Man soll nicht das Kind mit dem Bad ausschütten: Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Volkswirtschaftslehre

Gebhard Kirchgässner

In seinem neusten Beitrag schreibt Gebhard Kirchgässner, welche Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Volkswirtschaftslehre gezogen werden können, wo es Fehler gegeben hat und was dennoch vom ökonomischen Ansatz bleibt.

SBB umgefragt

Heute habe ich per email die Einladung erhalten, an einer Umfrage unter GA Abonnenten teilzunehmen. Die teilweise absurden Fragen erinnerten mich an eine andere (telefonische) SBB Befragung, die ich vor ein paar Jahren aufzeichnete.

„.. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass 5% der Anrufe zu Ausbildungszwecken aufgenommen werden…“. Dann Frage nach den Personalien usw.

 „Mit welchem Fahrausweis reisen Sie meistens?“

„mit einem Generalabonnement der SBB“

„Benutzen Sie auch andere Fahrkarten wie Einzel- und Mehrfachkarten?“

„neben einem GA? Natürlich nicht“

„Besitzen Sie ein Halbtagsabonnement“

„Natürlich nicht“

„Wir stellen Ihnen nun einige Fragen zu von Ihnen unternommenen Fahrten in den letzten 4 Wochen. … Haben Sie in dieser Zeit eine Geschäftsreise unternommen? Wenn ja, von wann bis wann und wohin?“

„Ja, vom 4. bis 6. November nach Tilburg, Niederlande“

(im Rahmen einer Folgefrage zum Arbeitsweg) „Dann haben Sie also letzte Woche von Dienstag bis Donnerstag nicht gearbeitet?“

etwas später:

„Haben Sie in den letzten 4 Wochen eine Ferienreise unternommen?“

„Ja, von Zürich nach Lugano, am 15. Oktober“

„Wie viele km sind das?“

„etwa 200, aber das sollten Sie als Befragerin im Auftrage der SBB doch selber wissen“

„aha, 225km, wann genau sind Sie in Zürich abgefahren?“

„Das weiss ich nicht mehr „

„Sie wissen also nicht mehr genau, wann Sie abgefahren sind?“

„Nein. … Haben Sie denn keinen Eintrag „weiss nicht“?

„Nein“

„Dann schreiben Sie doch einfach 1 Uhr“

„Nein das geht nicht, wir müssen dies eben genau wissen und darum macht es keinen Sinn, mit Ihnen das Interview weiterzuführen. Ich kann nicht irgend etwas einfach etwas einfüllen, sonst kriege ich Schwierigkeiten.“

„Und Sie kriegen keine Schwierigkeiten, wenn Sie das Interview wegen einer komplett unwichtigen unvollständigen Information nicht weiterführen?“

„Nein, es ist eben sehr wichtig, diese Daten genau zu erheben zu können und so brechen wir das Interview hier ab.“

 In der verzweifelten Hoffnung, das Gespräch werde tatsächlich aufgenommen, habe ich der Dame dann noch versucht zu erklären, weshalb diese Umfrage wohl kaum geeignet ist, verlässliche Infos zu Benutzung von ÖV zu liefern.

Auf solchen Informationen basieren dann wohl Strategieentscheidungen der SBB.

 

Bundesrätliche Ladehemmung

Urs Birchler

Wird die Nationalbank ihre Generalversammlung am 27. April ohne gewählten Präsidenten abhalten müssen? Dessen Amt bliebe damit seit bald vier Monaten verwaist. Das ist zwar noch kein Weltrekord: In Indonesien blieb der Sitz des Gouverneurs während neun Monaten vakant; in Pakistan 2010 und während drei Monaten (2010) und einem Monat (2011). Aber es ist auch kein gutes Zeichen.

Zuständig für die Ernennung des Präsidenten des Direktoriums der Nationalbank ist gemäss Nationalbankgesetz (Art. 43) der Bundesrat — und zwar nicht auf Empfehlung des Bankrates. Eine Empfehlung des Bankrates ist nur notwendig zur Wahl ins Direktorium (Art. 34 Abs. 2); welches Mitglied des Direktoriums dann Präsident oder Vizepräsident wird, liegt allein in der Kompetenz des Bundesrates (Art. 34 Abs. 2).

Dass es ein Schildbürgerstreich wäre, dem amtierenden Vizepräsidenten Thomas Jordan einen Externen vor die Nase zu setzten, scheint unbestritten. Warum dann Thomas Jordan mit der provisorischen Zwei auf dem Rücken die GV leiten lassen? Glaubt am Ende jemand, ihn weichklopfen zu müssen? Anders kann ich mir die Ladehemmung im Bundeshaus beim besten Willen nicht erklären. In Zeiten, wo die einen von Wechselkursen von 1.40 zum Euro schwärmen, während die Nationalbank täglich dem lieben Gott danken muss, wenn sie mit 1.20 über die Runden kommt, scheint es vielleicht attraktiv, den Bewerber fürs Präsidium noch etwas zu grillieren. Ob es klug ist, ist eine andere Frage.

Steuerbelastung inflationsbereinigt

Monika Bütler

Mein Kollege Beat Hintermann von der Uni Basel und seine Mitarbeiterin Anja Roth haben sich die Mühe gemacht, die Steuerbelastungen für vier Einkommensgruppen für die Jahre 1990 und 2010 zu berechnen – INFLATIONSBEREINIGT (von 2010 zurückgerechnet). Nicht berücksichtigt ist die Reallohnentwicklung. Wer heute 50’000 Franken verdient, ist in der Einkommensverteilung weiter unten als jemand der im Jahre 1990 inflationsbereinigt denselben Lohn hatte. Beat Hintermann und Anja Roth haben  drei Grafiken gemacht: Änderung der Steuerbelastung in Franken, in Prozentpunkten und in Prozenten (*).

Die Zahlen zur Steuerentwicklung 1990-2010 bestätigen, was ich bereits vermutet hatte:
a) Die unteren Einkommen wurden tatsächlich entlastet. Allerdings sind die Entlastungen geldwertig klein. 31 Prozent entsprechen gerade einmal 1.6 Prozentpunkten oder circa 800 Franken.
b) Die mittleren Einkommen wurden nur wenig entlastet.
c) Die höheren Einkommen wurden tendenziell eher mehr entlastet als die mittleren.

Es zeigt sich allerdings auch eine riesige Heterogenität zwischen den Kantonen. Gewisse Kantone haben sowohl niedrige wie auch höhere Einkommen steuerlich entlastet. In einigen änderte sich nichts (Zürich),  andere erhöhten die Steuern in allen Einkommensgruppen.

PS (*): Die Veränderungen in Prozent von Prozent anzugeben, macht eigentlich überhaupt keinen Sinn. Wenn die Steuerbelastung von 2% auf 1% zurückgeht, so würde dies eine 50% Steuerreduktion bedeuten, auch wenn die Beiträge nur klein sind.


Leidet economiesuisse unter Geldillusion? (Fortsetzung)

 Monika Bütler und Christian Marti

Wir haben versucht, den Einfluss der Teuerung auf die Analyse der Steuersenkungen pro Einkommensgruppe in der Studie von economiesuisse herauszurechnen. Dies unter den Annahmen, dass es keine grundsätzlichen Änderungen am Steuersystem gab in den 20 Jahren und dass die kalte Progression ausgeglichen wurde. Die Graphik finden Sie hier für die Stadt Zürich.

Lesebeispiel: Bei einem Einkommen von 60‘000 Franken im Jahre 2010 hätte economiesuisse alleine aufgrund der Teuerung eine Steuerreduktion von 40% für Verheiratete mit 2 Kindern, 32% für Verheiratete ohne Kinder und 23% für Alleinstehende gefunden. Die Spalten für 30‘000 respektive 40‘000 Franken für Verheiratete mit Kindern fehlen, da diese Gruppen so wenig Steuern zahlen, dass ein Vergleich ohnehin sinnlos ist – umso mehr, wenn es um prozentuale Veränderungen geht.  

Grosszügig interpretiert kann der Rest der von economiesuisse gefundenen Steuerreduktionen in Grafik 4 als effektive reale Steuersenkungen interpretiert werden. Bei einem Einkommen von 60‘000 Franken wären dies 32% für Verheiratete mit Kindern, 16% für Verheiratete ohne Kinder und 5% für Alleinstehende: In Frankenbeträgen rund 500 Franken für Verheiratete mit und ohne Kinder, 250 Franken für Alleinstehende. Pro Jahr.

Allerdings ist bei dieser grosszügigen Interpretation Vorsicht am Platz. Erstens natürlich aus Datengründen. Wir haben den Effekt nur für die Stadt Zürich gemessen, und die Art der Berücksichtigung der Abzüge führt schnell einmal zu geldmässig kleinen, prozentuell aber grossen Abweichungen. Zweitens gab es in den letzten 20 Jahren auch real Einkommenszuwächse, welche die relative Position der Steuerzahler in der Verteilung beeinflussen.  Oder anders gesagt: Selbst wenn es keine Teuerung gegeben hätte, wäre jemand mit 60‘000 Franken Einkommen heute relativ gesehen ärmer als jemand mit einem Einkommen von 60‘000 Franken Einkommen vor 20 Jahren.

Wir teilen durchaus die Meinung von economiesuisse, dass „gewöhnliche“ Bürger von Steuersenkungen ebenfalls profitiert haben könnten, dies allerdings in weit geringerem Ausmass als economiesuisse uns weismachen will. Auch die Millionäre haben über den Teuerungseffekt hinaus von Steuersenkungen im Ausmass von rund 7% profitiert (oder rund 25‘000 Franken pro Jahr, auch diese Zahl ohne Gewähr). Einzige Gruppe, die nicht von realen Steuersenkungen profitiert zu haben scheint, ist der obere Mittelstand (+- 200‘000 Franken Bruttoeinkommen). Vielleicht täuschen wir uns hier. Auf jeden Fall liefert der economiesuisse Bericht keine Evidenz zu den wirklichen Nutzniessern der Steuersenkungen. Schade.

PS: Da die Teuerung nicht berücksichtigt wurde, ist auch die Grafik 5 im economiesuisse Bericht falsch – sie sagt absolut nichts über die Veränderung der Progression aus.

Leidet economiesuisse unter Geldillusion?

In der Schnelle (Details folgen): Economiesuisse behauptet, dass die Steuerbelastung vor allem für die unteren Einkommensklassen gefallen ist. Dies wird anhand eines Vergleichs der geschuldeten Steuern für die Jahre 1990 und 2010 für mehrere Einkommensgruppen dargestellt (Grafik 4).

NUR: 60’000 im Jahre 1990 sind nicht 60’000 Franken im Jahre 2010. Dazwischen liegen nicht nur 20 Jahre sondern vor allem 40% Inflation. Real entsprechen 60’000 Franken 2010 nur etwa 42’800 Franken im Jahre 1990. Wenn in den 20 Jahren nur schon die kalte Progression ausgeglichen wurde, dann hätte man in den 20 Jahren für Verheiratete folgende „Steuersenkungen“ gefunden: -40% (30’000 in 2010), -30% (60’000), -25% (150’000), -4% (1Mio). Das ist zwar etwas weniger als die von economiesuisse publizierten Zahlen, aber das Muster ist dasselbe. Alle Zahlen ohne Gewähr. Details folgen.

Ich kann mich selbstverständlich irren – bin gespannt auf Gegendarstellungen. Vielleicht hat economiesuisse ja die Einkommen tatsächlich deflationiert.

Land der begrenzten Ungleichheiten

Marius Brülhart

Jenseits des Atlantiks geben die neuesten Verteilungsstatistiken von Emmanuel Saez zu reden. Das reichste Prozent schneidet sich in den USA nach einer krisenbedingten Flaute nun wieder ein wachsendes Stück vom Wirtschaftskuchen ab. Und dies auf hohem Niveau: Auch im Jahr 2009, mitten in der Finanzkrise, flossen satte 17 Prozent des gesamten Einkommens ans reichste Prozent der Steuerzahler. Auf die obersten zehn Prozent entfiel gar nahezu die Hälfte des amerikanischen Haushaltseinkommens. Wie die unten stehende Grafik zeigt, war dem nicht immer so, denn die US-Einkommensschere ist erst seit den achtziger Jahren so richtig auseinandergegangen.

Wie steht es in dieser Hinsicht um die Schweiz? Mittels anonymisierter Individualdaten der direkten Bundessteuer ist es seit Kurzem möglich, auch für unser Land präzise Zahlenreihen zu generieren (der ESTV und dem Nationalfonds sei Dank, wie auch meinen Mitarbeitern Stefanie Brilon und Raphaël Parchet). Die derzeit verfügbaren Daten reichen von 1973-74 bis 2008. Sie decken die Gesamtheit der Schweizer Steuerzahler ab, was uns bis zu 3,6 Millionen jährliche Beobachtungen beschert.

Hiermit eine erste Auswertung, grafisch dargestellt in Form der roten Zahlenreihen, exklusiv für unsere treue Batz-Leserschaft (die Romandie ist bereits via Le Temps informiert). Die Grafik legt drei Feststellungen nahe:

  • Die obersten Einkommen haben im Jahrzehnt vor der Finanzkrise tatsächlich auch in der Schweiz überdurchschnittlich zugelegt. Ihr Anteil am gesamten Kuchen wuchs um beinahe ein Drittel. Eine ähnliche Entwicklung stellt man auch bei der Vermögensverteilung fest. Allerdings gibt es (mittels der Steuerdaten bislang noch nicht erfassbare) Anzeichen auf einen Rückgang der Einkommensungleichheit nach 2008.
  • Auch auf dem Gipfel der Vorkrisenkonjunktur waren die Schweizer Einkommen erheblich weniger ungleich verteilt als diejenigen der US-Amerikaner. Im Jahr 2008 erfreute sich das oberste Prozent in der Schweiz eines Anteils von 11.5 Prozent am steuerbaren Gesamteinkommen. Das sind etwas weniger als zwei Drittel des Anteils, der damals dem obersten Prozent in den USA zukam.
  • Die langfristige Entwicklung der Einkommensverteilung in unserem Land ist verhältnismässig stabil. Die in der jüngeren Vergangenheit für schweizerische Verhältnisse rekordhohen Ungleichheiten von 2008 lagen immer noch unter dem Niveau der frühen siebziger Jahre; und der in den USA beobachtete markante Anstieg der letzten drei Jahrzehnte ist bei uns grösstenteils ausgeblieben. Schweizer Datenreihen, die bis in die dreissiger Jahre zurück reichen (allerdings aufgrund etwas weniger präziser statistischer Grundlagen), zeichnen das gleiche Bild: Die Verteilung der steuerbaren Einkommen hat sich im Zeitverlauf relativ geringfügig verändert.

Wie sich die Einkommen idealerweise über die Bevölkerung verteilen sollten, ist weitgehend Ansichtssache. Zudem ist die Problematik vielschichtiger, als dass man sie mit ein paar simplen Zahlenreihen umfassend beziffern könnte. Dennoch wage ich den (unweigerlich subjektiven) Schluss, dass in der Schweiz – im Gegensatz zu den USA – in den letzten Jahrzehnten kein genereller Neubedarf an staatlicher Einkommensumverteilung erwachsen ist.

Allerdings ist es durchaus denkbar, dass sich die Tendenz der Jahre vor der Finanzkrise in der nächsten Zukunft wieder fortsetzt und sich die Einkommensschere auch bei uns noch weiter öffnet. Wir werden die Daten aufmerksam weiter verfolgen und eingehend auf Kausalzusammenhänge hin erforschen. Batz bleibt dran.

SNB: Die Würfel sind gefallen!

Urs Birchler

Gemäss vertraulichen, aber verlässlichen Informationen wird der Bundesrat am kommenden Mittwoch — also noch vor der SNB-Generalversammlung vom 28. April — die Ersatzwahlen in die Nationalbank bekanntgeben. Vergangene Woche gelang endlich ein Kompromiss zwischen rechts und links, bzw. zwischen den Gegnern riskanter Devisen-Interventionen und den Befürwortern eines Eurokurses von mindestens 1.30. Einig waren sich die Parteien offenbar darin, dass nach der Kommunikations-Katastrophe vom vergangenen Dezember für die SNB-Ämter nur „Power-Kommunikatoren“ in Frage kommen.

Neues Mitglied des Direktoriums wird daher Roger Köppel, bisher Chefredaktor der Weltwoche und eher dem SVP-Lager nahestehend. Der Bundesrat stellt damit sicher, dass ein Gegener spekulativer Interventionen im Direktorium der Nationalbank Einsitz nimmt, und honoriert gleichzeitig die Verdienste der Weltwoche bei der Aufdeckung des Falles Hildebrand. Einmal mehr übergangen wird damit die SP (sie hatte in der 105-Jährigen Geschichte der SNB noch nie ein Mitglied im Direktorium). Neues Mitglied des Bankrates (und vorgesehen als Präsident) wird deshalb als Kompensation der zwar nicht der Partei angehörige, aber klar links-keynesianische politisierende Roger Schawinski (er soll mit einem Wechselkurs zum Euro von Fr. 1.50 sympathisieren).

Der Blick wird morgen Montag wohl mit der Schlagzeile: „Der doppelte Roger“ am Kiosk hängen. Die öffentliche Meinung kommt jedoch einmal mehr zu spät: Die Unterlagen für die Bundesratssitzung müssen nämlich schon morgen Montag vormittag von der Bundeskanzlei verschickt werden. Eine rechtzeitige Meinungsäusserung ist daher praktisch nur möglich als Kommentar zu batz.ch. Wir werden deshalb alle Kommentare, die uns heute, 1.4.2012, vor Mitternacht erreichen, am Montag früh an die Bundeskanzlei weiterleiten.

Nachtrag: APRILSCHERZ

Zählen wir das, was zählt?

Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 25. März unter dem Titel „Zählen und erzählen wir das, was wirklich zählt?“ ( Untertitel: Einschaltquoten und «Impact»-Statistiken führen zunehmend in die Irre)

„Wi taari säge?“ soll früher die höfliche St. Galler Metzgerin gefragt haben, wenn ein Kunde den Laden betrat, den sie als Doktor oder Professor verdächtigte. Auch der Wiener Musikverein will beim Online-Verkauf für Konzertkarten niemanden falsch anreden. Die Käuferin hat die Wahl zwischen nicht weniger als 76 Anreden – vom „Amtsrat“ über die „Kammersängerin“ bis zum „Univ.-Prof. Dr.“

Die Titelliste des Musikvereins amüsant, aber eigentlich völlig unwichtig. Dennoch stürmte sie die Hitparade: unter den 400 Einträgen in unserem Blog zu aktuellen Themen der Wirtschaftspolitik landete sie gleich auf Platz Drei – gemessen an der Anzahl Kommentare, den ausgelösten Tweets und den Erwähnungen in anderen (Online‑) Medien. Übertroffen wurde die Titelliste nur noch von zwei nebensächlichen Einträgen zu Urheberrechtsverletzungen. Erst auf dem vierten Platz folgt der erste Beitrag, der im weiteren Sinne etwas mit der Zielsetzung des Blogs zu tun hat: Ein Quiz zur Vermögensverteilung in verschiedenen Ländern. Noch weiter hinten dann die teilweise unter beträchtlichem Forschungsaufwand verfassten „seriösen“ Texte. 

Es soll uns zwar nicht besser gehen als anderen Informationsanbietern. Die früher unter „Unglücksfälle und Verbrechen“ zusammengefassten Meldungen sind nun einmal attraktiver als fundiert recherchierte Hintergrundartikel. Die Erfahrungen aus dem eigenen Blog bereiten mir dennoch Bauchweh. Aus einer Innensicht, weil das Ranglisten-Fieber letztlich auch die Art der Öffentlichkeitsarbeit von Forschern beeinflusst. Aus einer Aussensicht, weil die wirtschaftspolitische Debatte nicht nur im Blog, sondern auch in der „richtigen“  Politik mehr und mehr durch den Reiz medialer Strohfeuer (ab)gelenkt wird.

Zum ersten. Ich wäre die Letzte, die sich innerhalb der Hochschulen gegen eine Berücksichtigung der Öffentlichkeitsarbeit bei der Evaluation von Forschern wehrt. Es ist nicht nur jammerschade, wenn gute Forschung im Elfenbeinturm verdorrt. Es wäre auch ein Witz, wenn staatlich besoldete Wissenschaftler ausgerechnet wegen eines Diensts am Steuerzahler – der Aufbereitung von Forschungsresultaten für eine breitere Öffentlichkeit –  büssen müssten. Denn Medienarbeit kostet; Forschungszeit nämlich. Verständlich auch, dass die öffentliche Wirkung an messbaren Grössen abgelesen werden soll. Doch die leicht verfügbaren Indikatoren messen die Wirkung der Arbeit noch schlechter als bei der Forschung. Wer eine parlamentarische Kommission von einer ineffizienten Massnahme abhalten kann, spart dem Land vielleicht Millionen von Franken. Eine grosse Anzahl Zitationen, Kommentare, Tweets erhält er dadurch nicht. Wer messbaren Impact haben will, sorgt besser für moderaten Klamauk als für Aufklärung.

Zum zweiten. Unsere Erfahrungen im Blog finden sich in der politischen Debatte wieder. Gerade in den letzten Monaten dominierten die medial begleiteten und deshalb attraktiven Diskussionen aus der chronique scandaleuse. Die wirklichen Herausforderungen der Zukunft blieben hingegen liegen. Ein aktuelles Beispiel: Der kurz vor Weihnachten publizierte Bericht des Bundesrates zur Zukunft der zweiten Säule schien bis vor kurzem kaum jemanden zu interessieren. Dabei steckt in den 160 Seiten nicht nur viel Brisantes, die zweite Säule betrifft auch alle Bewohner der Schweiz direkt oder indirekt über Steuern und Immobilienpreise. Zudem zeigen uns die südeuropäischen Länder zur Genüge, was passiert, wenn man sich bei der Alterssicherung Illusionen hingibt. Dennoch: Wir debattieren in Presse und Politik lieber über die erzwungene Frühpensionierung der drei Schweizer Delphine als über die fehlenden Mittel zur Pensionierung der vie Millionen Arbeitenden im Lande. Als könnte die St. Galler Metzgerin dann schon jedem „eidg. dipl. Säule-2-Geschädigten“ täglich einen Zipfel Bratwurst zustecken.

Titelökonomie

Monika Bütler

Gestern Tickets für den Wiener Musikverein gebucht.
Etwas unsicher war ich bei der Registrierung. Hier die Auswahl an Titeln:

Amtsrat
ao. Univ.-Prof.
ao. Univ.-Prof. Dr.
Arch.
Arch. DI
BA
Botschafter
Botschafterin
Bürgermeister
DDI
DDr.
DI
DI (FH)
DI Dr.
DI Mag. Dr.
Dir.
Dkfm.
Dkfm. Dr.
Dkfm. Mag.
Dkfm. Mag. Dr.
Dott.
Doz. Dr.
Dr.
Dr.h.c
Drs.
Gen.Dir.
Gen.Sekr.
Graf
Gräfin
Hofrat
Hofrat Dr.
Hofrat Mag.
Ing.
Intendant
Kammersänger
Kammersängerin
Kammerschauspieler
Kammerschauspielerin
Konsul
KR
KR.DDr.
KD.Dkfm.Dr.
KR.Dr.
L.Abg.
Mag.
Mag. (FH)
Mag. DDr.
Mag. Dr.
MAS
MBA
MD
Min.Rat
Min.Rat Dr.
Min.Rat Mag.
MMag.
MMag. Dr.
o. Univ.-Prof.
o. Univ.-Prof. Dr.
Oberst
Obstlt
OSTR
Pastor
Pfarrer
PhD.
Präs.
Prim.
Prim. Dr.
Prof.
Prof.DDr.
Prof.Dr.
Prof.Dr.h.c.
Prokurist
RA
Reg.Rat
Senator
Univ.-Prof.
Univ.-Prof. Dr.