Wenn Geschenke reden können

Jedes Jahr vor Weihnachten ist sie wieder da: Die Diskussion um die volkswirtschaftliche Verschwendung des Geschenkemachens. Eigentlich erstaunlich wie sehr sich Journalisten und Leser immer wieder aufregen; es handelt sich doch um ganz private Entscheidungen, die – im Gegensatz zum Rauchen oder Rasen – niemandem weh tun. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich die meisten Kritiker von Geschenken auf eine Studie des amerikanischen Ökonomen Waldfogel stützen. Die Verschwendung wurde anhand einer Befragung von College Studenten an der Elite Universität Yale gemessen – nicht gerade eine offensichtlich repräsentative Gruppe.

Selber halte ich die Diskussion um die volkswirtschaftliche Verschwendung für Zeitverschwendung – wie der untenstehende Text zeigt. (Eine gekürzte Fassung des Aufsatzes erschien am 5. Januar 2010 als Kolumne in der NZZ am Sonntag)

Unser älterer Bub – er war damals gut zwei – erhielt in der Adventszeit vom Nonno einen Fünfliber. Peter musterte das Stück, nestelte am Rand herum, sagte etwas von „uufmache“ – und begann dann bitterlich zu weinen. Die Münze war falsch. Sie war nur aus Metall und nicht, wie Peter sich erhofft hatte, innen aus Schokolade.

Die Ökonomin diagnostiziert einen klaren Fall von Nettowohlfahrtsverlust (noch prägnanter auf englisch: deadweight loss): Das Geschenk kostet den Schenker mehr als es dem Beschenkten wert ist. Das kommt vor. Kein Wunder beschert uns die Weihnachtszeit deshalb jedes Jahr auch eine Diskussion über den Sinn von Weihnachtsgeschenken. Mit dem Samichlaus kommt ein prall gefüllter Sack mit gut gemeinten Ratschlägen: Dass es gescheiter wäre, Geld und Gutscheine zu verschenken. Oder Zeit.

Als Beweis der weihnachtlichen Verschwendung wird meist ein Aufsatz des amerikanischen Ökonomen Joel Waldfogel aus dem Jahre 1993 angeführt. Dieser stellte aufgrund von Befragungen fest, dass die Empfänger von Weihnachtsgeschenken im Durchschnitt weniger zu zahlen bereit gewesen wären, als die Geschenke tatsächlich gekostet hatten. Drum weiss heute jeder: Weihnachten vernichtet Wohlstand. Nur scheint leider kaum jemand die Studie wirklich gelesen zu haben. Sonst wäre vielleicht aufgefallen, dass der gefundene volkswirtschaftliche „Schaden“ erstaunlich klein ist. Nur 10-30% des Kaufpreise ist wenig für eine höchst unrepräsentative Gruppe von College Studenten, die –jung, unabhängig und unsentimental – tatsächlich viel weniger auf den nicht-monetären Wert von Geschenken achten als die Normalbevölkerung. Eine ebenfalls nicht-repräsentative Umfrage in meinem Bekanntenkreis zeigt, dass dies den meisten auch ohne wissenschaftliche Studie einleuchtet: Jugendliche und junge Erwachsene erhalten zu Weihnachten oft Geld. Kinder und ältere Erwachsenen hingegen lieben „richtige“ Geschenke.

Die Klagen über verschwenderische Weihnachtsgeschenke hallen dennoch wie ein jährliches Echo zurück. Sie stehen in den Zeitungen ausgerechnet dort, wo sonst die Ökonomisierung der Welt angeprangert wird. Doch ironischerweise ist die oft vorgeschlagene Lösung des Problems, Geld oder Gutscheine zu schenken an Stelle handgestrickter Socken oder eines Lehrbuchs zur Informationsökonomik, gerade das Sinnbild einer totalen Ökonomisierung, die unter Ökonomen selber längst passé ist.

Nicht nur für Peter ist Geld nicht gleich Glück, sprich: Schokolade. Der Wert eines Geschenkes ist weit mehr als der Preis, den ich als Beschenkte bereit gewesen wäre, dafür zu bezahlen. Ganz abgesehen davon, dass wir bei nüchternem Nachdenken wohl nicht nur für Weihnachtsgeschenke, sondern auch für selbstgetätigte Anschaffungen, weniger bezahlen würden als noch beim Kauf. Für Schuhe zum Beispiel.

Vergessen geht bei der doppelten Geschenk-Buchhaltung der sentimentale Wert eines Geschenks – sowohl die Freude des Empfängers als auch die Freude beim Schenker. Natürlich ist der sentimentale Wert am grössten bei Menschen, die uns nahe stehen. Doch selbst die teure Anti-Aging-Gesichtscreme, die ich letztes Jahr zu Weihnachten von einer Firma zugeschickt erhielt und die ich mir nie und nimmer selber gekauft hätte, hätte ich auch für den doppelten Ladenpreis nicht wieder hergegeben. Weil die Creme Wertschätzung enthält und die Botschaft, dass ich das jetzt einfach einmal darf.

Mit Geschenken werden eben auch Information ausgetauscht, die wir sonst nicht erhalten würden. Der Schenkende verrät ein Stück seines Wissens über Murano-Vasen oder über Wanderwege in Slowenien. Wer herzhaft schenkt, gibt auch ein Stück seiner selbst preis. Als Beschenkte, umgekehrt, lernen wir etwas über unsere eigenen Vorlieben – über Vorlieben, die uns selber verbogen bleiben, bis sie ein geschenkter Malkasten oder ein Kochbuch zum Leben erweckt. So ist Weihnachten eine Art Adventskalender: Jedes Geschenk öffnet ein Fensterchen auf eine andere, uns bisher verborgene Wirklichkeit.

Selbst als Nur-Ökonomin verstünde ich die Aufregung um die angebliche Verschwendung des Geschenkemachens nicht ganz. Es geht doch um ganz private Entscheidungen, die sonst niemandem weh tun. Passivschenken ist nicht das gleiche wie Passivrauchen. Es steht jedem frei, selbst oder mit anderen zusammen die Art und Anzahl der Geschenke zu regeln. Meine Eltern und ihre Geschwister mussten damals angesichts der riesigen Anzahl von Familienmitgliedern vereinbaren, dass wir Kinder nur von den Eltern und unseren Paten beschenkt wurden. Zeit schenken – dagegen hätte ich nichts.

Ich wünsche mir dieses Jahr zu Weihnachten Zeit. Am liebsten in Form eines monatlichen Schalt-Dienstags immer vor dem Abgabetermin meiner NZZaS-Kolumne.

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