Ein neues Steuerdelikt

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die Euro-Finanzminister auf direkte Hilfszahlungen an Banken aus dem Rettungsfonds geeinigt. 60 Milliarden Euro. Steuergelder.

Sogar Deutschland stimmt zu. Ausser Martenstein. Harald Martenstein hat im ZEITmagazin schon vor einigen Wochen seine Kolumne unter den Titel „Über ein ganz neues Steuerdelikt“ gestellt. Darin verurteilt er Steuerhinterziehung, hält aber gleichzeitig fest:

Ich finde, dass man auch das Delikt „Steuererschleichung“ unter Strafe stellen sollte … mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. … Wenn aber Steuern für Normalverdiener erhöht werden mit der Begründung, diese Menschen seien reich und es müsse endlich Gerechtigkeit herrschen in Deutschland, dann aber wird ein Teil des Geldes, statt an Obdachlose verteilt zu werden, für die Stützung von Großbanken verwendet, dann hilft nur noch Sicherungsverwahrung.

Ich bin für Steuerehrlichkeit. Sie darf aber keine Einbahnstraße sein.

Danke, Herr Martenstein.

Hängt die Totengräber!

Urs Birchler

Die heutige Weltwoche bezeichnet Aymo Brunetti, den Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Finanzplatzstrategie“ als Totengräber des Bankgeheimnisses. Die Weltwoche hat Recht: Die Arbeitsgruppe Brunetti (der ich selber angehöre) hat Vorschläge erarbeitet, die dem (Steuerhinterziehungs-)Bankgeheimnis für ausländisches Geld ein anständiges Begräbnis ermöglichen. Umgebracht allerdings haben es andere. Dem Bestattungsinstitut nun einen Mordprozess anhängen zu wollen, träfe daher die Falschen.

Die wahren Verdächtigen sind zahlreich. Zu ihnen gehören (nach gut-schweizerischem Brauch beim Ausland beginnend):

  • jene mutigen Bürger der DDR, die den kalten Krieg beendeten, wodurch die Schweiz aus ihrer Nische zwischen den Blöcken vertrieben wurde,
  • jene Partnerländer, denen die Finanzen entglitten sind und die vor Beschaffungsdelikten immer weniger zurückschrecken,
  • jene helvetischen Politiker, die nicht gemerkt haben, das die Schweiz langfristig nur existiert, wenn sie von den anderen Staaten netto als nützlich angesehen wird,
  • jene Banken, die zu spät gemerkt haben, dass das Bankgeheimnis — ursprünglich ein achtbares finanzielles Asyl — über die Jahrzehnte hinweg zum Geschäftsmodell Steuerhehlerei verkommen ist und dass der Finanzplatz Schweiz als Schmuddelecke keine Zukunft hat (Romney-Effekt, siehe unten).
  • jene Sonntagskolumnisten, die den Schutz des Bürgers vor dem Staat (der jedem freiheitlich Denkenden am Herzen liegen muss) verwechselt haben mit Schutz des Steuerdelinquenten vor seinen ehrlichen Mitbürgern (der uns etwas zu sehr am Portemonnaie lag),
  • wir alle, die gemeint haben, unsere schweizerische Rechtsauffassung (Steuerhinterziehung verdient Geheimnisschutz) de facto anderen Ländern auferlegen zu können — genau das, was uns an den USA so nervt.

Die Weltwoche hätte den Bericht Brunetti auch loben können. Erstens tastet er das inländische „Bankgeheimnis“ (genauer: die Grenzziehung zwischen Steuerhinerziehung und Betrug) nicht an. Zweitens soll sich die Schweiz international für einen Standard einsetzen, bei dem nicht unnötig Daten an andere Verwaltungsstellen oder an die Öffentlichkeit fliessen. Drittens und hauptsächlich: Etwas bessseres als die Strategie-Vorschläge der AG Brunetti ist offenkundig auch der Weltwoche nicht eingefallen. Aber eben: die stillschweigenden Komplimente sind meist die schönsten.
romney

Vor lauter Krippengezänk den Kindergarten vergessen

Monika Bütler

Meine zweitletzte NZZaS Kolumne, publiziert am 16. Juni 2013 unter dem Titel „Es stimmt etwas nicht mit der Betreuung unserer Kinder: Warum braucht eine Kinderkrippe viel mehr Personal als ein Kindergarten?“.

Schweizer Kinder machen zwischen vier und fünf Jahren einen phänomenalen Entwicklungssprung. Beim Eintritt in den Kindergarten brauchen sie nämlich viel weniger Betreuung als noch Wochen zuvor in der Krippe (oder KiTa, wie man heute sagen muss). In Zahlen: In der Krippe ist auf circa fünf Kinder eine Betreuerin vorgeschrieben. Im Kindergarten genügt eine Person auf 20 Kinder.

Der wirkliche Grund ist freilich weniger spektakulär. Während in den Kindergärten die kantonalen Bildungsdepartemente die Klassengrössen festlegen, werden für die Krippen meist die Empfehlungen des privaten Verbands KiTaS als verbindlich erklärt und durchgesetzt. Dieser hat in mehreren Kantonen auch bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung mitgeholfen, sowie die Ausbildung zur Fachperson Kinderbetreuung mitentwickelt.

Nein, dies ist kein KiTaS-Bashing. Der Staat profitiert – und zwar freiwillig – vom Fachwissen privater Institutionen. Auch steht KiTaS mit seinen halbstaatlichen Aufgaben nicht alleine da. Die Richtlinien der ebenfalls privaten Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe Skos etwa gelten fast überall; an ihnen orientieren sich sogar die Gerichte. Branchenverbände unterschiedlichster Couleur beeinflussen die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik des Landes.

Die Verflechtung von privaten Organisationen und dem politisch-administrativen System ist jedoch nicht unproblematisch. Erstens versuchen private Gruppen mit ihrem Wissensvorsprung, Marktprozesse zu ihren Gunsten zu regulieren. Als faktische Gesetzgeber machen sie der Politik Vorgaben, von denen sie direkt oder indirekt wieder profitieren. Kein Wunder gehen Regulierungsdichte und Ausbildungsanforderungen nur in eine Richtung: nach oben.

Zweitens drückt sich die Regierung durch die Übernahme privater Erlasse vor der Verantwortung. Mit Konsequenzen, die via Subventionen weit in die Finanzpolitik reichen. Die so ausgelagerten Entscheidungen entziehen sich oft der demokratischen Kontrolle.

Drittens verschleiern zahlreiche Outsourcings die wahre Regulierungsdichte im Lande. Wir Schweizer rühmen uns gerne eines schlanken Staates. Zählten wir alle externen marktbeschränkenden Regulierer zur zentralen Bürokratie, wäre unser Regulierungsapparat vielleicht gar nicht so viel kleiner wie der vielgescholtene Wasserkopf in Brüssel.

Nicht dass es in all den genannten Bereichen keine Regeln bräuchte. Zweifelhaft ist nur, ob die von privaten Verbänden ausgearbeiteten Richtlinien wirklich zu einem halbwegs optimalen Ergebnis führen. In der Kinderbetreuung haben wir – als seltenen Glücksfall – eine Vergleichsgrösse: Neben den privat regulierten Krippen gibt es mit den Kindergärten ähnliche, aber staatlich organisierte Institutionen. 

Und hier lässt das viermal höhere KiTa-Betreuungsverhältnis nur einen Schluss zu: Etwas stimmt hier nicht. Denn: Müsste die Grosszügigkeit in der Betreuung nicht eher umgekehrt sein? Immerhin ist der Kindergarten die erste Stufe unseres Bildungssystems, von welcher wirklich alle Kinder profitieren. Und von der wir, spätestens seit den Arbeiten des Nobelpreisträgers James Heckman, wissen, dass sie gerade für sozial benachteiligte Kinder die wichtigste ist. 

Die KiTas-Richtlinien umfassen ja nur den nicht-obligatorischen Bereich der Bildung, könnten man einwenden. Doch gerade dieser Bereich absorbiert viel politische Energie und enorme Steuermittel (weil eben die Regeln so streng sind). Viele benachteiligte Kinder kommen nie in den Genuss dieser Mittel. Sei es nur, weil deren Eltern nicht wissen, wie sie an einen subventionierten Krippenplatz kommen.

Traurig. Der Streit um die Finanzierung der personell so grosszügig zwangs-ausgestatteten Krippen lenkt ab von einer gesellschaftlich viel relevanteren Ausbildungslücke im Kindergarten. Auf den wundersamen spontanen Entwicklungssprung unserer vierjährigen Kinder warten wir nämlich vergeblich.

Automatischer Informationsaustausch

Urs Birchler

Es war mir eine Ehre, als Mitglied der Arbeitsgruppe Brunetti am Bericht und den Empfehlungen zur Finanzplatzstrategie mitarbeiten zu können. Es war mir ferner eine Ehre, den Inhalt der Diskussionen vertraulich zu behandeln. Und es war mir eine Freude, dass alle andern Mitglieder dies genauso hielten: Trotz sensitiver Thematik drang während der ganzen vier Monate kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit.

Kaum aber ist der Bericht (für die heutige Sitzung) an den Bundesrat verteilt, steht die Zusammenfassung auch schon in der Presse. Daher eine Präzisierung an die Adresse unserer Bundesbeamten und Beamtinnen: Das war mit dem automatischen Informationsaustausch nicht gemeint.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Eine Absage

Monika Bütler

In den letzten Monaten habe ich dermassen viele Anfragen für eine Teilnahme an einer Diskussion zum BGE erhalten, dass ich mich entschlossen habe, meine Antwort aufzuschreiben. Spätere Anfrager erhalten einfach den Link.

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr 

Herzlichen Dank für Ihre Einladung, im Rahmen der Veranstaltungsreihe V (Geld; neue Gesellschaftsmodelle; Neuordnung der sozialen Sicherung; …) mit Herrn H (Enno Schmidt; Daniel Häni; Oswald Sigg; …) über das bedingungslose Grundeinkommen BGE zu diskutieren.

Ich muss Ihnen aus drei Gründen absagen.

  1. Ich fühle mich nicht kompetent genug, auf der philosophischen Ebene über das BGE zu diskutieren. (Ich habe ausser zwei, drei Tweets ohnehin noch nie über das BGE geschrieben). Oft wird schon in den Ankündigungen zu Veranstaltungen zum BGE auf die Notwendigkeit eines neuen – natürlich viel besseren Menschenbilds – hingewiesen. Abgesehen davon, dass mir die Idee eines anderen Menschenbilds historisch vorbelastet scheint, stellt sich für mich auch ganz naiv die Frage,  wie ein solches herbeigeredet werden kann. Ich fühle mich allerdings nicht nur nicht kompetent genug, ich habe auch keine grosse Lust, im Abstrakten zu diskutieren. Ohne konkrete Vorschläge wer was wie finanzieren soll, kann man als Gegnerin des BGE nur verlieren. Auch wenn ich in der Zwischenzeit damit leben kann, als unsozial und neoliberal beschimpft zu werden, freiwillig tu ich mir das nicht an.
    (In Klammern: Auf einer philosophischen Ebene kann man auch aus liberaler Sicht für ein BGE eintreten. Easy. Man braucht ja nicht zu sagen, dass man darunter 1200 Franken pro Monat als Grundeinkommen, sowie den Ersatz und aller Sozialversicherungsleistungen versteht. Ich halte diese Attitüde für etwas frivol).
    Sie können eher wieder mit mir rechnen, wenn es weniger um die abstrakte Idee geht, sondern um die politische Diskussion und finanzpolitische Umsetzung.
  2. Meine Woche hat nur 7 Abende, meine Söhne gehen noch zur Schule. Abends arbeite ich nur ausser Haus, wenn ich muss (was immer noch häufig genug ist) oder ich meine Abwesenheit den Kindern (Einschub neu: und meinem Mann) erklären kann. Das kann ich in diesem Fall nicht.  Denn gerade die Verfechter des BGE preisen ihr Modell vollmundig an als Möglichkeit, mehr Zeit für die Familie zu haben. So werden Sie und vor allem meine potentiellen Gegenspieler dafür Verständnis haben müssen,  dass ich die Idee „mehr Zeit mit der Familie“ lieber direkt und privat finanziert umsetze.
  3. Ich mag es nicht,  vor allem als Frau eingeladen zu werden. Es gibt genügend männliche Kollegen, die viel kompetenter als ich über das BGE diskutieren können.  Es ist ja nicht mein Fehler, dass die meisten Initianten männlich sind. Vielleicht allerdings auch kein Zufall (siehe unten).

Sie fragen mich nach Alternativen (eine Frau). Meinen jungen Kolleginnen aus der Ökonomie kann ich nur abraten, sie können nur verlieren. Vielleicht kann ich ihnen dennoch etwas weiterhelfen. Es gibt nämlich zwei Aspekte des BGE, die in der aktuellen Diskussion oft vergessen gehen. Vielleicht finden sie in diesen Kreisen interessante Diskussionsteilnehmer(innen).

  • Wir haben in der Schweiz bereits ein Grundeinkommen, es ist einfach nicht bedingungslos. Doch solange selbst renitente und nicht kooperative Sozialhilfeempfänger Leistungen nahe der heute oft genannten Höhe des BGE erhalten, ist die Bedingungslosigkeit so weit nicht weg. AHV und IV Rentner und Rentnerinnen haben – für mich unbestritten – ein Anrecht auf ein Einkommen, welches um einiges höher liegt als alles, was als BGE finanzierbar wäre. Fragen sie doch jemanden aus dem Bundesamt für Sozialversicherungen oder aus den AHV/IV Stellen (besser noch: eine betroffene Person) wie sinnvoll eine Abschaffung dieser bedingten Leistungen wäre. Wenn ein grosser Teil der Sozialleistungen auch unter einem BGE bedingt ausbezahlt wird, entfällt ein wichtiger Vorteil des BGE.
  • Das BGE wird uns oft als Lösung des Problems der unbezahlten Betreuungsarbeit verkauft. Auf den zweiten Blick scheint mir dies nicht mehr so offensichtlich. Es geht dabei ja nicht primär um die Entschädigung der Betreuungsarbeit, sondern vor allem darum, wer sie macht. Mit einem BGE können wir uns weiter um diese Frage drücken – unter dem Vorwand die Arbeit werde ja entschädigt (was natürlich so überhaupt nicht stimmt, denn das Grundeinkommen erhält man bedingungslos). Wer die Betreuungsarbeit leistet, bleibt ein Machtspiel. Am Schluss werden sich wohl, faute de mieux, meist Frauen in die Betreuungsarbeit schicken, obwohl auch sie mit dem BGE „grösseres“ vorhatten. Wer soll denn die vielen pflegebedürftigen Senior(inn)en der Zukunft betreuen?  Die jungen gesunden und kreativen Männer,  die so vehement hinter der Idee des BGE stehen, werden es bestimmt nicht sein.
    Mein Tipp: Suchen Sie sich für das Panel eine interessante Feministin, die sich schon entsprechend geäussert hat. Sie haben damit erst noch das Problem Frau gelöst.

 So wünsche ich Ihnen einen spannenden Abend und grüsse Sie freundlich

 Monika Bütler

Warum Deutsche weniger vermögend sind als Griechen

Monika Bütler

(Kolumne NZZ am Sonntag, 21. April 2013)

Wohlgenährte deutsche Häuslebauer, bedürftige Griechen – an die Bilder haben wir uns gewöhnt. Nun werden sie gestört: Die vor kurzem veröffentlichten Statistiken der Europäische Zentralbank wollen so gar nicht passen zu den armen Südeuropäern, die von den knausrigen Deutschen kurz gehalten werden. Deutsche Haushalte sind im Mittel weniger vermögend als die Haushalte in Italien, Spanien, Griechenland und Zypern.

Eine Sensation, würde man meinen. Anders als viele Studien, die es in die Schlagzeilen schaffen, stammen die Zahlen aus einer langjährigen und wissenschaftlich seriös durchgeführten Datenerhebung. Also: europaweit grosse Zeitungsartikel? Weit gefehlt: Die Resultate werden nur verschämt präsentiert. Selbst in Deutschland üben sich Medien und Politik nur ein einem: dem verzweifelten Versuch, Deutschland reich zu rechnen.

Viele Gründe werden angeführt, weshalb den Statistiken nicht zu trauen sei. Die Haushalte seien unterschiedlich gross. Die Hauseigentümer-Quoten und die Entwicklung der Immobilienpreise seien von Land zu Land sehr verschieden. Das stimmt alles. Nur: Die Lektüre des Berichts samt Methodenteil haben sich die Kommentatoren offenbar erspart: Da steht nämlich alles schon drin. Also auch, dass Haushaltgrösse und Immobilienpreise nicht reichen, um das Bild umzukehren. Wie man es auch immer dreht und wendet: Südliche Haushalte haben nicht weniger Vermögen als die nördlichen. Dabei behauptet niemand, Deutschland sei arm. Die Suche nach dem richtigen Trick, Deutschland doch noch reich aussehen zu lassen, ist ohnehin müssig. Viel gescheiter wäre es, zu fragen, weshalb die deutschen Haushalte im Vergleich zu den südlichen so arm an Vermögen sind. Oder mindestens so aussehen.

Mein Versuch einer Erklärung: Die Deutschen können, müssen und wollen weniger sparen.

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Wieder einmal Arbeitsproduktivität

Eine slowenische Journalistin will wissen, weshalb die Arbeitsproduktivität in der Schweiz im europäischen Vergleich nur mittelmässig ist (was auch die OECD immer wieder anprangert) und fragt mich, was ich dazu meine. Immerhin hat sie meine NZZaS Kolumne zum Thema schon gelesen.

Es schadet ohnehin nicht, das Thema Arbeitsproduktivität (= der pro Arbeitsstunde produzierte Wert von Gütern und Dienstleistungen) wieder einmal aufzunehmen. Zur Illustration vergleiche ich zwei hypothetische Länder, welche sich in der Ausbildung und Produktivität der Menschen sowie dem Technologieniveau weder im Durchschnitt noch in der Verteilung unterscheiden.   

Es gibt mindenstens 3 Gründe weshalb sich die „Arbeitsproduktivität“ zweier sonst gleicher Länder unterscheiden kann:

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Steuern in der Schweiz: The Sequel

Marius Brülhart

Nach einem etwas abgehobenen filmemacherischen Debüt kann Batz nun mit einem Streifen für Otto Normalsteuerzahler aufwarten. Während unser Erstlingswerk noch Haushalten im Top1%-Segment galt, zeichnen wir diesmal für einen Medianhaushalt nach, wie sich die Steuerbelastung in den Kantonen und Gemeinden entwickelt hat. Zudem sind wir nun auch im Tonfilmzeitalter angelangt (mit Dank an Stefanie Brilon und George Harrison).

Steuern in der Schweiz: The Sequel.

Wiederum verfolgen wir die Einkommenssteuerbelastung in den 2‘596 Gemeinden über die Zeitspanne 1984-2011. Diesmal nehmen wir den Steuersatz für ein kinderloses Ehepaar, dessen Einkommen im jeweiligen Jahr genau in der Mitte aller Haushalte lag, die direkte Bundessteuern zahlten (statt wie in unserem Debütwerk beim obersten Perzentil). Das so definierte Median-Reineinkommen entsprach 37’800 Franken im Jahr 1984 und 61’000 Franken im Jahr 2011.

Unsere Animation macht wiederum klar, wie sich die helvetische Steuerlandschaft ziemlich kunterbunt entwickelt hat und zeugt damit von der Lebendigkeit des schweizerischen Fiskalföderalismus.

Beim Verglich mit dem Film für die Top-1%-Einkommen fallen uns folgende Aspekte besonders auf: Weiterlesen

Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!

Monika Bütler

Publiziert in der NZZaS vom 24. Februar unter dem Titel „Die Schulstruktur muss in jedem Fall umgebaut werden. Es braucht bessere Möglichkeiten, um Beruf und Familie zu verbinden.“

Beruf und Familie sind noch immer noch schwer zu verbinden. Die externe Kinderbetreuung ist überreguliert und sündhaft teuer; verbilligte Plätze sind rar und werden intransparent zugeteilt. Wer beim Eintritt der Kinder in den Kindergarten denkt, das Gröbste hinter sich zu haben, erwacht böse. Als wohl einziges Land der westlichen Welt kennt die Schweiz kaum Tagesschulen, die den Namen verdienen. Das Angebot besteht vielmehr aus einem grotesk zersplitterten Mix aus Schule, Hort und Mittagstisch. Unsere gestylten Schulhäuser sind zu schade, um als Verpflegungs- oder Betreuungsstätten entweiht zu werden. Dazu kommen krasse Ungerechtigkeiten: Die Urnerin, die zur Aufbesserung des kargen Bergbauernbudgets extern arbeitet, bezahlt den vollen Krippentarif (112 Franken pro Kind und Tag), die sich selbst verwirklichende, nicht arbeitstätige Zürcher Akademikerin nur einen Bruchteil.

Zeit, dass endlich etwas geschieht. Doch was?

Drehbuch A: Die Schweiz krempelt ihr Schulsystem um und geht über zu einem flächendeckenden Angebot an Tagesschulen für Kinder ab circa 4 Jahren. Blockzeiten, beispielsweise von 9–15 Uhr inklusive kurzer Mittagszeit; eine betreute (freiwillige) Aufgabenstunde am Nachmittag; je nach Schulstufe ein bis zwei freie Nachmittage um den Eltern Wahlmöglichkeiten zu bieten. Abgerundet durch eine kostenpflichtige Randstundenbetreuung (im Schulhaus!) wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu geringen Kosten stark verbessert. Damit auch Mütter mit tiefen Löhnen ihre Berufsfähigkeit erhalten können, wird das Steuersystem angepasst und durch Betreuungsgutscheine (wie in Luzern) ergänzt. Alle Vorschläge sind übrigens in der Praxis erprobt und für gut befunden.

Drehbuch B: Sogenannte Bedarfsanalysen decken Lücken bei Hort und Krippe im bestehenden System auf. Je höher der ausgewiesene Bedarf, desto mehr sorgen staatliche Ämter für angemessene Qualität: vier Quadratmeter pro Kind im Hort und am Mittagstisch – ausserhalb des Schulareals, nota bene; frisch gekochtes Essen zur Überbrückung der viel zu langen Mittagszeit; Rücksicht auf die Heterogenität der Schüler (vegetarisch, schweinefrei, laktosefrei, ponyfrei), Betreuungspersonal mit akademischem Abschluss. Selbstverständlich ist dieser Bedarf mit normalen Löhnen nicht zu finanzieren. Hinzu kommen daher einkommensabhängige Subventionen, welche dann wiederum eine mehr als symbolische Berufstätigkeit für viele Mütter zum unerschwinglichen Luxus machen.

Die hohen Kosten rufen die andere Seite auf den Plan: Mit einem gewissen Recht fordern diejenigen, die ihre Kinder selber betreuen oder sich mit Grosseltern und Kinderfrau helfen, ebenfalls Unterstützung. Schliesslich ist nicht einzusehen, weshalb die Grossmutter mit der knappen Rente nicht auch entlohnt werden soll. Am Schluss bezahlen alle sehr viel höhere Steuern, die sie teilweise in Form von Subventionen und Herd- und Hüteprämien wieder zurückerhalten. Nur: Je mehr eine Mutter arbeitet, desto schlechter der Deal.

Die Leser(-innen) die hier eine Abstimmungsempfehlung für den Familienartikel erwarten muss ich enttäuschen: Es handelt sich hier um eine vorgezogene Abstimmungsanalyse. Nicht jedes NEIN wird von hinterwäldlerischen Ewiggestrigen oder egoistischen Singles stammen. Viele Gegner fürchten, dass ein überholtes Schulsystem künstlich am Leben erhalten wird, wenn der „Bedarf“ an Betreuungsplätzen innerhalb eines nicht mehr zeitgemässen Systems gemessen wird. Umgekehrt wird nicht jedes JA von subventions-maximierenden Etatisten kommen. Viele Befürworter erhoffen sich, dass das Schulsystem endlich keine Eltern mehr daran hindert, ihre beruflichen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken einzusetzen.

Wie die Abstimmung auch ausgehen mag: Es ist Zeit, dass etwas geschieht. Dazu braucht es das richtige Drehbuch. Gefragt sind Ideen und Mut zur Veränderung, nicht Geld.

 

Steuern in der Schweiz: The Movie

Marius Brülhart

Der Wettbewerb um lukrative Steuerzahler hält die Schweizer Steuerlandschaft in pausenloser Bewegung. Das weiss doch jeder. Oder etwa doch nicht? Denn mit eigenen Augen gesehen hat es noch niemand…

Steuern in der Schweiz: The Movie.

Hier somit in exklusiver Vorpremiere der längst überfällige Dokumentarfilm. Über knapp drei Jahrzehnte zeichnen wir bunt nach, wie sich die Steuerbelastung auf einen Top-1%-Haushalt in den Gemeinden und Kantonen landesweit entwickelt hat (Idee und Technik: Marcel Probst). Die Daten dazu trugen wir im Rahmen eines Nationalfonds-Projektes zusammen (Regie: Raphaël Parchet und Kurt Schmidheiny).

Konkret haben wir ab 1984 für fast alle 2’596 Gemeinden den Steuersatz berechnen können, welchem ein Ehepaar unterstellt ist, dessen Einkommen an der unteren Grenze des gesamtschweizerisch obersten Einkommensprozents liegt. In der Steuerbelastung berücksichtigt sind Einkommenssteuern für Gemeinden, Kirchen und Kantone. Bundessteuern wurden ausgelassen, denn sie sind übers ganze Land gleich.

Das Top-1%-Einkommen ist für jedes Jahr über alle Haushalte definiert, die direkte Bundessteuern abliefern. Dieser Einkommens-Referenzwert belief sich 1984 auf 194‘900 Franken und im Jahr 2011 auf 354‘400 Franken. Wir bereinigen die Einkommensentwicklung also nicht nur um die Teuerung sondern auch um den realen Anstieg der Durchschnittseinkommen und liefern somit eine Ergänzung zu den Steuerberechnungen, welche Monika Bütler bereits präsentiert hat.

Jeder Betrachter möge sich seine eigenen Highlights aus dem Film herauspicken. Falls Ihnen etwas auffallen oder sonderbar vorkommen sollte: bitte melden! Wir erheben keinen Anspruch auf absolute Fehlerfreiheit unseres Datensatzes und wären dankbar für Reaktionen.

Auf den ersten Blick stechen uns insbesondere drei Phänomene ins Auge:

  • Die Schweiz wird im betrachteten Zeitraum heller. Das heisst, dass die Steuerbelastung auf hohen Einkommen tendenziell rückläufig war. Tatsächlich fiel die ungewichtete Durchschnittsbelastung über alle Gemeinden gerechnet von 22.4% im Jahr 1984 auf 19.3% im Jahr 2011. Bloss in 156 Gemeinden lag die Steuerbelastung 2011 höher als 1984.
  • Die hellen Flecken konzentrierten sich über die Zeit immer mehr in der Innerschweiz. Ein Blick in die Daten bestätigt den Trend. Lagen im 1984 die beiden steuergünstigsten Gemeinden noch im Kanton Graubünden, so lagen 2011 die 41 steuergünstigsten Gemeinden allesamt in der Innerschweiz. 1984 belegten die Gemeinden Appenzell Ausserrhodens im Durchschnitt immerhin den dritten Rang (hinter denjenigen Zugs und Nidwaldens), und Schwyz lag bloss auf Rang acht. Im 2011 sah die Tabellenspitze nach Kantonen folgendermassen aus: Zug, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Uri.
  • Unsere Steuerlandschaft bewegt sich auch kleinräumig und nicht immer stetig. Gemeinden und Kantone verfolgen vielfältige Strategien, und oft wechseln sich widerläufige Entwicklungen ab. Viele Gemeinden senkten ihre Steuersätze eine Weile, hoben sie dann jedoch wieder an. Augenfällig sind solche Übergänge von Dunkel zu Hell und zurück zu Dunkel beispielsweise bei folgenden Gemeinden (testen Sie Ihre Schweizer Geographie!): Altstätten (Trendumkehr 1991), Lausanne (Trendumkehr 2003) und Köniz (Trendumkehr 2004).

Es gibt noch vieles mehr zu entdecken in diesem Streifen. Aber am meisten wird erst richtig ersichtlich, wenn man die Daten durch die ökonometrische Brille anschaut. Daran arbeiten wir. Batz wird berichten.

Übrigens: Unser Film könnte noch einen anständigen Soundtrack gebrauchen. Auch hierzu ist kundiger Rat herzlich willkommen.