Marius Brülhart
Angesichts eines weiteren überschüssigen Finanzjahres beim Bundeshaushalt möchte ich die Überschrift meines Batz-Eintrags von Februar 2018 um zwei Wörter ergänzen:
Die Schuldenbremse sollte man vervollständigen.
Mehr dazu hier.
Marius Brülhart
Angesichts eines weiteren überschüssigen Finanzjahres beim Bundeshaushalt möchte ich die Überschrift meines Batz-Eintrags von Februar 2018 um zwei Wörter ergänzen:
Die Schuldenbremse sollte man vervollständigen.
Mehr dazu hier.
Marius Brülhart und Christian Hilber
In einem NZZ-Gastbeitrag haben wir unlängst dargelegt, wieso wir an der Besteuerung von Eigenmietwerten festhalten würden. Aus Platzgründen konnten wir dort nicht auf alle uns wichtigen Aspekte eingehen. Das holen wir nun nach.
Worum geht es? Die eidgenössischen Räte arbeiten derzeit an einer Vorlage für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung. Das würde die Hausbesitzer entlasten. Im Gegenzug sollen Hypothekarzinsen nicht mehr abgezogen werden können. Das wiederum täte den meisten Hausbesitzern weh. Viele Befürworter eines solchen Systemwechsels betrachten diesen daher als einigermassen neutral für die Hausbesitzer, sehen darin aber insbesondere den Vorteil, dass steuerliche Anreize zum Schuldenmachen wegfallen würden.
In unserem NZZ-Artikel legen wir dar, dass das neue System wahrscheinlich noch eigentümerfreundlicher wäre als das aktuelle System. Alle Hausbesitzer, derer steuerbarer Eigenmietwert die Abzüge für Unterhalt und Hypothekarzinsen übertrifft, würden von der Umstellung profitieren.
Wir plädieren für die Beibehaltung der Eigenmietwertbesteuerung, denn die einschlägige wissenschaftliche Literatur liefert gelinde gesagt wenig Argumente für eine stärkere Förderung des Wohneigentums.
Am Anfang dieser Diskussion steht also die Frage, ob und wieso Wohneigentum förderungsbedürftig ist.
Wohneigentumsförderung lässt sich aus ökonomischer Sicht dann begründen, wenn der freie Markt zu einer Unterversorgung führt. Dies ist der Fall, wenn Wohneigentum externe Nutzen schafft – das heisst Vorteile, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen, in den Marktpreisen jedoch nicht abgegolten werden.
Empirische Analysen haben solche Effekte in der Tat nachgewiesen. Wohneigentümer investieren mehr in soziales Kapital als Mieter: Sie reden mehr mit Nachbarn, organisieren sich häufiger in Nachbarschaftsclubs und helfen sich generell öfter gegenseitig. Zudem halten Wohneigentümer ihre Immobilien in der Regel besser in Stand. Schliesslich bewirkt fremdfinanziertes Wohneigentum mit rückzahlbaren Hypotheken automatisches Sparen und hilft so, die Altersvorsorge eigenverantwortlich zu sichern.
Andererseits zeigen wissenschaftliche Studien auch externe Kosten des Immobilienbesitzes auf. So sind Wohneigentümer in der Regel weniger mobil als Mieter, was zu Fehlallokationen in Wohn- und Arbeitsmärkten führen kann. Forschung aus unserer eigenen Küche offenbart zudem, dass fremdkapitalfinanziertes Wohneigentum das kleine Unternehmertum hemmen kann, und dass Wohneigentümer tendenziell weniger in informelle berufliche Netzwerkpflege investieren. Schliesslich ist eine übermässige Hypothekarverschuldung ein Risikofaktor für die Stabilität der Finanzmärkte.
Ob externe Nutzen oder externe Kosten überwiegen, bleibt somit offen.
Klar ist, dass Steuervergünstigungen immer von irgendjemandem – in diesem Fall vor allem auch von den Mietern – kompensiert werden müssen. Zudem kann sich eine staatliche Wohneigentumsförderung sogar kontraproduktiv auswirken. Studien aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass Steuervergünstigungen städtisches Wohneigentum paradoxerweise eher senken statt es zu erhöhen. Dies geschieht deshalb, weil die Eigentumsförderung in Gebieten mit Angebotsknappheit die Immobilienpreise erhöht, was wiederum Erstkäufern die notwendige Anzahlung an eine Hypothek erschwert.
Vor diesem Hintergrund liegt der Schluss nahe, dass das Steuersystem möglichst neutral ausgestaltet sein sollte. In der Schweiz wird Wohneigentum bereits begünstigt, durch tiefe Eigenmietwerteinschätzungen und grosszügige Unterhaltsabzüge wie auch durch Kapitalbezugsmöglichkeiten in der zweiten und dritten Säule.
Für eine noch stärkere Bevorteilung der Hauseigentümer gegenüber den Mietern gibt es kaum stichhaltige volkswirtschaftliche Argumente.
Marius Brülhart und Kurt Schmidheiny
Der Nationale Finanzausgleich (NFA), ein ewiger Zankapfel der Schweizer Politik, rückt 2019 noch stärker als sonst ins Rampenlicht. Gleich zwei NFA-Reformen stehen an: Eine neue Berechnungsmethode der kantonalen Finanzkraft im Zuge der Unternehmenssteuerreform und ein neues System zur Festlegung der Umverteilungssummen gemäss Vorschlag der Kantone.
Erstaunlicherweise stossen die beiden Vorlagen – immerhin der erste gewichtige Umbau des NFA seit seiner Einführung im Jahr 2008 – kaum auf Widerstand. Während der Unternehmenssteuerreform im Mai voraussichtlich eine zweite Bewährungsprobe an der Urne bevorsteht, scheint deren NFA-Komponente politisch unumstritten. Und der Vorschlag zum Systemwechsel bei der Umverteilung wurde im März 2017 von 21 Kantonen unterstützt, inklusive aller Geberkantone.
Trotzdem geht die Diskussion unter Ökonomen munter weiter. Uns Volkswirte interessieren neben den Verteilungswirkungen vor allem auch die gewollten und ungewollten Anreizwirkungen von Politikvorschlägen.
Der NFA bewirkt, dass es für Kantone weniger lukrativ ist, sich um neues Steuersubstrat zu bemühen. Jeder zusätzlich ausgewiesene steuerbare Franken kostet die Geberkantone nämlich eine Zusatzeinzahlung in den NFA-Topf respektive die Nehmerkantone eine Minderauszahlung aus demselben. Der Finanzausgleich fungiert somit als eigentlicher „Steuerwettbewerbs-Lusthemmer“. Das Mass für die lusthemmende Wirkung ist die Grenzabschöpfungsquote; diese erfasst den Anteil an jedem zusätzlichen kantonalen Steuerfranken, der via NFA gleich wieder verloren geht.
Im Bereich der Unternehmensbesteuerung sind die Grenzabschöpfungsquoten besonders hoch. In einer detaillierten Analyse haben Patrick Leisibach und Christoph Schaltegger von der Universität Luzern unlängst aufgezeigt, dass im aktuellen NFA fast die Hälfte der Kantone mit Grenzabschöpfungsquoten von über 100% konfrontiert sind, wenn sie Gewinne von ordentlich besteuerten Unternehmen anziehen. Für die Staatskasse dieser Kantone und ihrer Gemeinden sind zusätzliche Firmengewinne also ein Verlustgeschäft.
Die enormen Grenzabschöpfungsquoten auf Unternehmensgewinnen ergeben sich daraus, dass Gewinne im NFA gleich gewichtet werden wie Haushaltseinkommen, aber von den Kantonen viel tiefer besteuert werden. Nachdem die durchschnittlichen Firmensteuersätze in der Schweiz im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte beinahe halbiert wurden, avancierte die Schweiz zu einem der weltweit steuergünstigsten Standorte für Firmengewinne und nach Irland zum zweitgrössten Magnet für buchhalterische Gewinnverschiebungen in Europa. Die Unternehmenssteuerreform sieht vor, diesem Umstand Rechnung zu tragen: Gewinne sollen tiefer gewichtet werden als Haushaltseinkommen, und zwar im Verhältnis der tatsächlichen Besteuerung. Unternehmensgewinne sollen so nur noch mit einem Gewicht von etwa einem Drittel in die Berechnung der kantonalen Finanzkraft einfliessen. Damit sinken auch die Grenzabschöpfungsquoten markant. Voraussichtlich würden nach einer Umsetzung der Reform nur noch die beiden Kantone Uri und Glarus Grenzabschöpfungsquoten von über 100% auf Unternehmensgewinnen zu gewärtigen haben.
Auch mit tiefer gewichteten Gewinnen mindert der Finanzausgleich noch den Anreiz der Kantone, ihr Unternehmenssteuersubstrat zu „pflegen“. Leisibach und Schaltegger schlagen deshalb vor, Unternehmensgewinne künftig gar nicht mehr in die Bestimmung der NFA-relevanten kantonalen Finanzkraft einzubeziehen. Damit läge die Grenzabschöpfungsquote für Unternehmensgewinne bei null.
Grenzabschöpfungsquoten grösser null sind aber durchaus sinnvoll, denn nicht jede Anstrengung eines Kantons zur Erhöhung des eigenen Steuersubstrats dient dem Gesamtwohl des Landes (geschweige denn der anderen Länder). Die Kantone rangeln nämlich nicht nur um mobile Firmengewinne aus dem Ausland, sondern auch – und dies erst recht nach der Abschaffung der Statusbesteuerung – um Firmengewinne aus anderen Kantonen. Aus der Finanzwissenschaft ist wohlbekannt, dass Steuerwettbewerb erstens eine zu tiefe durchschnittliche Besteuerung der besonders mobilen Steuerobjekte nach sich zieht und zweitens kleine Kantone gegenüber grossen bevorteilt. Als preisgesteuertes Mittel gegen die Erosion der Unternehmenssteuer im innerhelvetischen Wettbewerb hat der NFA somit durchaus eine ökonomische Berechtigung.
Zudem gilt es, neben den Anreizwirkungen die Verteilungswirkungen nicht aus den Augen zu verlieren. Die Unterschiede bezüglich der kantonalen Finanzkraft sind heute nämlich riesig. So reicht die aktuelle Finanzkraft (Ressourcenpotenzial pro Einwohner im Referenzjahr 2019) von 22‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Jura bis 83‘000 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Die darin enthaltenen Gewinne der juristischen Personen umfassen eine noch grössere Spannbreite: von 3‘900 Franken pro Einwohner im Kanton Wallis bis 34‘300 Franken pro Einwohner im Kanton Zug. Diese enorme Ungleichverteilung würde bei der Nichtberücksichtigung der Unternehmensgewinne im NFA überhaupt nicht mehr kompensiert.
In einer neuen Studie zeigen wir auf, dass die beiden anstehenden Reformen zusammen betrachtet die interkantonalen Disparitäten noch leicht stärker reduzieren als das aktuelle System. Dass dies erreicht wird bei einer gleichzeitigen Entschärfung der Anreizproblematik, zeugt von einem durchdachten und ausgewogenen Reformbündel.
Friede herrscht!
Marius Brülhart
In einer ersten Überschlagsrechnung zur Unternehmenssteuer-plus-AHV-Reform kam ich kürzlich zum Schluss, dass diese Vorlage signifikant zu Lasten von Haushalten in den unteren 90 Einkommensperzentilen („Untere-90“) an die oberen 10 Prozent („Top-10“) umverteilen würde.
Angesichts der politischer Brisanz einer solchen Diagnose sollte meine holzschnittartige Analyse daraufhin geprüft werden, ob sie auch bei einem etwas feineren Ansatz zum gleichen Schluss führt.
Insbesondere gilt es, dynamische Wirkungen der Steuerreform zu berücksichtigen, denn die betroffenen Firmen werden zweifelsohne auf Steuersatzänderungen reagieren. Zudem sollte man dem Anteil ausländischer Anteilseigner an Schweizer Unternehmen Rechnung tragen, denn ein beträchtlicher Teil der von Schweizer Unternehmenssteuern direkt Betroffenen ist gar nicht in der Schweiz ansässig.
Zu den dynamischen Wirkungen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung eine detaillierte Studie publiziert. (Volle Offenlegung: David Staubli, einer der beiden Autoren, ist ein ehemaliger Mitarbeiter meiner Abteilung an der Universität Lausanne.) Diese Studie bringt willkommenes Licht ins Dunkel der Unternehmenssteuerreform, und schafft somit Vertrauen in die Arbeit unserer Regierung und Verwaltung. Die Studie deckt eine Vielzahl von Szenarien ab, je nach angenommener Steuerempfindlichkeit der ausgewiesenen Firmengewinne, Entwicklung der Steuersätze in den Kantonen und in anderen Ländern, und diverser anderer Annahmen, über welche grosse Unsicherheit besteht.
Im Parlament arbeitet man zur Zeit mit einem geschätzten steuerreformbedingten Einnahmenausfall von 2.1 Milliarden Franken. Dieser Wert entspricht ungefähr der statischen Schätzung der ESTV-Studie. Aber handelt es sich dabei auch um die relevanteste Zahl?
Gemäss dem zentralen dynamischen Szenario der ESTV-Studie zöge die Steuerreform für bereits heute ordentlich besteuerte Unternehmen mittelfristig eine Steuerersparnis von 3.4 Milliarden Franken nach sich – ein geraumer Mitnahmeeffekt für die Aktionäre normaler Schweizer Unternehmen. Die aktuellen Statusfirmen hingegen würden gegen 2.7 Franken zusätzlich in die Staatskasse einzahlen, denn ihre Steuerbelastung würde ansteigen. Der mittelfristige Unternehmenssteuerausfall würde somit rund 0.7 Milliarden Franken betragen, das heisst ein Drittel der meist zitierten 2.1 Milliarden. Ich nehme hier einmal an, dass die Folgen solcher Einnahmeausfälle alle Einkommensgruppen ungefähr gleich belasten, was gerundet -0.6 Milliarden ergibt für die Unteren-90 und -0.1 Milliarden für die Top-10.
Die ESTV-Studie berücksichtigt zusätzlich „induzierte Effekte“ über einkommensbedingte Steuereinnahmen und kommt damit sogar auf einen positiven Nettoeffekt der Steuerreform für die Staatskasse. Angesichts der noch grösseren Unsicherheiten bei der Schätzung der induzierten Effekte und derer Verteilungswirkungen blende ich diese hier vorerst einmal aus.
Somit stellt sich noch die Frage, welcher Anteil der Gewinnsteuerersparnisse in der Schweiz bleiben würde, und welcher Anteil ausländischen Aktionären zugutekäme. Gemäss Angaben aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement fliesst weit über die Hälfte der in der Schweiz ausgewiesenen Gewinne an ausländische Investoren. Ich nehme darauf abstützend einen Ausländeranteil von 60 Prozent bei den ordentlich besteuerten Unternehmen und von 80 Prozent bei den Statusfirmen an.
Die mittelfristigen Wirkungen der Unternehmenssteuerreform verteilen sich demgemäss folgendermassen:
• Aktionäre im Ausland: -0.1 Milliarden (= 0.8 x -2.7 Milliarden + 0.6 x 3.4 Milliarden)
• Top-10 Schweiz: +0.7 Milliarden (= 0.2 x -2.7 Milliarden + 0.4 x 3.4 Milliarden – 0.1 Milliarden)
• Untere-90 Schweiz: -0.6 Milliarden
Die Unternehmenssteuerreform erweist sich also auch in dieser Betrachtung als degressiv, aber die Umverteilung von unten nach oben ist weniger ausgeprägt als in der rein statischen Analyse.
Gemäss meiner Überschlagsrechnung kostet die AHV-Reform die Top-10 0.8 Milliarden Franken und beschert den Unteren-90 0.8 Milliarden. (Man kann das auch anders rechnen als ich es tat, indem man die 0.9 Milliarden aus der Mehrwerts- und direkten Bundessteuer als gegeben betrachtet und die Opportunitätskosten auf der Ausgabenseite aufteilt, und indem man die implizite Progressionswirkung bei den Lohnprozenten einbezieht. Das resultierende Umverteilungsergebnis bleibt dann in etwa dasselbe.)
Siehe da: Die Gewinne und Verluste der beiden Vorlagen kompensieren sich fast genau. Somit erscheint der Steuerreform-AHV-Deal nun verteilungsmässig einigermassen neutral.
Dies ist natürlich immer noch eine grobe Schätzung. Was könnte den Befund wiederum kippen?
Zum einen würde eine Berücksichtigung der induzierten Effekte der Steuerreform (via eine wachsende Lohnsumme) den Gesamteffekt noch stärker zu Gunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.
Zum anderen hätte insbesondere eine Fehleinschätzung des internationalen steuerpolitischen Umfelds gravierende Folgen für die Analyse. Die ESTV-Studie geht davon aus, dass die Steuern für multinationale Firmen an Konkurrenzstandorten ebenfalls ansteigen werden. Wäre dem nicht so, würde aus der dem simulierten dynamischen Steuerausfall von 0.7 Milliarden ein Loch von bis zu 3.1 Milliarden (bei unveränderten Steuersätzen im Ausland), was natürlich vor allem die Unteren-90 zu spüren bekämen.
Dennoch: Unter plausiblen dynamischen Annahmen scheint sich die Intuition der ständerätlichen Kompromiss-Schmiede zu bestätigen. Auf den zweiten Blick passen die beiden Reformen zumindest in verteilungspolitischer Hinsicht gar nicht so schlecht zueinander.
Marius Brülhart
Im Mai hat der Ständerat vorgeschlagen, die beiden grössten wirtschaftspolitischen Reformpojekte – Unternehmenssteuern und AHV – nach den gescheiterten Volksabstimmungen des Vorjahres im Kombi-Pack neu aufzulegen. Die Einnahmenausfälle einer etwas entschärften Steuerreform würden, so lautet der neue Slogan, Franken um Franken kompensiert durch zusätzliche Gelder für die AHV. Der Vorschlag scheint bislang auf geraume Zustimmung quer durch die Bundesratsparteien zu stossen.
Dieser Konsens ist beinahe verdächtig: Alle sehen sich offenbar als Gewinner, obwohl – oder gerade weil – die diskutierten Reformen komplexe und milliardenschwere Finanzflüsse umlenken.
Ein möglicher Grund ist, dass die wahrscheinlichen Verlierer der Reformen in der politischen Diskussion untervertreten sind: die Jungen.
Gemäss einer anderen Lesart der Geschehnisse irren sich gewisse Politiker schlicht und einfach, wenn sie in der Kombination der beiden Reformen einen „sozialen Ausgleich“ erkennen. Michael Hermann hat es folgendermassen auf den Punkt gebracht: „Bald wird klar sein, dass eine Sanierung der AHV durch die Allgemeinheit keine Kompensation für Steuererleichterungen bei den Unternehmen ist“.
Eine – wenn nicht die – zentrale Frage in dieser Debatte betrifft also wie so oft die Verteilungswirkungen: Wer wären unter dem Strich die Gewinner, und wer würde verlieren?
Zur Befriedigung meiner eigenen Neugier habe ich dazu eine erste, überaus grobe, Schätzung versucht. Und trotz geraumem Fehlerrisiko, wage ich es, diese mit der geneigten Batz-Leserschaft zu teilen.
Meine Überschlagsrechnung gestaltet sich wie folgt.
Teilen wir die Schweizer Bevölkerung auf in die obersten 10 Prozent der Steuerzahler („Top-10“) und den Rest („Untere-90“). Erstere Kategorie entspricht gemäss Bundessteuerstatistik ungefähr Ehepaaren mit einem steuerbaren Einkommen über 150‘000 Franken und Einzelhaushalten mit einem steuerbaren Einkommen über 80‘000 Franken. Alle anderen gehören zu den Unteren-90.
Nehmen wir nun der Einfachheit halber an,
1. dass alle Arbeitgeber und Aktionäre zur Top-10-Kategorie gehören,
2. dass die Top-10-Haushalte die gesamten direkten Bundessteuern begleichen, und
3. dass die Unteren-90 die gesamten Mehrwertsteuern begleichen.
Unter der ersten Annahme gehören die Gewinner der Unternehmenssteuerreform allesamt zu den Top-10. Diesen kommen also gemäss ständerätlicher Schätzung 2.1 Milliarden Franken an Steuererleichterungen zugute. Die Unteren-90 bekommen in dieser simplistisch statischen Sicht nichts ab von der Steuerreform.
Der Hauptteil der neuen AHV-Mittel, nämlich 1.2 Milliarden, soll gemäss Vorschlag durch 0.3 zusätzlichen Lohnprozente erhoben werden – je hälftig über Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge. Nehmen wir an, diese Zusatzkosten werden effektiv von den jeweiligen Rechnungsempfängern getragen und nicht überwälzt. Dann kosten die Lohnprozente Top-10 und Untere-90 je 0.6 Milliarden. (Die Umverteilung innerhalb der AHV von Versicherten oberhalb der rentenbildenden Beitragsschwelle an den Rest der Bevölkerung ist gemäss existierender Schätzungen übrigens ziemlich gering.)
Hinzu kommen für die AHV-Finanzierung gemäss Vorschlag ein um 0.4 Milliarden höherer Bundesbeitrag, gestemmt in erster Linie von den Top-10; plus 0.5 zusätzliche Mehrwertssteuermilliarden, hauptsächlich zu Lasten der Unteren-90.
Auf der Positivseite meiner Rechnung gilt es noch, die neu gesicherten Einnahmen von 2.1 AHV Milliarden aufzusplitten. Ich nehme an, sie kommen zu 90% den Unteren-90 zugute, womit diese 1.9 Milliarden und die Top-10 0.2 Milliarden erhalten würden.
Somit habe ich die nötigen Zahlen für meine summarische Rechnung:
• Top-10: +2.1 Milliarden aus der Steuerreform, +0.2 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.4 Milliarden für AHV Bundesbeitrag
= +1.3 Milliarden netto
• Untere-90: +1.9 Milliarden gesicherte AHV, -0.6 Milliarden für AHV Lohnprozente, -0.5 Milliarden Mehrwertssteuer
= +0.7 Milliarden netto
Die Top-10 gewinnen also 0.6 Milliarden mehr als die Unteren-90. Angesichts der Tatsache, dass die Unteren-90 per Definition neun Mal zahlreicher sind als die Top-10, bedeuten meine Ergebnisse, dass der durchschnittliche Top-10-Haushalt beinahe 17 Mal mehr profitieren würde als der durchschnittliche Untere-90-Haushalt.
Nicht einberechnet ist hier die Verteilungswirkung des 2.1-Milliarden-Einnahmenausfalls durch die Steuerreform. Ein Einbezug dieses Faktors würde die Rechnung wohl noch stärker zu Ungunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.
Soweit sieht der Reformvorschlag also nach einem schlechten Geschäft aus für die unteren und mittleren Einkommensschichten.
Das Bild könnte sich insbesondere verändern, wenn man allfällige dynamische Wirkungen der Steuerreform einbezieht. Ich werde darauf in einem späteren Beitrag noch im Detail eingehen.
Marius Brülhart
„Budgetiert wird rot, abgeschlossen wird schwarz.“ So bringt der Tages-Anzeiger auf den Punkt, wie der Bundeshaushalt im 21. Jahrhundert bislang funktioniert. Seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2003 wird Jahr für Jahr weniger Geld ausgegeben als im Budget vorgesehen. Sogar in der tiefsten Finanzkrise war das so. Auch das Rechnungsjahr 2017 bot keine Ausnahme: Von den im Voranschlag gesprochenen Geldern blieben 400 Millionen als Kreditreste übrig. Und das trotz schmerzhafter Sparmassnahmen bei der Erarbeitung des Voranschlags im Dezember 2016.
Nicht voll ausgeschöpfte Budgets sind an sich kein Problem, sondern eher Ausdruck einer funktionierenden Verwaltung. Die Departemente haben in der Budgetierungsphase einen Anreiz, eine Sicherheitsmarge mit einzurechnen, denn Budgetunterschreitungen sind aus ihrer Sicht weniger problematisch als Budgetüberschreitungen. Zudem ist die Ex-post-Kontrolle von Rechnungsabschlüssen einfacher als die Ex-ante-Prüfung von Voranschlägen. (Die in jüngsten Jahren ebenfalls wiederkehrende Unterschätzung des Einnahmenwachstums – der wichtigste Grund für den ausserordentlich hohen Überschuss der Rechnung 2017 – ist ein separates Thema, welches ich hier ausblende.)
Budgetunterschreitungen sind auch in der Zukunft wahrscheinlich. Die letztes Jahr mit dem Neuen Führungsmodell der Bundesverwaltungeingeführten Globalbudgets dürften die Unterschreitungen zwar etwas eindämmen, aber im Finanzdepartement wird weiterhin mit Restposten von jährlich 0,5 bis 1 Milliarde gerechnet.
Die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Ausgestaltung ignoriert dieses Phänomen. Gemäss des zentralen Verfassungsartikels hält der Bund „seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht“. Diese Vorgabe wird im Finanzhaushaltgesetz zur Zeit so ausgelegt, dass die Ausgaben bereits im Budget die erwarteten Einnahmen in der Summe über den Konjunkturzyklus nicht übertreffen dürfen.
Die so im Gesetz verankerte Praxis ist vergleichbar mit einer Fluggesellschaft, die ihre Maschinen zu füllen versucht, indem sie genauso viele Tickets verkauft wie sie Sitze zu belegen hat. Im Schnitt führt eine solcher Ansatz jedoch zu einer Unterauslastung der Flugzeuge, denn es gibt meistens einen Anteil der gebuchten Passagiere, die ihre Reise aus unvorhergesehenen Gründen nicht antreten.
Da die effektiven Ausgaben jeweils unter den budgetierten Ausgaben zu liegen kommen, impliziert die gegenwärtig angewandte Schuldenbremse nicht ein Gleichgewicht von Ausgaben und Einnahmen, sondern einen quasi eingebauten Einnahmenüberschuss. Der oberste Verfassungsgrundsatz zur Schuldenbremse und dessen Umsetzung stehen somit in einem gewissen Widerspruch.
Eine Lösung dieses Widerspruchs wäre ziemlich einfach. Genau wie die Fluggesellschaften ihre Maschinen proportional zu den erwarteten „no shows“ überbuchen, könnte man auch im Voranschlag des Bundes eine antizipative Überbudgetierung im Umfang der erwarteten Kreditreste einbauen.
Konkret könnte man den Konjunkturfaktor der Schuldenbremse , mit welchem die erwarteten Einnahmen zur Festlegung des Ausgabenplafonds multipliziert werden, anpassen. Der gegenwärtige Konjunkturfaktor besteht aus dem Verhältnis vom langfristigen Trend-BIP und dem erwarteten BIP im Budgetjahr. In schlechten Jahren ist dieser Faktor grösser als eins und erlaubt ein Defizit. In guten Jahren ist er kleiner als eins und gebietet einen Überschuss im Voranschlag. Im langfristigen Mittel jedoch ist der Konjunkturfaktor per Konstruktion gleich eins und impliziert somit ein ausgeglichenes Budget. Dies zieht aufgrund der Kreditrest-Problematik im Durchschnitt überschüssige Rechnungsabschlüsse nach sich.
Man könnte den Konjunkturfaktor um einen additiven „administrativen Korrekturfaktor“ (AK) ergänzen. Für den Konjukturfaktor gälte somit neu die Formel ((Trend-BIP / aktuelles BIP) + AK), wobei AK den Prozentanteil der erwarteten Kreditreste beziffert. Bei einem Bundeshaushalt von 70 Milliarden schiene ein Wert von 0.01 für AK durchaus realistisch. Das wären immerhin 700 Millionen pro Jahr.
Der administrative Korrekturfaktor könnte jährlich aufgrund eines gleitendenden Mittels der Budgetunterschreitungen in vergangenen Rechnungsabschlüssen ermittelt werden. Angesichts der regelmässig wiederkehrenden Natur der Kreditreste darf man von einem über die Zeit ziemlich stabilen Wert ausgehen. Je länger der Zeitraum über welchen das gleitende Mittel berechnet würde, desto höher die Stabilität des Korrekturfaktors, und desto geringer auch die Gefahr, dass Kreditreste manipuliert werden könnten zur Beeinflussung künftiger Ausgabenplafonds.
Eine solche Komplettierung des Regelwerks würde die Schuldenbremse in sich kohärent ausgestalten, indem sie nun auf ein Gleichgewicht der der tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen ausgerichtet wäre.
Die Einführung eines administrativen Korrekturfaktors würde zudem dauerhaften neuen Budgetspielraum bieten. Dieser Spielraum ginge auf Kosten einer weiteren nominalen Entschuldung des Bundes. Ein Rückbau der Nominalschuld ist aber im einschlägigen Verfassungsartikel nicht vorgesehen und auch ökonomisch nicht mehr unbedingt sinnvoll. Relativ zum BIP – und das ist die wirklich relevante Masszahl – würde die Entschuldung zudem weiter fortschreiten.
Der Expertenbericht zur Schuldenbremse , an dem ich letztes Jahr mitgewirkt habe, kam zum Schluss, dass solcher Budgetspielraum gegebenenfalls besser für Steuererleichterungen als für Ausgabenerhöhungen genutzt würde, da Kreditreste in erster Linie Ausdruck von nicht ausgeschöpften Budgetpuffern sind. Die anstehende Unternehmenssteuerreform oder Anpassungen bei der Familienbesteuerung könnten mittels einer solchen Korrektur der Schuldenbremse zumindest teilweise „gegenfinanziert“ werden. Im Prinzip könnte der Spielraum allerdings auch auf der Aufgabenseite ausgenutzt werden, zum Beispiel für höhere Zuschüsse an die AHV.
Der Expertenbericht präsentierte die hier skizzierte Anpassung der Schuldenbremse als erwägenswert, plädierte jedoch vorerst für eine Beibehaltung des Status Quo. Der Rechnungsüberschuss 2017 mit den weiterhin umfangreichen Budgetresten auch nach Einführung des neuen Führungsmodells in der Bundesverwaltung hat die Argumente für eine Anpassung der Schuldenbremse seither allerdings weiter gestärkt.
Marius Brülhart und David Staubli Weiterlesen
Marius Brülhart und David Staubli
Die Unternehmenssteuerreform III, über die wir am 12. Februar abstimmen, kommt derzeit kaum aus den Schlagzeilen. Ein „Zahlenkrieg“ ist im Gang mit weit auseinanderklaffenden Behauptungen. Weiterlesen
Marius Brülhart
Die Luzerner Stimmbürger werden im September über eine Volksinitiative abstimmen, die verlangt, dass der kantonale Unternehmenssteuersatz von 1.5% auf 2.25% angehoben wird. Ein idealer Anlass, um über die Auswirkungen kantonaler Firmensteuern nachzudenken – und sich der Komplexität der Materie wieder einmal bewusst zu werden.
Die Kernfrage bei solchen Entscheiden lautet immer gleich: Wie würde sich eine Steuererhöhung auf das Steuersubstrat und letztlich auf die Steuereinnahmen auswirken? Je empfindlicher das Steuersubstrat reagiert, desto weniger attraktiv ist eine Steuererhöhung. Wenn die Firmen in Scharen davonzulaufen drohen, dann behelligt man sie besser nicht zu stark.
Könnte man jedenfalls meinen.
Luzern liefert uns dazu trefflichen Anschauungsunterricht. Im Jahr 2012 haben die Luzerner die kantonale Gewinnsteuer um die Hälfte von 3% auf den schweizweit tiefsten Satz von 1.5% gesenkt. Dieser markante Steuerschnitt erlaubt uns, anhand der danach beobachteten Entwicklungen grob abzuschätzen, welche Reaktionen Unternehmenssteueränderungen nach sich ziehen.
In Luzern ausgewiesene Gewinne haben eindeutig auf die Steuersenkung reagiert: Die steuerbaren Gewinne stiegen 2012 innert Jahresfrist um eine knappe Milliarde an (gemäss EFV-NFA-Datenbank). Dies entspricht einem Wachstum von Luzerns Anteil an der gesamtschweizerischen Gewinnsumme um stolze 40%. Der Anstieg war keine Eintagsfliege, denn im 2013 konnte Luzern seinen gewachsenen Teil am nationalen Gewinnkuchen halten. (Aktuellere Daten liegen bei der EFV noch nicht vor.)
War die Luzerner Steuerstrategie somit ein Erfolg, und jedes Zurückkrebsen wäre nun ein Fehler? Zur umfassenden Beurteilung dieser Frage sind drei weitere Aspekte zwingend zu berücksichtigen.
Erstens ist nicht matchentscheidend, dass sich das Steuersubstrat im umgekehrten Verhältnis zur Steuerbelastung entwickelt, sondern das Ausmass in welchem dies geschieht. Damit sich eine Steuererhöhung garantiert nicht lohnt, müsste das Steuersubstrat im Verhältnis zur Steuerbelastung überproportional reagieren. Dann befände man sich in der paradoxen Welt rechts auf der Laffer-Kurve, wo die Steuereinnahmen sinken, wenn man die Steuern erhöht. Davon ist Luzern weit entfernt. Auch die zusätzliche Milliarde an ausgewiesenen Unternehmensgewinnen im Jahr 2012 reichte nicht, um die Halbierung des Steuersatzes wettzumachen. Die Luzerner Unternehmenssteuereinnahmen (inklusive Bundessteueranteil) brachen nämlich von 180 Millionen im Jahr 2011 auf 132 Millionen im 2012 ein, und lagen im 2014 immer noch nur bei 172 Millionen. Im Durchschnitt über die beiden Jahre betrugen die Ausfälle also ungefähr 30 Millionen.
Nun gilt es zweitens zu berücksichtigen, dass Firmen und deren Mitarbeiter auch noch andere Steuern zahlen – in erster Linie Einkommenssteuern. So ist durchaus denkbar, dass die Luzerner Steuersenkung zwar nicht ausreichend Unternehmensgewinne generierte um die Ausfälle bei der Unternehmenssteuer zu kompensieren, aber dass der gesamte Staatshaushalt dank zusätzlicher Beschäftigung trotzdem profitiert hat.
Während die Firmengewinne nach der Steuersenkung um 40% hochschnellten, stiegen die Einkommen natürlicher Personen zwischen 2011 und 2013, gemessen an den gesamtschweizerischen Einkommen, um bloss 4%. Ein geraumer Teil der zusätzlichen Firmengewinne scheint daher nicht auf realem Wachstum durch Expansion, Neugründungen oder Zuzügen von Unternehmen zu beruhen sondern auf buchhalterischen Operationen.
Aber natürliche Personen zahlen viel mehr Steuern als Firmen. Im Jahr 2011 nahm der Kanton Luzern 631 Millionen Franken Einkommenssteuern ein. Ein durch die Unternehmenssteuersenkung ausgelöster Einkommenszuwachs um 4% bescherte dem Staat somit grob geschätzte 25 Millionen an zusätzlichen Einnahmen.
Somit hielten sich die Ausfälle bei der Unternehmenssteuer und die Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer wohl so ungefähr die Waage. Die Steuersenkung war für den Staat in dieser Betrachtung weder ein Bombengeschäft noch ein teurer Fehler. Und umgekehrt wäre eine Annahme der Steuererhöhungsinitiative voraussichtlich ungefähr budgetneutral für den Luzerner Primär-Staatshaushalt.
Allerdings darf kein kantonaler Finanzdirektor die Rechnung ohne den NFA machen. Der dritte und wichtigste Aspekt nämlich ist, dass sich die Steuerpolitik der Kantone im Korsett des nationalen Finanzausgleichs bewegt. In diesem System sind zusätzliche Firmengewinne für die meisten Empfängerkantone ein Verlustgeschäft. Das hat Lukas Rühli trefflich illustriert.
Anhand der vorliegenden NFA-Berechnungen für 2016 und 2017 kann man davon ausgehen, dass der Anstieg der Firmengewinne nach der Steuersenkung von 2012 den Luzerner Fiskus ab 2018 jährlich ca. 180 Millionen Franken an Mindereinnahmen aus dem Ressourcenausgleich kosten wird (die Zahlungen werden jeweils mit sechsjähriger Verzögerung angepasst).
Würde die Reform nun wie von der Initiative vorgeschlagen zur Hälfte rückgängig gemacht, könnte dies mittelfristig wieder die Hälfte des Einnahmenrückgangs, das heisst gegen 90 Millionen Franken, zusätzlich in die Luzerner Staatskasse spülen. Dies ist mehr als die Initianten selber prognostizieren.
Nun kann man mit Recht anführen, all dies sei eine statistische Betrachtung, da sich Luzern in einem Umfeld von dahinschmelzenden kantonalen Unternehmenssteuersätzen positionieren muss. Eine solche dynamische Sicht verstärkt meine Diagnose: je kompetitiver die Nachbarkantone, desto grösser wird für Luzern das Manna aus dem NFA-Topf.
Eine Weiterführung oder Intensivierung der Tiefsteuerstrategie könnte sich allenfalls dann lohnen, wenn sich Luzern vom Empfänger- zum Geberkanton mausern würde. Aber das scheint nicht realistisch. Sogar der massive Zuwachs an Steuersubstrat infolge der Steuerhalbierung von 2012 hat nur knapp die Hälfte des Rückstands des Luzerner Ressourcenindex zum notwendigen Schwellenwert wettgemacht.
Markant verändern würde sich die NFA-Wirkung hingegen infolge der geplanten Tiefergewichtung von Firmengewinnen bei der Unternehmenssteuerreform III. Schrumpfendes Unternehmenssteuersubstrat würde dann gemäss der aktuellen Simulationsrechnungen nur noch 38% so stark durch höhere NFA-Beiträge kompensiert wie im jetzigen System. Die Reform wird allerdings frühestens ab 2019 relevant. Jede Veränderung des Luzerner Steuersubstrats vor diesem Datum unterliegt also noch dem gegenwärtigen NFA-Kompensationsmechanismus.
Aus rein fiskalischer Sicht hat Luzern somit einen Anreiz, seine Unternehmenssteuern zu erhöhen, und zwar möglichst rasch.
Der NFA ist und bleibt ein Steuerwettbewerbs-Lusthemmer.
Inke Nyborg
Diese Tage ist es leicht zu vergessen, dass es nicht nur einen Liborsatz gibt, sondern viele. Der Liborsatz, der zur Zeit unter Investigation steht, und der auch gestern wieder im Mittelpunkt der Fragenrunde des Finanzausschusses im britischen Unterhaus steht, ist essentiell der US-Dollar 3-Monats- Libor. Es gibt jedoch, wie bekannt, noch viele mehr. Je nach Währung und Laufdauer bestimmen 7 bis 18 Banken die verschiedenen Liborsätze. Das scheint auf dem ersten Blick kompliziert, summiert es sich doch bei 10 Währungen und 15 Laufdauern schnell zu 150 verschiedene Sätzen. Festgelegt wird der Libor jedoch durch eine relativ einfache Kalkulation („trimmed arithmetic mean“): Die höchsten und tiefsten 25% von den Banken gebotenen Werte werden gestrichen; aus dem Rest wird das arithmetische Mittel errechnet. Dieses Verfahren wurde so bestimmt, weil es durch die Eliminierung der Sonderfälle – laut der British Bankers‘ Association – das Risiko zur Manipulation am geringsten hält. Jedoch zeigte bereits vor zwei Jahren ein Paper von Rosa M. Abrantes-Metz, Sofia B. Villas-Boas und George G. Judge mit Hilfe des Benfordschen Gesetzes auf, dass sich die Liborsätze zwischen 2005 und 2008 überaus verdächtig verhielten. Das Benfordsche Gesetz, auch bekannt als Newcomb-Benford’s Law, steht für eine bestimmte Gesetzmässigkeit in der Verteilung der Ziffernstrukturen von Zahlen in empirischen Datensätzen. Doch wie es scheint braucht es keine speziellen statistischen Kentnisse, um Zweifel an der Objektivität der Liborfestlegung zu haben. Neue Forschung von Andrew Verstein, welche zum Ende des Jahres im Yale Journal on Regulation erscheinen wird, deutet an, dass eine Manipulation von Libor auch ohne eine kartellähnliche Absprache unter den teilnehmenden Banken möglich ist. Versteins Arithmetik zu wie eine Bank alleine von einem Tag auf den anderen den Liborsatz um ausschlaggebende Prozentpunkte beeinflussen kann ist erstaunlich einfach und durchaus plausibel – und kann hier nachgelesen werden.