Willkommen in unserem Vorgarten

Urs Birchler

Die Pläne der Stadt Zürich zur Vergesellschaftung der Grünflächen begrüsse ich sehr. Bloss ist mir nach längerem Nachdenken noch kein Areal eingefallen, welches (a) grün ist, (b) mehr als 10qm misst und (c) nicht schon im Eigentum der öffentlichen Hand wäre. Das Letzigrund-Stadion gehört m.W. der Stadt und könnte schon unter geltendem Recht zum Grillieren, Hundetraining und Bumerang-Werfen freigegeben werden. Dito der Car-Parkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Dieser zählt aber vielleicht bei spitzfindigen Bürokraten nicht als Grünfläche. Eigentlich kommt mir als Kandidat nur unser Vorgarten in Zürich Wiedikon in den Sinn, wo doch eine “Rasen“-Fläche von schätzungsweise 5×5 Metern zur Verfügung stünde.

Anbieten kann ich nicht viel: Ich habe nur einen einzigen Rasenmäher, und den Löwenzahn habe ich selber bereits ziemlich ausgejätet. Aber attraktiv wäre es sicher, bei mir am Gartentischchen zu sitzen und meinen fast zu allen Themen fundierten Meinungen zu lauschen („Warnung vor dem Dozenten“), anstatt diese hier bei batz.ch mühsam nachlesen zu müssen.

Unterstützung bräuchte ich von der Stadt. Sie hat ja in bewährter Mafia-Art ihre Hilfe in Form von Beratung angeboten (unentgeltlich, aber kaum ohne Kostenfolge). Dürfen meine Besucher — Gäste darf ich ja nicht mehr sagen, da keine Einladung eforderlich sein wird — auf dem Parkplatz jener Nachbarn parkieren, die weitblickend ihre ver-stadt-lichungsgefährdeten Vorgärten zubetoniert haben? Muss ich für Katzenhaar-Allergiker*Innen ein Warnschild aufstellen? Und was mache ich mit dem WC, welches bei uns nicht ohne Treppensteigen erreichbar ist? Wird mir Blau-Grün Zürich ein Toi-Toi aufstellen? Das darf ich wohl hoffen! Aber eins weiss ich jetzt schon: Drauf stehen wird dann nicht Toi-Toi. Sondern: Moi-Moi!!!

Frau darf nicht mehr neben Schnarcher schlafen

Urs Birchler

Bitte, wer kann mir helfen? Mein Weltverständnis liegt in Trümmern. Meine Frau darf aufgrund eines Gerichtsentscheids nicht mehr in unserem gemeinsamen Schlafzimmer nächtigen. Grund: Mein Schnarchgeräusch liegt über dem gesetzlichen Grenzwert von 55dB(A) (Kategorie: Erholung, nachts).

Dass der Staat mein Frau vor gesundheitlichen Schäden schützen möchte, weiss diese durchaus zu schätzen. Aber sie versteht nicht, weshalb nicht — nach dem Verursacherprinzip — ich des Bettes verwiesen worden bin. Vielleicht haben die Richter ein Lehrbuch der Mikroökonomie angeschaut und dort gefunden, dass es ein Verursacherprinzip im Prinzip gar nicht gibt. Meine Frau und ich möchten des Schlafzimmer bloss unterschiedlich nutzen: sie zum Schlafen, ich zum Schnarchen. Erst, wenn in einem solchen Nutzungskonflikt die Eigentumsrechte zugeordnet sind,
lässt sich von einem „Verursacher“ sprechen. Wenn das Schlafzimmer meiner Frau gehört, bin ich der Verursacher externer Kosten (ihrer Schlaflosigkeit). Wenn das Zimmer mir gehört, verursacht meine Frau die externen Kosten in Form etwa von schlechter Laune infolge Schlafentzug. Die richterliche Ausweisung der Frau deutet also darauf hin, dass Bett und Luftraum mir, dem Schnarcher, gehören.

Selbstverständlich hat ein derartiger Gerichtsentscheid nie stattgefunden. Zu absurd würde man meinen. Doch nicht in Zürich. Es mehren sich die Fälle in denen Gerichte das Erstellen von Wohnungen verbieten, wenn die Bewohner einem Verkehrslärm ausgesetzt wären, welcher die gesetzlichen Grenzwerte übersteigt. So geschehen, wie der Tagesanzeiger berichtet, bezüglich der Überbauung Brunaupark. Ähnliches droht der Wohnüberbauung beim geplanten Fussballstadion — über das wir demnächst zum dritten Mal vielleicht für die Katz abstimmen werden.

Es werden in diesen Fällen also die potentiellen Mieter prophylaktisch weggewiesen, weil ihnen der Verkehr mit übermässigem Lärm schaden könnte.
Als ob die Stadt den Schnarchern, d.h. den Autofahrern, gehörte. Dabei schien die Sache klar: Als Verursacher der externen Kosten gelten guteidgenössisch nicht die ruhebedürftigen Bewohner, sondern die Erzeuger des Lärms (die Schnarcher). Das BAFU schreibt:

Es bestehen noch wesentliche externe Kosten in der Höhe von ca. 1–1.6 Mrd. CHF, die ausschliesslich vom Verkehr verursacht werden. … Die Lärmquelle Nummer eins ist der Verkehr. … Handlungsbedarf besteht … bei den externen Kosten. Im Vordergrund steht dabei die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips, d.h. die Reduktion von Lärm an den Emissionsquellen (BUWAL 2002a, 169).

Spinnen jetzt die Zürcher Richter oder spinnen das BAFU und ich?

Ein ARTE-fakt zum Recht auf Wohnen

Urs Birchler

Gestern Abend verging mir bei ARTE-tv als Ökonom Hören und Sehen. Die „Dokumentation“ zum Recht auf Wohnen türmte in 90 Minuten ein Gebäude aus irreführenden und falschen Aussagen auf, das fast bis zu den Wolken reicht.

Dabei beginnt der Film witzig: „Wie merkst Du, dass Du Deine Wohnung verlierst?“ Antwort: „Wenn in der Nachbarschaft ein 2nd-Hand-Kleiderladen aufgeht.“ Weil: dann kommen die Künstler und anderen coolen Leute, das Quartier wird hip, und die Mieten steigen. Nicht für alle ist das witzig, weil sich einige die höheren Mieten nicht mehr leisten können.

Ökonomisch gesprochen, steigt die Nachfrage rascher als das Angebot, auch in der Schweiz: Die Leute verdienen mehr, geben mehr für’s Wohnen aus und beanspruchen mehr Wohnfläche oder zentralere und hippere Lagen — oder beides.

Der ARTE-Film will uns eine ganz andere Geschichte unterjassen: Das Problem sind „die Spekulanten“, „die Finanzmärkte“, „die Geier“, „Ausbeutung“, „die Eliten“. Schon die Terminologie macht deutlich, dass die Zuhörerschaft nicht zum Denken, sondern zum Fühlen angeregt werden soll.

Dort, aber, wo tatsächlich inhaltlich argumentiert wird, kommt’s strub:

Schon die Hauptthese ist verkehrt: Spekulanten kaufen Häuser, drücken die Preise nach oben, wodurch sich die Mieten verteuern. Diese Geschichte kann man auch beim Mieterverband lesen. Sie stimmt trotzdem nicht. Der Apfelbaum ist wertvoll, weil daran Äpfel wachsen. Und ein Haus ist wertvoll, weil man es vermieten oder darin wohnen kann. Nicht umgekehrt. Den Mieter kümmert es nicht, wieviel die Vermieterin für das Haus gezahlt hat. Noch nie habe ich in einem Wohnungsinserat einen Hinweis gelesen, das Haus sei teuer oder billig gewesen, als Argument für eine hohe Miete („Aufwendig renoviert“ zählt wegen des damit verbundenen Komforts, nicht wegen der Kosten.). Hingegen steht bei Immobilienangeboten oft: „Voll vermietet“ als Argument für einen hohen Kaufpreis. Kurz: „Spekulation treibt Mieten“ ist eine Schwanz-wedelt-mit-Hund-Geschichte.

Der vorliegende Fernsehbeitrag setzt aber noch einen drauf und behauptet, die Spekulanten liessen Häuser aus blanker Gier leerstehen. Wie das zusammengeht, erfahren wir nicht. Vielleicht macht die Regulierung einen vorübergehenden Leerstand lohnend, aber von Regulierung des Wohnungsmarktes ist im Beitrag nicht die Rede. Schade — gerade hier hätte man eine Geschichte von Eigennutz versus Gemeinsinn erzählen können: Generell mögen Bauherren Bauvorschriften nicht besonders; wie der The Economist, berichtet, befürworten jedoch diejenigen, die bereits ein Haus haben, oft Einschränkungen der weiteren Bautätigkeit in ihrem Quartier.

Der Fernsehbericht belegt die Ruchlosigkeit der Immobilienspekulanten jedoch mit dem (durch Mängel in Bau und Unterhalt mitverursachten) Brand des Londoner Grenfell Tower von 2017. Mit keinem Wort wird dabei erwähnt, dass das Hochhaus dem Kensington and Chelsea London Borough Council gehört, d.h. gerade nicht einem gierigen Privatspekulanten, sondern der dem Allgemeinwohl verpflichteten öffentlichen Hand!

Dann eher schräg: Die (in ihrem Fach durchaus renommierte) Soziologie-Professorin Saskia Sassen unterscheidet zunächst zwischen den „bösen“ Finanzmärkten und den (man höre und staune) „guten“ Banken. Sie beklagt, dass Finanzmärkte aus Gewinnsucht Dinge verkauften, die sie gar nicht haben. Die (seit der Finanzkrise permanent gescholtenen) Banken hingegen kümmerten sich echt um das Wohl ihrer Kunden, weil sie dereinst auch deren Kinder und Enkel bedienen möchten. Ferner hat die Soziologin den in ihren Augen haarsträubenden Umstand entdeckt, dass der Wert der Immobilien weltweit grösser sei als das globale BIP, d.h. das gesamtwirtschaftliche Jahreseinkommen. Es scheint der Soziologin bisher entgangen zu sein, dass die meisten Häuser (wohl auch ihr eigenes) selbstverständlich teurer sind als ein Jahreseinkommen ihrer Bewohner.

Überhaupt ist der Beitrag in erster Linie eine Selbstdarstellung der UNO-Sonderbeauftragten Leilani Farha, die zuhanden des UNO-Menschenrechtsrates die Einhaltung des Rechts auf Wohnung in verschiedenen Ländern und Städten beobachtet (im Film: Uppsala, London, Berlin, Valparaiso, New York). Kürzlich intervenierte Frau Farha, wie SRF berichtete, auch beim Bund. Sie will festgestellt haben, dass ein von der CS-Pensionskasse geplanter Neubau einer Wohnsiedlung in Zürich Wiedikon gegen die Menschenrechte verstösst, weil die Mieter in den abbruchbedrohten Liegenschaften zunächst ausziehen müssten. Der Bundesrat muss nun dazu Stellung nehmen.

Ich musste selber nachschauen: Was beinhaltet das Menschenrecht auf Wohnen? Grob gesagt: Es soll jede(r) ein Dach über dem Kopf haben, und zwar ein zumutbares (also beispielsweise mit Wasseranschluss). Ausdrücklich kein Menschenrecht ist jedoch der Verbleib in einer Wohnung im Falle von Renovation oder Neubau. Das offizielle UNO-Dokument sagt dazu klipp und klar: „The right to adequate housing does NOT prohibit development projects which could displace people“ (The Right to Adequate Housing, S. 7). Die Dame könnte auf einer ihren vielen von der UNO (d.h. den Steuerzahlern) finanzierten Reisen vielleicht einmal die eigenen Dokumente lesen, anstatt den Bundesrat mit der Strafaufgabe eines Berichts zur Wohn-Menschenrechtslage in Zürich Wiedikon zu beglücken. Aber, wie sie im Bericht selbst sagt (siehe Bild), es geht nicht um Fakten, „es ist eine Schlacht der Worte“.

Traurig hinterlässt mich nach neunzig Minuten, dass es ausgerechnet den sonst so sympathischen Sender ARTE-tv erwischt hat.