Sind Eigenmittel knapp?

Urs Birchler

Ein Argument gegen höhere Eigenmittelanforderungen für Grossbanken lautet: Selbst wenn Eigenmittel gar nicht mehr kosten als Fremdmittel: Woher sollen sie denn plötzlich kommen. Konkret: Wo soll die UBS jene 25 Mrd. Fr. Eigenmittel (die in der Diskussion gennannt werden) hernehmen? Das Argument wurde hier kürzlich in einem gehaltvollen Kommentar von Werner Barili genannt.

Von allen Argumenten gegen strengere EM-Anforderungen ist dieses noch das beste. Doch es ist nicht gut genug.

Eine Bank, die das Vertrauen des Marktes geniesst, kann immer Eigenmittel aufnehmen. Noch einfacher: Sie behält die Eigenmittel, die sie schon erwirtschaftet hat, und schüttet weniger Gewinn aus. Die Pläne der UBS, für 3 Mrd. Fr. Eigenmittel zurückzukaufen und dazu noch die Dividende zu erhöhen, gehen exakt in die umgekehrte Richtung. Die UBS könnte angesichts des guten Geschäftsgangs (der als Leistungsauweis ausdrücklich gewürdigt sei!) Eigenmittel einbehalten oder auch aufnehmen. Diese muss sie nicht unbedingt in zusätzliche Geschäfte mit zusätzlichen Risiken stecken, sondern kann bestehendes Fremdkapital zurückzahlen; das ergibt die beste Wirkung auf die Leverage Rate.

Aber!!! Ist es nicht offensichtlich, dass Eigenkapital knapp ist?! Jedes Junge Paar, das mit seinem ersten Eigenheimprojekt bei der Bankberaterin aufkreuzt, wird mit der Frage konfrontiert: “Wie viel können Sie selber aufbringen?” Wenn die normalerweise geforderten 20 Prozent nicht vorhanden sind, wird’s schwierig. Tante Erika, die aushelfen könnte, will nicht, weil ihr die Einkommen der beiden zu unsicher sind. So scheitert das Eigenheimprojekt an zu wenig Kapital — würde man meinen.

Aber hier lauert eine weitere optische Täuschung im Bereich Eigenmittel (die anderen wurden in diesem Blog schon besprochen). Der Ausdruck “Kapital” klingt nämlich nach Maschinen oder Fabriken. Also auf etwas, das physisch knapp ist und nicht beliebig rasch hergestellt werden kann. Doch hier steht “Kapital” für Finanzierungsmittel allgemein. Das junge Paar scheitert nämlich nicht an zu wenig Kapital; es scheitert an zu wenig Finanzmitteln. Tante Erika will nicht in die Pläne des Paares, buchhalterisch gesprochen: in eine Bilanzverlängerung, investieren. Es fehlt also nicht an Kapital, sondern an zusätzlicher Risikobereitschaft. Wie der Ökonom Josef Alois Schumpeter einmal einen Börsencrash erklärte: Das Problem war nicht der Rückgang im Angebot an Kapital, sondern im Angebot an Dummheit.

Bei der UBS geht es aber zunächst nicht um die Finanzierung eines grösseren Geschäftsvolumens, sondern um ein Stärkung der Kapitalbasis des bestehenden Geschäfts. Die Finanzmittel dazu sind schon in der Bank; sie müssen nur von Fremd- in Eigenmittel umgetauft werden. “Kapital“ im Sinne von Eigenkapital entsteht per Federstrich: Die Fremdkapitalgeber müssen nur einwilligen, ihre Guthaben in Eigenmittel zu tauschen. Eine „Kapital“knappheit im physischen Sinn besteht nicht.

Der Geschäftsleitung der UBS schwebt allerdings auch ein weiteres Wachstum vor. Gibt der Markt die dazu notwendigen Eigenmittel nicht her? Nein??? Dann wären wir bei der vorsichtigen Tante. Das heisst: dem Markt sind die Risiken der beabsichtigten Geschäfte zu hoch. Das ist dann eben kein Mangel an Kapital, sondern an einer zusätzlichen Risikobereitschaft, allenfalls — gemäss Schumpeter — ein Mangel an Dummheit. Dann müsste aber auch Tante Helvetia nicht in die Bresche springen, indem sie auf die notwendigen Eigenmittelanforderungen verzichtet.

Zahlen bitte!

Urs Birchler

Wir sind alle interessiert an einer starken UBS. Meinungsverschiedenheiten beginnen bei der Frage: Was macht eine Bank stark: viel oder wenig Eigenmittel?

Viele Stimmen warnen vor strengeren Eigenmittelvorgaben für die UBS. Noch niemand (so weit ich die Diskussion überblicke) hat jedoch Zahlen vorgelegt, was mehr Eigenmittel wirklich kosten würden. Zwei Argumente liegen vor:

a) Eigenmittel erfordern eine höhere Rendite als Fremdmittel. Dies ist richtig, führt aber zu einem Trugschluss. An dieser optischen Täuschung bleiben vermutlich viele vermeintliche Bankenfeunde hängen.

b) Die UBS könne gar nicht genügend Eigenmittel in nützlicher Frist aufnehmen. Das ist u.a. eine Frage der Übergangsfristen. Die UBS kann als gesunde Bank immer Eigenmittel aufnehmen; ferner kann sie weniger Gewinne ausschütten, weitere Risiken abbauen, und zu guter letzt auch längerfristiges Fremdkapital (per Sept. 2024 CHF 300 Mrd., d.h. ein Fünftel der gesamten Verbindlichkeiten) mit der Zeit durch Eigenkapital (oder Wandelschulden wie AT1-Anleihen) ersetzen.

Es geht hier nicht um pro oder contra UBS. Es geht darum, dass die Eidgenössischen Räte, die in naher Zukunft über die Bankenregulierung entscheiden werden, dies auf tragfähiger Grundlage tun können. Dazu gehören Zahlen. Diese können nur von den Banken selbst kommen (es geht ja letztlich auch nicht nur um die UBS).

Es scheint auch nicht unfair, von den Banken Zahlen zu verlangen. Dass zu dünne Eigenmittelpolster der Banken teuer für die Steuerzahler:innen werden können, dürfte als gesichert gelten. Es liegt deshalb an den Banken, dazulegen, wie teuer dickere Eigenmittelpolster für sie wirklich wären. Also: Zahlen bitte!

Die UBS-Argumentation im Zwiespalt

Urs Birchler

Die UBS und ihre Mitstreiter wie Economiesuisse und Bankiervereinigung führen zwei Argumente an, weshalb die Schweiz die Grossbank pfleglich behandeln soll:

  • Die Schweizer Exportunternehmen und international tätigen Unternehmen sind auf eine international tätige Schweizer Bank angewiesen:
  • Der internationale Wettbewerb ist scharf, deshalb kann die UBS mit höheren regulatorischen Anforderungen nicht bestehen.

Beide Argumente klingen auf den ersten Blick halbwegs plausibel. Ein zweiter Blick zeigt jedoch: Die beiden Argumente widersprechen einander. Wenn die UBS für die international tätigen Schweizer Unternehmen unverzichtbar ist, verliert sie nicht den Konkurrenzkampf wegen z.B. höheren Eigenmitteln. Wenn, umgekehrt, die ausländischen Konkurrentinnen der UBS das Geschäft so leicht abspenstig machen können, dann kann es kaum sein, dass die Schweizer Unternehmen keine Alternative haben.

Deshalb wüssten wir gerne: Welches Argument gilt jetzt?

Renditezwang für die UBS — Trugschluss Nr. 2

Urs Birchler

“Die UBS muss den Renditevorstellungen ihrer internationalen Aktionäre gerecht werden.”

Dieser Satz ist ein weiteres Beispiel für Aussagen, die vordergründig richtig sind, aber komplett falsche Folgerungen suggerieren. (Ein anderes Beispiel ist der gestern hier diskutierte Satz: Eigenmittel sind teuer.)

Selbstverständlich muss jede Bank, jede Unternehmung, genug verdienen, um die notwendige Rendite auf ihrem Kapital, sei es Eigen- oder Fremdkapital, zu verdienen. Gelingt ihr dies nicht, zeigt dies an, dass sie Wert vernichtet. Sie gehört weg. Das ist Marktwirtschaft.

Irrig ist hingegen die Vorstellung, die Renditevorstellung der Kapitalgeber sei eine für die Kapitalnehmerin vorgegebene Zahl. Von einer Schweizer Bundesobligation verlangen Investoren eine wesentlich tiefere Rendite als von einem Junk Bond. Den Unterschied macht die notwendige Risikoprämie.

Auch von einer Bank verlangen die Kapitalmärkte eine Rendite, welche für die Risiken der Bank entschädigt. Mit anderen Worten: Die Risiken der Bank sind die Ursache, die erforderliche Kapitalrendite die Folge. Also genau umgekehrt, als das einleitende Zitat suggeriert. Die “erforderliche Rendite” taugt deshalb nicht als Grund, erhöhte Risiken einzugehen. Ein Transportunternehmen kann auch nicht argumentieren: “Wir müssen schnell fahren, um den Malus bei der Versicherung wieder einzuspielen.”

Trotzdem zäumen Bankenvertreter das Risiko-Rendite-Pferd immer noch am Schwanz auf. Wir stritten darüber schon vor Jahren mit Sergio P. Ermotti (Kritik und Replik) Nachdem sich neuestens anscheinend auch noch bei der NZZaS die Vorstellung eingeschlichen hat, die UBS müsse “den Renditevorstellungen ihrer internationalen Aktionäre” gerecht werden, musste es wieder einmal gesagt sein: Renditevorstellungen der Kapitalgeber sind kein Grund zur strategischen Entscheidungen, sondern deren Folge.

Teure Finanzierung mit Eigenmitteln – ein Trugschluss

Urs Birchler

Nichts wird in der Diskussion zur künfteigen Bankenregulierung so oft wiederholt wie der Satz “Die Finanzierung durch Eigenmittel ist teuer”. Und nichts ist so falsch.

Die Elementarteilchen der Finanzierung

Eine Unternehmung gibt zur Finanzierung ihrer Anlagen 100 Anteilscheine, nennen wir sie Bons, im Nominalwert von je 1 aus. Die Bons sind numeriert von 1 bis 100. Diese “Startnummern” geben die Reihenfolge an, in der die Bons bei Fälligkeit zurückbezahlt werden. Zuerst kommt Bon_1, dann Bon_2, etc., immer solange die Unternehmung noch etwas hat. Der erste Bon, der nicht mehr voll zurückbezahlt werden kann, bekommt den vorhandenen Rest. Kann die Unternehmung alle Bons zurückzahlen, erhält Bon_100 als letzter alles, was noch übrig ist.

Um die Bons im Markt unterzubringen, muss die Unternehmung für jeden Bon eine risikogerechte Rendite bieten. Bon_1 ist praktisch risikolos, bekommt also nur den herrschenden Zinssatz auf risikolosen Anlagen. Ab Bon_2 kommt eine zuerst winzige, aber mit jedem Bon leicht ansteigende Risikoprämie dazu. Bon_100 schliesslich ist mit der grössten Verlustwahrscheinlichkeit aller Bons verbunden. Wer Bon_100 hält, geht schon bei einem kleinen Unternehmensverlust leer aus, das heisst, wenn die Anlagen der Unternehmung bei Fälligkeit der Bons noch 99 statt 100 wert sind. Auf Bon_100 muss die Unternehmung die höchste Rendite aller Bons in Aussicht stellen.

Die Kapitalstruktur

Der Ausdruck “Bons” wurde gewählt, da er nicht suggeriert, was Eigen- und was Fremdkapital ist. Klar, Bon_1 “riecht” nach Fremdkapital, Bon_100 nach Eigenkapital. Alle Bons dazwischen sind – in unterschiedlichem Grad – ein bisschen von beidem. Die sogenannte Kapitalstruktur der Unternehmung (Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital, die sogenannte leverage) ergibt sich jedoch erst durch die Verteilung der Bons auf die einzelnen Geldgeber.

Fall A: Herr Scheu kauft die Bons von 1 bis 80. Frau Wild kauft jene von 81 bis 100. Das Paket von Herrn Scheu stellt Fremdkapital dar, da es vorrangig zurückbezahlt wird. Frau Wild bekommt, was übrigbleibt: Ihr Paket ist Eigenkapital. Die Kapitalstruktur der Unternehmung besteht also aus 80 Prozent Fremdkapital (Herr Scheu) und 20 Prozent Eigenkapital (Frau Wild).

Fall B: Herr Scheu kauft die Bons von 1 bis 50, Frau Wild die riskantere Hälfte von 51 bis 100. Die Kapitalstruktur besteht also aus je 50 Prozent Fremd- und Eigenkapital.

Bereits hier wird sichtbar: Eigenkapital ist nicht in beiden Fällen dasselbe: In Fall A enthält es  die 20 riskantesten Bons; in Fall B zusätzlich 30 weniger riskante Bons.

Die Finanzierungskosten

Aus Sicht der Unternehmung interessieren deren gesamten Finanzierungskosten, d.h. die Rendite, die sie für alle auszugebenden Bons insgesamt in Aussicht stellen muss. Was kommt billiger: Kapitalstruktur A der B?

Offensichtlich ist, dass Herr Scheu in beiden Fällen je die geringere Rendite bekommt als Frau Wild. Sein Paket ist in beiden Fällen sicherer als ihres. Mit anderen Worten: Fremdkapital ist für die Unternehmung in der Momentaufnahme immer billiger als Eigenkapital. Dies ist das Argument gegen strengere Eigenmittelvorschriften, das von Bankenvertretern, Medien und sogar vom Bundesrat vorgebracht wurde.

Der Trugschluss

Doch genau hier beginnt einer der populärsten und fatalsten Irrtümer der Finanzierungsdiskussion. Wenn “Fremdkapital” billiger ist als “Eigenkapital”, so lautet der Trugschluss, dann sind die Finanzierungskosten der Unternehmung in Fall A (mit 80 Prozent Fremdkapital) geringer als im Fall B (mit 20 Prozent Fremdkapital). Die Falle liegt in der Sprache: “ Eigenkapital” bedeutet, wie erwähnt, nicht in beiden Fällen dasselbe: In Fall B enthält das Eigenkapital zusätzlich zu Fall A die Bons mit den Nummern 51 bis 80. Umgekehrt sind diese in Fall B nicht im Fremdkapital enthalten. Entsprechend bedeutet auch “Fremdkapital ” nicht in beiden Fällen dasselbe. Daraus folgt: In Fall A sind sowohl Eigenkapital als auch Fremdkapital riskanter und damit teurer als in Fall B. Mehr oder weniger Eigenkapital bedeutet immer auch anderes Eigenkapital. Eine Mengenänderung ist gleichzeitig eine Qualitätsänderung. Dies übersehen die Vertreter(innen) der teuren Eigenmittel.

Die Unabhängigkeit der Kosten von der Kapitalstruktur

Die Pointe kommt aber erst noch: In der Wirkung auf die Finanzierungskosten kompensieren sich die Qualitätsänderung und die Mengenänderung genau: Die Finanzierungskosten ändern sich nicht, wenn sich das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital (die leverage) ändert. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen. Die Sache ist aber in der Sichtweise der Bons trivial: Ob die Bons mit den Nummern 51 bis 80 in einem Paket zusammen mit den Nummern 1-50 (bei Herrn Scheu) liegen oder in einem Paket zusammen mit den Nummern 81-100 (bei Frau Wild), hat auf ihre Renditen keinen Einfluss. Die Renditen müssen in beiden Fällen die Risiken der einzelnen Bons abdecken. Die Finanzierungskosten der Unternehmung hängen daher offenkundig nicht davon ab, wie die Bons in einzelne Pakete verpackt sind. Dies gilt auch bei komplizierteren Finanzierungsstrukturen wie im folgenden Fall C.

Fall C: Herr Scheu hält die Nummern 1 bis 70, Frau Wild jene von 90 bis 100, und Familie Mezzanini jene von 71 bis 90. Familie Mezzanini hat also eine nachrangige Anleihe. Auch in dieser komplizierteren Kapitalstruktur gilt: Die Kosten aller Bons für die Unternehmung sind immer noch dieselben. Die Finanzierungskosten hängen vom Risiko der Anlagen der Unternehmung ab, nicht davon wie die (individuell risikogerecht entschädigten) Bons von den Geldgebern gebündelt werden.

Hartnäckige optische Täuschung

Dennoch scheint die verbreitete Auffassung “Fremdkapital ist billiger als Eigenkapital” fast unerschütterlich. Als Momentaufnahme stimmt sie sogar. Aber im Vergleich zweier Finanzierungsstrukturen stimmt sie nicht! Der Satz “mehr Fremdkapital und weniger Eigenkapital ist billiger als weniger Fremdkapital und mehr Eigenkapital” ist falsch. Die optische Täuschung beruht darauf, dass Eigenkapital nicht gleich Eigenkapital und Fremdkapital nicht gleich Fremdkapital bleibt, wenn der Finanzierungsschlüssel ändert. Für diese im Grunde fast triviale Erkenntnis aus dem Jahr 1958 haben Franco Modigliani und Merton Miller 1985 den Nobelpreis erhalten.

Staatliche Verbilligung des Fremdkapitals

In die Diskussion über die Eigenmittelanforderungen für Banken ist “Modigliani-Miller” auch nach vierzig Jahren noch nicht tief eingesickert. Dies hat verschiedene Gründe:

Erstens behandelt der Staat Fremdkapital bevorzugt: Die Zinsen auf Fremdkapital dürfen vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Die Finanzierung kommt also umso billiger, je mehr Bons im Portfeuille von Herrn Scheu liegen.

Zweitens verzerrt die Systemrelevanz: Banken mit impliziter Staatsgarantie bekommen ihr Fremdkapital günstig (ohne Riskoprämie). Am liebsten würden sie sich deshalb zu 99 Prozent mit Fremdkapital finanzieren.

Drittens geben tiefe Eigenkapitalquoten den Bankverantwortlichen mehr Spielraum für Wachstum, Abenteuer und Boni.

Wann ist genug?

Verständlich ist, dass Bank-CEOs die Subventionierung ihres Fremdkapitals und ihrer Risiken durch den Staat gerne annehmen. Ihrem Aktionariat sind sie es fast schuldig. Verständlich wäre es gleichzeitig, wenn sich die Eidgenossenschaft mit strengen Eigenmittelvorschriften dagegen wehrte. Ihren Steuerzahlern — den Sugar-Daddies und -Mommies der Banken — wäre sie es schuldig.

Der “Regulatorische Filter”: Das Filetstück des PUK-Berichts:

Urs Birchler

Mein ökonomisches Gutachten zum Regulatorischen Filter ist ein zentraler Beitrag hinter dem heute veröffentlichten Bericht der PUK zum Untergang der CS. Das rechtliche Schwestergutachten stammt von Corinne Zellweger-Gutknecht.

Mein Gutachten zeigt, wie der Regulatorische Filter vom vermeintlichen Segen zum Fluch wurde. Die FINMA erlaubte dem CS-Stammhaus, entstandene Verluste auf Beteiligungen bei der Eigenmittelberechnung herauszufiltern. Die CS hat ihre Eigenmittel-Probleme dadurch lange vertuschen können — bis es zu spät war.

Mein Gutachten enthält im übrigen auch Folgerungen zur künftigen Eigenmittelanforderungen der Banken (die nicht allen Bankenvertretern gefallen werden).

Staatsgarantie zum Schleuderpreis

Urs Birchler

Noch einmal (nach a und b) zur ungedeckten Liquiditätshilfe der SNB mit Bundesgarantie, dem Public Liquidity Backstop (PLB). Nebst allen anderen Problemen (einschliesslich des möglichen Konflikts zum Nationalbankgesetz) kommt noch ein Punkt dazu: Der PLB ist viel zu billig.

Worum geht es?

Der PLB ist eine Versicherung. Einzelne Befürworter behaupten, der PLB sei keine Versicherung, denn Banken hätten unter dem PLB keinen rechtlichen Anspruch auf Hilfskredite. Dies ist falsch. Schon die TBTF-Erfahrungen haben gezeigt, dass de facto-Beistandspflichten wirksam sind auch ohne de jure-Verpflichtung. Faktische Beistandspflichten sind sogar härter als rechtliche Beistandspflichten, da die ersteren im Gegensatz zu letzteren nie gekündigt werden können – sie sind ungeachtet des Willens des Garantiegebers (des Bundes) immer vorhanden. Nebenbei bemerkt: Es handelt sich nicht nur um eine Liquiditätsversicherung: Wenn eine Bank den PLB in Anspruch nehmen muss, ist ihre Rückzahlungsfähigkeit akut gefährdet. Die SNB (und hinter ihr der Bund) verspricht also mit dem PLB Solvenzhilfe.

Die Versicherungsprämie 

Gemäss Vorlage des Bundesrates soll der Bund für die Bereitstellung einer Ausfallgarantie von den systemrelevanten Banken (den SIBs) eine angemessene Entschädigung erhalten. Diese soll auch Wettbewerbsvorteile gegenüber den kleineren Banken kompensieren und die SIBs nicht übermässig belasten. Als Bemessungsgrundlage schlägt der Bundesrat vor: Die Verbindlichkeiten einer Bank minus die hochwertigen liquiden Aktiva. Darauf soll ein Bemessungssatz in der Grössenordnung zwischen 0,005 Prozent und 0,015 Prozent gelten.

Ökonomisch erforderliche Prämien

Die Abschätzung der „richtigen“ Versicherungsprämie ist anspruchsvoll. Die Kantonalbanken bezahlen ihren Kantonen als Abgeltung der Staatsgarantie (z.T. nach unterschiedlichen Formeln) 0,5 bis 1,0 Prozent der erforderlichen Eigenmittel. Das sind grob geschätzt zwischen 0,05-0,10 Prozent der jeweiligen Bilanzsumme — d.h. schon zehn Mal mehr als der PLB kosten soll. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass beim PLB die Bemessungsgrundlage kleiner ist als die Bilanzsumme. Auch nicht einberechnet ist, dass die Abgeltung der Kantonalbanken für ihre Staatsgarantie nicht das ganze Risiko der Kantone abdeckt; einen Teil ihrer Abgeltung erbringen die Kantonalbanken im Rahmen ihrer Leistungsaufträge.

Eine andere Schätzmethode ist die Rating-Methode. Öffentliche Garantien verbessern die Ratings der Banken um 2-5 notches (z.B. von A auf AAA). Dies verbilligt die Fremdkapital-Finanzierung der systemrelevanten Banken. Gemäss Schätzung der SNB (2021) liegt der Finanzierungsvorteil zwischen mindestens einem Prozentpunkt (in ganz ruhigen Zeiten), 2,5 Prozentpunkte (im mehrjährigen Durchschnitt) und über 10 Prozent (in Krisenzeiten).

Fazit: Die ökonomisch notwendigen Risikoprämien für den PLB liegen um einige Zehnerpotenzen über den vom Bundesrat vorgeschlagenen Sätzen. Der Bund offeriert eine Versicherung zum Schleuderpreis. Das Ziel, die Prämien sollten „die SIBs nicht übermässig belasten“ ist also deutlich übererfüllt — auf Kosten der nicht systemrelevanten* Banken und der Steuerzahler.

*Der Regionalbankenverband setzt, anstatt auf Widerstand gegen den PLB, auf die Hoffnung, mit der Zeit auch in dessen Genuss zu kommen.

Banken — stille Revolution und unüberlegte Politik

Urs Birchler

Die Credit Suisse wurde im März 2023 Opfer einer (vermutlich begründeten) Massenflucht ihrer Kundengelder. Neu dabei war: Das Geld floss in aller Stille und gegen aussen unsichtbar ab. Noch 2007 bildeten sich vor den Schaltern der britischen Bank Northern Rock lange Schlangen. Bei der CS 2023: nichts dergleichen. Statt die Schalter zu stürmen und Bargeld davon zu tragen, konnten die Einleger ihr Geld mit ein paar Klicks transferieren auf andere Banken. Der stille Run illustriert über das Problem der CS hinaus eine unbequeme Wahrheit: Das seit dem Mittelalter betriebene Geschäftsmodell der Banken ist kaum mehr möglich.

Die Rede ist vom „fractional reserve banking“: Banken borgen Einlagen, welche die Einleger jederzeit zurückziehen können. Das geborgte Geld leihen sie längerfristig an ihre Kreditnehmer aus. So kommen die Kreditnehmer zu günstigen Hypotheken, die Einleger behalten ihre Mittel flüssig. Die Banken bauen — bildlich gesprochen — eine Brücke zwischen flüssigen Mitteln und festem Beton — zum Vorteil der Schuldner, der Einleger und, last but not least, ihrer selbst.

Dieses Geschäftsmodell hat über Jahrhunderte funktioniert. Nur gelegentlich kam es zu Pannen: Wenn eine Bank das Vertrauen der Einleger verlor (meist, weil sie schlechte Kredite gewährt hatte), kam es zum Bank Run. Die Gefahr eines Bank Run hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute: Sie zwingt eine Bank und deren Einleger (die bei einem Zusammenbruch Geld verlieren) zur Vorsicht. Die schlechte: Der Run auf eine Bank kann diese zu verlustreichen Notverkäufen zwingen; darüber hinaus kann ein Run zu einem Flächenbrand führen, wenn er das Vertrauen des Publikums in die anderen Banken zerstört.

Nicht zuletzt wegen dieser Gefahr sind staatliche Notenbanken entstanden, die im Notfall Geld drucken können. Die Versorgung des Geldmarktes mit Liquidität und die Finanzstabilität gehören deshalb zu den Aufgaben der Schweizerischen Nationalbank (Art. 5 Abs. 2 lit. a und e NBG).

Liquiditätshilfe der Nationalbank kommt in verschiedenen Stufen. Kredite innerhalb des Tages und über Nacht sollen Störungen des Zahlungsverkehrs verhindern. Bei Bankenkrisen gewährt die SNB Kredit als Emergency Liquidity Assistance (ELA) an solvente Banken und gegen Deckung. Traditionsgemäss besteht die Deckung vor allem aus Wertpapieren. Heutzutage kann die Nationalbank (unter gewissen technischen Voraussetzungen) auch Hypotheken belehnen. Dies ist wichtig, da diese bei den meisten Banken einen grossen Teil der Bilanz ausmachen.

Bei der CS reichten die belehnbaren Werte nicht aus, um den Geldabfluss zu kompensieren. Die SNB wurde deshalb unter Notrecht zu zwei zusätzlich Tranchen von Liquiditätshilfe ermächtigt: (a) Kredite ohne Deckung mit Konkursprivileg (ELA+) und (b) Kredite ohne Deckung mit Bundesgarantie (Public Liquidity Backstop, PLB). Beides wäre unter ordentlichem Recht illegal (Art. 9 Abs 1, lit. e NBG). Deshalb ist der Bundesrat bestrebt, (für systemrelevante Banken) den PLB ins ordentliche Recht zu überführen.

Bei Einführung des PLB kann eine (systemrelevante) Bank fast die ganze Aktivseite ihrer Bilanz kurzfristig mit Notenbankgeld belehnen. Ihre Einlagen (auf der Passivseite) sind dann im Krisenfall voll mit Notenbankgeld gedeckt. Dies war das Ziel der 2018 abgelehnten Vollgeld-Initiative. Der Unterschied zur Vollgeld-Initiative: Diese wollte, dass die Banken den Gegenwert ihrer Kundeneinlagen selbst in ihrer Kasse (oder auf dem SNB-Konto) halten. Unter dem Public Liquidity Backstop bleibt das Notenbankgeld bei der SNB, solange es die Banken nicht brauchen. Das ist derselbe Unterschied wie zwischen indivduellem Autobesitz und Mitgliedschaft beim Car-Sharing. In beiden Fällen hat man ein Auto zur Verfügung, wenn man eins braucht. Car-Sharing ist insofern effizienter, als es mit weniger Fahrzeugen auskommt. Auch die Totalbelehnung von Bankaktiven durch die SNB im Bedarfsfall wäre effizienter als die individuelle Liquiditätshaltung der Banken, die mit Zinsverlust verbunden ist.

Nur: Denn das Wichtigste geht verloren: Die Illiquidität als ultima ratio, als Brecheisen, das eine schlecht geführte Bank in neue Hände zwingt. Bei jeder anderen Unternehmung ist dieses Brecheisen das letzte Mittel der Unternehmenskontrolle, wenn Geschäftsführung und Eigner versagt haben. Bei Banken müsste es ersetzt werden durch ein scharfe — und (anders als bei der CS) rechtzeitig eingreifende — Aufsicht. Die Nothilfe via PLB müsste deshalb mit automatischen Sanierungsmassnahmen verbunden sein — beispielsweise einer Löschung der Aktionärsrechte. Zugegeben: Die Verknüpfung zwischen Hilfe und Strafe muss noch genauer durchdacht werden. Genau deshalb ist es so wichtig, den PLB nicht separat einzuführen, bevor die Too-Big-to-Fail-Gesetzgebung überarbeitet wird.

Fazit: Eine separate Einführung des PLB brächte die Architektur von Unternehmenskontrolle und Aufsicht im Bereich der systemrelevanten Banken komplett aus dem Lot.

Hydranten statt Brandmauern?

Verzichten wir auf Brandmauern zwischen den Häusern und stellen statt dessen vor jedes Haus einen Hydranten! Dies streben grosse Banken hinter den Kulissen seit Jahren an: Möglichst wenig Eigenmittel (Brandmauern), aber unbeschränkte Liquiditätsgarantien (Hydranten). Heute stehen sie knapp vor dem Ziel — paradoxerweise, weil eine von ihnen falliert ist.

Beim Untergang der Credit Suisse gab die SNB Liquiditätszusagen gestützt auf Notrecht ab. Der Bundesrat möchte solche ungedeckte Hilfskredite an grosse Banken durch die Nationalbank mit Bundesgarantie (im Jargon der Bankenregulierung: Public Liquidity Backstop, PLB) künftig unter ordentlichem Recht ermöglichen. Egal, wenn die Feuerwehr ausrücken muss.

Der Hintergrund: Wenn die Kunden einer Bank ihr Geld abholen, hat diese bald keine liquiden Mittel mehr, steht also mit leerer Kasse da. Dann kann sie bei der SNB noch Notkredite gegen Deckung erbitten. Wenn sie aber nichts mehr besitzt, was die SNB mit halbwegs gutem Gewissen belehnen kann, dürfte – gemäss Vorlage — die Nationalbank der klammen Bank trotzdem nochmals Geld leihen, und zwar blanko, falls im Hintergrund der Bund bürgt. Daher: Public (SNB und Bund) +  Liquidity (es gibt Geld) + Backstop (das Auffangnetz hinter dem Werfer beim Baseball).

Die vom Bundesrat zur Umsetzung des PLB erarbeitete Vorlage weist gravierende Schwächen auf und sollte nicht vorschnell umgesetzt werden. Die Gründe:

  1. Die Vorlage ist – zusammen mit den aus der CS-Krise noch bestehenden Bestimmungen – viel zu komplex. Für Nicht-Spezialisten sind die konzeptionellen Schwächen kaum erkennbar. Die geplante Trennung der Vorlage von der geplanten umfassenderen Revision der TBTF-Bestimmungen verhindert eine Regulierung „aus einem Guss“.
  2. Der PLB subventioniert die systemrelevanten Organisationen (UBS, Raiffeisen Gruppe, Zürcher Kantonalbank und PostFinance) gegenüber den kleineren Banken wie z.B. den Regionalbanken. Die vorgesehene Abgeltung (Versicherungsprämie) ist zu tief. Sie ist geringer als die Abgeltung für die Staatsgarantie, welche die Kantonalbanken ihren Kantonen zahlen (zusätzlich zur Erfüllung des Leistungsauftrags und zur Dividende!). Zudem ist die Abgeltung an die Kantone ohnehin schon eher tief gemessen an den statistischen Erfahrungswerten zu Verlusten der Kantonalbanken.
  3. Ein Konkursprivileg für Kredite durch die SNB macht die bereits ziemlich komplizierte Hierarchie der Ansprüche von Einlegern, Träger der Einlagensicherung (esisuisse) und SNB durcheinander (hierzu nur ein Beispiel). Die daraus folgenden rechtlichen Komplikationen erschweren eine Sanierung oder geordnete Abwicklung einer Bank zusätzlich. 
  4. Der PLB bringt schafft (entgegen der Behauptung in der Vorlage des Bundesrates) kein zusätzliches Vertrauen der Fremdkapitalgeber, im Gegenteil. Beruhigend wirkt Liquiditätshilfe durch die SNB nur, wenn die Solvenz der Bank ausser Zweifel steht, wenn also die Einleger bloss Angst voreinander haben. Bei zweifelhafter Solvenz jedoch bleibt für die letzten Einleger weniger übrig, wenn andere ihre Guthaben dank der Liquiditätshilfe durch die SNB zurückziehen. Ein sofortiger Rückzug (Bank Run) bei angebotener Liquiditätshilfe ist also rational.
  5. Liquiditätshilfe durch die SNB untergräbt die Rolle der FINMA. Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) eines Unternehmens ist in der Regel ein Zeichen für Insolvenz (Überschuldung). Anders als die Insolvenz lässt sich Illiquidität nicht verstecken. Sie ist die Guillotine: Die Unternehmung muss in neue Hände kommen. Bei Banken ist die Guillotine jedoch sehr teuer, auch volkswirtschaftlich. Deshalb gibt es eine Bankenaufsicht, die rechtzeitig eingreifen soll, wenn die Solvenz gefährdet ist. (Zu) grosszügige Liquiditätshilfe durch die SNB ermöglicht es aber der FINMA, die Illusion der Solvenz aufrechtzuerhalten Beispiel CS). Hier liegt sogar ein Fehlanreiz vor: Die SNB darf Liquiditätshilfe gewähren, solange die FINMA die Solvenz der empfangenden Bank noch bescheinigt. Der PLB verschlimmert das Problem noch.
  6. Die an eine Liquiditätshilfe unter dem PLB obligatorisch zu knüpfenden Sanierungsmassnahmen sind nicht genügend spezifiziert. Da Liquiditätshilfe das Leben einer möglcherweise insolventen Bank verlängert, schafft dies eine Lücke in der Unternehmenskontrolle.
  7. Die Gewährung von ungedeckten Krediten mit Bundesgarantie ist ökonomisch gleichbedeutend wie eine Kreditgewährung der SNB an den Bund (und von diesem an die Bank). Ob dies eine illegale Staatsfinanzierung (Art. 11 Abs. 2 NBG) darstellt, wäre mindestens genau zu prüfen.
  8. Unklar ist (mindestens für den Ökonomen), ob die vorgesehenen Bestimmungen (Art. 51a) nur die vergangene Kreditgewährung betreffen (wodurch sie überflüssig wären) oder auch eine Verpflichtung des Bundes zu künftiger Hilfeleistung enthalten (wesfalls sie gestrichen gehörten).

Trotz all dieser Mängel wurde die Vorlage des Bundesrates in der Vernehmlassung relativ positiv aufgenommen. Klar ist, dass die Bankiervereinigung, de facto das Sprachrohr der Grossbanken, das Geschenk des Bundes gerne annehmen möchte. Auch Economiesuisse findet den PLB eine gute Sache. Vielleicht hofft sie, irgendwann bekämen alle Schweizer Unternehmen im Krisenfall Bundesgarantie für Notkredite. Sogar der Kantonalbankenverband ist für den PLB, obwohl nur ein einziges seiner Mitglieder (die ZKB) von ihm profitieren kann — und ihn gar nicht braucht, da die Bank bereits von Gesetztes wegen Staatsgarantie geniesst. Das Kuriosum wird von Letti Robin (UniFR) analysiert. Der Regionalbankenverband schliesslich mag nicht gegen den PLB ankämpfen, sondern argumentiert, der PLB müsse auch den bisher ausgeschlossenen 98 Prozent der Schweizer Banken offenstehen.

Aus neutraler Warte wurde die Vorlage kaum kommentiert — sie ist schlicht zu kompliziert. Eine vorsichtig kritische Stimme erhob Christoph Schmutz in der NZZ. Schärfere Kritik kam von von Alexandra Janssen (Ecofin) und Adriel Jost und Corinne Zellweger-Gutknecht (UniSG/UniBa). Aymo Brunetti (UniBe) befürwortet zwar einen PLB, hält aber die vorgesehene Abgeltung für viel zu gering angesichts der Risiken für den Steuerzahler.

Fazit: Stop dem Back-Stop! Der Gesetzgeber täte gut daran, den PLB trotz Applaus durch die Banken nicht einfach durchzuwinken, sondern nochmals genauer anzusehen. Notwendig wäre mindestens eine Abstimmung zwischen Regeln zur Liquiditätshilfe und einer neuen TBTF-Regulierung. Auf Deutsch: Wieviel Brandmauer braucht es für ein Anrecht auf einen Hydranten?

Die Eigenmittel-Leugner

Die UBS braucht anscheinend Hilfe. Nicht finanziell, aber intellektuell. Jamie Dimon, der Chef der gemäss NZZ „mächtigsten Bank der Welt“ (J.P. Morgan), unterstützt die UBS in ihrer Behauptung, die grossen Banken bräuchten kein zusätzliches Kapital: Der „Hyperfokus auf das Kapital und auch auf die Governance ist fehlgeleitet.“

Schon in einem früheren Interview geisselte er Eigenmittelanforderungen als unamerikanisch. Klingt in meinen Ohren nicht nach einer sehr wissenschaftlichen Begründung. Aber sind solide Eigenmittel, d.h. ein gutes Polster gegen die eingegangenen Risiken, auch unschweizerisch?

Jede Schweizer Familie, die ein Eigenheim erwarben möchte, und jeder Gewerbebetrieb, der Kredit braucht, hört bei der Bank als erstes die Frage: „Wieviel eigene Mittel können Sie einbringen?“ Bei der Hypothek aufs Eigenheim sind gewöhnlich 20 Prozent das Minimum. Dabei ist die Hypothek erst noch gesichert durch das verpfändete Eigenheim. Das Risiko für die Bank ist also relativ gering. Trotzdem verlangt sie 20 Prozent Eigenmittel.

Im Gegensatz dazu sind die Schulden der Banken zu einem grossen Teil ungedeckt. Nur ein kleiner Teil der Einlagen bei der UBS sind durch die Einlagensicherung gedeckt. Die Risiken für die Bankgläubiger sind also höher. Und da sollen Eigenmittel plötzlich Luxus sein?

Als vermeintlichen Beweis für die Nutzlosigkeit höherer Eigenmittel dient die Behauptung, die CS sei nicht wegen fehlender Eigenmittel untergegangen, sondern wegen fehlender Liquidität, d.h. dem panikartigen Rückzug durch die Gläubiger. Vordergründig richtig, aber: Eigenmittel sind eben gerade dazu da, Vertrauen zu schaffen. Wenn die Einleger wissen, dass Substanz da ist, brauchen sie keine Angst zu haben. Aber wenn die FINMA behauptet, die Eigenmittel seien intakt, wenn sie dies bei professioneller, zukunftsgerichteter Betrachtung nicht sind, laufen die Einleger zu Recht davon.

Ohne die Aussicht auf Liquiditätshilfe durch die Notenbank und Rettung durch den Bund, bräuchten die Banken wie früher Eigenmittel von 50 Prozent ihrer Bilanz. Aber mit dem Staat in Geiselhaft kann man gut von Hyperfokus auf den Eigenmitteln reden.

Auf die Frage des Interviewers, wie er denn die Banken regulieren würde, antwortete Jamie Dimon:

Auch grosse Banken müssen scheitern können, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Es ist machbar. Aber nicht so, wie wir es momentan angehen. Wir fügen nur weitere Schichten von Regeln und Vorschriften und Kapital hinzu. Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass sie nicht den Preis dafür zahlen muss, wenn eine Bank versagt.

Das ist, mit Verlaub, warme Luft. Und sie riecht nicht besonders gut.