Lämpä wägem Schwiizertüütsch im Chindergarte

Die Zürcher und Basler Stimmbürger wollen der Mundart im Kindergarten wieder mehr Platz einräumen. Andere Kantone werden wohl folgen. Doch eigentlich ziehlt die Diskussion am wirklichen Problem vorbei. Die Ausbildung für den Lehrerberuf wird immer stärker akademisiert. Gleichzeitig wird den Lehrerinnen und Lehrer wird immer mehr vorgeschrieben, was sie zu tun haben. Und niemand evaluiert, ob diese Vorschriften auch wirklich den erhofften Erfolg bringen. Lesen Sie dazu meine Kolumne in der NZZ am Sonntag „Weshalb wir die Mundartdebatte ernst nehmen sollten – Schulversuche ohne Evaluation frustrierter Lehrer und Eltern“:

„Hochdeutsch im Kindergarten?! Unsere Sprache ist doch Schweizerdeutsch!?“, so ereiferte sich meine seit Jahren in den USA lebende Schweizer Kollegin Anna bei einem Besuch in ihrer Heimat. Die Mehrheit der Stimmbürger in Basel und Zürich denkt offenbar genauso. Das Thema Sprache weckt Emotionen: Die „Zuhausegebliebenen“ erleben die Diskussion in Verbindung mit dem Thema Zuwanderung; „Ausgewanderte“ spüren den möglichen Verlust der sprachlichen Identität. Lesen Sie bitte hier weiter

Im Osterstau ist Zeit nicht Geld

Monika Bütler

NZZ am Sonntag, 24. April 2011

Über Ostern in den Süden – ein teurer Spass. Die Strassen sind verstopft, die Züge überfüllt und lärmig. Flugtickets kosten ein Vielfaches des normalen Tarifs (sofern es überhaupt noch freie Plätze gibt). Auch wer zeitlich ausweicht, „zahlt“: Verlorene Ferientage, zusätzliche Hotelnächte oder protestierende Familienmitglieder machen den Vorteil der Feiertage oft wieder zunichte.

Der Preis als Steuerungsgrösse für die knappen Transportkapazitäten ist eher die Ausnahme als die Regel. Einigermassen akzeptierte Marktwirtschaft herrscht eigentlich nur im Flugzeug. Sonst zahlen die Benutzer lieber in „Sachwerten“: In Form von eingeschränktem Komfort, langen Wartezeiten, blanken Nerven. Die Abneigung gegen eine Lenkung der Nachfrage durch Preise ist von links bis rechts riesig. Road-Pricing, nach Zeit und Strecke abgestufte Tarife in Öffentlichen Verkehrsmitteln oder Marktmieten gelten abwechselnd, meist sogar gleichzeitig, als ungerecht, unsozial, oder wirtschaftsfeindlich.

Transport ist also kein Sonderfall. So manches Gut scheint uns zu heikel für den Markt: Schulbildung, Organspenden, der Platz im Zivilschutzraum – und die österliche Fahrt durch den Gotthardtunnel. Tatsächlich gibt es Ausnahmen, bei denen die Zuteilung über den Marktpreis nicht immer zur gewünschten Verteilung führt. Beispiele sind lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel zu Krisenzeiten. Doch Preiskontrollen alleine führen nicht weiter. Es braucht  gleichzeitig eine Rationierung der Mengen, damit wirklich alle davon profitieren können. Konsequenterweise müsste im Wohnungsmarkt nicht nur der Preis, sondern auch die zugeteilte Menge reguliert werden: Nicht mehr als 25 Quadratmeter pro Person.

Den Wunsch nach einer bezahlbaren Wohnung im Zürcher Seefeld oder den Ostersonntag am Lago Maggiore kann ich durchaus verstehen. Doch hat die Zuteilung ohne Preismechanismus ihre Schattenseiten. Ist es wirklich so viel besser, Dutzende von Bewerbungsdossiers für Mietwohnungen zu schreiben – und am Ende doch ohne Wohnung dazustehen, weil der Familienname auf -ic endet? Man muss schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, dass alle die gleichen Chancen haben. Nicht die Bedürftigen kommen in den Genuss der tiefen Preise, sondern die Schlauen oder die Vernetzten. Wo der Handel verboten wird, blüht der Schwarzhandel. So werden viele günstige Wohnungen zu einem höheren Preis untervermietet – unter der Hand aber nicht unbedingt fair oder bedürfnisgerecht.

Richtig teuer wird der Verzicht auf den Preismechanismus langfristig. Künstlich verbilligte Tarife – zum Beispiel für die Bahnfahrt in den Stosszeiten zwischen Zürich nach Bern – gehen auf Kosten der Mittel zum Ausbau der Kapazitäten. Gleichzeitig fördern sie die Verschwendung. So ist die Wohnfläche pro Einwohner heute 50% höher als noch vor 30 Jahren. Schliesslich bedeutet der Verzicht auf Preise als Mittel der Zuteilung auch stets eine unsichtbare Hand im Hintergrund: Eine menschliche Hand, die entscheidet – nicht immer transparent -, wem was zusteht.

Erstaunlich ist, wie populär die im Einzelfall nervigen und besonders in der langen Frist ineffizienten Mechanismen trotz allem sind. Schon fast paradox wird es beim Verkehr. Die vielen Staus und Überlastungen sind ungerecht und wirtschaftsfeindlich, soweit sind alle einig. Doch das Warten im Stau scheint uns weniger unsympathisch als differenzierte Preise. Weder das auf der linken Seite beliebtere Road-Pricing, noch die von rechts portierte VIP-Spur auf der Autobahn haben die geringste Chance. Der Verkehrsstau gehört sozusagen zum nationalen Kulturerbe.

Mein Vater würde die Osterstaus allerdings vermissen. Den Stress einer Reise zu Stosszeiten nähme er zwar nie freiwillig auf sich. Doch an Feiertagen schaltet er jeweils das Radio an mit den Verkehrsmeldungen. Und geniesst es leise, seine Ruhe zu haben.

60’000’000’000 Franken

Nur gut 2 Jahre nach der Rettung der UBS scheinen viele vergessen zu haben, wie nahe das schweizerische Bankensystem – und mit ihm die schweizerische Volkswirtschaft – am Abgrund standen. Eine Gruppe von Krisenleugnern behauptet heute laut: Die Rettung der UBS war weder notwendig, noch riskant. Nicht viel fehlt zur Behauptung, die Nationalbank habe sich auf Kosten der UBS bereichert. So werden plötzlich die Geretteten zu Opfern und die Retter zu Tätern. Das Muster ist bekannt: Glück wird als privater Erfolg verbucht, Pech als Unvermögen der öffentlichen Hand.

Lesen Sie die ganze NZZaS Kolumne (27. März 2011)

„UBS-Sonderfonds schönt Jahresabschluss der Nationalbank“, meldete die NZZ kürzlich. UBS-Chef Oswald Grübel meinte gar: „Seit September 2008 hat die SNB an der Finanzierung 600 Millionen Dollar verdient.“ Man könnte meinen, dass die UBS im Begriff sei, die Schweizerische Nationalbank (SNB) zu retten. Oder dass der Bail-Out einer Grossbank für die Steuerzahler letztlich ein Geschäft sei und es deshalb die schärferen Kapitalvorschriften für Grossbanken gar nicht brauche.

Wer solches behauptet, hat entweder ein kurzes Gedächtnis oder ein verzerrtes Mass für Risiken. Wahrscheinlich sogar beides.

Zur Gedächtnisstütze: Im Herbst 2008 stand die UBS vor dem Kollaps. Der Markt stellte der UBS kein Kapital mehr zur Verfügung um Verluste auf den Subprime-Papieren zu decken. Bund und SNB standen vor einer unmöglichen Entscheidung: Die Bank fallen lassen oder ihr mit öffentlichen Mitteln – letztlich Steuergeldern – unter die Arme greifen. Bund und SNB wählten das kleinere Übel und stellten ein mehr als 60 Milliarden Franken teures Rettungspaket zur Verfügung. Ohne dieses wäre die UBS untergegangen, mit unabsehbaren Folgeschäden für die Wirtschaft. Deshalb kritisierte nicht einmal die Konkurrenz die Hilfe, wie es sonst unter Konkurrenten üblich ist – ein untrügliches Zeichen für deren Notwendigkeit.

Ebenfalls vergessen scheint, dass die Rettung der UBS trotz der massiven Finanzspritze alles andere als sicher war. Entsprechend gross waren die Risiken für Bund und Nationalbank. Die ganze Schweiz hielt während Monaten den Atem an. Selbst ein Überleben der UBS bot zu keinem Zeitpunkt Garantie, dass die eingesetzten öffentlichen Gelder „heil“ blieben. Ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals war angesichts der internationalen Lage durchaus möglich. Die SNB musste sich denn auch stark rechtfertigen für die Übernahme vergifteter Papiere. Man stelle sich nur vor, welche Kritik sich die Notenbank im Falle eines Scheiterns der Hilfsmassnahmen hätte anhören müssen.

Der Erfolg der Rettungsaktion hatte handfeste Gründe: Erstens profitierten die Schweiz und ihre Banken kräftig von Rettungspaketen anderer Länder, namentlich der USA. Zweitens weiteten die wichtigsten Notenbanken die Geldmengen massiv aus. Dies hielt zwar den Finanzsektor flott und half der Realwirtschaft mit tiefen Zinsen durch die Krise, hinterliess aber auch Probleme: Ein noch heute nicht gebändigtes Inflationspotential und eine massive Ausweitung der Währungsreserven (und damit der Verlustrisiken der Notenbanken). Dass die UBS überlebte und die direkten Kosten für den Steuerzahler relativ gering blieben, ist nicht zuletzt der Weitsicht der beteiligten Gremien zu verdanken.

Umso erstaunlicher, dass nur zwei Jahre später eine Gruppe von Krisenleugnern laut wird und behauptet: Die Rettung der UBS war weder notwendig, noch riskant. Nicht viel fehlt zur Behauptung, die Nationalbank habe sich auf Kosten der UBS bereichert. So werden plötzlich die Geretteten zu Opfern und die Retter zu Tätern. Das Muster ist bekannt: Glück wird als privater Erfolg verbucht, Pech als Unvermögen der öffentlichen Hand.

Die Geschichtsverdrehung erfasst auch die Zeit nach der Krise. Wenn der Franken stark ist, gilt dies nicht als gute Note für die Krisenbewältigung durch die Schweizer Behörden. Wenn die Nationalbank wegen des starken Frankens auf ihren Devisenbeständen verliert, so gilt dies als schlimmere Spekulation als die tolpatschige Anhäufung von Risiken im Subprime-Markt durch gewisse Banken (derentwegen die Notenbankbilanz überhaupt erst aufgebläht werden musste).

„Finanzkrise als Geschäftsmodell der Notenbanken“ – als „urban legend“ ist diese Verschwörungstheorie vielleicht geeignet. Als Grundlage einer sachlichen Diskussion jedoch nicht. Und schon gar nicht als Grundlage der Politik.

 

Prognosen als Entscheidungshilfen

Monika Bütler

Weshalb Projektionen wichtig sind – auch wenn sie falsch sind

NZZ am Sonntag vom 2. Januar 2011

Yves Rossier, der Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen, ist viel schlanker geworden. So schien es mir jedenfalls, als ich ihn das letzte Mal traf. Er habe das Rauchen aufgegeben, meinte er, und zuerst innert zwei Wochen vier Kilo zugenommen. Seine Frau habe ihn dann aber gewarnt: In fünf Jahren wiegst Du mehr als eine halbe Tonne, wenn Du im gleichen Stil weitermachst. Diese Hochrechnung habe ihn zu einem radikalen Kurswechsel bewogen.

Frau Rossiers „Gewichtsprognose“ hat sich nicht bewahrheitet – genau sowenig wie viele düstere Prognosen in den Sozialversicherungen und den Staatsfinanzen. Mittel- und langfristige Projektionen werden daher oft als unwissenschaftlich abgetan. Zu pessimistische Prognosen würden gar die Sozialwerke gefährden. Dabei handelt es sich nicht einmal um richtige Prognosen.

„Echte“ Prognosen wie Wettervorhersagen oder Tsunamiwarnungen schätzen äussere Vorkommnisse voraus. Wir können das Wetter nicht ändern, uns aber immerhin mit einem Schirm wappnen wenn Regen angesagt ist. „Prognosen“ in Wirtschafts- und Sozialpolitik beziehen sich hingegen auf Ereignisse, die wir noch ändern können. Es sind daher lediglich Projektionen – Szenarien, die erst unter bestimmten Bedingungen eintreffen. Die Staatverschuldung oder die Finanzlage der Sozialversicherungen können wir beeinflussen. Was-geschieht-wenn-wir-nichts-ändern?-Projektionen helfen uns, die politische Trägheit zu überwinden und zu handeln.

Obwohl im nachhinein gesehen falsch, hat die prognostizierte halbe Tonne ihren Dienst getan. Solche Projektionen erlauben, die Konsequenzen des heutigen Verhaltens abzuschätzen. Wird darauf reagiert, tritt das befürchtete Szenario unter Umständen gar nicht ein. Die Nützlichkeit der Projektion liegt darin, dass sie paradoxerweise hilft, ihr eigenes Eintreten zu verhindern.

Yves Rossier dürfte die Zukunft der AHV mehr belasten als sein eigenes Gewicht. Pessimistische Szenarien der Vergangenheit dienen heute den Gegnern von Reformen als willkommener Vorwand, diese zu blockieren. Dass sich die Voraussagen über die Zukunft der AHV nicht immer bewahrheiteten, hat teils mit Unvorhersehbarem zu tun – aber eben auch damit, dass die Projektionen rechtzeitig zu Anpassungen führten. So wurde das Rentenalter der Frauen erhöht und ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent zur Finanzierung erhoben. Ohne diese Massnahmen fehlten der AHV heute jährlich mehrere Milliarden, und sie schriebe tatsächlich die damals projizierten roten Zahlen.

Auch den Kantonen und Gemeinden wird regelmässig vorgeworfen, zu pessimistisch zu prognostizieren. Doch vorsichtig zu budgetieren hat einen einfachen Grund. Fehler gegen oben und unten sind beim Geld einteilen nicht gleich schlimm. Ein unerwarteter Überschuss ist viel einfacher zu bewältigen als ein unerwarteter Fehlbetrag. Wenn ein zu optimistisches Budget teure Folgen hat, dürfen Projektionen gerne eine Prise „Zweckpessimismus“ enthalten.

Wer immer noch denkt, zu vorsichtige Projektionen seien schädlich, der sei an die Stresstests der europäischen Banken in der Finanzkrise erinnert. Mit Bravour bestanden selbst die irischen Banken noch diesen Sommer die vermeintlich konservativen Szenarien. Im Nachhinein wären die Iren und ganz Europa froh, die Projektionen wären pessimistischer gewesen und hätten eine frühere, weniger kostspielige Intervention ermöglicht.

Nicht die Schulden-Projektionen gefährden die Sozialwerke, sondern das Nicht- Reagieren auf die prognostizierten Entwicklungen. Wir sollten deshalb nicht über die Güte von Prognosen streiten, deren Eintreten wir verhindern wollen. Ob eine halbe Tonne oder zwei Zentner, ist einerlei. Entscheidend ist, die richtigen Massnahmen zu ergreifen: Weniger essen, weniger ausgeben. Den Staaten bleibt verwehrt, was Yves Rossier möglich ist: Das Rauchen wieder aufzunehmen.

Wenn Geschenke reden können

Jedes Jahr vor Weihnachten ist sie wieder da: Die Diskussion um die volkswirtschaftliche Verschwendung des Geschenkemachens. Eigentlich erstaunlich wie sehr sich Journalisten und Leser immer wieder aufregen; es handelt sich doch um ganz private Entscheidungen, die – im Gegensatz zum Rauchen oder Rasen – niemandem weh tun. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich die meisten Kritiker von Geschenken auf eine Studie des amerikanischen Ökonomen Waldfogel stützen. Die Verschwendung wurde anhand einer Befragung von College Studenten an der Elite Universität Yale gemessen – nicht gerade eine offensichtlich repräsentative Gruppe.

Selber halte ich die Diskussion um die volkswirtschaftliche Verschwendung für Zeitverschwendung – wie der untenstehende Text zeigt. (Eine gekürzte Fassung des Aufsatzes erschien am 5. Januar 2010 als Kolumne in der NZZ am Sonntag)

Unser älterer Bub – er war damals gut zwei – erhielt in der Adventszeit vom Nonno einen Fünfliber. Peter musterte das Stück, nestelte am Rand herum, sagte etwas von „uufmache“ – und begann dann bitterlich zu weinen. Die Münze war falsch. Sie war nur aus Metall und nicht, wie Peter sich erhofft hatte, innen aus Schokolade.

Die Ökonomin diagnostiziert einen klaren Fall von Nettowohlfahrtsverlust (noch prägnanter auf englisch: deadweight loss): Das Geschenk kostet den Schenker mehr als es dem Beschenkten wert ist. Das kommt vor. Kein Wunder beschert uns die Weihnachtszeit deshalb jedes Jahr auch eine Diskussion über den Sinn von Weihnachtsgeschenken. Mit dem Samichlaus kommt ein prall gefüllter Sack mit gut gemeinten Ratschlägen: Dass es gescheiter wäre, Geld und Gutscheine zu verschenken. Oder Zeit.

Als Beweis der weihnachtlichen Verschwendung wird meist ein Aufsatz des amerikanischen Ökonomen Joel Waldfogel aus dem Jahre 1993 angeführt. Dieser stellte aufgrund von Befragungen fest, dass die Empfänger von Weihnachtsgeschenken im Durchschnitt weniger zu zahlen bereit gewesen wären, als die Geschenke tatsächlich gekostet hatten. Drum weiss heute jeder: Weihnachten vernichtet Wohlstand. Nur scheint leider kaum jemand die Studie wirklich gelesen zu haben. Sonst wäre vielleicht aufgefallen, dass der gefundene volkswirtschaftliche „Schaden“ erstaunlich klein ist. Nur 10-30% des Kaufpreise ist wenig für eine höchst unrepräsentative Gruppe von College Studenten, die –jung, unabhängig und unsentimental – tatsächlich viel weniger auf den nicht-monetären Wert von Geschenken achten als die Normalbevölkerung. Eine ebenfalls nicht-repräsentative Umfrage in meinem Bekanntenkreis zeigt, dass dies den meisten auch ohne wissenschaftliche Studie einleuchtet: Jugendliche und junge Erwachsene erhalten zu Weihnachten oft Geld. Kinder und ältere Erwachsenen hingegen lieben „richtige“ Geschenke.

Die Klagen über verschwenderische Weihnachtsgeschenke hallen dennoch wie ein jährliches Echo zurück. Sie stehen in den Zeitungen ausgerechnet dort, wo sonst die Ökonomisierung der Welt angeprangert wird. Doch ironischerweise ist die oft vorgeschlagene Lösung des Problems, Geld oder Gutscheine zu schenken an Stelle handgestrickter Socken oder eines Lehrbuchs zur Informationsökonomik, gerade das Sinnbild einer totalen Ökonomisierung, die unter Ökonomen selber längst passé ist.

Nicht nur für Peter ist Geld nicht gleich Glück, sprich: Schokolade. Der Wert eines Geschenkes ist weit mehr als der Preis, den ich als Beschenkte bereit gewesen wäre, dafür zu bezahlen. Ganz abgesehen davon, dass wir bei nüchternem Nachdenken wohl nicht nur für Weihnachtsgeschenke, sondern auch für selbstgetätigte Anschaffungen, weniger bezahlen würden als noch beim Kauf. Für Schuhe zum Beispiel.

Vergessen geht bei der doppelten Geschenk-Buchhaltung der sentimentale Wert eines Geschenks – sowohl die Freude des Empfängers als auch die Freude beim Schenker. Natürlich ist der sentimentale Wert am grössten bei Menschen, die uns nahe stehen. Doch selbst die teure Anti-Aging-Gesichtscreme, die ich letztes Jahr zu Weihnachten von einer Firma zugeschickt erhielt und die ich mir nie und nimmer selber gekauft hätte, hätte ich auch für den doppelten Ladenpreis nicht wieder hergegeben. Weil die Creme Wertschätzung enthält und die Botschaft, dass ich das jetzt einfach einmal darf.

Mit Geschenken werden eben auch Information ausgetauscht, die wir sonst nicht erhalten würden. Der Schenkende verrät ein Stück seines Wissens über Murano-Vasen oder über Wanderwege in Slowenien. Wer herzhaft schenkt, gibt auch ein Stück seiner selbst preis. Als Beschenkte, umgekehrt, lernen wir etwas über unsere eigenen Vorlieben – über Vorlieben, die uns selber verbogen bleiben, bis sie ein geschenkter Malkasten oder ein Kochbuch zum Leben erweckt. So ist Weihnachten eine Art Adventskalender: Jedes Geschenk öffnet ein Fensterchen auf eine andere, uns bisher verborgene Wirklichkeit.

Selbst als Nur-Ökonomin verstünde ich die Aufregung um die angebliche Verschwendung des Geschenkemachens nicht ganz. Es geht doch um ganz private Entscheidungen, die sonst niemandem weh tun. Passivschenken ist nicht das gleiche wie Passivrauchen. Es steht jedem frei, selbst oder mit anderen zusammen die Art und Anzahl der Geschenke zu regeln. Meine Eltern und ihre Geschwister mussten damals angesichts der riesigen Anzahl von Familienmitgliedern vereinbaren, dass wir Kinder nur von den Eltern und unseren Paten beschenkt wurden. Zeit schenken – dagegen hätte ich nichts.

Ich wünsche mir dieses Jahr zu Weihnachten Zeit. Am liebsten in Form eines monatlichen Schalt-Dienstags immer vor dem Abgabetermin meiner NZZaS-Kolumne.

Quiz Vermögensverteilung: Die Auflösung

Die Gleichheitsrangliste der 4 Länder lautet wie folgt:

 1 (= am „gleichsten“): JAPAN

So sehr sich die Messungen der Vermögensverteilung unterscheiden, Japan ist fast immer das Land mit der gleichmässigsten Vermögensverteilung.

2, knapp dahinter: Irland

3, deutlich ungleicher: Deutschland

4, am ungleichsten: Schweden

Schweden haben die Vermögens-ärmsten 30% der Haushalte sogar Schulden

Und welche Kurve ist die Fiktive? Nicht die braune, wie fast alle meinen, sondern die blaue. Ich habe die Japanische Kurve so frisiert, dass die ärmste Hälfte der Haushalte rund 50% mehr Erspartes besitzt und für die restliche Hälfte linear interpoliert.

Somit ist die Legende zur Kurve:

Blau = Fiktiv

Grün = Japan

Rot = Irland

Violett = Deutschland

Braun = Schweden

In der heutigen NZZ Kolumne steht, weshalb dies so sein könnte – und weshalb die Vermögensverteilung fast nichts über die wirtschaftliche Situation der „normalen“ Leute aussagt.

Quelle der Daten: http://www.wider.unu.edu/publications/working-papers/discussion-papers/2008/en_GB/dp2008-03/