Hydranten statt Brandmauern?

Verzichten wir auf Brandmauern zwischen den Häusern und stellen statt dessen vor jedes Haus einen Hydranten! Dies streben grosse Banken hinter den Kulissen seit Jahren an: Möglichst wenig Eigenmittel (Brandmauern), aber unbeschränkte Liquiditätsgarantien (Hydranten). Heute stehen sie knapp vor dem Ziel — paradoxerweise, weil eine von ihnen falliert ist.

Beim Untergang der Credit Suisse gab die SNB Liquiditätszusagen gestützt auf Notrecht ab. Der Bundesrat möchte solche ungedeckte Hilfskredite an grosse Banken durch die Nationalbank mit Bundesgarantie (im Jargon der Bankenregulierung: Public Liquidity Backstop, PLB) künftig unter ordentlichem Recht ermöglichen. Egal, wenn die Feuerwehr ausrücken muss.

Der Hintergrund: Wenn die Kunden einer Bank ihr Geld abholen, hat diese bald keine liquiden Mittel mehr, steht also mit leerer Kasse da. Dann kann sie bei der SNB noch Notkredite gegen Deckung erbitten. Wenn sie aber nichts mehr besitzt, was die SNB mit halbwegs gutem Gewissen belehnen kann, dürfte – gemäss Vorlage — die Nationalbank der klammen Bank trotzdem nochmals Geld leihen, und zwar blanko, falls im Hintergrund der Bund bürgt. Daher: Public (SNB und Bund) +  Liquidity (es gibt Geld) + Backstop (das Auffangnetz hinter dem Werfer beim Baseball).

Die vom Bundesrat zur Umsetzung des PLB erarbeitete Vorlage weist gravierende Schwächen auf und sollte nicht vorschnell umgesetzt werden. Die Gründe:

  1. Die Vorlage ist – zusammen mit den aus der CS-Krise noch bestehenden Bestimmungen – viel zu komplex. Für Nicht-Spezialisten sind die konzeptionellen Schwächen kaum erkennbar. Die geplante Trennung der Vorlage von der geplanten umfassenderen Revision der TBTF-Bestimmungen verhindert eine Regulierung „aus einem Guss“.
  2. Der PLB subventioniert die systemrelevanten Organisationen (UBS, Raiffeisen Gruppe, Zürcher Kantonalbank und PostFinance) gegenüber den kleineren Banken wie z.B. den Regionalbanken. Die vorgesehene Abgeltung (Versicherungsprämie) ist zu tief. Sie ist geringer als die Abgeltung für die Staatsgarantie, welche die Kantonalbanken ihren Kantonen zahlen (zusätzlich zur Erfüllung des Leistungsauftrags und zur Dividende!). Zudem ist die Abgeltung an die Kantone ohnehin schon eher tief gemessen an den statistischen Erfahrungswerten zu Verlusten der Kantonalbanken.
  3. Ein Konkursprivileg für Kredite durch die SNB macht die bereits ziemlich komplizierte Hierarchie der Ansprüche von Einlegern, Träger der Einlagensicherung (esisuisse) und SNB durcheinander (hierzu nur ein Beispiel). Die daraus folgenden rechtlichen Komplikationen erschweren eine Sanierung oder geordnete Abwicklung einer Bank zusätzlich. 
  4. Der PLB bringt schafft (entgegen der Behauptung in der Vorlage des Bundesrates) kein zusätzliches Vertrauen der Fremdkapitalgeber, im Gegenteil. Beruhigend wirkt Liquiditätshilfe durch die SNB nur, wenn die Solvenz der Bank ausser Zweifel steht, wenn also die Einleger bloss Angst voreinander haben. Bei zweifelhafter Solvenz jedoch bleibt für die letzten Einleger weniger übrig, wenn andere ihre Guthaben dank der Liquiditätshilfe durch die SNB zurückziehen. Ein sofortiger Rückzug (Bank Run) bei angebotener Liquiditätshilfe ist also rational.
  5. Liquiditätshilfe durch die SNB untergräbt die Rolle der FINMA. Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) eines Unternehmens ist in der Regel ein Zeichen für Insolvenz (Überschuldung). Anders als die Insolvenz lässt sich Illiquidität nicht verstecken. Sie ist die Guillotine: Die Unternehmung muss in neue Hände kommen. Bei Banken ist die Guillotine jedoch sehr teuer, auch volkswirtschaftlich. Deshalb gibt es eine Bankenaufsicht, die rechtzeitig eingreifen soll, wenn die Solvenz gefährdet ist. (Zu) grosszügige Liquiditätshilfe durch die SNB ermöglicht es aber der FINMA, die Illusion der Solvenz aufrechtzuerhalten Beispiel CS). Hier liegt sogar ein Fehlanreiz vor: Die SNB darf Liquiditätshilfe gewähren, solange die FINMA die Solvenz der empfangenden Bank noch bescheinigt. Der PLB verschlimmert das Problem noch.
  6. Die an eine Liquiditätshilfe unter dem PLB obligatorisch zu knüpfenden Sanierungsmassnahmen sind nicht genügend spezifiziert. Da Liquiditätshilfe das Leben einer möglcherweise insolventen Bank verlängert, schafft dies eine Lücke in der Unternehmenskontrolle.
  7. Die Gewährung von ungedeckten Krediten mit Bundesgarantie ist ökonomisch gleichbedeutend wie eine Kreditgewährung der SNB an den Bund (und von diesem an die Bank). Ob dies eine illegale Staatsfinanzierung (Art. 11 Abs. 2 NBG) darstellt, wäre mindestens genau zu prüfen.
  8. Unklar ist (mindestens für den Ökonomen), ob die vorgesehenen Bestimmungen (Art. 51a) nur die vergangene Kreditgewährung betreffen (wodurch sie überflüssig wären) oder auch eine Verpflichtung des Bundes zu künftiger Hilfeleistung enthalten (wesfalls sie gestrichen gehörten).

Trotz all dieser Mängel wurde die Vorlage des Bundesrates in der Vernehmlassung relativ positiv aufgenommen. Klar ist, dass die Bankiervereinigung, de facto das Sprachrohr der Grossbanken, das Geschenk des Bundes gerne annehmen möchte. Auch Economiesuisse findet den PLB eine gute Sache. Vielleicht hofft sie, irgendwann bekämen alle Schweizer Unternehmen im Krisenfall Bundesgarantie für Notkredite. Sogar der Kantonalbankenverband ist für den PLB, obwohl nur ein einziges seiner Mitglieder (die ZKB) von ihm profitieren kann — und ihn gar nicht braucht, da die Bank bereits von Gesetztes wegen Staatsgarantie geniesst. Das Kuriosum wird von Letti Robin (UniFR) analysiert. Der Regionalbankenverband schliesslich mag nicht gegen den PLB ankämpfen, sondern argumentiert, der PLB müsse auch den bisher ausgeschlossenen 98 Prozent der Schweizer Banken offenstehen.

Aus neutraler Warte wurde die Vorlage kaum kommentiert — sie ist schlicht zu kompliziert. Eine vorsichtig kritische Stimme erhob Christoph Schmutz in der NZZ. Schärfere Kritik kam von von Alexandra Janssen (Ecofin) und Adriel Jost und Corinne Zellweger-Gutknecht (UniSG/UniBa). Aymo Brunetti (UniBe) befürwortet zwar einen PLB, hält aber die vorgesehene Abgeltung für viel zu gering angesichts der Risiken für den Steuerzahler.

Fazit: Stop dem Back-Stop! Der Gesetzgeber täte gut daran, den PLB trotz Applaus durch die Banken nicht einfach durchzuwinken, sondern nochmals genauer anzusehen. Notwendig wäre mindestens eine Abstimmung zwischen Regeln zur Liquiditätshilfe und einer neuen TBTF-Regulierung. Auf Deutsch: Wieviel Brandmauer braucht es für ein Anrecht auf einen Hydranten?

Die Eigenmittel-Leugner

Die UBS braucht anscheinend Hilfe. Nicht finanziell, aber intellektuell. Jamie Dimon, der Chef der gemäss NZZ „mächtigsten Bank der Welt“ (J.P. Morgan), unterstützt die UBS in ihrer Behauptung, die grossen Banken bräuchten kein zusätzliches Kapital: Der „Hyperfokus auf das Kapital und auch auf die Governance ist fehlgeleitet.“

Schon in einem früheren Interview geisselte er Eigenmittelanforderungen als unamerikanisch. Klingt in meinen Ohren nicht nach einer sehr wissenschaftlichen Begründung. Aber sind solide Eigenmittel, d.h. ein gutes Polster gegen die eingegangenen Risiken, auch unschweizerisch?

Jede Schweizer Familie, die ein Eigenheim erwarben möchte, und jeder Gewerbebetrieb, der Kredit braucht, hört bei der Bank als erstes die Frage: „Wieviel eigene Mittel können Sie einbringen?“ Bei der Hypothek aufs Eigenheim sind gewöhnlich 20 Prozent das Minimum. Dabei ist die Hypothek erst noch gesichert durch das verpfändete Eigenheim. Das Risiko für die Bank ist also relativ gering. Trotzdem verlangt sie 20 Prozent Eigenmittel.

Im Gegensatz dazu sind die Schulden der Banken zu einem grossen Teil ungedeckt. Nur ein kleiner Teil der Einlagen bei der UBS sind durch die Einlagensicherung gedeckt. Die Risiken für die Bankgläubiger sind also höher. Und da sollen Eigenmittel plötzlich Luxus sein?

Als vermeintlichen Beweis für die Nutzlosigkeit höherer Eigenmittel dient die Behauptung, die CS sei nicht wegen fehlender Eigenmittel untergegangen, sondern wegen fehlender Liquidität, d.h. dem panikartigen Rückzug durch die Gläubiger. Vordergründig richtig, aber: Eigenmittel sind eben gerade dazu da, Vertrauen zu schaffen. Wenn die Einleger wissen, dass Substanz da ist, brauchen sie keine Angst zu haben. Aber wenn die FINMA behauptet, die Eigenmittel seien intakt, wenn sie dies bei professioneller, zukunftsgerichteter Betrachtung nicht sind, laufen die Einleger zu Recht davon.

Ohne die Aussicht auf Liquiditätshilfe durch die Notenbank und Rettung durch den Bund, bräuchten die Banken wie früher Eigenmittel von 50 Prozent ihrer Bilanz. Aber mit dem Staat in Geiselhaft kann man gut von Hyperfokus auf den Eigenmitteln reden.

Auf die Frage des Interviewers, wie er denn die Banken regulieren würde, antwortete Jamie Dimon:

Auch grosse Banken müssen scheitern können, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Es ist machbar. Aber nicht so, wie wir es momentan angehen. Wir fügen nur weitere Schichten von Regeln und Vorschriften und Kapital hinzu. Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass sie nicht den Preis dafür zahlen muss, wenn eine Bank versagt.

Das ist, mit Verlaub, warme Luft. Und sie riecht nicht besonders gut.

CS-PUK mit Klartext

Gemäss Bericht der Medien — hier im Tages-Anzeiger — hat die PUK in einem Zwischenbericht zum Fall CS ein kollektives Versagen von FINMA, SNB und Finanzdepartement bestätigt. Die Behörden hätten die notwendigen Entscheidungen so lange hinausgezögert, bis kaum mehr eine andere Lösung als die Zwangsübernahme durch die UBS nötig war. Die PUK bestätigt damit die vernichtende Kritik internationaler Gremien.

Zusammen mit anderen Ökonomen habe ich die Behörden ebenfalls von Anfang an für die gewählte „Lösung“ kritisiert. Triumphgefühle kommen trotz der Bestätigung durch die PUK keine auf. Erstens ändert deren Zwischenfazit nichts am unglücklichen Ergebnis der für die Schweiz zu grossen Bank. Zweitens darf ich mich an der eigenen Nase nehmen.

Die versteckte Wurzel des Problems — die Aufgabenteilung zwischen FINMA und SNB — übersah ich selber auch: Die FINMA prüft die Solvenz einer Bank (d.h. diese muss mehr Guthaben aufweisen als Schulden) und die SNB hilft einer Bank mit Liquidität (d.h. Hilfskrediten), wenn diese — trotz grundsätzlicher Solvenz — kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten gerät.

Eine scheinbar logische und saubere Aufgabenteilung. Was ich dabei selber übersah (Tagesgespräch bei Radio DRS vom 17.3.2023): Die Aufgabenteilung gibt der FINMA einen Anreiz, einer Bank die Solvenz zu bescheinigen, auch wenn diese bereits sehr fraglich ist. Die FINMA interveniert nämlich nicht gern gegen grosse Banken. Und solange die SNB noch Liquiditätshilfe gibt, kann die FINMA noch zuwarten und hoffen. Geschehen im Herbst 2023, als die SNB (gemäss Cash) auf eine Verstaatlichung der CS drängte, derweil die FINMA und die CS-Spitze ein Weiterwursteln mit Liquiditätshilfe durch die SNB durchsetzen. Ich hoffe, dass bei der Diskussion des PUK-Zwischenberichts dieser Fehlanreiz nicht übersehen bleibt.

Financial Stability Board (FSB) blamiert Bundesrat

Urs Birchler

Der Bundesrat “löste” das CS-Problem im vergangenen März mit Gewalt – gegenüber der Credit Suisse, der UBS und de facto gegenüber der SNB. Den vorgesehenen Instrumenten des Bankengesetzes zog er Notrecht vor. Solches erfordert starke Gründe. Die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente hat jetzt das Financial Stability Board (FSB) in einem Bericht untersucht.

Das FSB ist das von den Behörden der G20-Länder getragene internationale Expertengremium zum Thema Finanzstabilität. Es ist das Dach-Gremium zu spezialisierteren Gremien wie dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Banken), IOSSCO (Versicherungen) u.a. Im FSB ist auch die Schweiz vertreten (aktuell mit Staatssekretärin Daniela Stoffel und Notenbankpräsident Thomas Jordan).

Das FSB als Behördenorganisation formuliert seine Berichte mit Bedacht. Auch der 35-seitige Bericht zur Behandlung der CS und anderer fallierter Banken ist sorgfältig abgefasst. Umso erstaunlicher die Aussagen: Die Kritik an der Entscheidung des Bundesrates klingt – entfernt man die übliche Watte der Diplomatie – vernichtend. 

Doch vorab zum Hintergrund: Wenn eine Bank ihre Probleme nicht mehr aus eigener Kraft lösen kann, wie die CS im März 2023, gibt es im Prinzip drei Lösungen (die bei einer Aufteilung der Bank auch kombiniert werden können) :

  • Modell “Götti”: Jemand (UBS, Bund) kauft die Bank samt ihren Problemen.
  • Modell “Resolution”: Die Bank wird saniert.
    a) mittels Rückschnitt von Ansprüchen der Aktionäre und der Gläubiger (bail in)
    b) mittels Zufuhr neuer Mittel, notfalls durch den Staat (bail out)
  • Modell “Konkurs”: Die Bank wird liquidiert.

Der Bundesrat behauptete, das Modell Resolution – verbunden mit einer allfälligen (Teil-)Verstaatlichung sei nicht in Frage gekommen. Warum nicht? 

Die zuständige Finanzministerin (frisch im Amt) liess am Wochenende der Notlösung über ihren gemäss NZZ gut informierten Parteipräsidenten im Tages-Anzeiger verlauten, der Grund sei Druck aus dem Ausland gewesen. Später argumentierte der Bund:

  1. Das Vertrauen in die CS sei unwiederbringlich zerstört gewesen. 
  2. “dass eine Sanierung einer global systemrelevanten Grossbank und ein Bail-In im aktuellen Marktumfeld zu massiven Verwerfungen geführt hätte”.
  3. “Der Konkurs der Finanzgruppe unter Aktivierung des Schweizer Notfallplanes zur Fort- führung insbesondere der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz hätte mit [an] Sicherheit grenzender Wahrsch[e]inlichkeit in der aktuellen Lage erst recht zu einer massiven Destabilisierung der Märkte geführt.”

Ziemlich vage verwirft das Eidg. Finanzdepartements EFD auf der FAQ-Seite zur Credit Suisse die Möglichkeit einer geordneten Resolution mit Hinweis auf internationale und nationale Risiken. Eine (Teil-)Verstaatlichung wurde offenbar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen (und auch nicht den Kosten des TBTF-Status der Kombi-UBS gegenübergestellt), sobald am Horizont die Gotte UBS auftauchte.

Das Hauptargument des Bundesrates lautete zusammengefasst: Das vorhandene, in den vergangenen Jahren schrittweise ausgebaute, gesetzliche Instrumentarium des Modells „Resolution” war nicht anwendbar. 

Schon die FINMA teilte diese Auffassung in ihrem Recovery and Resolution Report per Ende 2022 (publiziert kurz nach der CS-“Rettung”) nicht: Beide Grossbanken erhielten in allen drei Kategorien (Recovery plan, Swiss emergency plan, Institution resolvability) die Note „grün“. Dennoch sah der Bundesrat rot.

Das Financial Stability Board verwirft nun die Argumentation des Bundesrates in ihrer Gänze. Eine Umsetzung der von der FINMA – in Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bis hin zu asiatischen Aufsehern – vorbereiteten Resolutions-Pläne wäre möglich gewesen (S. 11). Die FINMA sei auch bereit gewesen, diese Pläne umzusetzen, sollte die Übernahme-Lösung scheitern. Im Wortlaut:

Some have suggested that … the resolution framework is not workable. However, the FSB’s review does not support that conclusion. As indicated above, a resolution was ready to be implemented that weekend. (S. 11)

Dass ein internationales Gremium dies in aller Deutlichkeit sagt, zeigt zweierlei: Erstens war der “internationale Druck” in Richtung der vom Bundesrat gewählten Lösung wohl eher eingebildet. Und zweitens sind die vom Bundesrat vorgebrachten Argumente zugunsten dieser Lösung, finanztechnisch gesprochen, Nonvaleurs. Langfristig, so sei angefügt, ziemlich teure.

Znacht mit Nobelpreisträger

Urs Birchler

Mit den heute gekrönten Wirtschaftsnobelisten habe ich je schon einmal ein Nachtessen bestritten und war nachher beide Mal nudelfertig. Mit Bengt Holmström (in grösserer Ökonomen-Tischrunde des Studienzentrims Gerzensee) bewegte sich das Gespräch auf einer Reiseflughöhe und in einer Geschwindigkeit, dass mir schwindlig wurde.
Noch schlimmer war es mit Oliver Hart (zu zweit ). Er ist ein derart interessierter Geist, dass er mich vom ersten Satz an ausfragte über die Schweiz, von Initiative und Referendum bis zur (Nicht-)Handelbarkeit von Milchkontingenten und Alprechten. Erst in diesem Gespräch wurde mir bewusst, wie oberflächlich ich mich in vielem auskannte und was intellektuelle Neugier bedeutet.

Oliver Hart hatte ich damals (1999) eingeladen als Referent in einem gemeinsamen Seminar von SNB und FINMA (damals EBK) zum Thema Bankenkonkursrecht. Hart hatte mit Lucien Bebchuk ein Konkursverfahren erfunden, welches den Wert der zu liquidierenden Unternehmung maximiert und die Anspruchsberechtigten fair behandelt. Wir waren damals überzeugt, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken so etwas brauchte. Eine vereinfachte Version floss dann schrittweise tatsächlich ins Bankengesetz ein und wird heute als „bail-in“ (Gläubigerbeteiligung an den Verlusten) international hoch gehandelt.

Als ich Oliver Hart Jahre später wieder traf, berichtete ich ihm stolz, wir hätten seinen Vorschlag immerhin teilweise umgesetzt. Doch liess ihn dies völlig kalt; er hatte seine Neugier längst auf neue Fragen gerichtet.

Immerhin haben wir Oliver Hart in den Artikeln 31ff. des Bankengesetzes ein „lebendes“ Denkmal gesetzt. Lange vor dem Nobelpreiskomittee.

Ich bin auch eine Geldwäscherin

Monika Bütler

Als Vorbereitung für einen Forschungsaufenthalt im Ausland habe ich die Konti bei zwei Kreditkarten etwas gefüllt. Heute erhalte ich folgende Meldung:

Sehr geehrte Frau Bütler

Vielen Dank für Ihre Einkäufe mit der XYZ Card.

Bei einer internen Prüfung haben wir festgestellt, dass Sie ein Guthaben von CHF 3400.35 auf Ihrem Konto haben. Gemäss Vorgaben des Bundesgesetzes über Banken und Sparkassen sowie der Finanzmarktaufsicht (FINMA) dürfen keine Kundenguthaben > CHF 3000 verwaltet werden.

usw. Der nette Herr bei der XYZ Card hat mir dann am Telefon bestätigt, dass es sich um eine Massnahme zur Vermeidung von Geldwäscherei handelt. Und dass es für mich ja vorteilhalt sei, die Gelder zurückzuerhalten. Schliesslich würde XYZ Card keinen Zins bezahlen. Schon wieder etwas gelernt. Schön, dass sich die FINMA auch um die Kleinen kümmert. Mit den Zinserträgen der zurückbezahlten CHF 400.35 kann ich allerdings selbst im billigsten Land der Erde nichts kaufen.

Bankensanierung: EU übernimmt Schweizer Recht

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die EU-Finanzminister auf ein „bail-in“-System der Bankenabwicklung geeinigt: Bei der Sanierung einer maroden Bank sollen zuerst die Aktionäre, dann die unversicherten Gläubiger (und erst zuallerletzt die Steuerzahler) die Verluste tragen. Die versicherten Einlagen hingegen sind garantiert.

Damit übernimmt die EU eine Systemarchitektur, die in der Schweiz im Kern seit 2003 in Kraft ist und im Zuge der Finanzkrise noch präzisiert wurde. Wer weiss, wird die EU früher oder später auch das schweizerische Konkursprivileg für versicherte Bankeinlagen übernehmen, da ohne dieses die Versicherung viel zu riskant ist.

Gute Nachricht also für Europa (und schlechte Nachricht für Bankaktionäre und -Gläubiger in einigen Ländern). Allerdings: Die Blaupause muss erst noch in Kraft treten und national umgesetzt werden. Und bei der Umsetzung muss die Architektur nicht nur im Grossen stimmen, sondern auch in den Details. Beispielsweise muss verhindert werden, dass Banken die Schulden, die für den Bail-in vorgesehen sind, nicht einfach durch Pfand sicheren, wodurch das Konzept unterlaufen würde.

Gute Nachricht auch für jene Kritiker, die meinen, die Ökonomen seien bestenfalls unnütz: Das Konzept des Bail-in wurde entwickelt von Ökonomen wie Oliver Hart oder Lucian Bebchuck und später unterstützt von den Mitgliedern der Squam Lake Group.

Dazu noch eine Reminiszenz: In den späten 1990er Jahren organisierte ich ein gemeinsames SNB/EBK(FINMA)-Seminar zur Insolvenzbehebung mit Oliver Hart. Seine Vorschläge stiessen (ausser bei militanten Ökonomen) auf solide Skepsis: „Man kann doch eine insolvente Bank gar nicht sanieren!“ Man kann, und im Bankengesetz Version 2003 war das Konzept schüchtern umgesetzt. Stolz schrieb ich an Oliver Hart: „We did it!“ Doch liess ihn dies völlig kalt; er war längst zu neuen intellektuellen Ufern aufgebrochen.

So ist es mit dem Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis: Die Praxis-Nachhut hinkt irgendwo hinterher, die Theorie-Vorhut ist bereits fast ausser Hörweite voraus, und der weltverbessernde Brückenbauer steht dumm dazwischen. Bis dann Jahre und Jahrzehnt später plötzlich alles aussieht, als wär’s schon immer klar gewesen.

Kassandra Helvetica

Urs Birchler

Kassandra erhielt von Apollo die Gabe der Weissagung, aber (weil sie sich von ihm nicht verführen liess) auch den Fluch, dass sie nie Gehör finden sollte. An sie habe ich bei der Lektüre der Meldungen von diesem Wochenende dreimal gedacht:

  • Bundesanwalt Lauber fordert laut Presse eine „Superbehörde“, die früh vor Gefahren für den Finanzplatz warnen soll.
  • Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt vor der Gefahr steigender Zinssätze, vor der miserablem Finanzlage der Staaten und vor den nach wie vor knappen Eigenmittelpolstern der Banken
  • Schweizer Grossbanken haben gemäss Stabilitätsbericht der SNB Kapitalpolster gemessen an der Bilanz von 2,3 Prozent.

Wie hängen die drei Meldungen zusammen? Bundesanwalt Lauber möchte eine Warnerin, die endlich einmal Klartext spricht. Nur: Wenn jemand Klartext spricht (wie seinerzeit Hans Bär), hört niemand zu (ehrlich gesagt: bei Jean Ziegler hatte auch ich stets Ohropax griffbereit). Jene Instanz, denen die Banken von Gesetzes wegen zuhören müssen, die FINMA, darf keinen Klartext sprechen, sonst endet sie in Teufels Küche. Und dann gibt es die Halb-Kassandras wie die BIZ und die SNB, deren hervorragende und diplomatische Berichte man mit viel Respekt liest, dann aber beiseite legt in der Hoffnung, es komme schon nicht alles so schlimm. Schliesslich die Anti-Kassandras (sie gibt es auch unter den Ökonomen), die lieber im Glanze Apollos stehen, statt den Menschen erfolglos auf die Nerven zu gehen.

Eine Instanz, die gleichzeitig so eingebettet ist, dass sie Vertrauen geniesst, und so unabhängig (auch mental), dass sie drohendes Unheil kompromisslos benennt — die müssten wir uns erst verdienen.

KapitAlchemie

Urs Birchler

Die Grossbanken und jetzt auch die ZKB verkaufen ihre Bankliegenschaften, gemäss Pressekommentaren mindestens zum Teil in der Absicht, ihre Eigenmittelquote aufzubessern. Falls dem so sein sollte: Der Umtausch von Liegenschaften in Geld macht die Banken nicht reicher. Echtes Kapital entsteht dabei nicht. Sicherer werden die Banken auch nicht: Mit Bargeld kann man eher Fehler machen als mit einer Liegenschaft an der Bahnhofstrasse.

Wenn verkaufte Liegenschaften in der Bilanz unter ihrem Wert standen, verbessert sich allenfalls die regulatorisch gemessene Eigenmittelquote. Die Vorschrift, bzw. deren Absicht, wird dabei umgangen — in braver Kollusion der Banken und der FINMA.

Ist die Finma zuständig für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes?

Urs Birchler

Die Frage im Titel sorgt immer wieder für rote Köpfe zwischen FINMA (nein) und Bankenvertretern (ja). Die Weltwoche behauptet in der neuesten Ausgabe, die restriktive Auffassung der FINMA sei „nachweislich falsch“; im Gesetz stehe nämlich, die FINMA habe „zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz“ beizutragen.

Wir haben im Gesetz nachgeschlagen, konkret im Finanzmarktaufsichtsgesetz (FINMAG). Dort heisst der zitierte Artikel 5 im vollen Wortlaut: „Die Finanzmarktaufsicht bezweckt … den Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger, der Versicherten sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Sie trägt damit zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz bei.“ Entscheidend ist das von der Weltwoche verschwiegene Wörtchen „damit“.

Kaum „nachweislich falsch“ scheint daher die Auffassung der FINMA): „Der Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes ist nicht Ziel, sondern erhoffte und erwünschte Wirkung der Aufsichtstätigkeit.“ Soweit Konflikte zwischen Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit entstehen, greift übrigens FINMAG Art. 7 Platz („Sie reguliert nur, soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nötig ist. Dabei berücksichtigt sie insbesondere … wie sich die Regulierung auf den Wettbewerb, die Innovationsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz auswirkt).

Ironischerweise sagt allerdings die Botschaft des Bundesrates zum FINMAG im Kommentar zu Artikel 5: „Der Schutz von Gläubigerinnen und Gläubigern, Anlegerinnen und Anlegern sowie der Versicherten vor Insolvenzrisiken wird am wirksamsten gewährleistet, wenn die Finanzintermediärinnen und -intermediäre wettbewerbsfähig sind.“ Stabilität ist damit nicht Ursache, sondern Folge der Wettbewerbsfähigkeit.

Kein Wunder erhielt die Schweiz vom Financial Stability Board (gestützt auf die Überprüfung der Schweiz im Rahmen des das Financial Assessment Programm des IWF) hier eine Hausaufgabe: Peer Review of Switzerland vom 25 Januar 2012, S. 34: „Review the provisions of the draft FINMA Act to avoid provisions that might limit FINMA’s operational independence and prudential powers.“ Konkret (S. 20; ähnlich S. 6): „the concerns expressed in the FSAP surrounding FINMA’s operational independence, particularly with respect to the competitiveness clause, remain unresolved since the relevant provisions in the FINMA Act have not been revised.“

Kurz und gut: Die internationalen Gremien stützen die Haltung der FINMA, möchten die gesetzliche Grundlage aber gefestigt sehen. Ebenfalls auf eine Gesetzesänderung, wenngleich in umgekehrter Richtung, zielt die Interpellation Lüscher. Einstweilen hilft uns nur der gegenseitige Respekt zwischen Banken und Behörden für ihre jeweiligen Aufgaben und Zielsetzungen. Artikel, welche die Sachlage verdrehen, helfen eher nicht.