. Hier kurz einige der diskutierten Fragen.

  • Will das Publikum noch Bargeld in Papierform? In einzelnen Ländern geht der Notenumlauf stark zurück (Schweden als Paradebeispiel taugt allerdings nicht, da die Notenbank den Banken das Bargeld selber vergrault hat). In anderen steigt er.
  • Wäre e-Geld eine Art Bitcoin? Kaum eine Notenbank möchte sich mit anonymen Konti dem Vorwurf der Geldwäscherei aussetzen. Aber digitales Geld ist nicht gleichbedeutend mit Krypto-Geld und muss auch nicht unbedingt auf einer Blockchain beruhen. Ein herkömmliche Buchhaltung tut’s auch (Stichwort: accounts, not tokens). Die Frage bleibt: Wer hat Einblick in Kundendaten und Transaktionen? Die Notenbank? Ein zwischengeschalteter Abwickler? Nur Strafverfolger mit richterlicher Ermächtigung?
  • Wäre e-Bargeld verzinslich? Im Prinzip ja. Die technische Beschränkung, die einen Zins auf Banknoten praktisch Ausschliesst, bestünde bei e-Geld nicht. Möglich wäre auch eine negative Verzinsung. Die Notenbank könnte also das Geldaussgeben direkt anheizen. Dies gefiele vor allem jenen Ökonomen, welche die faktische Untergrenze der Bargeldverzinsung bei null als Deflationsursache sehen.
  • Verträgt sich zentrales e-Geld mit elektronischem Geld auf Bankkonti? Eher schlecht; im Krisenfall würden die Bankkunden ihr Geld rasch auf die Notenbank übertragen wollen.
  • Würden die Bilanzen der Notenbanken länger? Wie der Vize-Gouverneur der Banca d’Italia warnte: Ja, sehr. Im Umfang, in dem das Publikum von Bankeinlagen auf elektronisches Notenbankgeld umstiege, wüchsen die Bilanzen der Notenbanken und mit ihnen auch die Höhe der von diesen verwalteten Vermögen.
  • Gibt es schon Versuche? Ja, zum Beispiel den vom Gouverneur der Zentralbank von Uruguay vorgestellten Pilotversuch mit einem e-Peso.
  • Besteht eine Garantie, dass e-Geld nicht in der Verwendung eingeschränkt würde, z.B. „ungültig zum Erwerb von Alkohol“ oder von fossilen Brennstoffen, etc.? Diese Frage wurde in der Diskussion aufgeworfen; niemand wagte ein klares Nein.

Alle Präsentationen sind hier zugänglich. Eine ausführlichere Analyse der Pros und Contras von CBDC folgt hier zu gegebener Zeit. Vorläufiges Fazit: Der Fall für oder wider „Vollgeld light“ in Form von Central Bank Digital Cash ist verzwickter, als es auf den ersten Blick scheinen mag.