Bankensanierung: EU übernimmt Schweizer Recht

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die EU-Finanzminister auf ein „bail-in“-System der Bankenabwicklung geeinigt: Bei der Sanierung einer maroden Bank sollen zuerst die Aktionäre, dann die unversicherten Gläubiger (und erst zuallerletzt die Steuerzahler) die Verluste tragen. Die versicherten Einlagen hingegen sind garantiert.

Damit übernimmt die EU eine Systemarchitektur, die in der Schweiz im Kern seit 2003 in Kraft ist und im Zuge der Finanzkrise noch präzisiert wurde. Wer weiss, wird die EU früher oder später auch das schweizerische Konkursprivileg für versicherte Bankeinlagen übernehmen, da ohne dieses die Versicherung viel zu riskant ist.

Gute Nachricht also für Europa (und schlechte Nachricht für Bankaktionäre und -Gläubiger in einigen Ländern). Allerdings: Die Blaupause muss erst noch in Kraft treten und national umgesetzt werden. Und bei der Umsetzung muss die Architektur nicht nur im Grossen stimmen, sondern auch in den Details. Beispielsweise muss verhindert werden, dass Banken die Schulden, die für den Bail-in vorgesehen sind, nicht einfach durch Pfand sicheren, wodurch das Konzept unterlaufen würde.

Gute Nachricht auch für jene Kritiker, die meinen, die Ökonomen seien bestenfalls unnütz: Das Konzept des Bail-in wurde entwickelt von Ökonomen wie Oliver Hart oder Lucian Bebchuck und später unterstützt von den Mitgliedern der Squam Lake Group.

Dazu noch eine Reminiszenz: In den späten 1990er Jahren organisierte ich ein gemeinsames SNB/EBK(FINMA)-Seminar zur Insolvenzbehebung mit Oliver Hart. Seine Vorschläge stiessen (ausser bei militanten Ökonomen) auf solide Skepsis: „Man kann doch eine insolvente Bank gar nicht sanieren!“ Man kann, und im Bankengesetz Version 2003 war das Konzept schüchtern umgesetzt. Stolz schrieb ich an Oliver Hart: „We did it!“ Doch liess ihn dies völlig kalt; er war längst zu neuen intellektuellen Ufern aufgebrochen.

So ist es mit dem Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis: Die Praxis-Nachhut hinkt irgendwo hinterher, die Theorie-Vorhut ist bereits fast ausser Hörweite voraus, und der weltverbessernde Brückenbauer steht dumm dazwischen. Bis dann Jahre und Jahrzehnt später plötzlich alles aussieht, als wär’s schon immer klar gewesen.

Kassandra Helvetica

Urs Birchler

Kassandra erhielt von Apollo die Gabe der Weissagung, aber (weil sie sich von ihm nicht verführen liess) auch den Fluch, dass sie nie Gehör finden sollte. An sie habe ich bei der Lektüre der Meldungen von diesem Wochenende dreimal gedacht:

  • Bundesanwalt Lauber fordert laut Presse eine „Superbehörde“, die früh vor Gefahren für den Finanzplatz warnen soll.
  • Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt vor der Gefahr steigender Zinssätze, vor der miserablem Finanzlage der Staaten und vor den nach wie vor knappen Eigenmittelpolstern der Banken
  • Schweizer Grossbanken haben gemäss Stabilitätsbericht der SNB Kapitalpolster gemessen an der Bilanz von 2,3 Prozent.

Wie hängen die drei Meldungen zusammen? Bundesanwalt Lauber möchte eine Warnerin, die endlich einmal Klartext spricht. Nur: Wenn jemand Klartext spricht (wie seinerzeit Hans Bär), hört niemand zu (ehrlich gesagt: bei Jean Ziegler hatte auch ich stets Ohropax griffbereit). Jene Instanz, denen die Banken von Gesetzes wegen zuhören müssen, die FINMA, darf keinen Klartext sprechen, sonst endet sie in Teufels Küche. Und dann gibt es die Halb-Kassandras wie die BIZ und die SNB, deren hervorragende und diplomatische Berichte man mit viel Respekt liest, dann aber beiseite legt in der Hoffnung, es komme schon nicht alles so schlimm. Schliesslich die Anti-Kassandras (sie gibt es auch unter den Ökonomen), die lieber im Glanze Apollos stehen, statt den Menschen erfolglos auf die Nerven zu gehen.

Eine Instanz, die gleichzeitig so eingebettet ist, dass sie Vertrauen geniesst, und so unabhängig (auch mental), dass sie drohendes Unheil kompromisslos benennt — die müssten wir uns erst verdienen.

Ein neues Steuerdelikt

Urs Birchler

Wie die Presse berichtet, haben sich die Euro-Finanzminister auf direkte Hilfszahlungen an Banken aus dem Rettungsfonds geeinigt. 60 Milliarden Euro. Steuergelder.

Sogar Deutschland stimmt zu. Ausser Martenstein. Harald Martenstein hat im ZEITmagazin schon vor einigen Wochen seine Kolumne unter den Titel „Über ein ganz neues Steuerdelikt“ gestellt. Darin verurteilt er Steuerhinterziehung, hält aber gleichzeitig fest:

Ich finde, dass man auch das Delikt „Steuererschleichung“ unter Strafe stellen sollte … mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. … Wenn aber Steuern für Normalverdiener erhöht werden mit der Begründung, diese Menschen seien reich und es müsse endlich Gerechtigkeit herrschen in Deutschland, dann aber wird ein Teil des Geldes, statt an Obdachlose verteilt zu werden, für die Stützung von Großbanken verwendet, dann hilft nur noch Sicherungsverwahrung.

Ich bin für Steuerehrlichkeit. Sie darf aber keine Einbahnstraße sein.

Danke, Herr Martenstein.

Automatischer Informationsaustausch

Urs Birchler

Es war mir eine Ehre, als Mitglied der Arbeitsgruppe Brunetti am Bericht und den Empfehlungen zur Finanzplatzstrategie mitarbeiten zu können. Es war mir ferner eine Ehre, den Inhalt der Diskussionen vertraulich zu behandeln. Und es war mir eine Freude, dass alle andern Mitglieder dies genauso hielten: Trotz sensitiver Thematik drang während der ganzen vier Monate kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit.

Kaum aber ist der Bericht (für die heutige Sitzung) an den Bundesrat verteilt, steht die Zusammenfassung auch schon in der Presse. Daher eine Präzisierung an die Adresse unserer Bundesbeamten und Beamtinnen: Das war mit dem automatischen Informationsaustausch nicht gemeint.

Parteien im Kantonalbank-Bankrat: Basel versus Zürich

Urs Birchler

Ich bin Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (@SusanneSlo) ein bisschen unhöflich vorbeigekommen. Sie schrieb bei Twitter „Kantonalbanken haben gefehlt. Verantwortung tragen sie dafür nicht. Ein gutes Vorbild für die Jugend.“ Ich fragte zurück: „Wieviele SP-Bankräte haben ZKB und BKB?“ Das war frech (ich bitte höflich um Entschuldigung) und faul: Ich hätte ja nachschauen können.

Bei der ZKB genügen drei Mausklicks, um Bankratsmitglieder samt Parteizuehörigkeit zu finden. Bei der Basler Kantonalbank findet man die Parteizugehörigkeit der Bankratsmitglieder, wie mich Claudio Kuster in einem Tweet vorgewarnt hatte, allerdings nur in Handarbeit. Nachstehend daher (damit die Basler am Tag nach der Meisterfeier nicht selber suchen müssen) die zusammengestellte Parteiliste der beiden Gremien. Die beiden gemeinsame Glückszahl 13 verteilt sich wie folgt auf die politischen Lager:

  1. ZKB: SVP+FDP (6), „Mitte“ (3), SP+Grüne (4)
  2. BKB: SVP+FDP (4), „Mitte“ (3), SP+Grüne+Alternativ (6)

Basler Kantonalbank

  • Andreas Albrecht (Präs.) (LDP)
  • Christine Keller (Vizepräs.) (SP)
  • Sebastian Frehner (SVP)
  • Jan Goepfert (SP)
  • Helmut Hersberger (FDP)
  • Markus Lehmann (CVP)
  • Ralph Lewin (SP)
  • Ernst Mutschler (FDP)
  • Hans Ulrich Scheidegger (Basta)
  • Karl Schweizer (SVP)
  • Jürg Stoecklin (Grüne)
  • Andreas Sturm (GLP)
  • Karoline Sutter Okomba (SP)

Zürcher Kantonalbank

  • Jörg Müller-Ganz (FDP) (Präs.)
  • János Blum (Vizepräs.) (SP)
  • Bruno Dobler (Vizepräs.) (SVP)
  • Alfred Binder (SVP)
  • Thomas Heilmann (Grüne)
  • Hans Kaufmann (SVP)
  • Peter Ruff (SVP)
  • Kurt Schreiber (EVP)
  • Anita Sigg (GLP)
  • Hans Sigg (Grüne)
  • Liliane Waldner (SP)
  • Rolf Walther (FDP)
  • Stefan Wirth (CVP)

Bankenplatz Schweiz: quo vadis?

Urs Birchler

Das Institut für Banking und Finance der Universität Zürich verliert einen der aufrechtesten und gradlinigsten Ökonomen der Schweiz. Drum am besten den Termin vormerken:

Abschiedsvorlesung Prof. Dr. Martin Janssen
Datum: Mittwoch, 12. Juni 2013
Thema: „Bankenplatz Schweiz: Quo vadis?“
Zeit: 18:15 Uhr
Ort: Aula (Raum KOL-G-201, Hauptgebäude der Universität Zürich, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

Aus der offiziellen Einladung:
Prof. Dr. Martin Janssen, Professor für Finanzmarktökonomie am Institut für
Banking & Finance (IBF) und bekannter Exponent des Schweizer Finanzplatzes,
wird Ende dieses Semesters nach 35 Jahren als Professor emeritiert. Neben
seiner Arbeit an der Universität Zürich gründete er 1985 das Beratungs- und
Software-Unternehmen Ecofin, welches massgeblich an der Entwicklung des
Swiss Market Index (SMI) beteiligt war. Martin Janssen ist Verfasser
mehrerer Bücher und Aufsätze im Bereich der Finanzmarktökonomie und zu
staatspolitischen Themen, sowie regelmässig Experte in verschiedensten Fach-
und Tageszeitschriften.

Kapitalverkehrskontrollen und die Schweiz

Urs Birchler

Mit dem auf heute abend erwarteten Rettungspaket für die zypriotischen Banken wird voraussichtlich eine weitere tragende Wand des EU-Gebäudes eingerissen, nämlich die Freiheit des Kapitalverkehrs.

Artikel 63 EU-Vertrag
(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.
(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Damit ist ein Euro in Zypern nicht mehr gleich einem Euro in Frankfurt, wie die FT schreibt. Gleichzeitig entsteht im EU-Raum ein neues Delikt Kapitalflucht. In der Schweiz ist Kapitalflucht kein Strafdelikt, ebensowenig wie Majestätsbeleidigung oder Steuerhinterziehung. Damit haben wir gleich nochmals dasselbe Problem wie mit der Steuerhinterziehung: Die Schweiz darf Zypern keine Rechtshilfe leisten, wenn Geld aus zypriotischen Banken oder Matratzen in die Schweiz gelangt. Friktionen sind vorgespurt. Aber Zypern bleibt ja ein Einzelfall…

KapitAlchemie

Urs Birchler

Die Grossbanken und jetzt auch die ZKB verkaufen ihre Bankliegenschaften, gemäss Pressekommentaren mindestens zum Teil in der Absicht, ihre Eigenmittelquote aufzubessern. Falls dem so sein sollte: Der Umtausch von Liegenschaften in Geld macht die Banken nicht reicher. Echtes Kapital entsteht dabei nicht. Sicherer werden die Banken auch nicht: Mit Bargeld kann man eher Fehler machen als mit einer Liegenschaft an der Bahnhofstrasse.

Wenn verkaufte Liegenschaften in der Bilanz unter ihrem Wert standen, verbessert sich allenfalls die regulatorisch gemessene Eigenmittelquote. Die Vorschrift, bzw. deren Absicht, wird dabei umgangen — in braver Kollusion der Banken und der FINMA.

Zypern

Urs Birchler

Einer unserer Leser schreibt: „Da kochen doch gröbere Geschichten hoch in EU-Land … und Batz schweigt?“ Recht hat er, nur: Erstens wollen Vorlesungen vorbereitet sein. Und zweitens: Nachdem sich schon Paul Krugman und Vladimir Putin einig sind, was können wir noch beitragen?

Daher ultra-kurz meine Einschätzung:

  1. Eine Bankensanierung mittels Gläubigerschnitt wäre grundsätzlich die bessere Alternative zur Rettung auf Staatskosten. Ein solcher Schnitt muss aber im voraus gesetzlich oder vertraglich festgelegt, nicht nachträglich verordnet werden.
  2. Die EU-Richtlinie zum Einlegerschutz verlangt von den Mitgliedländern eine Sicherung von Fr. 100’000 pro Einleger. Guthaben unter 100’000 anzutasten, widerspricht Treu und Glauben.
  3. Ein Abschlag auf gesicherte Einlagen zerstört das Vertrauen in die Einlagensicherung auch in anderen EU Ländern.
  4. Die EU-Einlagensicherung ist weitgehend Fassade. Die versicherten Einlagen sind lediglich zu rund 1,5 Prozent gedeckt, und die Sicherungsträger haben (anders als in USA, Schweiz u.a.) kein Konkursprivileg, das ihnen vorrangigen Zugriff auf das Bankvermögen garantiert.
  5. Die EU hat es versäumt, nach der Finanzkrise ein brauchbares Insolvenzrecht für Banken zu erlassen, daher kann sie erneut nur improvisieren.

Sehr durchdacht kommt mir das Rettungspaket insgesamt nicht vor.

Ähnliche Einschätzungen in Der Spiegel, bei FT-Alphaville oder bei Charles Wyplosz.