Mini-Regierungsprogramme statt Sachvorlagen – die schleichende Abwertung der direkten Demokratie

Monika Bütler

(erschienen unter dem Titel „Je heikler die Reform, desto grösser die Vorlage“ in der NZZ am Sonntag, 8. Juli 2017)

„Ihr Schweizer stimmt über den Umwandlungssatz ab?? Du machst Witze?!“ Die Verblüffung meines kanadischen Kollegen ging weit über die politische Bestimmung des Umwandlungssatz hinaus: Eine Rentenreform direkt-demokratisch?

In Festreden und nach Abstimmungen – vor allem nach gewonnenen – wird unsere Direkte Demokratie gern gelobt. Zurück im politischen Alltag trauen unsere Parlamentarier und Regierenden dem Urteil der Stimmbürger(innen) nicht immer. Und verpacken heikle Entscheidungen mehr und mehr in wahre Monstervorlagen.

Die Auswirkungen der Energiestrategie ES2050 überblickte kaum jemand. Selbst Experten haben Mühe, alle Elemente der im Herbst zu entscheidenden Reform zur Alterssicherung AV2020 zu verstehen. Die vor kurzem abgelehnte Unternehmenssteuer-Reform war da fast schlank.

Solche umfangreichen und komplizierten Vorlagen mit kaum abschätzbaren Folgen sehen weniger wie Sachvorlagen aus als wie schwammige Mini-Regierungsprogramme einer grossen Koalition. Dies zeigt sich auch in den Debatten: Argumente treten in den Hintergrund, Überzeugungen in den Vordergrund. „Es gibt keine Alternative.“ „Wer gegen uns ist, spielt den Linken/Rechten in die Hände.“ Werbebüros werden dafür bezahlt, die Vorlagen wieder „einfach“ zu machen.

Zugegeben, die Welt ist komplex (was sie im Urteil der Zeitgenossen früher schon war). Drum sind gewisse Abstimmungsvorlagen notgedrungen anspruchsvoll. Nur: Sie werden noch komplexer, wenn unterschiedliche Vorlagen aus abstimmungstaktischen Gründen zu Paketen geschnürt werden. Oder wenn Zückerchen für potentielle Gegner die angedachten Reformen zu wahren Wundertüten anreichern.

Tatsächlich hat der Souverän nicht immer den Weitblick gehabt, eine letztlich erfolgreiche Reform bei der ersten Gelegenheit durchzuwinken. Die Langsamkeit der Direkten Demokratie ist aber nicht unbedingt schlecht. Mit Abstimmen ist ein Lernprozess der Stimmbürger verbunden. Gleichzeitig entwickeln sich auch die Vorlagen. Ein Paradebeispiel ist die AHV, die nach mehreren Fehlversuchen in den dreissiger Jahren 1949 in der Volksabstimmung obsiegte.

Die meisten Schweizer(innen) sind stolz auf die direkte Demokratie. Zu Recht: Sie haben sie nämlich nicht gratis erhalten. Und mussten schon früher mehrmals für sie kämpfen. Von 1914 bis 1949 hielten Bundesrat und Parlament – aus Angst vor dem unwissenden Volk – wenig von direkter Demokratie. Lieber regierten sie, wie Martin Beglinger in einem faszinierenden Essay (NZZ Geschichte No 10) nachweist, mittels Dringlichkeitsrecht. Initiativen wurden zum Teil über 10 Jahre verschleppt oder gingen ganz „vergessen“. Bis welsche Erzföderalisten und Gottlieb Duttweiler den Stimmbürgern wieder zu ihren Rechten verhalfen – dies gegen Willen sämtlicher grosser Parteien.

Vom obrigkeitlichen Misstrauen gegenüber dem Souverän zeugen noch heute die Hürden für Initiativen: nicht nur die Unterschriftenzahl, sondern auch das Erfordernis der Einheit der Materie. Dies kontrastiert seltsam zu den Monstervorlagen neueren Datums, die den Einheits-Test wohl verfehlen würden.

Man kann mit guten Gründen die direkte Demokratie kritisieren und sie anpassen wollen. Eine Aushebelung durch die Hintertür mit Miniregierungsprogrammen ist der falsche Weg. Die Vor- und Nachteile der direkten Demokratie müssen offen diskutiert werden können. Die Urteilskraft der Stimmbürgerinnen sollte man ohnehin nicht unterschätzen: So wurde die Direktwahl des Bundesrates schon dreimal abgelehnt: 1900, 1942 und 2013. Das fand mein kanadischer Kollege ebenfalls erstaunlich.

 

Rückwärts im AHV-Zug – und es ist allen wohl dabei

Monika Bütler

NZZ am Sonntag, 11. Juni 2017

Trotz jahrzehntelangem Pendeln wird es mir im Zug beim Rückwärtsfahren immer noch schlecht. Aber auch robustere Passagiere fahren lieber vorwärts. Dem liegt wohl der Grundinstinkt des Homo Sapiens zu Grunde, nicht in die Vergangenheit zu schauen, sondern in die Zukunft. Dort kommen nämlich die Gefahren her, vor denen wir uns noch hüten können.

Nur – manchmal löst eine bedrohliche Zukunft einen Vogel-Strauss-Effekt aus: Der Blick wendet sich in die Vergangenheit. In der Alterssicherung, zum Beispiel. Als die AHV vor 70 Jahren eingeführt wurde, wurden ihr zwei Kontrollinstrumente zur Seite gestellt: ein zentraler Ausgleichsfonds und die sogenannte „Technische Bilanz“. Letztere stellte, auf weite Sicht berechnet, den Barwert aller künftigen Einnahmen dem Barwert aller künftigen Ausgaben gegenüber.

Die Technische Bilanz war gewissermassen das Frühwarnsystem der AHV. Sie galt lange als Kompass bei Revisionen; sie zeigte rechtzeitig an, ob die Entwicklungen von Ausgaben und Einnahmen aus dem Ruder zu laufen drohten. So liessen sich in den guten Jahren die Überschüsse in der Technischen Bilanz als Rechtfertigung für höhere Leistung heranziehen.

Natürlich gab es auch Kritik an der Technischen Bilanz: Die für die Berechnung notwenigen wirtschaftlichen und demographischen Parameter schwanken über die Zeit. Doch verschiedene Studien, die später mit ungleich höherem Aufwand ähnliche Rechnungen anstellten, kamen immer wieder zu vergleichbaren Ergebnissen.

Letztlich scheiterte die technische Bilanz an der – vermeintlich – guten Finanzlage der AHV: Die jährlichen Überschüsse sprudelten, und eine längerfristige Betrachtung schien überflüssig. Mit der 6. AHV-Revision von 1964 wurde sie abgeschafft.

Seitdem sitzen Herr und Frau Schweizer rückwärts im AHV-Zug. Die Reformvorschläge drehen sich um den rückwärtsgerichteten Ausgleichsfonds. Selbst die von bürgerlichen Politikern vorgeschlagene AHV-Schuldenbremse beruht nicht auf einem Vergleich künftiger Einnahmen und Verpflichtungen, sondern auf der finanziellen Entwicklung der AHV in der Vergangenheit.

Es wäre daher Zeit, die Technische Bilanz wieder einzuführen. Kein Startup bekommt einen Kredit ohne Business-Plan. Doch ausgerechnet beim wichtigsten Sozialwerk mit gut absehbaren Einnahmen und Ausgaben schenken wir uns den Blick in die Zukunft.

Eine technische Bilanz hätte schon in den 1980er Jahren die herannahende Finanzierungslücke angezeigt. Und sie hätte in der laufenden Altersreform 2020 als Kompass dienen können. Berechnungen zeigen, dass der Vorschlag von Bundesrat Berset das klaffende Loch von rund 170% einer jährlichen Wirtschaftsleistung der Schweiz (BIP) halbiert hätte. Immerhin. Die Abstimmungsvorlage vom 24. September reduziert die Lücke nur noch auf 135% – dank „Verbesserungen“ vor allem zu Gunsten der im Parlament am besten vertretenen Generation der 45-64-Jährigen.

Ironischerweise hätte das Bundesamt für Sozialversicherungen die Technische Bilanz mit stetig abnehmendem Aufwand weiterführen können. Bei ihrer Einführung musste noch alles von Hand berechnet werden. Heute liesse sie sich – samt den Auswirkungen simulierter Reformvarianten auf die verschiedenen Generationen – auf jedem Laptop berechnen.

Das Problem ist heute nicht mehr die Berechnung, sondern der (fehlende) Mut, den Ergebnissen ins Auge zu sehen. So sitzt der Homo Helveticus Retrospectans rückwärts im Vorsorge-Zug. Ihm wird es offenbar gerade dank dem Blick in die Vergangenheit nicht schwindlig. Nur merkt er nicht, dass es längst Zeit wäre, auszusteigen.

(Wer noch etwas mehr wissen will: Die AHV: Eine Vorsorge mit Überalterungsblindheit. Christina Zenker & Katia Gentinetta (2009))

Lebenslanges Lernen lohnt sich

Monika Bütler

Eine leicht gekürzte Version erschien unter dem Titel „Es lohnt sich, im Alter nicht den Anschluss zu verlieren“ in der NZZ am Sonntag vom 25. Dezember 2016.

Vor einem Jahr erinnerte ich mich zu Weihnachten an einen Jahrzehnte alten, geheimen Wunschtraum: Violine spielen. Mit über 50? Um mich selber zu überzeugen, erzählte ich meinen Traum bei einem Radiointerview. Nun gab es kein Zurück mehr. Ich mietete mir eine Geige.

Als ich zu Hause das Instrument aus dem Kasten hob, wurde mir bang. Zu alt, um etwas völlig Neues zu lernen? Zu ungeschickt mit einer höchstens mittelmässigen musikalischen Begabung? Gehöre ich jetzt auch zu jenen Alten, die die Jungen imitieren und sich damit nur lächerlich machen?

Mit meiner Verunsicherung stehe ich in der heutigen Zeit nicht alleine da. Nur treffen solche Ängste viele Mitt-Fünfziger – und ihre Arbeitgeber – viel existentieller. Täglich lesen wir von Stellenverlusten älterer Mitarbeiter. Weniger agil, nicht mehr lernfähig; tapsig am Computer, stumm im Kreativitätsseminar – so das Vorurteil. Auch beim – messbaren – Wissen um finanzielle Zusammenhänge (Financial Literacy) schneiden die Älteren relativ schlecht ab. Andererseits: Noch nie war ein so grosser Teil der über Ü-55 berufstätig wie heute.

Was ist an den Vorurteilen und den widersprüchlichen Zahlen dran? Zum Glück wurden in den vergangenen 20 Jahren Zahlen gesammelt. Grosse Datenprojekte wie SHARE – Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe – haben geholfen, Wissenslücken zu schliessen. Vergleiche über die Zeit hinweg und zwischen den Ländern, mit Hundertausenden (anonymer) individueller Daten, erlauben die Identifikation kausaler Zusammenhänge.

Und die Forschungsresultate sind für einmal eindeutig: Die Alten abzuschreiben, ist dumm. Ältere Mitarbeiter sind nicht weniger produktiv als Junge. Nicht einmal am Fliessband: Eine etwas tiefere Geschwindigkeit machen die Älteren wett mit höherer Zuverlässigkeit und tieferen Fehlerquoten.

Beängstigend ist allerdings der starke negative Zusammenhang zwischen vorzeitiger Pensionierung und einem Verlust kognitiver Fähigkeiten. Zwar geht die Kausalität in beide Richtungen. Natürlich verlieren Menschen mit nachlassenden Fähigkeiten ihren Job eher als andere. Doch die Forschung zeigt auch, dass ein früher Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu einem Nachlassen wichtiger Fähigkeiten führt. Denn selbst als unangenehm empfundene Beschäftigungen halten das Gehirn auf Trab. Und die Arbeit verhindert eine soziale Isolation.

Den Anschluss nicht zu verlieren lohnt sich also. Und es geht. Zugegeben, es ist schwierig für Hans, eine neue Technik (oder ein neues Instrument) zu erlernen. Doch ist es das für Hänschen nicht auch? Der schmerzhaft langsame Unterricht, den wir an Schulbesuchen erleben, ist kein Zeichen unqualifizierter Lehrerinnen. Auch kleine Köpfe brauchen Zeit und vor allem viel, viel Übung.

Es ist vielleicht mühsamer, im fortgeschrittenen Alter noch etwas zu lernen. Aber unmöglich ist es nicht. Wichtiger als Begabung sind – im Alter nicht notwendigerweise schwächer – Disziplin und Zuversicht. Am Arbeitsplatz setzt Zuversicht voraus, dass beide Seiten daran glauben: Nicht nur die Angestellte, sondern auch die Chefs. Und dass beide Seiten um die Mühsal des lebenslangen Lernens wissen. Vielleicht sollten wir an Management-Trainings, statt noch mehr Case Studies und Theorie, die Teilnehmer etwas komplett Neues lernen lassen. Es muss ja nicht Geige sein, es geht auch mit Stricken oder Suaheli. Wer sich selber mit etwas neuem abmüht, hat eher Verständnis und Geduld für die Lernenden. Und – traurig aber wahr: die meisten schaffen es nicht von alleine. Es braucht Unterstützung, vielleicht sogar sanften Druck. Das ist bei Hans nicht anders als bei Hänschen.

Schon die ersten Erfolgserlebnisse helfen. Auch bei mir. Als ich am vierten Advent die Weihnachtslieder probte und insgeheim über schwierige Stellen und meinen kratzigen Stil fluchte, ging plötzlich die Türe auf. Vor mir stand mein jüngerer Sohn – ein Teenager –, die eigene Geige in der geübten Hand, und fragte: „Mama, darf ich mitspielen? Zusammen klingt es so schön.“

 

Die Tücken der Tragbarkeitskriterien beim Hauskauf

Monika Bütler

Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien am 30. Oktober in der NZZ am Sonntag unter dem Titel „Banken entdecken ihr Herz für Familien“.

Partnerwahl und Hauskauf, − zwei der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Zur Partnerschaft genügen zwei; beim Hauskauf ist meist eine dritte Partei dabei: die Bank. Ihre Bedingungen entscheiden, ob Haus oder Wohnung erschwinglich sind. Neuestens haben die Banken ihr Herz für den Mittelstand entdeckt. Sie möchten die Tragbarkeitskriterien für Hypotheken lockern, um jungen Familien die Eigenheimidylle zu ermöglichen.

Nach alter Regel sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als einen Drittel des Bruttoeinkommens betragen.  Hauptkostenpunkt ist der Hypothekarzins. Der wäre heute eigentlich tief. Gewitzt durch die von einem Immobilienboom in den USA ausgelöste Finanzkrise (und angehalten durch die Finanzbehörden)  kalkulieren die Banken jedoch mit einem längerfristigen Durchschnittssatz von gegenwärtig 5%. Diesen möchten einzelne Banken auf 3% senken. Konkret: Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Franken und Eigenmitteln der Käufer von 200‘000 Franken wäre statt eines Bruttoeinkommens von 150‘000 Franken (bei 5% Zinsen und 1% des Kaufpreises als Unterhalt) neu nur noch eines von 102‘000 Franken notwendig. Gerade im Mittelstand ein beachtlicher Unterschied.

Auf den ersten Blick hat die vorgeschlagene Änderung durchaus ihren Charme. Fast alle Prognosen gehen von langfristig tiefer Realzinsen aus. Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Produktivität sind die Hauptgründe dafür. Und Inflation ist (noch) nicht in Sicht.

Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn, erstens, lauern im neuen makroökonomischen Umfeld mit tieferen Zinsen neue Gefahren für die Käufer:Nicht nur die Zinsen sind tief, das Wirtschaftswachstum ist es ebenfalls. Die Hauskäufer können nicht mehr damit rechnen, dass sich der relative Wert der Hypothek gemessen an ihrem Einkommen über die Zeit sozusagen magisch verkleinert. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Zahl der Rentner, für die die Hypothek eine zu grosse finanzielle Belastung darstellt, heute sehr viel höher liegt als früher.

Zwanzig Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns zudem vergessen lassen, wie sehr höhere Inflationsraten und somit Hypothekarsätze die Haushalte belasten – auch wenn Renten und Löhne vollständig an die Teuerung indexiert sind. Hypothekarzinsen von über 7% wie in den 1990er Jahren wären mit beim erwähnten Beispiel mit einem Einkommen von 100‘000 Franken kaum mehr tragbar.

Zweitens wird wohl ein Teil der Erleichterung beim Hauskauf gerade wieder aufgefressen von den dadurch ausgelösten Preissteigerungen: Bieten zwei Interessenten für eine Wohnung, hört das Preisangebot spätestens dann auf, wenn die Tragbarkeitsbedingungen binden. Sind diese lockerer, können dieselben Bieter nicht nur höhere Gebote machen, auch der Kreis der Anwärter wird grösser. Das logische Resultat: das Haus wechselt die Hand zu höherem Preis. Dies ist nicht einfach graue Theorie. Die empirische Evidenz aus verschiedenen Ländern zeigt eindeutig, dass direkte oder indirekte Erleichterungen des Immobilienkaufs durch für weniger reiche Haushalte immer auch zu höheren Preisen führen. Die vermeintliche Unterstützung geht teilweise oder ganz an die Hauseigentümer und Baufirmen.

Interessanterweise versteht man im Ausland, dass dank der Tragbarkeitskriterien die Immobilienpreise in der Schweiz nicht noch mehr gestiegen sind. Am letzten Dienstag versandte das deutsche Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der drohenden Immobilienblase. Eine der vorgeschlagenen Massnahmen: strengere Vergabekriterien.

Also nichts machen und gerade junge Mittelstandsfamilien weiterhin vom Hauskauf abhalten? Ein Kompromiss wäre die strengen Tragbarkeitskriterien etwas in die Zukunft zu verschieben und diese mit höheren verbindlichen Abzahlungsraten zu verbinden. Die Amortisation müsste so hoch sein, dass bei gleichem Einkommen in 15 Jahren wieder die konservativen 5% erreicht würden. Dies hätte zwei weitere Vorteile: Erstens ist die Bereitschaft einer hohen Amortisation für die Banken ein gutes Signal für das berufliche Selbstvertrauen der Schuldner.

Zweitens schützt eine tiefere Verschuldung die Betroffenen im – leider nicht seltenen – Scheidungsfall. Die amerikanische Ökonomin Betsey Stevenson zeigte nämlich, dass die Menschen das Scheidungsrisiko bei fast allen Entscheidungen berücksichtigen (Kinder, Sparen, Arbeit), sonderbarerweise nicht aber beim Hauskauf. Sie verkennen, dass von den zwei Entscheidungen die Partnerwahl die wichtigere ist: Wer dort einen Fehler macht, hat auch das Haus auf Sand gebaut.

AHV Debatte: Unbescheidene Babyboomers und ihre sparsamen Eltern

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 4. September 2016 unter dem Titel „Wenn das Sparsäuli der Enkel die Rente sichert“

„Ja, ja“, sagte mein Vater jeweils. Im Klartext: Erzähl mir, was Du willst. Dabei glaubte ich alle Argumente auf meiner Seite: Seit der Einführung der AHV leben 65-Jährige acht Jahre länger. Den heutigen «Alten» geht es im Durchschnitt finanziell viel besser als früher; es geht ihnen im Mittel auch besser als dem Rest der Bevölkerung. Ihre Armutsquote ist geringer, ihr Vermögen deutlich höher.

Mein 81-jähriger Vater mochte es lange gar nicht, wenn von solchen Fakten nur schon die Rede war. Auch bei meinen Vorträgen zur schweizerischen Altersvorsorge spüre ich immer wieder, wie vor allem ältere Rentnerinnen und Rentner betupft, manchmal sogar ungehalten reagieren. Sie hätten schliesslich ihr Leben lang hart gearbeitet und auf vieles verzichtet.

Sind die Alten überempfindlich?  Nein, das sind sie nicht. Denn die nackten Zahlen zeigen nur die halbe Wahrheit. Natürlich haben die heutigen Rentner vom Ausbau und der Grosszügigkeit des schweizerischen Alterssicherungssystems profitiert. Doch, erstens, wäre es unfair, ihnen dies vorzuwerfen. Schliesslich haben sie sich die Erhöhung der AHV-Renten in den 70-er Jahren und den Ausbau der beruflichen Vorsorge nicht einfach selber zugeschanzt. Alle Altersgruppen und alle Parteien – auch bürgerliche – trugen den Ausbau mit. Warnungen über drohende finanzielle Ungleichgewichte – die SNB schrieb bereits 1957 von einer «zunehmenden Überalterung» – wurden angesichts guter kurzfristiger Umlage-Ergebnisse in den Wind geschlagen.

Zudem waren, zweitens, die guten Zeiten nicht immer so gut wie es scheint. Die Mehrheit der älteren Rentner kam zwar in der Pensionskasse noch in den Genuss eines Umwandlungssatzes von 7,2 Prozent, ihr Kapital wurde mit 4 Prozent verzinst. Dies allerdings auch zu Zeiten mit über 5 Prozent Inflation. Wenn heute bei einer negativen Jahresteuerung die Pensionskassenvermögen mit 1.25 % verzinst werden müssen, sind die realen Erträge höher als früher. Ob die Alten unter dem Strich wirklich besser gefahren sind als die Mittelaltrigen, ist zumindest zweifelhaft.

Und drittens geht vergessen, dass ältere Rentner oft nicht nur für eine beträchtliche Anzahl künftiger Beitragszahler sorgen mussten, sondern auch für ihre bedürftigen Eltern oder behinderten Geschwister. Dass viele ältere Menschen einen rechten Batzen auf der Seite haben, ist daher nicht nur Glück. Sie waren sich gewohnt, sparsam zu leben. Sie verzichteten selbst dann auf vieles, als die Kinder ausgezogen und die Eltern verstorben waren und kamen erst so zu Vermögen.

Vom angesparten Vermögen der älteren Generation profitieren ironischerweise diejenigen, die in ihrem Leben viel weniger Unterstützungsleistungen stemmen mussten und sich ein komfortableres und freieres Leben leisten konnten. Meine eigene Generation nämlich, die gebärgeizigen Babyboomers. Wenn jetzt gerade diese Generation für sich Kompensationsmassnahmen oder Rentenerhöhungen verlangt, scheint mir dies, mit Verlaub, etwas unbescheiden.

Die lauten Diskussionen um die Alterssicherung haben meinen Vater doch noch aus der Reserve gelockt. Klar, er sei mit der Rente gut gefahren, meinte er kürzlich. Und die weniger gut gestellten Kollegen in seinem Umfeld seien dankbar über die Ergänzungsleistungen. Aber was sich heute abzeichnet, hätte seine Generation nie gewollt: Dass man Gelder verteilen möchte, sogar an Wohlhabende, die aus der Tasche der Jungen stammten. Es könne doch nicht sein, dass die Grosseltern den Enkeln statt einen Batzen ins Sparsäuli zu legen, sich aus diesem bedienen.

Wie wir intelligenten Kindern die Schule vermiesen

Monika Bütler

Der Beitrag erschien am 15. Mai 2016 in der NZZ am Sonntag.

Eine kleine Ergänzung: Die schweizerische Maturaquote von rund 20% verdeckt, dass nur 16.5% der jungen Männer bei uns eine Matura machen. Das ist teilweise auf die attraktiven Möglichkeiten ausserhalb des akademischen Bildungswegs zurückzuführen. Aber nicht nur – viele intelligente Kinder, die eigentlich eine Matura machen wollten, geben entnervt auf. Das sollte uns zu denken geben. In einigen Kantonen ist die Maturaquote bei den jungen Männern in den letzten zwei Jahrzehnten sogar gesunken. So zum Beispiel im Kanton Zürich von 18% im Jahre 1998 auf nur noch 15.2 in 2012. (Quelle: avenir suisse)

Hier also die Kolumne:

Die schweizerische Matura sei zu einfach. Sogar Hochschulrektoren melden diplomatisch Zweifel an der Fitness ihrer Frischlinge an. Neben motivierten, gescheiten und aufmüpfigen Studierenden sitzen viele in den Bänken, bei denen nicht klar ist, weshalb sie – auf Kosten der Steuerzahler – dasitzen. Und: wie sie die Matura geschafft haben.

Nur: Wenn wir es bei einer Maturaquote von nur 20% nicht fertig bringen, junge Menschen studierfähig auszubilden, läuft etwas Grundlegendes falsch. Entweder bilden wir falsch aus. Oder wir selektieren falsch.

Lücken im Wissen können geschlossen werden, wenn Motivation und Intelligenz stimmen. Doch da hapert es oft genauso wie bei den Fähigkeiten in Deutsch oder Mathematik. Es ist ärgerlich, überforderte Studenten vor sich zu haben. Deprimierender ist aber der Gedanke, dass bei der tiefen Schweizer Maturaquote, für jeden von diesen ein anderer, motivierter und fähigerer Kandidat existiert, der die Hürde aus irgendeinem Grund nicht geschafft hat.

Nur schon die krasse Untervertretung der Knaben und Ausländer lassen vermuten, dass wir nicht immer diejenigen selektieren, die für den akademischen Bildungsweg geeignet sind. Dabei ist die oft geschmähte Selektion in die Mittelschule nicht einmal die einzige Hürde auf dem Weg zur Matura.

Wer einmal im Gymi ist, kämpft mindestens vier Jahre lang mit den Tücken des Systems. Das Paradebeispiel der Exzellenzverhinderung ist dabei die Anforderung der doppelten Kompensation ungenügender Noten. Konkret: Eine 5.5 in Mathematik und eine 5.0 in Deutsch (zusammen 2.5 Pluspunkte) reichen nicht, um eine 2.5 in Geographie (= 3 Minuspunkte) zu kompensieren.

In typisch schweizerischer Manier – wer aus der Masse ragt, wird geköpft –verstärken wir ein ohnehin schon absurd zu ungenügenden Noten hin verzerrtes Bewertungssystem noch, verdoppeln doppelt ungenügend sozusagen. Viele gescheite Knaben und – etwas weniger oft – Mädchen geben deswegen frustriert auf oder werden ausgemustert. Andere schaffen es, indem sie, statt ihre Stärken ausleben zu können, ihre Energie im Kampf gegen ihre Schwächen verlieren – an die sie dadurch auch regelmässig erinnert werden.

Besonders hart trifft die doppelte Kompensation mathematisch begabte Kinder an den meist sprachlastigen Gymnasien. Aber nicht nur sie. Auch Kolleginnen aus den philosophischen Fakultäten klagen: Weshalb soll ein Schüler mit 4.0 in allen Fächern Geisteswissenschaften studieren können, nicht aber jemand mit 5.5 in Deutsch und 3.0 in Naturwissenschaften?

Mittelschullehrer machen geltend, dies sei in der Praxis nicht so schlimm, die Schülerinnen passten sich einfach an. Nur: wir zwingen – gegen alle wissenschaftliche Evidenz des Lernens – die Schülerinnen dennoch, ihre Schwächen zu schwächen, statt ihre Stärken zu stärken.

Statt von Begabungsspitzen zu sprechen, reden wir eher – leicht abschätzig – von einseitiger Begabung.  Eine solche ist offenbar so schlimm ist, dass sie bestraft werden muss. Dabei stammen die meisten technologischen Durchbrüche, aber auch viele Ideen in anderen Wissenschaften nicht aus einer Durchschnittskompetenz, sondern aus einer besonderen – daher oft einseitigen – Begabung.

Ob die Matura zu einfach sei, ist nicht die relevante Frage. Wichtiger wäre es dafür zu sorgen, dass den intelligentesten Kindern nicht die Schule vermiest und der Weg zu einer Universitätsausbildung erschwert wird. Diese Talente werden uns nämlich fehlen: Viele Hochqualifizierte, die wir selber hätten ausbilden können, importieren wir heute aus dem Ausland.

Barbezug des Vorsorgekapitals verbieten? Es gibt liberalere und gerechtere Lösungen

Monika Bütler

Was passiert in der Schweiz, wenn ein Problem auftaucht? Die eine Seite schlägt eine neue Regulierung vor. Immer. Die andere Seite reagiert ebenfalls immer gleich: Statt sich für eine vernünftigere Lösung einzusetzen, streitet sie das Problem einfach ab. Heutiges Beispiel: der Kapitalbezug in der zweiten Säule. Der Beitrag erschien am 17. April 2016 (in leicht veränderter Version) unter dem Titel „Der Bezug der Vorsorgekapitals ist ein Problem – für die andern“ in der NZZ am Sonntag.

Bundesrat Berset warnt: Der Bezug des in der beruflichen Vorsorge angesparten Kapitals in bar (statt in Form einer lebenslangen Rente) kostet später Ergänzungsleistungen (EL). Der Kapitalbezug erhöht sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die erwartete Höhe späterer Ergänzungsleistungen (EL). Worauf die Forschung übrigens schon seit Jahren hinweist (auch im batz.ch: siehe hier und hier)

Das schweizerische Sozialversicherungssystem hat starke Anreize für einen Kapitalbezug. Das durch die Ergänzungsleistungen garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat höher als die AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser. Oft auf Kosten der Steuerzahler.

Die Pflegekosten seien der Hauptgrund der stark steigenden Ausgaben der EL, nicht der Kapitalbezug. Mag sein. Gerade weil die Pflege wichtig ist, sollten die EL nicht noch durch Kapitalbezüge belastet werden. Rentenbezüger, die sich ihre ganze Rente anrechnen lassen müssen, sind mit Sicherheit billiger für den Staat als Kapitalbezüger.

Kapitalbezug mindestens teilweise verbieten! rufen deshalb die einen. Ein unnötiger Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit! protestieren die andern. Tatsächlich: Ein Verbot benachteiligt Kleinverdiener und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen mit einer tieferen Lebenserwartung. Wer möchte es einer kranken Frau vergönnen, die wenigen verbleibenden Jahre mit ihrem selber angesparten Vermögen zu versüssen. Und soll der alleinstehende Arbeiter die Professorin zwangsweise subventionieren?

Also nichts machen? Doch. Es gibt liberalere Ansätze als ein Verbot. Sich die Pensionskassengelder in bar auszahlen zu lassen, lohnt sich nämlich auch aus zwei weiteren Gründen. Erstens ist Kapitalbezug ist gegenüber der Rente steuerlich privilegiert. Die bar ausbezahlte Vorsorge wird separat von anderen Einkommen und erst noch meistens zu einem viel tieferen Satz besteuert.

Zweitens ist die bar ausbezahlte Vorsorge bei einer späteren Pflegebedürftigkeit teilweise geschützt. Ein Alleinstehender hat eine Vermögensgrenze von 37‘500 Franken; nur was darüber liegt wird teilweise als verfügbar angerechnet. Die Rente hingegen wird zu 100% an die Pflegekosten angerechnet.

Eigenartig, wenn der Staat mit der einen Hand eine Wahlmöglichkeit einschränken will, während er mit der anderen Hand die gleiche Option steuerlich und EL-technisch massiv begünstigt. Eine Angleichung des Steuersatzes für Rente und Kapitalbezug sowie eine tiefere Vermögensgrenze würden nicht nur die Kosten späterer EL direkt reduzieren. Die Massnahmen würden wohl den einen oder anderen doch noch zur Rente bewegen.

Natürlich ist es hart, fast das Vermögen ganz aufgeben zu müssen, bevor man EL-berechtigt ist. Aber erstens ist es nicht die Aufgabe des Staates, die Erben auf Kosten der Steuerzahler zu schützen. Zweitens begünstigt das heutige System die Schlauen. Weniger gut informierte Pflegebedürftige brauchen oft ihre ganzen Ersparnisse auf, bevor sie überhaupt an EL denken. Bei den Glücklichen sorgt der juristisch gut ausgebildete Nachwuchs dafür, dass EL so früh wie möglich beantragt werden. Gerechter wäre die Gleichbehandlung von Rente und Kapital allemal.

Statt den Zusammenhang zwischen Kapitalbezug und EL einfach abzustreiten, würden sich die Gegner eines Verbots des Barbezugs besser für eine freiheitliche Lösung einsetzen. Eine Lösung, die auch dann effizient wäre, wenn die Barauszahlung entgegen der wissenschaftlichen Erwartungen die EL gar nicht belastete.

Lauter Strafen in der AHV

Monika Bütler

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 22. Februar unter dem Titel „Das ständige Gefühl zu kurz zu kommen“.

Auf den ersten Blick scheint alles klar. Ein Paar in „wilder Ehe“, wie es früher so schön hiess, bekommt oft mehr Altersrente als ein verheiratetes Paar – dies bei gleichen Beiträgen. Weiterlesen

Wenn die Leistungsbeurteilung durch das Geschlecht mitbestimmt wird

Monika Bütler

Erschienen unter dem Titel Wenn das Geschlecht die Leistung bestimmt in der NZZ am Sonntag vom 24. Januar 2016.

Eine Gruppenarbeit beendete vor 25 Jahren mein Zweitstudium in Betriebswirtschaftslehre.

Mit fünf zugelosten Studienkollegen hatte ich eine Aufgabe in Strategie zu bearbeiten. Nach drei ergebnislosen Treffen begann ich allein zu recherchieren und verfasste einen ersten Entwurf. Plötzlich ging es flott weiter; die Arbeit blieb dennoch weitgehend meine. Dem externen Dozenten, einem angesehenen Kadermann, gefiel das Werk. Nur, meinte er nach der Präsentation, die Beiträge der Studierenden schienen ihm doch sehr unterschiedlich, insbesondere die Dame habe wenig zum Erfolg beigetragen. Weiterlesen

Inflation der Aktions- und Gedenktage

Monika Bütler

Veröffentlicht unter dem Titel „Was die UNO von den Katholiken lernen könnte“ in der NZZ am Sonntag, 1. November 2015

„Was feiert ihr genau an Allerheiligen?“, fragte kürzlich mein protestantisch erzogener Mann. Die Katholiken gedenken der Verstorbenen, antwortete ich. „Nicht der Heiligen?“. Ich habe mich zur Sicherheit nochmals informiert:

In den ersten Jahrhunderten der Christenheit wurde es zunehmend schwieriger, jedem der immer zahlreicheren Heiligen einen eigenen Tag zu widmen. Die Kirche fand eine Lösung: Sie führte im 4. Jahrhundert nach Christus einen Tag ein – Allerheiligen – zu dem aller Heiligen gleichzeitig gedacht wird. Bei der Wahl des Datums stand wohl das viel ältere keltische Totengedenken Pate, welches zu Beginn des Winterhalbjahres stattfand. Klug war, dass der Begriff der Heiligen weit gefasst wurde. Auch solche, die (noch) nicht heiliggesprochen wurden, fanden damit Platz im Kalender. Eingeschlossen sind selbst Heilige, um deren Heiligkeit niemand weiss als Gott. Also (fast) alle Verstorbenen.

Die Gedenktage an Heilige und Märtyrer sind heute in Vergessenheit geraten. Welche Zürcherin denkt am 11. September schon an den Tag von Felix und Regula? Heute sind die Tage profan besetzt, an Stelle des Vatikans ist die UNO getreten: Welttag der sozialen Gerechtigkeit (20. Februar), Internationaler Tag des Glücks (20. März), Internationaler Tag des Sports für Entwicklung und Frieden (6. April), Internationaler Tag der Familie (15. Mai), nicht zu verwechseln mit dem Weltelterntag (1. Juni). Der Platz reicht hier nicht für das ganze Jahr.

Unklar ist die Logik der Welttage. Die genannten beziehen sich auf Wünschenswertes. Warum dann der Weltdrogentag (26. Juni) oder – mindestens zweischneidig – der Welttag des Fernsehens (21. November)? Noch geheimnisvoller ist die Gewichtung verschiedener Anliegen. Ein Internationaler Tag der Demokratie (15. September) steht neben dem Welttoilettentag (19. November). Auf die Schweiz zugeschnitten scheint der Internationale Tag des Ehrenamtes (5. Dezember).

Dennoch bleibt die Uno-Liste lückenhaft. Kein Wunder ist sie längst durch eine Unzahl nationaler, regionaler oder lokaler oder privat deklarierter Welttage ergänzt worden. Diese reichen im Temperaturspektrum vom Welttag des Schneemanns (18. Januar) bis zum Tag der Sauna (24. September). Wer Kommerzialisierung vermutet, wird sich im vom Ostsee-Holstein-Tourismus Verein ins Leben gerufenen Weltfischbrötchentag (3. Mai) bestätigt sehen.

Die Gedenk- und Aktionstage sind mittlerweile so inflationär, dass man an alles und nichts denkt. Natürlich braucht es einen Tag der Zöllner und der Zollunion (26. Januar) und ebenso den Welthurentag (2. Juni). Doch hätte man diese mit Bezug auf das Neue Testament, das beide Branchen in einem Atemzug zu nennen pflegt, auch zusammenlegen können. Wie Allerheiligen und den datumsgleichen Weltvegantag (nicht zu verwechseln mit dem Weltvegetariertag am 1. Oktober).

Das bringt mich zu einem Vorschlag: Lasst uns für einmal von der Kirche lernen. Kippen wir alle Welt- und Allerwelts-Tage zusammen – auch diejenigen, um deren Existenz wir noch gar nicht wissen – und widmen ihnen, wie allen Heiligen, einen gemeinsamen Tag. Bettelbriefe mit „Liebe Frau B, Heute ist der Welttag des XYZ…“ kämen dann alle an diesem Tag. Das schlechte Gewissen, weil wir schon wieder zu wenig für die Umwelt (5. Juni) und die Erhaltung der Ozonschicht (16. September) getan haben, plagte uns seltener. Mit dem 29. Februar stünde erst noch ein unbelasteter Tag zur Verfügung.

Und den Rest der Zeit hätten wir Ruhe. „Aber“, so fragte mein Mann und Vater unserer Kinder, „… der Muttertag?“