Von Gebhard Kirchgässner
Ende 2015 läuft die zweite Periode des neuen interkantonalen Finanzausgleichs aus. Daher muss das Parlament neu entscheiden, und es fragt sich, ob an der Struktur des Finanzausgleichs etwas geändert werden soll. Die Geberkantone, allen voran Schwyz und Zug, verlangen zum einen, dass ihre Zahlungen begrenzt werden sollen, und zweitens sollen jene Kantone, die Mittel aus dem Finanzausgleich erhalten, bestraft werden, wenn sie die Geberkantone mit niedrigeren Steuersätzen unterbieten. (siehe NFA-Geberkantone 2014, S.7)
Tatsächlich sind die Zahlungen, die die Geberkantone zu leisten haben, in den vergangenen Jahren massiv gestiegen: zwischen 2011 und 2015 in Zug von 2214 Fr. auf 2806 Fr. und in Schwyz von 608 Fr. auf 1108 Fr., jeweils pro Einwohner. Zug muss in nächsten Jahr insgesamt 317 Mio. Fr. einzahlen und Schwyz 162 Mio. Fr. (Zu den Zahlungen für 2015 siehe Tabelle 1: Finanzausgleichszahlungen 2015). Gleichzeitig hat Schwyz im vergangenen Jahr ein Defizit von 141 Mio. Fr. eingefahren und für das laufende Jahr ein Defizit von 97 Mio. Fr. budgetiert. (siehe Kanton Schwyz: Aktuelle Staatsrechnung 2013; Kantonsratsbeschluss über den Voranschlag 2014). In Zug sind es 20.5 Mio. Fr. für das vergangene und 71 Mio. Fr. für das laufende Jahr (siehe Kanton Zug: Geschäftsbericht 2013, S. 22; 2014 Budget Kantonsratsbeschluss). Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, wenn in diesen Kantonen die Auffassung vertreten wird, dass ihre problematische finanzielle Situation durch die Zahlungen in den Finanzausgleich verursacht wird, auch wenn dies wenig mit der Realität und mehr mit einer – durch eigene Interessen – verzerrten Wahrnehmung zu tun hat.
Was wir hier beobachten, ist zum einen, dass der Finanzausgleich so wirkt, wie er gedacht war, und dass sich zweitens einige Tiefsteuerkantone verschätzt haben, als sie geglaubt haben, durch weitere Steuersenkungen in solchem Umfang zusätzliches Steuersubstrat anziehen zu können, dass sie damit gleichzeitig nicht nur die Einnahmeausfälle kompensieren, sondern auch die dadurch notwendigerweise auf sie zukommenden Mehrbelastungen im Finanzausgleich auffangen könnten. Dass diese Milchmädchenrechnung in vielen Fällen nicht aufgehen konnte, war von Anfang an offensichtlich. Aber auf diejenigen, die dies offen ausgesprochen haben, wollte man nicht hören.
Die politische Absicht hinter dem Neuen Finanzausgleich
Die Idee des Finanzausgleichs war und ist, neben dem Ausgleich besonderer Belastungen das Ressourcenpotential derjenigen Kantone, die unter dem Durchschnitt aller Kantone liegen, auf mindestens 85 Prozent dieses Durchschnitts anzuheben, was vom Bund und von jenen Kantonen, die über dem Durchschnitt liegen, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit aufzubringen ist. Dabei ist für die Berechnung der Zahlungen ausschliesslich das Ressourcenpotential und nicht die Höhe der Steuereinnahmen relevant. Diese haben nur einen indirekten Einfluss, der aber in der jetzigen Debatte relevant ist. Sinken die Steuereinnahmen aufgrund einer Reduktion der Steuersätze, führt dies zur Zuwanderung von Personen und/oder Firmen und reicht das durch die Zuwanderung generierte zusätzliche Steueraufkommen nicht aus, um die ursprünglichen Steuerausfälle zu kompensieren, kommt zu sinkenden Steuereinnahmen bei gleichzeitig steigenden Zahlungsverpflichtungen in den Finanzausgleich. Eine solche Situation ist umso wahrscheinlicher, je niedriger die Steuersätze vor der Steuersenkung bereits waren. Defizite, die auf diese Weise entstehen, sind ‚hausgemacht‘ und liefern keine Rechtfertigung für eine Änderung des Finanzausgleichs. 1) Wenn z.B., was tatsächlich geschieht, der Kanton Appenzell Ausserrhoden durch Plakate im Kanton St. Gallen versucht, mit Hinweis auf seine niedrigeren Steuern Firmen aus St. Gallen abzuwerben, führt dies, soweit er damit Erfolg hat, notwendigerweise dazu, dass der Kanton St. Gallen mehr und Appenzell Ausserrhoden weniger aus dem Finanzausgleich erhält. Wenn er dadurch ins Defizit gerät, liegt dies ausschliesslich daran, dass er sein Ressourcenpotential nicht entsprechend ausschöpft. Und da z.B. Zug sein Ressourcenpotential 2) von 2011 bis 2015 von 246 auf 261 Prozent des Durchschnitts der Schweizer Kantone und Schwyz sei Potential von 140 Prozent auf 166 Prozent steigern konnte, ist es trivial, dass damit in diesen beiden Kantonen auch die Einzahlungen in den Finanzausgleich deutlich steigen mussten.
Durch den neuen Finanzausgleich sollte den Kantonen mit hohen Steuern die Möglichkeit geschaffen werden, durch Steuersenkungen ihre steuerliche Attraktivität und/oder durch Ausbau ihrer Leistungen ihre sonstige Standortattraktivität zu erhöhen. Da gleichzeitig die finanzstarken Kantone zusätzliche Lasten zu tragen hatten, sollte dies dazu führen, dass sich die Differenzen im Ressourcenpotential zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kantonen etwas verringern. Dieses Ziel hat der Finanzausgleich bisher nicht erreicht. Die Diskrepanz hat sich sogar erhöht: Während im Jahr 2008 das Verhältnis zwischen dem ressourcenstärksten Kanton (Zug) und dem ressourcenschwächsten Kanton (Uri) 3.49 betrug, erreicht es im Jahr 2015 der bisherigen Höchstwert von 4.24. Die Ungleichheit zwischen den Kantonen hat somit massiv zugenommen.
Versuchte Einschränkung des Steuerwettbewerbs
Geradezu kurios ist die oben bereits erwähnte Forderung der Geberkantone, dass jene Kantone, die Geld aus dem Finanzausgleich erhalten, bestraft werden sollen, sobald ihre Ausschöpfung niedriger als der Durchschnitt der ressourcenstarken Kantone ist. 3) Dann könnte sich kaum ein Empfängerkanton mehr leisten, sein Ressourcenpotential weniger auszuschöpfen, als durch diesen Durchschnitt vorgegeben wird. (siehe Bundesrat 2014, Wirksamkeitsbericht 2012 – 2015 des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen). Dies wäre eine elegante Massnahme, mit der sich die ‚reichen‘ Niedrigsteuerkantone Schwyz, Zug und Nidwalden die lästige Konkurrenz ‚armer‘ Niedrigsteuerkantone vom Hals schaffen könnten. Da unter den Geberkantonen auch die Stadtkantone Basel-Stadt und Genf sind, die aufgrund ihrer Struktur auf eine überdurchschnittliche Ausschöpfung angewiesen sind, wäre sichergestellt, dass kein anderer Kanton Schwyz, Zug und Nidwalden steuerlich unterbieten kann. Da dies für natürliche und juristische Personen getrennt gelten sollte, könnte z.B. ein Empfängerkanton mit vergleichsweise hohen persönlichen Steuern auch nicht mehr versuchen, seine Situation dadurch zu verbessern, dass er Unternehmen sehr niedrig belastet. Würde sich der Gesetzgeber darauf einlassen, könnten die drei Niedrigsteuerkantone Schwyz, Zug und Nidwalden selbst vom Steuerwettbewerb profitieren, hätten ihn aber so weit ausgeschaltet, dass kein anderer Kanton ihre Oligopolstellung in diesem Spiel gefährden kann.
Abschliessende Bemerkungen
Das Parlament wir im nächsten Jahr über die Ausgestaltung des Finanzausgleichs für die Periode 2016 – 2019 entscheiden. Es ist nicht zu erwarten, dass die von den Geberkantonen geforderte Obergrenze im Parlament eine Mehrheit finden wird. Schliesslich sind dort die Empfängerkantone in de Mehrheit. Sie wäre ausserdem systemwidrig; man kann nicht gleichzeitig eine Untergrenze für die Empfängerkantone und eine Obergrenze für die Geberkantone festlegen, will man nicht einen nichtlinearen Verlauf produzieren, der die schwächeren Geberkantone deutlich stärker belasten könnte. An der Untergrenze, dass die Kantone über mindestens 85 Prozent des durchschnittlichen Ressourcenpotentials verfügen sollten, dürfte andererseits kaum gerüttelt werden.
Es gibt eine andere Reform, die von den Geberkantonen ebenfalls angesprochen wird, und die durchaus sinnvoll wäre: eine stärkere Gewichtung des sozioökonomischen im Vergleich zum topographischen Lastenausgleich. Dies durch eine Reduktion des Härteausgleichs zu finanzieren, wäre problematisch. Die Zustimmung der Kantone, die durch die NFA schlechter gestellt worden wären, hat man sich durch diesen Härteausgleich erkauft. Die von den Geberkantonen geforderte Verringerung des Härteausgleichs wäre ein eindeutiger Wortbruch.
Im Gegensatz zur Obergrenze könnte die von den Geberkantonen geforderte Einschränkung des Steuerwettbewerbs eine Mehrheit im Parlament finden. Empfängerkantone, die – aus welchen Gründen auch immer – sich nicht in der Lage sehen, eine Niedrigsteuerpolitik zu verfolgen, könnten Gefallen darin finden, dass andere Empfängerkantone, die für sich diese Möglichkeit sehen, daran gehindert würden, eine solche Politik zu verfolgen. So könnte z.B. der Kanton St. Gallen davon profitieren, dass es den beiden Appenzell schwieriger gemacht wird, ihn steuerlich zu konkurrenzieren. Da dies nicht nur für St. Gallen gilt, könnte sich dafür eine Mehrheit im Parlament finden. Dies stünde freilich in krassem Gegensatz zum bisher gerade von bürgerlicher Seite vertretenen Konzept eines Steuerwettbewerbs, der keine Beschränkungen für die Steuersätze kennt. Eine von der linken politischen Seite gewünschte Beschränkung wurde in der Volksabstimmung von 28. November 2010 mit 58.5 Prozent verworfen. Es wäre zumindest kurios, wenn jetzt mit bürgerlicher Unterstützung eine solche Beschränkung quasi durch die Hintertüre eingeführt würde.
1) Am extremsten wurde dies im Kanton Schwyz deutlich. Während fast alle Kantone privilegierte Dividendeneinkünfte mindestens zu 50 Prozent auf das steuerbare Einkommen anrechnen, wurden dort die Dividenden seit 2007 nur noch zu 25 Prozent besteuert, was zur Folge hatte, dass der Kanton Schwyz dass allein die Einwerbung zusätzlichen Dividendeneinkommens infolge Zuzug weniger an Steueraufkommen er-brachte als zusätzlich in den Finanzausgleich einzuzahlen war. Christoph.A. Schaltegger (2013, Wirkung der privilegierten Dividendenbesteuerung auf die Ressourcenausgleichszahlungen des Kantons Schwyz, S. 20) geht in einem Gutachten für den Kanton Schwyz davon aus, dass „ein Zuwachs an privilegierten Dividendeneinkommen bei einem Teilbesteuerungssatz von unter 30 bis 40 Prozent mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem ‚Negativgeschäft‘ für den Kanton wird.“ Angesichts der dramatischen finanziellen Situation im Kanton Schwyz wurde dieser Satz inzwischen auf 50 Prozent erhöht. Siehe E. Aschwanden, Der NFA als Prügelknabe: Schwyz erhöht die Steuern, Neue Zürcher Zeitung Nr. 117 vom 22. Mai 2014, S. 13.
2) Der Ressourcenindex wird jeweils aus den Werten der letzten drei Jahre ermittelt, für die Daten verfügbar sind. Dies führt zu einer durchschnittlichen Verzögerung von 4 Jahren.
3) Die NFA-Geberkantone schlagen folgende Regel vor: „Kantonen mit einer Steuerausschöpfung unter den Durchschnitt der Geberkantone werden die Mittel im Umfang der im Vergleich zum Durchschnitt der ressourcenstarken Kantone nicht ausgeschöpften Steuereinnahmen gekürzt; natürliche und juristische Personen werden separat betrachtet.“ NFA-Geberkantone (2014. S. 7).
Danke für diese gute Zusammenfassung. Welche Massnahmen sähen Sie denn, um den Ressourcenausgleich – das Hauptziel des NFA, das jedoch klar verfehlt wurde – zu verbessern?