Etwas ausführlichere Version meines Artikels Einnahmen aus Unternehmenssteuern steigen (nzz.ch) vom 27. November in der NZZ am Sonntag mit Links zu den Forschungspapieren.
Unternehmen geniessen in den Medien gegenwärtig wenig Sympathie, ganz besonders die grossen Multinationalen. Übergewinne, vernachlässigte Lieferketten, Steuervermeidung. Gerade die Steuern: Den Staaten fehlt es an Geld, und gleichzeitig sinken die Unternehmenssteuersätze. Kein Wunder, so scheint es zumindest, steigt die Staatsverschuldung überall an.
Doch, was sagt die Statistik. Die OECD lässt in ihrem kürzlich erschienenen Report «Corporate Tax Statistics» Corporate Tax Statistics: Fourth Edition – OECD die Zahlen zu den Unternehmenssteuern sozusagen für sich selbst sprechen. Diese sind in der Tat eindrücklich: Seit 2000 sind die Steuersätze im Durchschnitt um rund acht Prozentpunkte gesunken – in allen Regionen der Welt. Die effektiven Steuersätze sind oft noch tiefer, weil es insbesondere für Aufwendungen in Forschung und Entwicklung Steuererleichterungen gibt.
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Der gleiche OECD-Report zeigt auch das, was letztlich zählt und zahlt: die Einnahmen aus der Unternehmenssteuern. Und diese sind im gleichen Zeitraum trotz der geringeren Steuersätze nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen: von 12.6% auf 15% als Anteil and den gesamten Steuereinnahmen, von 2.6% auf 3.1% als Anteil am BIP, in allen Regionen der Welt mit Ausnahme der USA. In der Schweiz stiegen die Einnahmen des Bundes aus der Unternehmenssteuer seit 2000 um einen Viertel von 2.4% auf 3.1% des BIP.
Der Blick auf die Steuersätze im OECD Bericht ist nicht zufällig. Steuersätze sind einfach messbar und durch die Politik direkt beeinflussbar, und sie stehen auch im Fokus der OECD-Initiativen mit dem Ziel, die Gewinnverschiebungen zwischen den Ländern zu reduzieren. Ein anderes Bild vermitteln, wie erwähnt, die Steuereinnahmen. Im Vergleich zeigt sich auch, dass Zahlen nicht einfach für sich selbst sprechen. Die OECD zeigt die Entwicklung der Steuereinkommen brav in einer Grafik, deren vertikale Achse bei 0 belässt. Die Zunahme der Steuer-Einkommen wirkt daher bescheiden. In der Grafik der Steuersätze schneidet sie den Teil unter 15% ab und macht dadurch den Tubelihang zur Lauberhornabfahrt. Der Trick ist alt und aus Werbung und politischer Propaganda wohlbekannt.
Ob eine Absicht dahintersteckt, sei dahingestellt. Dass der Eindruck der fiskalischen Auszehrung zur Agenda der OECD passt, mag Zufall sein. Immerhin stellt die OECD die Datenbasis und Hintergrundberichte öffentlich zugänglich zur Verfügung. Sie liefert damit eine sehr willkommene Grundlage für weitere Analysen.
Nur muss man diese auch ansehen. Ein Blick auf die Forschung zeigt, dass es eben meist komplizierter ist, als der erste Blick suggeriert.
Zuerst ist nicht einmal klar, wer letztlich die Unternehmenssteuer zahlt (die Ökonominnen sprechen von Steuerinzidenz). Es ist eben nicht die Unernehmung als abstraktes Gebilde: Am Schluss zahlen immer Menschen. Aber nur die reichen Kapitaleigner! könnte man einwerfen. Stimmt auch nicht ganz. Wie eine sehr sorgfältig gemachte Studie aus Deutschland Do Higher Corporate Taxes Reduce Wages? Micro Evidence from Germany – American Economic Association (aeaweb.org) zeigt, tragen bei einer Erhöhung des Steuersatzes die Arbeitnehmenden indirekt über tiefere Löhne bis zur Hälfte der Steuerlast. Unter höheren Steuern leiden Geringqualifizierte, Junge und Frauen.
Im Gegenzug führen tiefere Steuersätze nicht einfach zu höheren Steuereinnahmen, wie man aus den OECD-Daten zu den Steuersätzen trug-schliessen könnte. Das musste zum Beispiel der Kanton Luzerns erfahren. Die Halbierung des Steuersatzes finanzierte sich nicht – wie erhofft – selber. The Corporate Elasticity of Taxable Income: Event Study Evidence from Switzerland (econstor.eu) Denn die Steuereinnahmen hängen nicht nur von der Wirtschaftslage ab, sondern auch von der Wettbewerbssituation und der Wirksamkeit von Massnahmen gegen Steuerhinterziehung oder Profit-Shifting.
Genau um letzteres, der Verschiebung von Gewinnen über interne Verrechnungspreise geht es bei den politischen Vorstössen der OECD. Und das ist ziemlich kompliziert, wie eine Gruppe von ForscherInnen The Race Between Tax Enforcement and Tax Planning: Evidence From a Natural Experiment in Chile | NBER (unter ihnen die Zürcher Professorin Dina Pomeranz und der dezidiert linke Berkeley Professor Gabriel Zucman) am Beispiel Chile zeigte.
Eine Gesetzesreform verschärfte dort die Informationspflichten der multinationalen Unternehmen über deren internationale Überweisungen Gleichzeitig erhielt die Steuerbehörde mehr Mittel zur Durchsetzung der Verrechnungspreisregeln. Die Reform machte Chile zu einem Musterknaben bei der Umsetzung der OECD-Verrechnungspreisstandards.
Doch die Analyse der qualitativ hochwertigen administrativen Daten zu Unternehmens-Steuern und -Zöllen zeigte ein ernüchterndes Resultat: Die verschärften Regeln erreichten nichts; die Einnahmen aus der Unternehmenssteuer blieben unverändert, ebenso die Preise der Waren; es gab keine Unterschiede zwischen von der Reform betroffenen und nicht betroffenen Firmen. Nur eine Branche profitierte massiv: Die Reform führte zu einem Boom bei der Beschäftigung von Verrechnungspreisexperten in Chile. Ein klassisches Beispiel unbeabsichtigter Folgen einer wirtschaftspolitischen Massnahme.
Solche Studien mit guten Daten sind wichtig für die politische Diskussion. Denn letztlich geht es darum, welche Art der Besteuerung von Unternehmen und Individuen der Gesellschaft am meisten bringt. Das ist nicht nur eine Frage der politischen Einstellung, sondern auch der Qualität der Entscheidungsgrundlagen. Die Politik tut gut daran, empirisch belastbare Grundlagen zu künftigen Vorlagen zu schaffen. Denn, wie das Beispiel der gescheiterten Verrechnungssteuer-Reform zeigt, sind die Stimmbürgerinnen nicht nur kritischer gegenüber Unternehmen geworden, sondern auch gegenüber schlecht dokumentierten Vorlagen. Wirtschaftselixier Verrechnungssteuerreform? | Batz