Wer denkt, die schönen Plätze der Schweiz seien überlaufen oder überteuert, dem können wir die Strada Alta empfehlen. Während am Wochenende von Auffahrt die Autos vor und hinter dem Gotthard stauten und die Besucher in den Tessiner Städten sich gegenseitig auf die Füsse traten, waren auf der Strada Alta (einem Höhenweg von Airolo nach Biasca) kaum Menschen anzutreffen. Dafür traumhafte Landschaften, Schmetterlinge in allen Farben und wunderschöne Blumen (inklusive Orchideen). Das Ganze äusserst preiswert: Wir haben für vier Nächte und vier Personen nicht einmal 1200 Franken ausgegeben, Speis und Getränk – auch weniger gesundes – inbegriffen. Wahrscheinlich ist es mit den Ferienorten wie mit dem Wohnraum und vielem anderen: Der Stau betrifft vor allem sogenannte „Topdestinationen“. Er ist somit nicht nur die Folge einer „Überbevölkerung“ sondern auch einer Änderung von Präferenzen.
Archiv des Autors: Monika Bütler
Wie sieht ein ideales Steuersystem aus?
Am 27. Mai findet in Zürich eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Ideales Steuersystem“ statt: Ökonomen diskutieren die Vorschläge des Mirrlees-Berichts für ein kohärentes Steuer- und Transfersystem (im Rahmen der CEPR-Konferenz der Finanzwissenschaft). Sie sind herzlich eingeladen.
Anlässlich dieser Konferenz hat mein Kollege Prof. Christian Keuschnigg auf dem Blog Ökonomenstimme einen Artikel über die ideale Mehrwertsteuer und einen über Kapitaleinkommenssteuern nach dem Mirrlees-Bericht geschrieben. Wir zeigen in einem weiteren Beitrag auf, welche Schlussfolgerungen aus dem Mirrlees-Bericht für das Steuer-und Transfersystem in der Schweiz gezogen werden können.
Lämpä wägem Schwiizertüütsch im Chindergarte
Die Zürcher und Basler Stimmbürger wollen der Mundart im Kindergarten wieder mehr Platz einräumen. Andere Kantone werden wohl folgen. Doch eigentlich ziehlt die Diskussion am wirklichen Problem vorbei. Die Ausbildung für den Lehrerberuf wird immer stärker akademisiert. Gleichzeitig wird den Lehrerinnen und Lehrer wird immer mehr vorgeschrieben, was sie zu tun haben. Und niemand evaluiert, ob diese Vorschriften auch wirklich den erhofften Erfolg bringen. Lesen Sie dazu meine Kolumne in der NZZ am Sonntag „Weshalb wir die Mundartdebatte ernst nehmen sollten – Schulversuche ohne Evaluation frustrierter Lehrer und Eltern“:
„Hochdeutsch im Kindergarten?! Unsere Sprache ist doch Schweizerdeutsch!?“, so ereiferte sich meine seit Jahren in den USA lebende Schweizer Kollegin Anna bei einem Besuch in ihrer Heimat. Die Mehrheit der Stimmbürger in Basel und Zürich denkt offenbar genauso. Das Thema Sprache weckt Emotionen: Die „Zuhausegebliebenen“ erleben die Diskussion in Verbindung mit dem Thema Zuwanderung; „Ausgewanderte“ spüren den möglichen Verlust der sprachlichen Identität. Lesen Sie bitte hier weiter
Im Osterstau ist Zeit nicht Geld
Monika Bütler
NZZ am Sonntag, 24. April 2011
Über Ostern in den Süden – ein teurer Spass. Die Strassen sind verstopft, die Züge überfüllt und lärmig. Flugtickets kosten ein Vielfaches des normalen Tarifs (sofern es überhaupt noch freie Plätze gibt). Auch wer zeitlich ausweicht, „zahlt“: Verlorene Ferientage, zusätzliche Hotelnächte oder protestierende Familienmitglieder machen den Vorteil der Feiertage oft wieder zunichte.
Der Preis als Steuerungsgrösse für die knappen Transportkapazitäten ist eher die Ausnahme als die Regel. Einigermassen akzeptierte Marktwirtschaft herrscht eigentlich nur im Flugzeug. Sonst zahlen die Benutzer lieber in „Sachwerten“: In Form von eingeschränktem Komfort, langen Wartezeiten, blanken Nerven. Die Abneigung gegen eine Lenkung der Nachfrage durch Preise ist von links bis rechts riesig. Road-Pricing, nach Zeit und Strecke abgestufte Tarife in Öffentlichen Verkehrsmitteln oder Marktmieten gelten abwechselnd, meist sogar gleichzeitig, als ungerecht, unsozial, oder wirtschaftsfeindlich.
Transport ist also kein Sonderfall. So manches Gut scheint uns zu heikel für den Markt: Schulbildung, Organspenden, der Platz im Zivilschutzraum – und die österliche Fahrt durch den Gotthardtunnel. Tatsächlich gibt es Ausnahmen, bei denen die Zuteilung über den Marktpreis nicht immer zur gewünschten Verteilung führt. Beispiele sind lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel zu Krisenzeiten. Doch Preiskontrollen alleine führen nicht weiter. Es braucht gleichzeitig eine Rationierung der Mengen, damit wirklich alle davon profitieren können. Konsequenterweise müsste im Wohnungsmarkt nicht nur der Preis, sondern auch die zugeteilte Menge reguliert werden: Nicht mehr als 25 Quadratmeter pro Person.
Den Wunsch nach einer bezahlbaren Wohnung im Zürcher Seefeld oder den Ostersonntag am Lago Maggiore kann ich durchaus verstehen. Doch hat die Zuteilung ohne Preismechanismus ihre Schattenseiten. Ist es wirklich so viel besser, Dutzende von Bewerbungsdossiers für Mietwohnungen zu schreiben – und am Ende doch ohne Wohnung dazustehen, weil der Familienname auf -ic endet? Man muss schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, dass alle die gleichen Chancen haben. Nicht die Bedürftigen kommen in den Genuss der tiefen Preise, sondern die Schlauen oder die Vernetzten. Wo der Handel verboten wird, blüht der Schwarzhandel. So werden viele günstige Wohnungen zu einem höheren Preis untervermietet – unter der Hand aber nicht unbedingt fair oder bedürfnisgerecht.
Richtig teuer wird der Verzicht auf den Preismechanismus langfristig. Künstlich verbilligte Tarife – zum Beispiel für die Bahnfahrt in den Stosszeiten zwischen Zürich nach Bern – gehen auf Kosten der Mittel zum Ausbau der Kapazitäten. Gleichzeitig fördern sie die Verschwendung. So ist die Wohnfläche pro Einwohner heute 50% höher als noch vor 30 Jahren. Schliesslich bedeutet der Verzicht auf Preise als Mittel der Zuteilung auch stets eine unsichtbare Hand im Hintergrund: Eine menschliche Hand, die entscheidet – nicht immer transparent -, wem was zusteht.
Erstaunlich ist, wie populär die im Einzelfall nervigen und besonders in der langen Frist ineffizienten Mechanismen trotz allem sind. Schon fast paradox wird es beim Verkehr. Die vielen Staus und Überlastungen sind ungerecht und wirtschaftsfeindlich, soweit sind alle einig. Doch das Warten im Stau scheint uns weniger unsympathisch als differenzierte Preise. Weder das auf der linken Seite beliebtere Road-Pricing, noch die von rechts portierte VIP-Spur auf der Autobahn haben die geringste Chance. Der Verkehrsstau gehört sozusagen zum nationalen Kulturerbe.
Mein Vater würde die Osterstaus allerdings vermissen. Den Stress einer Reise zu Stosszeiten nähme er zwar nie freiwillig auf sich. Doch an Feiertagen schaltet er jeweils das Radio an mit den Verkehrsmeldungen. Und geniesst es leise, seine Ruhe zu haben.
Die Ängste der Grossbanken
Leider ist der Kommentar von Ermes Gallarotti zur Bewertung der Too-Big-to-Fail Vorlage in der heutigen NZZ auf der Onlineplatform der NZZ viel zu schnell wieder in der Versenkung verschwunden. Wer ihn nachlesen will, findet ihn hier.
Es ist schon erstaunlich, wie schnell vergessen wird, in welch kritischer Lage sich die UBS und mit ihr die Schweiz im Oktober 2008 befanden. Dass die Kosten der Rettungsaktion für den Steuerzahler (bisher) relativ klein waren, darf nicht als Evidenz für Harmlosigkeit einer Grossbankenrettung interpretiert werden. Risiken müssen im voraus bewertet werden, nicht im nachhinein. Wer mit verbundenen Augen über die Strasse geht und dies ohne Schaden übersteht, darf daraus nicht schliessen, dass es ungefährlich sei, mit verbundenen Augen über die Strasse zu gehen.
Eine reine Preisindexierung der AHV- und IV Renten ist nicht sinnvoll
Die meisten Sozialversicherungen, insbesondere die Alterssicherungssysteme, haben teilweise gravierende Finanzierungsprobleme. Als eine mögliche Lösung wird ein Wechsel von der heutigen Mischindexierung der Renten zu einer reinen Preisindexierung vorgeschlagen. Was auf den ersten Blick überzeugend wirkt, erweist sich auf bei genauerer Betrachtung allerdings als tückisch. Dabei geht es nicht nur um die von linken Parteien befürchtete Zunahme der Armut im Alter und bei Invalidität – diese Befürchtung hat sich in Grossbritannien nach Margaret Thatcher ja durchaus bewahrheitet. Ein anderer Mechanismus spricht ebenso dagegen. In Krisenzeiten, wenn die Finanzierung der Sozialleistungen ohnehin am schwierigsten ist, kann eine reine Preisindexierung sehr teuer werden. Nämlich dann, wenn die Preise steigen, die Nominallöhne aber konstant bleiben. Lesen Sie bitte hier weiter
Zur Wahlschlappe der FDP
Unsere Kernkompetenz liegt nicht in der Wahlanalyse. Das Resultat der Suche nach „FDP“ in unseren bisherigen batz-Beiträgen liest sich dennoch ein wenig wie eine vorweggenommene Analyse der Gründe für das schlechte Abschneiden der FDP in den Zürcher Wahlen:
– Dänk für ein Porno us em Internet, Teil 2 (Monika Bütler, September 2010)
– Überlegungen zu FDP – la liberté cacophonique (Lukas Schwank, August 2010)
– Frohsinn und Steuerwettbewerb (Marius Brülhart, Juli 2010)
– Nachts sind alle Batzen grau (Monika Bütler & Urs Birchler, März 2010)
– Exzellenzförderung? (Monika Bütler, Januar 2010)
60’000’000’000 Franken
Nur gut 2 Jahre nach der Rettung der UBS scheinen viele vergessen zu haben, wie nahe das schweizerische Bankensystem – und mit ihm die schweizerische Volkswirtschaft – am Abgrund standen. Eine Gruppe von Krisenleugnern behauptet heute laut: Die Rettung der UBS war weder notwendig, noch riskant. Nicht viel fehlt zur Behauptung, die Nationalbank habe sich auf Kosten der UBS bereichert. So werden plötzlich die Geretteten zu Opfern und die Retter zu Tätern. Das Muster ist bekannt: Glück wird als privater Erfolg verbucht, Pech als Unvermögen der öffentlichen Hand.
Lesen Sie die ganze NZZaS Kolumne (27. März 2011)
„UBS-Sonderfonds schönt Jahresabschluss der Nationalbank“, meldete die NZZ kürzlich. UBS-Chef Oswald Grübel meinte gar: „Seit September 2008 hat die SNB an der Finanzierung 600 Millionen Dollar verdient.“ Man könnte meinen, dass die UBS im Begriff sei, die Schweizerische Nationalbank (SNB) zu retten. Oder dass der Bail-Out einer Grossbank für die Steuerzahler letztlich ein Geschäft sei und es deshalb die schärferen Kapitalvorschriften für Grossbanken gar nicht brauche.
Wer solches behauptet, hat entweder ein kurzes Gedächtnis oder ein verzerrtes Mass für Risiken. Wahrscheinlich sogar beides.
Zur Gedächtnisstütze: Im Herbst 2008 stand die UBS vor dem Kollaps. Der Markt stellte der UBS kein Kapital mehr zur Verfügung um Verluste auf den Subprime-Papieren zu decken. Bund und SNB standen vor einer unmöglichen Entscheidung: Die Bank fallen lassen oder ihr mit öffentlichen Mitteln – letztlich Steuergeldern – unter die Arme greifen. Bund und SNB wählten das kleinere Übel und stellten ein mehr als 60 Milliarden Franken teures Rettungspaket zur Verfügung. Ohne dieses wäre die UBS untergegangen, mit unabsehbaren Folgeschäden für die Wirtschaft. Deshalb kritisierte nicht einmal die Konkurrenz die Hilfe, wie es sonst unter Konkurrenten üblich ist – ein untrügliches Zeichen für deren Notwendigkeit.
Ebenfalls vergessen scheint, dass die Rettung der UBS trotz der massiven Finanzspritze alles andere als sicher war. Entsprechend gross waren die Risiken für Bund und Nationalbank. Die ganze Schweiz hielt während Monaten den Atem an. Selbst ein Überleben der UBS bot zu keinem Zeitpunkt Garantie, dass die eingesetzten öffentlichen Gelder „heil“ blieben. Ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals war angesichts der internationalen Lage durchaus möglich. Die SNB musste sich denn auch stark rechtfertigen für die Übernahme vergifteter Papiere. Man stelle sich nur vor, welche Kritik sich die Notenbank im Falle eines Scheiterns der Hilfsmassnahmen hätte anhören müssen.
Der Erfolg der Rettungsaktion hatte handfeste Gründe: Erstens profitierten die Schweiz und ihre Banken kräftig von Rettungspaketen anderer Länder, namentlich der USA. Zweitens weiteten die wichtigsten Notenbanken die Geldmengen massiv aus. Dies hielt zwar den Finanzsektor flott und half der Realwirtschaft mit tiefen Zinsen durch die Krise, hinterliess aber auch Probleme: Ein noch heute nicht gebändigtes Inflationspotential und eine massive Ausweitung der Währungsreserven (und damit der Verlustrisiken der Notenbanken). Dass die UBS überlebte und die direkten Kosten für den Steuerzahler relativ gering blieben, ist nicht zuletzt der Weitsicht der beteiligten Gremien zu verdanken.
Umso erstaunlicher, dass nur zwei Jahre später eine Gruppe von Krisenleugnern laut wird und behauptet: Die Rettung der UBS war weder notwendig, noch riskant. Nicht viel fehlt zur Behauptung, die Nationalbank habe sich auf Kosten der UBS bereichert. So werden plötzlich die Geretteten zu Opfern und die Retter zu Tätern. Das Muster ist bekannt: Glück wird als privater Erfolg verbucht, Pech als Unvermögen der öffentlichen Hand.
Die Geschichtsverdrehung erfasst auch die Zeit nach der Krise. Wenn der Franken stark ist, gilt dies nicht als gute Note für die Krisenbewältigung durch die Schweizer Behörden. Wenn die Nationalbank wegen des starken Frankens auf ihren Devisenbeständen verliert, so gilt dies als schlimmere Spekulation als die tolpatschige Anhäufung von Risiken im Subprime-Markt durch gewisse Banken (derentwegen die Notenbankbilanz überhaupt erst aufgebläht werden musste).
„Finanzkrise als Geschäftsmodell der Notenbanken“ – als „urban legend“ ist diese Verschwörungstheorie vielleicht geeignet. Als Grundlage einer sachlichen Diskussion jedoch nicht. Und schon gar nicht als Grundlage der Politik.
Martin Hellwig zur Bankenregulierung: Nachlese
Auf Einladung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes sprach Professor Martin Hellwig von einigen Tagen zur Bankenregulierung und dem Too-Big-To-Fail Problem (siehe Batz-Beitrag). Er sprach sich dabei für eine hohe und nicht nach Risiko gewichtete Eigenkapitalquote aus (bis zu 30%). Die Folien können hier runtergeladen werden.
Es ist schon etwas erstaunlich, dass einer der international renommiertesten Kenner der Bankenregulierung auf Einladung des Gewerkschaftsbundes und nicht auf Einladung der Banken in der Schweiz weilte. Zu Martin Hellwig siehe hier und hier.
Dr. am Herd
Monika Bütler
Die Journalistin Birgit Schmid (Das Magazin) erhielt für ihren Artikel über Frauen, die Karriere machen könnten aber dies gar nicht wollten, sehr viele Reaktionen (Das Magazin Nr 6: „Das bequeme Leben“). In der Folge wurde ich vom Magazin gebeten, mich „mit dem Thema aus der Sicht meiner Zunft auseinanderzusetzen“. In seinem Editorial (19. März 2011) meint der Chefredaktor des Magazins: „Auch wenn in einer freien Gesellschaft für niemanden eine Verpflichtung besteht, das vom Staat relativ günstig zur Verfügung gestellte Gut „Bildung“ zurückzubezahlen, spricht die Professorin der Universität St. Gallen interessanterweise doch von einem „impliziten Gesellschaftsvertrag“, den es einzuhalten gälte.“
Hier also der Text:
Meine Eltern hatten keine einfache Aufgabe. Dauernd mussten sie der Verwandtschaft erklären, weshalb sie ihre beiden Töchter – meine Schwester und mich – studieren liessen. Selber beide aus einfachen Verhältnissen stammend, waren sie innerlich nicht gewappnet gegen das Argument: „Sie brauchen doch kein Studium, sie heiraten ja doch“.
Geheiratet haben wir tatsächlich, Kinder gekriegt auch. Und arbeiten trotzdem mit Freude weiter. Dafür, meint die Umgebung, müssen wir uns jetzt rechtfertigen. Berufliches Engagement ist bei Müttern jedenfalls verdächtig. Salonfähig geworden ist hingegen das, was man unseren Eltern, bzw. uns Töchtern noch moralisch missbilligend unterstellte: Das Studium ohne ernsthafte Berufsabsichten.
Erstmals aufgefallen ist mir dies wegen eines Leserbriefs in einer Australischen Zeitung. Gezeichnet mit „stay-home medical doctor XY“ pries er vollmundig die Rolle „Dr. med. am Herd“. Als Ökonomin leuchtete mir ein rotes Lämpchen auf. Nicht, dass ich fremde Lebensentwürfe moralisch bewerten oder gar missbiligen möchte – im Gegenteil. Ökonomie ist eine tolerante Wissenschaft. Sie bezweckt – allen Vorurteilen zum Trotz – nicht die Maximierung des materiellen Wohlstands (oder dessen kruder Messgrösse, des Bruttoinlandprodukts), sondern der viel weiter gefassten Wohlfahrt. Das heisst: Es geht uns dann am besten, wenn jede das machen kann, was ihr persönlich die grösste Befriedigung bringt: Mit den Kindern zu Hause bleiben, in Zürich oder in Filisur wohnen, sich mit Auto oder ÖV fortbewegen, sich krank schuften oder sein Potential verkümmern lassen.
Aber, damit die freie Wahl des Lebensentwurfs nicht andere unzulässig einschränkt, muss eine wichtige Voraussetzung erfüllt sein: Wer konsumiert, zahlt auch. Auch für die in Anspruch genommenen Dienste des Staates müssen korrekte Preise gelten. Sonst wird die Wahl verzerrt. Oder auf Deutsch: Die Kosten des eigenen Lebensentwurf sollten nicht andere bezahlen müssen.
Gerade die akademische Bildung erfüllt diese Regel nicht. Zumindest in der Schweiz bietet der Staat ein Studium praktisch gratis an. Er hat ein Interesse daran, dass Chirurginnen, Sprachwissenschafter und vielleicht sogar Ökonominnen ausgebildet werden. Allerdings geht er davon aus, dass die gratis Ausgebildeten später auch etwas tun und ihre Fähigkeiten der Allgemeinheit auf diese Weise zur Verfügung stehen – gegen (steuerbares) Entgelt notabene. Andernfalls geht die Rechnung für die Gesellschaft langfristig nicht auf.
Dass der Staat rechnen muss, ist anscheinend noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Im Gegenteil – verschiedene Argumente versuchen das Modell „Studium ohne Erwerbsabsicht“ zu verteidigen. Die Sekretärin einer kantonalen Jungen SVP erklärte in der NZZ am Sonntag unverblümt: „Ich werde im Herbst ein Studium beginnen – trotzdem möchte ich, wenn ich Kinder kriege, für sie da sein und nicht mehr arbeiten.“
Diese Sichtweise hat ökonomisch wenigstens noch einen wahren Kern. Das Studium dient als Versicherung für den „Schadenfall“ Kinderlosigkeit, ein Fall für den kein kommerzielles Unternehmen eine Police anbietet. Nur ist ein Studium eine sehr teure Versicherung, da von zehn Studentinnen nur etwa zwei ungewollt kinderlos bleiben. Die Versicherung lohnt sich für die Versicherten nur, weil der Staat die hohen Prämien zahlt.
Das zweite Argument hat wenig mit Ökonomie zu tun. Im erwähnten Leserbrief der Ärztin am Herd preist diese – ohne Gewissensbisse angesichts des Gratisstudiums – ihre Rolle aufgrund der moralischen Überlegenheit des traditionellen Familienmodells. Weshalb dieses Modell eine Medizinerin erfordert, bleibt offen. Auch provoziert die moralische Argumentation Gegenreaktionen auf derselben Ebene. Die deutsche Publizistin Bascha Mika – zu allem Überfluss kinderlos – stach in ein Wespennest: Mütter seien feige, weil sie sich dem harten Berufsalltag nicht stellten. Die Reaktionen liessen nicht auf sich warten: Wie entspannend das Berufsleben sei und wie hart der Alltag mit kleinen Kindern (was auch berufstätige Mütter bestätigen können).
Der Vorwurf, nicht berufstätige Mütter seien auf Kosten anderer „faul“, führt nicht weiter. Lebensentwürfe sind und bleiben Privatsache. Bleibt eine Krankenschwester zuhause bei den Kindern, ist kaum etwas einzuwenden. Sie hat sich – wie die meisten Lehrlinge – auf eigene Kosten ausgebildet. Anders die nicht erwerbstätige Ärztin: Ihr hat der Staat die teure Ausbildung bezahlt, und einen der knappen Laborplätze zugeteilt, für den auch andere Interessenten bestanden. Sie ist ihren Kindern deswegen noch nicht die bessere Mutter als die Krankenschwester. Aber sie fehlt bei der Betreuung der Kranken. Sie darf man schon fragen, weshalb sie ihre Fertigkeiten kaum nutzt.
In Internetforen findet man zwei typische Reaktionen. Erstens: Das Studium ist nicht nutzlos, es kommt über die Kinder wieder an die Gesellschaft zurück. Zweitens, es besteht keine Bringschuld gegenüber dem Staat; auch wer ein Studium abgeschlossen hat, schuldet der Allgemeinheit nichts. Mich überzeugt keine der beiden Antworten.
Es ist natürlich eine Mär, dass die akademische Ausbildung einer nicht berufstätigen Mutter für die Gesellschaft genau so wertvoll sei wie bei einer berufstätigen Mutter. Vielleicht liegt der Chirurgin auch das Rüstmesser gut in der Hand, und die Chemikerin versteht, warum die Bratwurst schwarz wird – doch der Wert der meisten Abschlüsse zuhause ist gering oder, wie im Falle meines Mathematik-Diploms gleich null. Dort wo die Ausbildung nützlich ist, beispielsweise als wunderbares Zuhause bei der studierten Innenarchitektin, bleibt der Mehrwert in den allermeisten Fällen rein privat.
Das zweite Argument, es bestehe keine Bringschuld gegenüber dem Staat, stimmt zwar rein rechtlich. Gleichwohl verletzt es den impliziten „Gesellschaftvertrag“. Der Staat bildet aus, damit seine Bürger später vom Know-How profitieren und die Kosten der Bildung über Leistungen und Steuereinnahmen begleichen. Wird der zweite Teil des impliziten Vertrags nicht eingelöst, ist auch der erste Teil – die fast kostenlose akademische Bildung – gefährdet.
„Volkswirtschaftlich ist es absurd, das Potential der vielen Hochschulabsolventinnen brachliegen und verkümmern zu lassen“ schrieb Birgit Schmid im Magazin vom 27. Februar 2011. Die Gesellschaft leistet sich also den Luxus, die teure Ausbildung fast gratis abzugeben – auch an diejenigen, die von ihr kaum Gebrauch machen.
Was sind die Folgen? Es wird zu viel studiert, gerade auch in „attraktiven“ Fächern. Dies geht dann auf Kosten der Studiengänge mit guten Job-Chancen (Ingenieure!) sowie der Student(inn)en mit beruflichen Ambitionen. Fast nach dem Motto „Was nichts kostet, ist nichts wert“, wird mit dem Abschluss in der Tasche zuwenig gearbeitet. Gleichzeitig fehlen der Wirtschaft ausgebildete Fachkräfte. Genauer gesagt: Sie fehlten auf vielen Gebieten gar nicht – man denke nur an die Lehrerinnen –; sie haben sich nur aus dem Erwerbsleben zurückgezogen.
Die Weltwoche-Autorin (und vor allem Mutter, wie sie ausdrücklich betont) Daniela Niederberger schreibt ohne Bedauern: „Mein Uni-Abschluss war also für die Katz.“ Die Steuergelder auch. Der Kater bleibt dem Staat. Auch wenn nur eine Minderheit der Studentinnen so denkt wie Frau Niederberger – es geht ins Geld. Mehr als die Hälfte der Studienabschlüsse, 65% sogar bei den Medizinern, gehen an Frauen. Bei den Doktortiteln sind es mehr als 40%. Ein Studium kostet pro Jahr (!) zwischen 10’000 und 100’000 Franken, fast gänzlich von der (in der Mehrheit nicht studierten) Allgemeinheit bezahlt.
Diese stille Verschwendung im Hörsaal schafft auf lange Sicht böses Blut. Erstens gegen die akademische Ausbildung der Frauen, zweitens gegen die akademische Bildung insgesamt, drittens gegen die (deutschen) Immigranten welche die Lücken bei den Fachkräften füllen.
Rein ökonomisch gesehen, wäre die Lösung eine ganz einfache: Das Studium wird soweit kostenpflichtig, dass der „private Nutzen“, also das was nicht indirekt an die Gesellschaft zurückgeht, selber berappt werden muss. Entscheidet sich jemand, das Wissen nicht zu gebrauchen, so ist das dann seine oder ihre ganz persönliche Entscheidung. „Faule“ Mütter gäbe es dann nicht mehr. Dafür arme, denn die Studiengebühren müssten ein Vielfaches der heutigen Kosten betragen.
Auch wenn ich persönlich eine Erhöhung der Studiengebühren für vertretbar halte, wäre der radikale Schritt zur Vollkostenrechnung bedenklich. Unsere Gesellschaft basiert darauf, dass auch implizite Verträge nach Möglichkeit eingehalten werden. Wenn wir für alles und jedes ein Preisschild anbringen müssen, geht etwas verloren. Die „braucht-keine-Ausbildung-heiratet-ja-doch“-Einstellung meiner Verwandtschaft wirkt heute skurril. Ein ganz kleines bisschen verstehe ich sie doch.