FINMA, Fuss!

Urs Birchler

Trockener kann ein Staatsstreich nicht mehr daherkommen. Im Telegrammstil: Der Nationalrat unterstützt Vorschläge, wonach der Finanzwachhund FINMA enger an die Kette des Parlaments (oder gar des Finanzdepartements) zu nehmen sei. Hintergrund: Die FINMA übt selber fast gesetzgeberische Funktionen aus, indem sie die durch Verfassung und Gesetzgebung vorgegebene Linie mittels zahlreicher Rundschreiben präzisiert. Sie tut dies in Eigenregie, ohne obrigkeitliche Kontrolle (die Betroffenen können allerdings ein Rundschreiben anfechten). Dabei sind Rundschreiben zunehmend kompliziert, was Banken und andere Finanzmarktteilnehmer nervt.

Geschossen wird aus verschiedenen Rohren:

Die Parlamentarier wollen der FINMA offenbar den Schneid beim Erlass von Rundschreiben abkaufen, jedenfalls von solchen, „die weiter gehen als das, was das Parlament beschlossen hat“.

Zu den Fakten: Die FINMA veröffentlicht rund ein halbes Dutzend Rundschreiben pro Jahr. Wer noch nie eines gesehen hat, möge zum Beispiel das jüngste besichtigen: Risikoverteilung — Banken. Es geht tatsächlich ins Detail. Beispiel: Wann sind zwei Gegenparteien verbunden, d.h. bei der Risikobeurteilung als eine Partei zu betrachten? Nur — die Frage stellt sich halt. Und ist halt knifflig. [Selbsttest für Leser(innen): Wie würden Sie Abhängigkeit definieren? Erst dann einen Blick aufs Rundschreiben werfen. Ich garantiere: Sie werden verblüfft sein, woran man alles denken muss.]

Die FINMA sieht, anders als manchmal die Unterstellten, die Rundschreiben nicht als Folterinstrument, sondern als Form der Selbstbindung: Sie

bezwecken eine einheitliche und sachgerechte Praxis der Aufsichtsbehörde bei der Anwendung der Finanzmarktgesetzgebung. FINMA-Rundschreiben konkretisieren offene, unbestimmte Rechtsnormen und beinhalten Vorgaben für die Ermessensausübung.

Im übrigen ist die FINMA längst nicht die einzige Quelle detailversessener Rundschreiben. Ihre Schwesterbehörde im Verkehrswesen beispielsweise, das Bundesamt für Verkehr (BAV), erlässt ebenfalls Rundschreiben und Richtlinien. Darin geregelt sind neben zahllosen technischen Details wie das Profil von Zahnrädern auch die Schriftgrössen auf Stationsbeschilderungen, die (minimale) Lautstärke von Lautsprechern oder die Liste und Grenzwerte der den Lokomotivführer(inne)n verbotenen Substanzen (inkl. Normen für die Gläser zur Entnahme von Urinproben). Dass das BAV dem UVEK, also einem Departement, untersteht, während die FINMA vom EFD weitgehend (nicht aber finanziell!) unabhängig ist, macht offenbar beim Detaillierungsgrad keinen grossen Unterschied. Die Gemeinsamkeit ist: Die Welt ist kompliziert geworden und mit ihr die Spielregeln.

Das Parlament liebäugelt jedoch mit einer „Reprise en main“ auf Kosten der Unabhängigkeit der FINMA. Dabei haben der IWF in seinem letzten Länderexamen der Schweiz (2012) und das Financial Stability Board (2014) gerade punkto (ungenügender) Unabhängigkeit der FINMA einen Tolggen im Schweizer Reinheft gefunden und den Bundesrat (nicht die FINMA) für die schlechte Formulierung im Gesetz kritisiert.

Warum jetzt den Wachhund trotzdem an die kurz Leine nehmen? Nicht — was ich verstehen könnte — weil er bei den Grossen eher bellt, bei den Kleinen eher beisst. Mein Verdacht ist ein anderer: Im Hintergrund wirkt die fehlgeleitete Überzeugung einzelner Politiker, wonach die FINMA für die Konkurrenzfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz zuständig sei. Erhellend ist die vom Tages-Anzeiger NR Martin Landolt zugeschriebene Aussage, „die Finma lobbyiere [z.B. im Basler Ausschuss] international hinter ihrem [der Grossbanken] Rücken für härtere Bankenregeln“. Hier ging bei mir der Aalarm los. Ich habe jahrelang miterlebt, wie die ausländischen Aufseher im Basler Ausschuss zwar vordergründig für strengere Auflagen, aber mit deutlich mehr Ehrgeiz (und mildem Lächeln für die prüden Schweizer) für eine Sonderbehandlung ihrer einheimischen Banken gekämpft haben. Herausgekommen ist der faule Kompromiss namens Basel 2, der die Finanzkrise mindestens nicht verhindert hat. „Hinter dem Rücken der Banken“ gefällt mir schon als Formulierung hervorragend: Einzelne Politiker verstehen offenbar die FINMA als rechenschaftspflichtig gegenüber den Banken, d.h. als Schosshund, nicht als Wachhund.

Anstatt die FINMA zurückzupfeifen, könnte das Parlament dem Lande (und den Banken) einen anderen Dienst erweisen: Anständig zu legiferieren (dann bräuchte es auch weniger Rundschreiben) und uns künftig mit gesetzgeberischen Bastelarbeiten wie dem (wievielten jetzt?) Entwurf zum FIDLEG zu verschonen.

Das Ende der Banken: Replik

Urs Birchler

Auf meinen gestrigen Beitrag zu Das Ende der Banken habe ich einen längeren Kommentar der Autoren bekommen, der es verdient, hier anstatt nur versteckt als Kommentar, publiziert zu werden. Ich möchte aber die Kontroverse nicht hier und jetzt weiterführen, in der Annahme, es gäbe dazu künftig noch Gelegenheit.

Sehr geehrter Herr Birchler,

Wir freuen uns sehr, dass Sie «Das Ende der Banken» gelesen und unsere Argumentation als geradlinig und überzeugend empfunden haben. Gerne nehmen wir den Ball auf und stellen uns Ihren Kritikpunkten.

Uns lag in der Tat viel daran, unseren Standpunkt so präzise und klar wie möglich darzulegen. Und wir sind froh, dass Sie unser Bestreben hier erkennen. Deshalb waren wir auch etwas irritiert, dass unsere Vorschläge mit «Kastration» oder gar Totschlag bezeichnet werden. Im Grunde ist unser Buch ja lediglich eine nüchterne ökonomische Analyse mit dem folgenden Kern:

Das Bankenwesen hat uns im Industriezeitalter gute Dienste geleistet. Es überbrückte die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern und war damit unerlässlich für ein florierendes Kreditwesen. Aber das Bankenwesen war schon immer fragil (Stichwort: bank run). Nur dank einem ausgeklügelten System von Zentralbanken, Einlagesicherungen, Staatsgarantien und Bankenregulierungen konnten die systemischen Risiken im Griff gehalten werden.

Die digitale Revolution hat dieses System dann untergraben. Die Bankenregulierung erwies sich ab den 1970er Jahren zunehmend als zahnlos. Ausserhalb des Sichtfelds vom Regulator konnte in den vergangenen Jahrzehnten das digitalisierte Bankenwesen unkontrolliert Geld und Kredit schöpfen – mit verheerenden Folgen.

Wir sind überzeugt:
Die systemischen Risiken des Bankenwesens können im digitalen Zeitalter nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden. Der Regulierungsansatz aus dem industriellen Zeitalter funktioniert nicht mehr.

Wir sind aber auch überzeugt:
Die digitale Revolution ermöglicht neue Wege, die divergierenden Interessen von Schuldnern und Gläubigern zu überbrücken. Diese neuen Möglichkeiten sind dezentral, transparent und funktionieren ohne das Bankenwesen.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist klar:
Wir haben die Kontrolle über das Bankenwesen verloren, benötigen es jedoch auch nicht mehr. Es ist deshalb an der Zeit, den bisherigen Regulierungsansatz fundamental zu überdenken.

Hier geht es weder um «Kastration», noch wollen wir etwas «umbringen», wie Sie etwas pointiert in Ihrem Beitrag festhalten. Nein, als liberale Ökonomen glauben wir vielmehr, dass transparente und faire Märkte eine positive Kraft für unsere Gesellschaft sind. Jedem freiheitlich denkenden Menschen ist zum Heulen zumute, wenn er oder sie das aktuelle Finanzwesen mit den gewaltigen Risk- und Compliance-Abteilungen und gleichzeitig boomender «regulatory arbitrage» sieht.

Im Kern geht es in «Das Ende der Banken» also darum, dass freiheitliche und marktorientierte Regeln auch wieder für das Finanzsystem gelten können. All unsere Vorschläge sind an diesen liberalen Prinzipien ausgerichtet – und ja, das ist im Kontext der aktuellen Debatte um das Bankenwesen in der Tat «knüppeldick».

Nun sind wir natürlich sehr gespannt auf Gegenargumente, welche wir nicht berücksichtigt haben. Wir haben redlich versucht, alle wichtigen Einwände bereits im Buch vorwegzunehmen und zu diskutieren – an dieser Stelle sei auf den ganzen Abschnitt der Besprechung von Professor Tobias Straumann hingewiesen, aus dem Sie den letzten Nebensatz zitiert haben:

«Die Autoren verzichten auf eine Diskussion über die Realisierbarkeit ihres Vorschlags. Ihr einziger Anspruch ist es, zu zeigen, dass ein Finanzsystem ohne Banken «sowohl erstrebenswert als auch möglich» sei. Dies ist ihnen vorzüglich gelungen, auch wenn ihre Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird.»

Wir sehen ein, dass unsere Kritik an der derzeitigen Finanzarchitektur nicht auf ungeteilte Zustimmung stösst. Doch das Problem an der Wurzel zu packen scheint uns immer noch besser, als Tausende weitere Seiten an Bankenregulierungen zu erarbeiten, zu analysieren und zu implementieren. Denn – da sind wir uns sicher – diese Sisyphusarbeit wird uns nicht vor der nächsten Krise bewahren.

Mit freundlichen Grüssen,
Jonathan McMillan

P.S: Der «Staubsauger» ist die Liquiditätsprämie, und unsere Definition von Eigenmittel und Finanzanlagen sind in den elementaren Buchhaltungstechniken begründet. Falls diese Definitionen nicht halten würden, wären auch die Konzepte der beschränkten Haftung und der juristischen Personen nicht mehr haltbar.

Banken abschaffen?

Urs Birchler

Jetzt kommt’s knüppeldick. Heute ist das Buch Das Ende der Banken: Warum wir sie nicht brauchen (basierend auf einer englischen Version von 2014) erschienen. Der fiktive Autor Jonathan McMillan steht für ein Duo bestehend aus dem NZZ-Wirtschaftsredaktor Jürg Müller und einem anonymen Investmentbanker. Die NZZ hat bereits vor zwei Wochen als Primeur eine Besprechung durch Tobias Straumann abgedruckt.

Die Autoren gehen aufs Ganze. Sie wollen verbieten, dass finanzielle Anlagen durch Schulden finanziert werden. Beispiel: Wer einen Hypothekarkredit gewähren will, darf diesen nicht mit Spareinlagen oder Kassenobligationen finanzieren. Im Klartext: Die Banktätigkeit wird verboten. Finanzielle Investitionen dürfen nur noch durch Eigenmittel finanziert werden. Eine „Bank“ bräuchte also hundert Prozent Eigenmittel (ausser für irgendwelche nicht-finanziellen Anlagen wie z.B. ihr Gebäude), wodurch sie zu einem Anlagefonds würde. Als zweite — „systemische“ — Sicherung müsste eine Unternehmung stets solvent sein, d.h. ein bisschen mehr Vermögen haben als Schulden.

Während die Vollgeldinitiative verlangt, dass Banken Kredite nicht mit Einlagen finanzieren („kein Geld schöpfen“), gehen die Autoren einen Schritt weiter und verbieten die Kreditfinanzierung mit Schulden überhaupt, egal ob mit Lohnkonti oder zehnjährigen Obligationen. Grob gesprochen: Die Vollgeldinitiative will die Banken in ihrer Fähigkeit zur Geldschöpfung kastrieren; die beiden Autoren von Das Ende der Banken wollen die Banken umbringen.

Gemein ist beiden Vorschlägen die „zweite Säule“: Die Geldschöpfung — die nur noch durch die Nationalbank erfolgen kann — soll nicht in Form eines Ankaufs von Vermögen (der Währungsreserven) erfolgen. Die Autoren sind auch hier radikaler als die Vollgeldinitiative: Neu geschaffenes Geld soll die Nationalbank an die Bürgerinnen und Bürger überweisen (die Vollgeldinitiative erlaubt auch eine Auszahlung an Bund und Kantone). Der Vorschlag beinhaltet also ein bedingungsloses Einkommen (wie die Autoren betonen: nicht Grundeinkommen, da die jährliche Geldschöpfung der SNB zu einem solchen nicht ausreicht). Und damit niemand auf dem Geld sitzen bleibt, kommt eine Liquiditätsprämie (gemeint: -steuer) dazu; Bargeld, das man einer solchen Besteuerung zu leicht entziehen könnte, wird abgeschafft.

Die Autoren versprechen sich (und den Leserinen und Lesern) einiges: Ein Ende von Finanzkrisen; Wegfall der (unbestritten) komplizierten Bankenregulierung; der impliziten Staatsgarantie für Banken und daher Wegfall des moral hazard im Bankenbereich — kurz: „Stabilität, Produktivität und Verteilungsgerechtigkeit“. Ein (zu) schöne neue Welt?

Die Autoren sind zu loben für eine überaus lesbare, flüssig geschriebene Einführung in die ökonomische Rolle der Banken. Die Argumentation wirkt auch selten propagandistisch (ausser: „Unser Vorschlag ist einzigartig, weil er das Digitalzeitalter mit offenen Armen begrüsst“). Ich habe auch keine Behauptungen entdeckt, die mir geradewegs falsch vorkamen. Die Argumentation wirkt geradlinig und überzeugt — fast. Ihre Stärke ist nämlich gleichzeitig ihre grösste Schwäche: Gegenargumente werden gar nicht erwähnt, geschweige denn geprüft.

Beispiel 1: Eine Bankenverbot dürfte wohl mit Kosten verbunden sein. Banken sind nicht nur eine (gelegentliche) Quelle von Krisen, sie haben auch über Jahrhunderte die wirtschaftliche Entwicklung begleitet und unterstützt. Ob dies im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr der Fall sein soll oder aber noch effizienter stattfinden wird, scheint mir offen. Die Autoren beklagen denn auch, dass die Fintech-Pioniere zunehmend mit den Banken kooperieren oder verschmelzen.

Beispiel 2: Wenn die Nationalbank Geld direkt an die Bürgerinnen und Bürger verschenkt, mögen sich diese freuen. Wie aber kann die SNB den Geldumlauf wieder reduzieren, sollte dies notwendig sein? Sie hat zwar einen Helikopter, aus dem sie Geld abwerfen kann, aber keinen Staubsauger, mit dem sie es wieder zurückholen kann. Eine Geldpolitik, die Wechselkursschwankungen abfedern kann, würde als auch gleich abgeschafft. Da klingt das Lippenbekenntnis zugunsten einer „unabhängigen Geldpolitik“ etwas hohl.

Und wetten, dass wir mit der Notwendigkeit „Eigenmittel“ und „Finanzielle Anlagen“ zu definieren, rasch wieder in der bösen alten Welt der Detailregulierung landen würden?

Fazit: Das Ende der Banken propagiert eine Rosskur, die ohne klinische Tests und ohne Packungsbeilage zu den Nebenwirkungen daherkommt. Tobias Straumann dürfte richtig prognostiziert haben, dass „die Idee kaum auf ungeteilte Zustimmung stossen wird“.

Das Finanzsystem der Zukunft

Urs Birchler

Diese Woche war ich in Wien auf der Volkswirtschaftlichen Tagung der OeNB, durchgeführt gemeinsam mit SUERF. Vom Anlass — am besten umschrieben als europäisches Jacksonhole plus österreichische Gastfreundschaft — hier ein paar selektive Notizen. (Ausgenommen: Das nicht für die Berichterstattung gemeinte, informelle „Kamingespräch“ des österreichischen Finanzministers Hans-Jörg Schelling, moderiert von OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. Es war in Wien im übrigen auch ohne Feuer heiss genug.)

Portable Kundendaten: Die europäische Payments Directive wird an sensibler Stelle ins Finanzsystem eingreifen. Zahlungsdaten der Kunden werden portabel (Kunden werden ihre bei den Banken gespeicherte Transaktions-Geschichte Dritten öffnen können). Dies erlaubt Kunden und Händlern, Zahlungen direkt über Programmierschnittstellen (sogenannte APIs) abzuwickeln — unter Umgehung von, beispielsweise, Kreditkarten und die entsprechenden Gebühren. Näheres dazu und den möglichen Konsequenzen in der Präsentation von Patricia Jackson (Ernst&Young).

Smart Contracts: Selbstausführende Verträge sind zur Zeit der Hype. David Yermack (NY Stern School of Business) zeigte in seinem Beitrag, dass die Idee nicht ganz neu ist. Ein früher Anwendungsfall von „smart contracts“ ist der Selbstbedienungsautomat. Ferner benötigen smart contracts keineswegs eine blockchain, wie heute oft angenommen wird.

Blockchain: Ist die Blockchain vielleicht sogar eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Auch François R. Velde (Chicago Fed) versuchte in seinem Beitrag, die Erwartungen etwas zu dämpfen. Besonders schön: Sein Entscheidungs-Schema „Brauche ich eine Blockchain (und, wenn ja, was für eine)?“

Bargeld oder Cyber Money: Helmut Stix (OeNB) zeigte in seinem Referat, dass das schon halb totgesagte Bargeld sich anhaltender Beliebtheit erfreut. Die Möglichkeit, dass Notenbanken digitale Guthaben für jedermann anbieten können, erwähnte Paul Tucker (ex Bank of England) in einem eher vorsichtigen Beitrag.

Regulierung: Vor regulatorischer Ermüdung warnte Erkki Liikanen (Gov. Bank of Finland) in der SUERF Annual Lecture und argumentierte zugunsten einer gesamteuropäischen Einlagenversicherung als dritter, noch unvollständiger Säule der „Banking Union“. Ferner kündigte er eine Tagung zum Thema Shadow Banks an (Helsinki 14.-15. Sept. 2017).

Ich kann nur anregen, angesichts meines lückenhaften und einseitigen Berichts die Referate selbst anzusehen.

Der Coach als Schiedsrichter

Urs Birchler

Die NZZ berichtet heute unter dem Titel „Die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt“ über die seit 1989 bestehenden IMD-Rankings. Die gute Nachricht: Die Schweiz, neu auf Platz 2, hat sich verbessert. Die schlechte: Hong-Kong ist uns grad noch vor die Nase auf Platz 1 gekurvt. Wie haben die das bloss geschafft?

Einerseits betreibt Hong-Kong auch unter chinesischer Flagge eine wirtschaftsfreundliche Politik. Zudem haben aber die Hong-Kong-Chinesen auch die Spielregeln verstanden. Die NZZ berichtet nämlich:

Ein positives Echo finde[t] … die Tatsache, dass die Hongkonger Behörden das IMD ersucht haben, zusätzliche Massnahmen vorzuschlagen, um die Kompetitivität des Standortes weiter zu verbessern. Habe ich das richtig gelesen? Das IMD ist also einerseits Schiedsrichter im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking und andererseits Berater einzelner Teilnehmer?

Das hatten wir doch schon: Schon zu Beginn der Finanzkrise wurde den Rating-Agenturen vorgeworfen, sie verkauften gleichzeitig sowohl Ratings als auch Beratung, wie ein Unternehmen sein Rating verbessern könne. Der US-Senator Menendez kritisierte, die Rating Agenturen spielten gleichzeitig Trainer und Schiedsrichter. In der Tat erhalten Unternehmen, die mehr Geschäfte mit den Agenturen machen, bessere Ratings, wie Mathias Efing (UniGE) und Harald Hau in einem Paper des Swiss Finance Institute nachweisen.

Muss die Schweiz, um auf Platz 1 zu kommen oder wenigstens Platz 2 zu verteidigen, jetzt beim IMD ein Wettbewerbsfähigkeitsprogramm kaufen? Nein. Das für Unternehmen entwickelte Konzept Wettbewerbsfähigkeit angewendet auf ganze Staaten ist nämlich mehr als umstritten. Sogar Wikipedia bezeichnet „Internationale Wettbewerbsfähigkeit als substanzloses Schlagwort“. Wir können es also getrost bleiben lassen.

Das IMD könnte sich aber einmal Gedanken zu Interessenkonflikten machen.

Geldreform — Weltreform

Urs Birchler

Hier ein Veranstaltungshinweis in eigener Sache:


Abschiedsvorlesung von

Prof. Dr. Urs Birchler
Professor of Banking am Institut für Banking und Finance.

„Geldreform — Weltreform“

Das Geldwesen ist aus den Fugen, Reformvorschläge blühen. Freigeld, Vollgeld, Bit-Geld, Negativzins, Bargeldverbot: Was gestern als Wahn erschien, ist heute Wirklichkeit — und umgekehrt. Ein Blick durch’s monetäre Kaleidoskop in die Zukunft…

Dienstag, 24. Mai 2016, 18.30
Universität Zürich, Aula KOL-G-201, Rämistrasse 71, 8006 Zürich (Lageplan)


Vollgeld: Louisiana 1842

Urs Birchler

Die Vollgeld-Idee wurde in der Praxis bereits einmal erprobt. Und das kam so: Die USA erlebten 1837 (nachdem die Charter für die Zentralbank, die Second Bank of the United States, nicht erneuert worden war) eine schwere Wirtschafts- und Bankenkrise. In der Folge zog sich der Bundesstaat aus der Bankenregulierung zurück, und die einzelnen Staaten gingen in der Gesetzgebung getrennte Wege. New York ging über zum Free Banking, einem im wesentlichen nicht-regulierten Bankwesen, samt Ausgabe von Banknoten durch die privaten Banken. Indiana erlaubte Bankgeschäfte nur einer Staatsbank. Texas und Iowa verboten Banken überhaupt.

Einen Mittelweg wählte Louisiana mit der Banking Act von 1842. Banken wurden verpflichtet, ihre ausgegebenen Banknoten plus Depositen voll zu unterlegen mit (a) Bargeld (mindestens zu 1/3) und (b) Papieren mit Laufzeit von maximal 90 Tagen (für die übrigen 2/3). Diese Papiere durften bei Fälligkeit auf keinen Fall erneuert werden, damit keine Kurzfristigkeit vorgegaukelt werden konnte. Der liquide Teil der Bilanz hiess Movement, der langfristige Teil Dead Weight.

Das System, das dem Vollgeld (mit Silber anstatt Guthaben bei einer Zentralbank) also recht nahe kam, wurde unter dem Namen seines Erfinders Edmund J. Forstall bekannt als Forstall-System. Näheres findet sich in einem Artikel des Bankenhistorikers Bray Hammond von 1942. Das System bewährte sich nicht schlecht: In der Krise von 1857 mussten die Banken in anderen Staaten ihre Schalter schliessen — nicht aber in Louisiana.

Wie sehr sich die Erfahrung mit dem Forstall-System verallgemeinern lässt, ist umstritten. Louisiana war mit dem weltweit viertgrössten Handelshafen New Orleans auch Umschlagplatz für mexikanisches Silber, wodurch die Banken ohnehin eher liquid waren. George D. Green weist in Finance and Economic Development in the Old South: Louisiana Banking, 1804-1861 von 1972 auf einen besonders interessanten Punkt hin: Louisiana blieb vom Bankenkrach vielleicht nicht in erster Linie deshalb verschont, weil das „Vollgeld“ in der Krise die Banken stärkte, sondern weil es die Banken (aufgrund der strengen Liquiditätspflicht) bereis im vorangegangenen Boom an übermässigem Kreditwachstum gehindert hatte.

Nach dem Bürgerkrieg inspirierte Louisiana auch die Bankengesetzgebung von New York und Massachussets; indirekt sogar die spätere Bankengesetzgebung auf Bundesebene und die Gesetzgebung bei der Errichtung des Fed.

Staatshilfe für Banken: FDP versus SNB

Urs Birchler

Kürzlich hat der Leiter des Finanzstabilität bei der SNB, Bertrand Rime, in der NZZ eine glasklaren Standortbestimmung zum Too-Big-To-Fail-Problem in der Schweiz vorgenommen. Noch einiges bleibe zu tun, auch bei der Eigenmittelausstattung der Banken. Obwohl die Vorschläge moderat schienen, konnte der Präsident der WAK-NR, Ruedi Noser, nicht umhin, ebenfalls in der NZZ, zu warnen.

Die Stellungnahme ist bemerkenswert. Mit der einen Gehirnhälfte denkt Noser liberal: Der Staat soll nicht für private Risiken haften. „Die Too-big-to-fail-Regulierung bezweckt, dass eine Bank bei individuellen Fehlern auf Kosten der Geldgeber abgewickelt werden kann und nicht vom Steuerzahler gerettet werden muss. Das unterstütze ich als Liberaler zu 100%.“ In der anderen Gehirnhälfte hat er jedoch Angst vor den logischen Folgen des liberalen Denkens, d.h. vor der Notwendigkeit von Massnahmen, welche die implizite Staatsgarantie zurückdämmen. Keines seiner Argumente sticht aber:

  1. Eigenmittel verteuern Kredite. Das ist auch nach der 1001-sten Wiederholung noch nicht wahr. (Hansruedi Schöchli von der NZZ hat’s begriffen, siehe NZZ von heute, S. 27 und v.a. 36.)
  2. Regulierung führt zu Bürokratie. Das habe ich selber oft angeprangert; aber auch TBTF ist eine (versteckte) Regulierung. Und kaum etwas würde mehr Bürokratie produzieren als Nosers (rechtsstaatlich wohl kaum haltbarer) Vorschlag: „weitaus sinnvoller wäre es aber, wenn die Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung für jede Bank auf Grundlage ihrer Strategie und ihrer geschäftlichen Ausrichtung vom Regulator individuell festgelegt würde.“
  3. Eine global einheitliche Regulierung zwingt letztlich allen Banken weltweit dasselbe Geschäftsmodell auf. Gegenfrage: Zwingen die international geltenden Vorschriften zur Sicherheit im Flugverkehr allen Fluggesellschaften dasselbe Geschäftsmodell auf?
  4. Selbstverständlich gehen [die Banken] … Verlustrisiken ein, welche in Extremsituationen dazu führen können, dass die Bilanz einer Bank saniert werden muss. Im Extremfall braucht es dazu vielleicht sogar staatliche Mittel. Wollten wir nicht gerade das abschaffen oder eindämmen?
  5. Die Restrukturierungen der staatlich kontrollierten Axpo, BKW und Alpiq werden dem Steuerzahler weit höhere Kosten verursachen als die Rettung der UBS. Das klingt aufrichtig, scheint mir aber eher ein schwacher Trost. Zudem darf man die Kosten der UBS-Rettung nicht im nachhinein messen, sondern im Zeitpunkt der Rettung, wie Monika Bütler hier schon dargelegt hat.

Kurz: Was uns der Präsident der auf diesem Gebiet zuständigen Nationalratskommission auftischt, ist weder konsistent noch liberal.

Nix Grexit

Urs Birchler

Griechenland kann nicht mehr zahlen. Verschiedene Beobachter rechnen daher mit einem „Grexit“, einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Dabei übersehen sie die hohen rechtlichen Hürden. Unter Überschreitung der Kompetenzen des Autors ein kurzer Blick auf die Rechtslage:

  1. Ein Austritt aus der EU (und daher aus dem Euro) ist möglich durch einseitige Erklärung eines Landes, die nach zwei Jahren in Kraft tritt.
  2. Eine Neuverhandlung des EU-Mitgliedschaftsvertrags ist möglich. Der neue Vertrag müsste aber von allen Mitgliedstaaten der EU (nicht nur jener der Euro-Zone!) ratifiziert werden.
  3. Ein Austritt aus dem Euro-Verbund:
    • freiwillig: ist ohne Austritt aus der EU nicht möglich.
    • unfreiwillig (Herauswurf): ist nicht möglich.
  4. Eine Parallelwährung:
    • in Form einer echten Parallelwährung (z.B. Rückkehr zur Drachme) ist möglich, führt aber zu einer Prozesslawine.
    • in einer verkappter Form (z.B. Gutscheine des Staates, die auf Euro lauten) scheint kein EU-Recht zu verletzen, höchstens nationales Recht (z.B. im Verhältnis Regierung-Notenbank; Arbeitsrecht).

Fazit: Grexit-Szenarien sind tägliche Adrenalinhäppchen für Zeitungsleser, aber schon aus rechtlichen Gründen (nicht zu reden von den organisatorischen und ökonomischen Problemen) irrelevant. Was wirklich geschehen wird: Griechenland zahlt seine internationalen Schulden nicht, versucht primär inländische Verpflichtungen (Löhne, Renten; indirekt auch Einlagen der Banken) zu honorieren und bleibt im Euro, mindestens pro forma.

Quellen:

Geldpolitik und Finanzstabilität: Forschungsprogramm

Urs Birchler

Inke Nyborg hat was Leckeres aus London mitgebracht: Eine umfassende Forschungsagenda der Bank of England zu den Themen Geldpolitik, Makro-Finanzstabilität und Mikro-Finanzstabilität. Die Bank of England weist in der Einleitung stolz darauf hin, dass sie als eine der wenigen Notenbanken der Welt für alle drei Bereiche zuständig sei [Anm.: seit ihr nach der Finanzkrise die Bankenaufsicht wieder unterstellt wurde].

Die One Bank Research Agenda gibt nicht nur dem am Finanzsystem interessierten Leser einen einmaligen und ehrlichen Überblick über die offenen Fragen (und über die Gewichtungen seitens der BoE). Er ist auch eine Goldgrube für Studenten (und Dozenten, hmm), die ein Thema für eine Abschlussarbeit suchen.

Hier noch die Liste der fünf Kernthemen:

  1. Zentrabankpolitik angesichts der Wechselwirkungen zwischen
    Geldpolitik, makroprudentieller und mikroprudentieller Politik;
  2. Beurteilung von Regulierung und Abwicklung im Lichte der Finanzkrise und der sich verändernden Rolle der Finanzintermediation;
  3. Umsetzung der Zentralbankpolitik und Erfolgskontrolle;
  4. Verwendung neuer Daten, Methodologien und Ansätze zum Verständnis von Makroökonomie und Finanzrisiken;
  5. Zentralbankpolitik angesichts grundlegender Umwälzungen in Technologie, Institutionen, Gesellschaft und Umwelt.

Und als Student hatte ich seinerzeit Angst, die Dissertations-Themen könnten uns ausgehen…