Welches Medikament gegen die Corona-Rezession?

Urs Birchler

Die Kommentatoren sind sich einig: Der Corona (oder Sars-Covid-19) Virus schwächt die Weltwirtschaft. Die Menschen bleiben zuhause, statt zu Reisen; öffentliche Anlässe werden gemieden, wenn nicht zum vornherein verboten; Anschaffungen werden vertagt. Auch die OECD warnt in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht Bericht vor allem vor dem Rückgang der Nachfrage.

Der bekannte Ökonom Kenneth Rogoff erinnert deshalb in einem im Artikel im Guardian, dass das Problem mindestens so sehr auf der Angebotsseite liegt. Dutzende Millionen von Arbeitern bleiben dem Arbeitsplatz fern, globale Lieferketten zerfallen, Grenzen werden geschlossen, der Welthandel harzt.

All dies addiert sich zu einem „supply shock“, so Rogoff, wie ihn die Welt seit dem Ölschock der frühen siebziger Jahre nicht mehr gesehen hat. In einer solchen Situation sind zusätzliche Staatsausgaben gut und recht, aber das Angebotsproblem lösen sie nicht. Wichtig wäre es, Handelsbeschränkungen abzubauen und Handelskriege sofort zu beenden. Und — so würde ich anfügen –, den gehäuften Zusammenbruch längerfristig lebensfähiger Unternehmen zu vermeiden.

Nach einem negativen Angebotsschock, erinnert Rogoff, kann die Inflation trotz gleichzeitigem Rückgang der Nachfrage steigen anstatt fallen. Wie war es doch damals? Wir hatten im Studium eben gerade gelernt, dass schwere Rezessionen nicht mehr vorkommen könnten, da Geld- und Fiskalpolitik über genügende Munition verfügten, um die Nachfrage notfalls zu stützen. Da kam der Ölschock, und wir mussten ein neues Wort lernen: „Stagflation“ — das bis dahin als unmöglich erachtete Zusammengehen von Stagnation und Inflation. Oder: Die Strafe für den Versuch, eine Angebotslücke mit Nachfragestimulierung zu schliessen.

Wer hat, der erbt?

Marius Brülhart

In der Schweiz wird doppelt so viel Geld über Erbschaften und Schenkungen umverteilt wie durch die AHV: Geschätzten 95 Erbschafts-Milliarden stehen 46 Milliarden an ausbezahlten AHV-Renten gegenüber.

Während die AHV explizit darauf abzielt, Einkommensunterschiede zu reduzieren, werden Erbschaften gemeinhin als Treiber zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheiten betrachtet. So sahen die Autoren der eidgenössischen Erbschaftssteuervorlage von 2015 ihre Idee als „Gegensteuer“ zu einer immer ungleicheren Verteilung der Vermögen.

Könnte es sein, dass die Initianten nicht nur mit ihrer Einschätzung der Mehrheitsverhältnisse – die Initiative konnte nur 29% des Stimmvolks überzeugen – sondern gar mit ihrer zentralen Prämisse falsch lagen? Befeuern Erbschaften die Vermögensungleichheit überhaupt?

Im Lichte neuer statistischer Befunde scheint die Antwort gar nicht so klar, wie man meinen könnte.

Die Berner Soziologen Ben Jann und Robert Fluder haben Steuerdaten aus dem Kanton Bern ausgewertet. Ihre Studie zeigt auf, dass 18 Prozent der Erbschaften an Erben fliessen, die eh schon zum Top-1-Vermögensprozent gehören. Die Autoren schliessen aufs Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben“.

Dieser Befund ist zweifelsohne korrekt. Aber er greift zu kurz, um Rückschlüsse auf die Verteilungswirkung von Erbschaften zu machen. Es ist nämlich denkbar, dass Erbschaften die Vermögensungleichheit verringern, auch wenn Reiche im Schnitt mehr erben als Arme.

Nehmen wir ein Zahlenbeispiel. Ein „armer“ Erbe mit 50‘000 Franken Vermögen erhält 100‘000 Franken, und sein Nachbar mit 5 Millionen Franken Vermögen erbt eine Million Franken. Der Reiche erbt zehnmal mehr als der Arme: Wer hat, dem wird vererbt.

Aber das Vermögen des Armen hat sich dank der Erbschaft verdreifacht, während das Vermögen des Reichen um bloss 20 Prozent gewachsen ist. Das Verhältnis ihrer Vermögen ist von 100:1 auf 40:1 gesunken. Obwohl der absolute Unterschied um 900‘000 Franken gewachsen ist, ist die Vermögensungleichheit gemäss aller gängigen Ungleichheitsmasse – Gini-Koeffizient, Perzentil-Verhältnisse, und wie sie alle heissen – geschrumpft.

Wenn 18 Prozent der Erbschaften Empfängern im Top-1-Vermögensprozent zugutekommen, klingt das zwar nach viel, aber der Anteil dieser gleichen Gruppe an den gesamten steuerbaren Vermögen liegt in der Schweiz mittlerweile über 40 Prozent. Die Top-1-Prozenter horten also einen grösseren Teil am Vermögenskuchen als sie gemäss der Berner Daten vom Erbschaftskuchen erhalten. Das würde bedeuten, dass sich Erbschaften ausgleichend auf die Vermögensverteilung auswirken.

Zu eben diesem Schluss kommt Peter Moser vom Statistischen Amt Zürich. In Zürcher Steuerdaten beobachtet er, dass die Vermögensdisparitäten unter Steuerzahlern im Alterssegment 57-67 markant zurückgehen. Da dies ein besonders stark von Erbschaften betroffener Lebensabschnitt ist, vermutet Peter Moser eine ausgleichende Wirkung der Erbschaften.

Meines Wissens gibt es in der Schweiz noch keine Studie, die den Effekt von Erbschaften und Schenkungen auf die Vermögensverteilung explizit und umfassend analysiert. (Die beiden vorliegenden Arbeiten lassen nur indirekt Rückschlüsse auf diesen Wirkungskanal zu.)

In Skandinavien sind solche Auswertungen dank einer besseren Datenlage möglich. Studien aus Dänemark und Schweden bestätigen, dass das Reich-Arm-Gefälle bei den Erbschaften etwas weniger stark ausfällt als bei den Vermögen. Die mittlerweile abgeschaffte schwedische Erbschaftssteuer scheint die Vermögensungleichheiten erstaunlicherweise eher verschärft als vermindert zu haben. Sie stellte nämlich trotz eines progressiven Steuertarifs einen höheren Anteil am Gesamtvermögen (Erbschaft plus existierendes Vermögen) von weniger vermögenden als von sehr vermögenden Erben dar.

Eine ebenfalls auf schwedische Daten gestützte aktuelle Studie zeigt hingegen auf, dass arme Erben ihr Erbe rascher aufbrauchen als reiche Erben. Über einen Zeitraum von zehn Jahren nach dem Erbgang konsumieren die meisten Leute ihr gesamtes Erbe. Dabei entfällt in den ersten Jahren nach der Erbschaft über ein Drittel dieses Konsums auf Autos. Zudem ist in den Daten auch ein zwischenzeitlicher Rückgang der Arbeitseinkommen erkennbar: viele Erben gönnen sich etwas mehr Freizeit.

Die grosse Ausnahme bilden Erben im Top-1-Vermögensperzentil. Deren geerbte Vermögen sind auch zehn Jahre nach Erhalt noch weitgehend intakt.

Der Unterschied beim Vermögensverzehr von Top-1-Prozentern und dem Rest der Bevölkerung führt dazu, dass Erbschaften in der langfristigen Betrachtung die Vermögensungleichheit halt doch vergrössern. Somit erscheinen Erbschaften durchaus wieder als potenzielle Treiber von dynastischer Vermögenskonzentration und langfristiger Ungleichheit.

Die Erkenntnisse aus den schwedischen Daten legen auch nahe, dass eine Erbschaftssteuer erst dann von oben nach unten umverteilt, wenn sie stark progressiv ausgestaltet ist. Konkret bedingt das eine markant stärkere Belastung des obersten Vermögensprozents. Die Erbschaftssteuer, über die wir 2015 abgestimmt haben, sah einen Freibetrag von 2 Millionen vor und wurde diesem Kriterium somit gerecht. Die noch existierenden kantonalen Erbschaftssteuern auf direkte Nachkommen jedoch haben viel tiefere Freibeträge – im Kanton Neuenburg zum Beispiel bei bloss 50‘000 Franken. Ob diese Steuern überhaupt progressiv wirken, ist unklar.

Fazit: Ärmere Erben erhalten anteilsmässig am bereits vorhandenen Vermögen eher mehr als reichere Erben, aber sie verbrauchen ihr Erbe auch schneller. In der langen Frist dürften Erbschaften die Vermögensungleichheit somit verstärken. In welchem Masse diese Befunde auf die Schweiz zutreffen, wissen wir nicht wirklich.

Ein ARTE-fakt zum Recht auf Wohnen

Urs Birchler

Gestern Abend verging mir bei ARTE-tv als Ökonom Hören und Sehen. Die „Dokumentation“ zum Recht auf Wohnen türmte in 90 Minuten ein Gebäude aus irreführenden und falschen Aussagen auf, das fast bis zu den Wolken reicht.

Dabei beginnt der Film witzig: „Wie merkst Du, dass Du Deine Wohnung verlierst?“ Antwort: „Wenn in der Nachbarschaft ein 2nd-Hand-Kleiderladen aufgeht.“ Weil: dann kommen die Künstler und anderen coolen Leute, das Quartier wird hip, und die Mieten steigen. Nicht für alle ist das witzig, weil sich einige die höheren Mieten nicht mehr leisten können.

Ökonomisch gesprochen, steigt die Nachfrage rascher als das Angebot, auch in der Schweiz: Die Leute verdienen mehr, geben mehr für’s Wohnen aus und beanspruchen mehr Wohnfläche oder zentralere und hippere Lagen — oder beides.

Der ARTE-Film will uns eine ganz andere Geschichte unterjassen: Das Problem sind „die Spekulanten“, „die Finanzmärkte“, „die Geier“, „Ausbeutung“, „die Eliten“. Schon die Terminologie macht deutlich, dass die Zuhörerschaft nicht zum Denken, sondern zum Fühlen angeregt werden soll.

Dort, aber, wo tatsächlich inhaltlich argumentiert wird, kommt’s strub:

Schon die Hauptthese ist verkehrt: Spekulanten kaufen Häuser, drücken die Preise nach oben, wodurch sich die Mieten verteuern. Diese Geschichte kann man auch beim Mieterverband lesen. Sie stimmt trotzdem nicht. Der Apfelbaum ist wertvoll, weil daran Äpfel wachsen. Und ein Haus ist wertvoll, weil man es vermieten oder darin wohnen kann. Nicht umgekehrt. Den Mieter kümmert es nicht, wieviel die Vermieterin für das Haus gezahlt hat. Noch nie habe ich in einem Wohnungsinserat einen Hinweis gelesen, das Haus sei teuer oder billig gewesen, als Argument für eine hohe Miete („Aufwendig renoviert“ zählt wegen des damit verbundenen Komforts, nicht wegen der Kosten.). Hingegen steht bei Immobilienangeboten oft: „Voll vermietet“ als Argument für einen hohen Kaufpreis. Kurz: „Spekulation treibt Mieten“ ist eine Schwanz-wedelt-mit-Hund-Geschichte.

Der vorliegende Fernsehbeitrag setzt aber noch einen drauf und behauptet, die Spekulanten liessen Häuser aus blanker Gier leerstehen. Wie das zusammengeht, erfahren wir nicht. Vielleicht macht die Regulierung einen vorübergehenden Leerstand lohnend, aber von Regulierung des Wohnungsmarktes ist im Beitrag nicht die Rede. Schade — gerade hier hätte man eine Geschichte von Eigennutz versus Gemeinsinn erzählen können: Generell mögen Bauherren Bauvorschriften nicht besonders; wie der The Economist, berichtet, befürworten jedoch diejenigen, die bereits ein Haus haben, oft Einschränkungen der weiteren Bautätigkeit in ihrem Quartier.

Der Fernsehbericht belegt die Ruchlosigkeit der Immobilienspekulanten jedoch mit dem (durch Mängel in Bau und Unterhalt mitverursachten) Brand des Londoner Grenfell Tower von 2017. Mit keinem Wort wird dabei erwähnt, dass das Hochhaus dem Kensington and Chelsea London Borough Council gehört, d.h. gerade nicht einem gierigen Privatspekulanten, sondern der dem Allgemeinwohl verpflichteten öffentlichen Hand!

Dann eher schräg: Die (in ihrem Fach durchaus renommierte) Soziologie-Professorin Saskia Sassen unterscheidet zunächst zwischen den „bösen“ Finanzmärkten und den (man höre und staune) „guten“ Banken. Sie beklagt, dass Finanzmärkte aus Gewinnsucht Dinge verkauften, die sie gar nicht haben. Die (seit der Finanzkrise permanent gescholtenen) Banken hingegen kümmerten sich echt um das Wohl ihrer Kunden, weil sie dereinst auch deren Kinder und Enkel bedienen möchten. Ferner hat die Soziologin den in ihren Augen haarsträubenden Umstand entdeckt, dass der Wert der Immobilien weltweit grösser sei als das globale BIP, d.h. das gesamtwirtschaftliche Jahreseinkommen. Es scheint der Soziologin bisher entgangen zu sein, dass die meisten Häuser (wohl auch ihr eigenes) selbstverständlich teurer sind als ein Jahreseinkommen ihrer Bewohner.

Überhaupt ist der Beitrag in erster Linie eine Selbstdarstellung der UNO-Sonderbeauftragten Leilani Farha, die zuhanden des UNO-Menschenrechtsrates die Einhaltung des Rechts auf Wohnung in verschiedenen Ländern und Städten beobachtet (im Film: Uppsala, London, Berlin, Valparaiso, New York). Kürzlich intervenierte Frau Farha, wie SRF berichtete, auch beim Bund. Sie will festgestellt haben, dass ein von der CS-Pensionskasse geplanter Neubau einer Wohnsiedlung in Zürich Wiedikon gegen die Menschenrechte verstösst, weil die Mieter in den abbruchbedrohten Liegenschaften zunächst ausziehen müssten. Der Bundesrat muss nun dazu Stellung nehmen.

Ich musste selber nachschauen: Was beinhaltet das Menschenrecht auf Wohnen? Grob gesagt: Es soll jede(r) ein Dach über dem Kopf haben, und zwar ein zumutbares (also beispielsweise mit Wasseranschluss). Ausdrücklich kein Menschenrecht ist jedoch der Verbleib in einer Wohnung im Falle von Renovation oder Neubau. Das offizielle UNO-Dokument sagt dazu klipp und klar: „The right to adequate housing does NOT prohibit development projects which could displace people“ (The Right to Adequate Housing, S. 7). Die Dame könnte auf einer ihren vielen von der UNO (d.h. den Steuerzahlern) finanzierten Reisen vielleicht einmal die eigenen Dokumente lesen, anstatt den Bundesrat mit der Strafaufgabe eines Berichts zur Wohn-Menschenrechtslage in Zürich Wiedikon zu beglücken. Aber, wie sie im Bericht selbst sagt (siehe Bild), es geht nicht um Fakten, „es ist eine Schlacht der Worte“.

Traurig hinterlässt mich nach neunzig Minuten, dass es ausgerechnet den sonst so sympathischen Sender ARTE-tv erwischt hat.

Vermögensungleichheit bei nicht-menschlichen Tieren

Monika Bütler

«We present the first description of “wealth” inequality in a non-human animal». Interessant – zumal die Vermögensungleichheit in diesem Blog schon mehrere Male diskutiert wurde (siehe hier und hier oder hier). Grund genug, die Batz-LeserInnen an den Resultaten teilhaben zu lassen.

Die Studie befasst sich mit der Behausung von Einsiedlerkrebsen. (Zur Erinnerung: Einsiedlerkrebse bewohnen leere Schneckenhäuser oder ähnlichen Behausungen, die von anderen Lebewesen stammen). Konkret messen die Forscher die Verteilung der Grösse der Schneckenhäuser (interpretiert als das Vermögen der Einsiedlerkrebse) und vergleichen sie anschliessend mit der Vermögensverteilung menschlicher Tiere.

Der gemessene Gini Koeffizient der Krebse ist um 0.32. Er ist somit deutlich kleiner als der Gini-Koeffizient heutiger Industriestaaten, bei denen die Gini Koeffizienten zwischen circa 0.50 (Slowakei) und 0.85 (das sehr vermögensungleiche Schweden) liegen. Zur Illustration habe ich die Lorenzkurve der Einsiedlerkrebse aus den Daten des Papers rekonstruiert und damit meine alte Graphik zum Vermögensverteilungsquiz (siehe hier und hier) mit den brandneuen Erkenntnissen angereichert. Tatsächlich liegt die Kurve deutlich über derjenigen der relativ vermögensegalitären Länder wie Irland und Japan.  Auf jeden Fall erreichen die Krebse eine Vermögensverteilung, von der Thomas Piketty nur träumen kann.

Die Forscher argumentieren, dass die gemessene Ungleichheit unter den Einsiedlerkrebsen eher mit derjenigen von kleineren Menschengruppen (Jäger und Sammler zum Beispiel) vergleichbar sei. Möglicherweise ist der Vergleich der Krebsimmobilien mit den menschlichen Vermögen nicht der richtige. Die Schneckenhäuser werfen ja – ausser dem Eigenmietwert – keine Rendite ab und können weder abgebaut noch aufgebaut werden. Eine Verschuldung – wie bei einem guten Viertel der Schweden beobachtet wird – ist auch nicht möglich. Zieht man als Vergleich die Verteilung der Einkommen menschlicher Tiere heran, ist die Übereinstimmung hingegen frappant.

Ob die Einsiedlerkrebse zum Verständnis der Ungleichheit unter den Menschen taugen, wie die Forscher suggerieren, ist meines Wissens noch nicht restlos geklärt.

PS: Wer sich für die Messung der Vermögensungleichheit interessiert, hier noch mein Beitrag für das Magazin Cicero.

Quelle: I.D. Chase, R. Douady and D.K. Padilla, A comparison of wealth inequality in humans and non-humans, Physica A (2019), doi: https://doi.org/10.1016/j.physa.2019.122962

Eigenmietwert: Steuerschikane für sparsame Rentner?

Marius Brülhart und Christian Hilber

Unser NZZ-Gastbeitrag und der ergänzende Batz-Artikel zur vorgeschlagenen Reform der Wohneigentumsbesteuerung haben einige Leserreaktionen ausgelöst. Dabei wurde uns einmal mehr klar, wie vehement viele Hausbesitzer die Besteuerung des Eigenmietwerts missbilligen.

Exemplarisch dafür steht der Brief eines Lehrers im Ruhestand aus dem Zürcher Oberland. Nennen wir ihn zur Wahrung seiner Privatsphäre Herrn Hauser.

Zitat:
Meine Frau und ich, beide aus ärmlichen Verhältnissen, leisteten uns 1966 ein Fertighäuschen. Jeden Franken dazu mussten wir selber verdienen, auch mit Teilzeitarbeit meiner Frau. Unterstützung seitens der Eltern fehlte. Verzicht auf allen Gebieten war angesagt: Auto, Reisen, Essen. Die Zeit war hart, aber ich konnte die nötigen Zahlungen, u.a. Abzahlung 2. Hypothek, leisten. Für all diese Entbehrungen zahle ich nun diese in Notzeiten erfundene, eigentlich nicht zu begründende Sondersteuer auf Eigenmietwert von Fr. 18‘600 jährlich. Für das Sparen werde ich bestraft.

Das Unbehagen von Herrn Hauser ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Er und seine Frau müssen Steuern zahlen auf ein Naturaleinkommen, das sie sich unter langjährigen Anstrengungen selber erwirtschaftet haben – und dies in einem Lebensabschnitt, in dem sie den Gürtel möglicherweise eh schon etwas enger schnallen müssen.

Bei genauer Betrachtung jedoch kommt man zum Schluss, dass schuldenfreie Eigenheimbesitzer im Rentenalter trotz Eigenmietwertbesteuerung finanziell besser gestellt sind, sowohl gegenüber verschuldeten Eigenheimbesitzern im Rentenalter und erst recht gegenüber Mietern, die genau gleich sparsam durchs Leben gegangen sind.

Eine Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung würde diese gut gestellten Haushalte noch weiter privilegieren.

Unsere Überlegungen dazu sprengen den Umfang eines Batz-Artikels und können daher hier nachgelesen werden.

Mythos Wohneigentum

Marius Brülhart und Christian Hilber

In einem NZZ-Gastbeitrag haben wir unlängst dargelegt, wieso wir an der Besteuerung von Eigenmietwerten festhalten würden. Aus Platzgründen konnten wir dort nicht auf alle uns wichtigen Aspekte eingehen. Das holen wir nun nach.

Worum geht es? Die eidgenössischen Räte arbeiten derzeit an einer Vorlage für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Das würde die Hausbesitzer entlasten. Im Gegenzug sollen Hypothekarzinsen nicht mehr abgezogen werden können. Das wiederum täte den meisten Hausbesitzern weh. Viele Befürworter eines solchen Systemwechsels betrachten diesen daher als einigermassen neutral für die Hausbesitzer, sehen darin aber insbesondere den Vorteil, dass steuerliche Anreize zum Schuldenmachen wegfallen würden.

In unserem NZZ-Artikel legen wir dar, dass das neue System wahrscheinlich noch eigentümerfreundlicher wäre als das aktuelle System. Alle Hausbesitzer, derer steuerbarer Eigenmietwert die Abzüge für Unterhalt und Hypothekarzinsen übertrifft, würden von der Umstellung profitieren.

Wir plädieren für die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung, denn die einschlägige wissenschaftliche Literatur liefert gelinde gesagt wenig Argumente für eine stärkere Förderung des Wohneigentums.

Am Anfang dieser Diskussion steht also die Frage, ob und wieso Wohneigentum förderungsbedürftig ist.

Wohneigentumsförderung lässt sich aus ökonomischer Sicht dann begründen, wenn der freie Markt zu einer Unterversorgung führt. Dies ist der Fall, wenn Wohneigentum externe Nutzen schafft – das heisst Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, in den Marktpreisen jedoch nicht abgegolten werden.

Empirische Analysen haben solche Effekte in der Tat nachgewiesen. Wohneigentümer investieren mehr in soziales Kapital als Mieter: Sie reden mehr mit Nachbarn, organisieren sich häufiger in Nachbarschaftsclubs und helfen sich generell öfter gegenseitig. Zudem halten Wohneigentümer ihre Immobilien in der Regel besser in Stand. Schliesslich bewirkt fremdfinanziertes Wohneigentum mit rückzahlbaren Hypotheken automatisches Sparen und hilft so, die Altersvorsorge eigenverantwortlich zu sichern.

Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien auch externe Kosten des Immobilienbesitzes auf. So sind Wohneigentümer in der Regel weniger mobil als Mieter, was zu Fehlallokationen in Wohn- und Arbeitsmärkten führen kann. Forschung aus unserer eigenen Küche offenbart zudem, dass fremdkapitalfinanziertes Wohneigentum das kleine Unternehmertum hemmen kann, und dass Wohneigentümer tendenziell weniger in informelle berufliche Netzwerkpflege investieren. Schliesslich ist eine übermässige Hypothekarverschuldung ein Risikofaktor für die Stabilität der Finanzmärkte.

Ob externe Nutzen oder externe Kosten überwiegen, bleibt somit offen.

Klar ist, dass Steuervergünstigungen immer von irgendjemandem – in diesem Fall vor allem auch von den Mietern – kompensiert werden müssen. Zudem kann sich eine staatliche Wohneigentumsförderung sogar kontraproduktiv auswirken. Studien aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass Steuervergünstigungen städtisches Wohneigentum paradoxerweise eher senken statt es zu erhöhen. Dies geschieht deshalb, weil die Eigentumsförderung in Gebieten mit Angebotsknappheit die Immobilienpreise erhöht, was wiederum Erstkäufern die notwendige Anzahlung an eine Hypothek erschwert.

Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Steuersystem möglichst neutral ausgestaltet sein sollte. In der Schweiz wird Wohneigentum bereits begünstigt, durch tiefe Eigenmietwerteinschätzungen und grosszügige Unterhaltsabzüge wie auch durch Kapitalbezugsmöglichkeiten in der zweiten und dritten Säule.

Für eine noch stärkere Bevorteilung der Hauseigentümer gegenüber den Mietern gibt es kaum stichhaltige volkswirtschaftliche Argumente.

Der grosse NFA-Frieden

Marius Brülhart und Kurt Schmidheiny

Der Nationale Finanzausgleich (NFA), ein ewiger Zankapfel der Schweizer Politik, rückt 2019 noch stärker als sonst ins Rampenlicht. Gleich zwei NFA-Reformen stehen an: Eine neue Berechnungsmethode der kantonalen Finanzkraft im Zuge der Unternehmenssteuerreform und ein neues System zur Festlegung der Umverteilungssummen gemäss Vorschlag der Kantone.

Erstaunlicherweise stossen die beiden Vorlagen – immerhin der erste gewichtige Umbau des NFA seit seiner Einführung im Jahr 2008 – kaum auf Widerstand. Während der Unternehmenssteuerreform im Mai voraussichtlich eine zweite Bewährungsprobe an der Urne bevorsteht, scheint deren NFA-Komponente politisch unumstritten. Und der Vorschlag zum Systemwechsel bei der Umverteilung wurde im März 2017 von 21 Kantonen unterstützt, inklusive aller Geberkantone.

Trotzdem geht die Diskussion unter Ökonomen munter weiter. Uns Volkswirte interessieren neben den Verteilungswirkungen vor allem auch die gewollten und ungewollten Anreizwirkungen von Politikvorschlägen.

Der NFA bewirkt, dass es für Kantone weniger lukrativ ist, sich um neues Steuersubstrat zu bemühen. Jeder zusätzlich ausgewiesene steuerbare Franken kostet die Geberkantone nämlich eine Zusatzeinzahlung in den NFA-Topf respektive die Nehmerkantone eine Minderauszahlung aus demselben. Der Finanzausgleich fungiert somit als eigentlicher „Steuerwettbewerbs-Lusthemmer“. Das Mass für die lusthemmende Wirkung ist die Grenzabschöpfungsquote; diese erfasst den Anteil an jedem zusätzlichen kantonalen Steuerfranken, der via NFA gleich wieder verloren geht.

Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind die Grenzabschöpfungsquoten besonders hoch. In einer detaillierten Analyse haben Patrick Leisibach und Christoph Schaltegger von der Universität Luzern unlängst aufgezeigt, dass im aktuellen NFA fast die Hälfte der Kantone mit Grenzabschöpfungsquoten von über 100% konfrontiert sind, wenn sie Gewinne von ordentlich besteuerten Unternehmen anziehen. Für die Staatskasse dieser Kantone und ihrer Gemeinden sind zusätzliche Firmengewinne also ein Verlustgeschäft.

Die enormen Grenzabschöpfungsquoten auf Unternehmensgewinnen ergeben sich daraus, dass Gewinne im NFA gleich gewichtet werden wie Haushaltseinkommen, aber von den Kantonen viel tiefer besteuert werden. Nachdem die durchschnittlichen Firmensteuersätze in der Schweiz im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte beinahe halbiert wurden, avancierte die Schweiz zu einem der weltweit steuergünstigsten Standorte für Firmengewinne und nach Irland zum zweitgrössten Magnet für buchhalterische Gewinnverschiebungen in Europa. Die Unternehmenssteuerreform sieht vor, diesem Umstand Rechnung zu tragen: Gewinne sollen tiefer gewichtet werden als Haushaltseinkommen, und zwar im Verhältnis der tatsächlichen Besteuerung. Unternehmensgewinne sollen so nur noch mit einem Gewicht von etwa einem Drittel in die Berechnung der kantonalen Finanzkraft einfliessen. Damit sinken auch die Grenzabschöpfungsquoten markant. Voraussichtlich würden nach einer Umsetzung der Reform nur noch die beiden Kantone Uri und Glarus Grenzabschöpfungsquoten von über 100% auf Unternehmensgewinnen zu gewärtigen haben.

Auch mit tiefer gewichteten Gewinnen mindert der Finanzausgleich noch den Anreiz der Kantone, ihr Unternehmenssteuersubstrat zu „pflegen“. Leisibach und Schaltegger schlagen deshalb vor, Unternehmensgewinne künftig gar nicht mehr in die Bestimmung der NFA-relevanten kantonalen Finanzkraft einzubeziehen. Damit läge die Grenzabschöpfungsquote für Unternehmensgewinne bei null.

Grenzabschöpfungsquoten grösser null sind aber durchaus sinnvoll, denn nicht jede Anstrengung eines Kantons zur Erhöhung des eigenen Steuersubstrats dient dem Gesamtwohl des Landes (geschweige denn der anderen Länder). Die Kantone rangeln nämlich nicht nur um mobile Firmengewinne aus dem Ausland, sondern auch – und dies erst recht nach der Abschaffung der Statusbesteuerung – um Firmengewinne aus anderen Kantonen. Aus der Finanzwissenschaft ist wohlbekannt, dass Steuerwettbewerb erstens eine zu tiefe durchschnittliche Besteuerung der besonders mobilen Steuerobjekte nach sich zieht und zweitens kleine Kantone gegenüber grossen bevorteilt. Als preisgesteuertes Mittel gegen die Erosion der Unternehmenssteuer im innerhelvetischen Wettbewerb hat der NFA somit durchaus eine ökonomische Berechtigung.

Zudem gilt es, neben den Anreizwirkungen die Verteilungswirkungen nicht aus den Augen zu verlieren. Die Unterschiede bezüglich der kantonalen Finanzkraft sind heute nämlich riesig. So reicht die aktuelle Finanzkraft (Ressourcenpotenzial pro Einwohner im Referenzjahr 2019) von 22‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Jura bis 83‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Die darin enthaltenen Gewinne der juristischen Personen umfassen eine noch grössere Spannbreite: von 3‘900 Franken pro Einwohner im Kanton Wallis bis 34‘300 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Diese enorme Ungleichverteilung würde bei der Nichtberücksichtigung der Unternehmensgewinne im NFA überhaupt nicht mehr kompensiert.

In einer neuen Studie zeigen wir auf, dass die beiden anstehenden Reformen zusammen betrachtet die interkantonalen Disparitäten noch leicht stärker reduzieren als das aktuelle System. Dass dies erreicht wird bei einer gleichzeitigen Entschärfung der Anreizproblematik, zeugt von einem durchdachten und ausgewogenen Reformbündel.

Friede herrscht!

Ehrendoktorat für @BatzMonika

Urs Birchler

Gestern durfte Mit-Batzerin Monika Bütler das Ehrendoktorat der Universität Luzern entgegennehmen. Sie wurde geehrt für ihre international anerkannten Arbeiten im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Dekan, Dekan Christoph Schaltegger, würdigte die Geehrte (gekürzt; ganzer Text siehe Medienmitteilung):

Das Engagement von Monika Bütler spannt den Bogen von akademischer Forschung auf höchstem Niveau über öffentliche Beiträge zu Fragen der aktuellen politischen Debatte bis hin zur Übernahme unternehmerischer Verantwortung. Sie betreibt seit den Anfängen ihrer akademischen Karriere in überzeugender Weise den Dialog zwischen Theorie und Praxis und bringt so ihre tiefe Überzeugung zum Ausdruck, dass eine funktionierende Gesellschaft einer breit abgestützten und konstruktiven Diskussion bedarf.

Der Dekan erwähnte ausdrücklich auch Monikas Mitarbeit bei batz.ch, was uns besonders freut.