Banking for Dummies

Aleksander Berentsen

Die Lage in den europäischen Finanzmärkten hat sich jüngst merklich entspannt. Seit Beginn des Jahres haben die europäischen Finanzinstitute ihren Börsenwert um rund einen Viertel gesteigert. Zudem sind die Zinsen auf Anleihen vieler europäischer Problemländer deutlich gesunken.

Dieser Börsenfrühling ist der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken. Seit Dezember 2011 stellt die EZB den europäischen Banken unbegrenzt Liquidität zu einem Discountpreis von 1 Prozent zur Verfügung. Das Programm nennt sich „Long-Term Refinancing Operation“ (LTRO). Damit bezeichnet die EZB Gelder, die sich die europäischen Geschäftsbanken für drei Jahre ausleihen können. Bis vor kurzem waren solche Operationen nicht möglich, da die EZB nur kurzfristige Kredite bis maximal 3 Monate vergeben hatte.

Mit dem LTRO-Programm schlägt die EZB zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie stabilisiert das europäische Bankensystem und die Geldschwemme reduziert den Druck in den Anleihemärkten der europäischen Problemkinder.

Indem die EZB den Banken unbeschränkt Geld zum Discountpreis zur Verfügung stellt, stellt sie sicher, dass das Bankensystem in den nächsten Jahren hoch profitabel sein wird. Mit den Gewinnen können die Banken ihr Eigenkapital stärken und so den neuen verschärften Eigenkapitalanforderungen genügen.

Der von der EZB vorgeschlagene Banken-Business-Plan ist denkbar einfach. Er wurde von Mark Dittli, Chefredaktor der „Finanz und Wirtschaft“ im „Never Mind the Markets“-Blog am 10.02.2012 durch folgendes Beispiel treffend beschrieben: „Sie sind der Direktor einer italienischen Grossbank. Sie erhalten von Ihrer Zentralbank Geld für drei Jahre zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Gleichzeitig rentieren dreijährige Anleihen ihres Heimatstaates mehr als 6 Prozent. Man braucht kein Genie zu sein, um in dieser Zinsdifferenz eine Einladung zu einem nahezu risikofreien Geschäft zu sehen. Ich borge mir eine Milliarde von der EZB zu 1 Prozent, kaufe damit italienische Staatsanleihen zu 6 Prozent und streiche fünfzig Millionen Euro Gewinn ein.“

Die Einfachheit dieses Banken-Business-Plans bezeichne ich als “Banking for Dummies.“ Diese Einfachheit ist zwingend notwendig, da die leidvollen Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass nicht wenige Banker sonst überfordert sind. So richtig interessant wird es aber erst in ein bis zwei Jahren. Dann dürfte die Bonus-Diskussion wieder entfachen. Aufgrund der hohen Profitabilität der Banken werden die Boni dann wieder üppig ausfallen – wie zu den besten Zeiten vor der Finanzkrise. Die Rechtfertigung wird darauf hinauslaufen, dass der Wettbewerb um die besten Talente die Banker zwinge, Millionen in eigene Tasche zu stecken und nicht ins Eigenkapital.

Wie anfänglich erwähnt hat die EZB mit ihrem Programm auch die Preise von europäischen Staatsanleihen im Visier. Dazu muss man wissen, dass die EZB nach eigenem Statut keine Staatsanleihen aufkaufen darf. Sie hat es aber in der Vergangenheit natürlich trotzdem gemacht, wenn auch mit angezogener Handbremse. Die Idee des LTRO ist, dass die Europäischen Banken dies für die EZB erledigen. Das heisst, das frische Geld soll über die Banken in Staatsanleihen fliessen. Vorzugsweise natürlich in diejenigen der Problemkinder Italien, Portugal und Spanien – was auch tatsächlich bereits stattgefunden hat.

Für viele Beobachter ist klar, dass die EZB angesichts des drohenden Kollapses des europäischen Finanzsystems etwas unternehmen musste. Das LTRO-Programm hat kurzfristig auch erstaunlich gut funktioniert. Trotz des grossen Erfolgs bleibt aber ein mulmiges Gefühl. Die Grundfrage bleibt, wie verhindert werden kann, dass der Finanzsektor alle paar Jahre durch den Staat mit ungewöhnlichen geldpolitischen Massnahmen oder mittels versteckter Subventionen gerettet werden muss.

Ich möchte hierzu eine kurze Idee skizzieren. Sparen ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis, ähnlich wichtig wie Rechtssicherheit oder Zugang zu sauberem Wasser. Solche elementaren Bedürfnisse werden oft sehr erfolgreich an den Staat delegiert. Es bietet sich an, dass auch einige elementare Funktionen des Finanzsektors von öffentlicher Hand zur Verfügung gestellt werden werden. Ich denke hier an einfachste Spar-, Zahlungs- und eventuell sogar simple Kreditprodukte. Eine solche Grundversorgung wäre für die meisten Leute ausreichend. Braucht eine Person oder eine Firma höher entwickelte Produkte, kann sie sich an den Privatsektor wenden.

Der Vorteil eines derartigen Konstrukts liegt auf der Hand: Elementaren Finanzbedürfnisse können auch dann weiter bedient werden, wenn die nächste Finanzkrise ins Haus steht. Zudem könnten man auch getrost marode Banken Konkurs gehen lassen, da deren Untergang nun nicht mehr die ganze Wirtschaft zum Stillstand brächte. Nach dem eklatanten Staatsversagen der griechischen Politik scheint es angebracht, diese einfache Finanzprodukte durch eine von der Politik unabhängigen Institution wie der Zentralbank anzubieten. Falls Ihre erste Reaktion auf diesen Vorschlag ist: Oh Schreck Staatsbank (!), darf ich Sie sogleich beruhigen. Das heutige Finanzsystem ist ohnehin nicht weit entfernt vom real existierenden Sozialismus: In guten Zeiten füllt sich eine kleine Elite die Taschen, in schlechten Zeiten wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

[Der Artikel erschien am 27.3.2012 in der BaZ; wir drucken ihn hier mit Genehmigung des Autors.]

Euros nach Madrid

Urs Birchler

Die EZB bietet den Banken für die nächsten drei Jahre unlimitiertes Geld zum Referenzsatz von 1 Prozent an (bei gleichzeitiger Lockerung der Bedingungen für zulässige Pfandsicherheiten). Was erreicht sie dadurch?

Beim Kaffee zeigen mir meine Kollegen Alexandre Ziegler und Per Östberg einen Artikel aus Bloomberg, der die Antwort enthält: Spanien nahm heute 5.6 Mrd. Euro auf drei, bzw. sechs Monate auf. Beide Tranchen wurden massiv überzeichnet und gingen weg mit Zinssätzen von 1.735 Prozent, bzw. 2.435 Prozent. Am 22. November hatte Spanien für dieselben Laufzeiten noch 5.11 Prozent, bzw. 5.23 Prozent bieten müssen. Mit andern Worten: Die EZB gibt billiges Geld an die Banken, die es postwendend in höher rentierende Regierungspapiere investieren.

Kurz und schlecht: Die EZB schafft Geld, leiht dieses den Banken in der Hoffnung, dass diese es an den finanziell maroden Staat weiterleihen. Das ist sozusagen TBTF im Rückwärtsgang (die Banken retten den Staat) plus Monetisierung durch die EZB — „Quantitative Easing“ auf europäisch.

Adventskalender 17

Urs Birchler

„Der Streit um die Batzen“ — so betitelt Julius Cahn ein Kapitel seines Buches Der Rappenmünzbund von 1901. Worum ging es?

Im Jahre 1342 schlossen sich die Städte Zürich und Basel mit dem Basler Bischof und dem Herzog von Österreich zusammen unter dem Namen „Rappenmünzbund“, um eine einheitliche Währung einzuführen. Zu seinen besten Zeiten umfasste der Rappenmünzbund etwa achtzig Teilnehmer (z.B. Städte vom Oberrhein, der Nordwestschweiz und Vorderösterreichs).

Wie alle Währungsunionen zwischen souveränen Staaten vor und nach dem Rappenmünzbund litt dieser an inneren Spannungen. Namentlich störte der Zustrom von Batzen-Münzen. Zunächst versuchte es Basel mit einer Wechselkursgrenze: Für die Batzen durften nicht mehr als 9 Rappen bezahlt werden. Es folgte ein Zustrom billig geprägter Batzen. Bis im August 1820 war dieser so angeschwollen, dass Basel einen Krisengipfel einberufen musste. Dieser beschloss in der Tat, die Batzen hätten bis Weihnachten von der Bildfläche zu verschwinden. Dies taten sie nicht. Österreich stieg deshalb aus, indem es sich weigerte, genug Münzen zu prägen, um die Batzen wieder zu verdrängen. Schliesslich wurde der Rappenmünzbund 1584 aufgelöst.

Die Abbildung zeigt je einen Rappen aus Basel (Bischofsstab) und Zürich (Äbtissin des Fraumünsterklosters, die Zürcher Münzherrin).

Hellblaues Auge für die SNB

Urs Birchler

Heute vor genau einem Quartal beschloss die SNB die Kursuntergrenze von 1.20 CHF für den Euro. Ebenfalls heute hat sie die neuesten Zahlen für den IMF publiziert. Diese geben einen groben Anhaltspunkt für die Veränderung der Devisenreserven. Wir haben bereits früher festgestellt, die SNB sei bis Ende September mit einem hellblauen Auge davongekommen. Die Zahlen für Oktober-November sehen eher noch günstiger aus. Die SNB scheint sogar Fremdwährungsbestände abgebaut zu haben (wieviel davon in Euro wissen wir leider nicht).

Fremdwährungsreserven der SNB (in Mio CHF):

229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Dies meine ich nicht als Aufforderung, übermütig zu werden und die Kursgrenze hochzuschraben. Der Euro ist noch nicht über den Berg. Oder verstehen Sie, was Angela Merkel und Nicolas Sarkozy wirklich beschlossen haben (und was davon eine Chance hat, umgesetzt zu werden)?

Der Merkozy-Plan

Urs Birchler

In der Annahme, dass heute nachmittag die Staatschefs von Frankreich und Deutschland einen Plan bekanntgeben werden, hier zwei Bemerkungen pro memoria als Lesehilfe:

  • Eine Lösung des Schuldenproblems (z.B. ein Schuldenschnitt einiger europäischer Länder) löst nicht das Problem der divergierenden Konkurrenzfähigkeit der EURO-Länder. Sie rettet daher den Euro nicht.
  • Eine Rettung des Euro (z.B. durch Austritt schwacher Mitglieder) löst weder das Schuldenproblem noch das Problem der divergierenden Entwicklung der Mitgliedländer.

In einer Stunde wissen wir mehr …

Bonds oder Brot?

Kjell Nyborg

Kunden der deutschen Bäckerei-Kette Wiener Feinbäcker Heberer haben jetzt die Wahl: Zusätzlich zum gewohnten Brotsortiment bietet der Bäcker auch Schuldverschreibungen an. Die Kette mit ihren 350 Niederlassungen sucht 12 Mio Euro für ihre weitere Expansion.

Der Kommentar der Financial Times vom 2. Dezember: „When a thriving business with profits growing at 30 per cent a year resorts to this kind of financing, it is a pretty sure sign that banks are not fulfilling their role.“

Haben die Banken ihr Verfalldatum überschritten? Oder die Brötchen?

Die Brötchen-Bonds (mit Rückzahlungsdatum am 31. Juli 2016) bieten einen jährlichen Zinssatz von 7 Prozent.

Immobilienpreis-Blase?

Urs Birchler

Bevor ich The Economist vom vergangenen Samstag zum Altpapier legte, warf ich nochmals einen Blick auf die Statistik der Immobilienpreise. Danach sind die Hauspreise in der Schweiz sowohl gemessen an den Mieten, als auch im Verhältnis zu den Einkommen — unterbewertet! Nicht massiv, aber immerhin nicht überbewertet.

Besonders schön ist die interaktive Grafik aus der Online-Ausgabe. Sie zeigt die Entwicklung der Immobilienpreise seit 1975 in verschiedenen Ländern. In der Schweiz ist der Anstieg so schwach, dass man die Kurve (hellbraun) fast nicht sieht. Den Atem verschlug’s mir gleich zweimal: Zum erstenMal beim Blick auf die Kurve für die USA: Die Immobilienpreisblase von 2005-2007 ist zwar sichtbar, wirkt aber fast lächerlich klein. Die Linie liegt direkt über jener für die Schweiz. Und dieses Subprime-Bläschen stürzte die Welt (angesichts der Grösse der USA und der Höhe der Verbriefungspyramide) in die Finanzkrise! Zum zweiten Mal blieb mir der Schauf weg beim Blick hoch zu den erhabenen Gipfeln: Irland (inzwischen teilweise korrigiert) und Spanien (wenn das nur mal gutgeht).

Wer den Link (oben) anklickt, kann die abgebildete Zeitperiode (und die abgebildete Reihe: nominell, real, im Verhältnis zu Mieten, etc.) selbst wählen. Setzt man zum Beispiel bloss den Anfangszeitpunkt auf das 4. Quartal 2005, erscheint schon ein anderer Spitzenreiter — die Schweiz!

Sowohl die Anhänger als auch die Leugner einer Immobilienblase in der Schweiz (ein neues Wort: „Die Blasenleugner“!) finden also dank statistischem Basiseffekt Evidenz zu Ihren Gunsten.

Die EU-Institutionen: Too-interconnected-to-succeed?

Diana Festl und Urs Birchler

Wer sich wundert über die Unfähigkeit der EU, in der Krise konsistent und dezidiert zu handeln, findet die Erklärung im Diagramm (grösseres Bild hier). Es zeigt nur jene EU-Institutionen an, die einigermassen direkt mit der Bekämpfung der Finanz-Schulden-Euro–Krise zu tun haben. Wichtige andere, wie z.B. der EU-Gerichtshof, sind nicht abgebildet. Auch nicht abgebildet sind die ebenfalls in der Krisenbekämpfung involvierten Oberhäupter einzelner Mitgliedstaaten. Ebenfalls nicht sichtbar ist in der Abbildung die grosse Zahl von Mitgliedern der einzelnen Gremien. Das Parlament beispielsweise zählt 736 Abgeordnete. Das ESRB hat ein General Board mit über zwei Dutzend Mitgliedern, ein Steering Committee mit 13 Mitgliedern und je einen wissenschaftlichen und technischen Beirat mit 15, bzw. nach dem Buchstaben mehreren Dutzend Mitgliedern.

Die EU-Finanzarchitektur mag vielleicht die Machtbalance in normalen Zeiten gewährleisten; für Krisenzeiten wirkt sie schwerfällig. Dies wurde zwar auch schon den Schweizer Institutionen vorgeworfen. Die Schweiz hat aber im Oktober 2008 bewiesen, dass unter Führung der SNB Krisenpakete über ein Wochenende geschnürt werden können. Ob die EZB diese Rolle in der laufenden Krise wird übernehmen können, scheint ungewiss.