Einkommensverteilung und Lebenszyklus

Monika Bütler

(meine 3.-letzte NZZ am Sonntag Kolumne: publiziert am 19. Mai 2013 unter dem Titel „Bildung bringt nicht mehr Lohngleichheit“)

Ich bin eidgenössische Durchschnitts-Verdienerin. Zugegeben: nicht heute, aber über die ganze Berufslaufbahn gerechnet. Ich habe in den letzten 30 Jahren ziemlich genau den schweizerischen Durchschnittlohn verdient. Dies ohne statistische Tricks: Meine früheren Löhne sind sauber hochgerechnet auf heutige Löhne. Trotzdem lag mein Einkommen während eines Drittels meines Arbeitslebens unter oder nahe der Armutsgrenze. Es ging mir natürlich auch in jenen „armen“ Zeiten gut –  in jungen Jahren dank dem Zustupf der Eltern; später half der Griff in den Sparstrumpf über die kargen Zeiten.

Bestünde die Schweiz nur aus verschiedenen Jahrgängen meiner selbst, betrüge der Gini-Koeffizient ungefähr 0,46. Der Gini ist ein Mass für die Ungleichheit zwischen null (alle verdienen gleich viel) und eins (einer kriegt alles). Mein „Lebens-Gini“ entspricht damit ungefähr dem der Einkommensverteilung in den USA; die Schweiz ist mit gut 0,3 deutlich ausgeglichener. Am Rande bemerkt: Würde ich heute als Chefin meine früheren Kopien anstellen, käme ich sogar in die Nähe von 1:12. Mehr als heute dürfte ich dann aber nicht mehr verdienen.

Glücklicherweise besteht die Schweiz nicht nur aus Jahrgangs-Klonen meiner selbst. Das Gedankenexperiment illustriert aber klar: Der punktuelle Blick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung wird der Wirklichkeit oft nicht gerecht. Mein Einkommensprofil ist zwar nicht repräsentativ, aber auch nicht so aussergewöhnlich. Denn zu jedem Zeitpunkt leben in einem Land Menschen in den unterschiedlichsten Phasen im Lebenszyklus. Auch eine reiche Frau wird zwangsläufig manchmal in ihrer „Armutsphase“ registriert – sei es nur wegen eines Zweitstudiums oder einer umgebauten Küche.

Politische Vorstösse zur Einkommensverteilung haben Hochkonjunktur. Die Einkommensschere hat sich geöffnet, wenn auch moderat und nicht stärker als in den 1970er Jahren. Zudem ist für viele die fehlende Bodenhaftung einiger Spitzenverdiener das grössere Ärgernis als die Lohnschere an sich. Gerade deswegen ist es wichtig, die Rolle des Lebenszyklus in der Einkommensverteilung nicht zu vergessen. Die gemessene Ungleichheit kann nämlich ohne grundlegende Änderung im Lohngefüge zunehmen. Dies über drei Kanäle: Ausbildung, Berufstätigkeit der Frauen, Alterung der Gesellschaft.

Frauen: Früher zogen sich Mütter aus dem Arbeitsleben zurück, heute bleiben viele berufstätig – vor allem solche mit tiefen Löhnen (weil sie arbeiten müssen und die Kinderbetreuung subventioniert erhalten) und solche mit hohen Löhnen. Mütter aus dem Mittelstand hingegen werden mit einem absurden Subventions- und Steuerregime aus dem Arbeitsmarkt geekelt. Dazu kommt, dass sich das Bildungsniveau der Ehepartner immer mehr annähert; gleich und gleich gesellt sich heute lieber als früher. Beides zusammen führt im Quervergleich zu mehr gemessener Ungleichheit.

Demographie: Abschlussklassen einer Ausbildung ähneln sich alle; mit jedem Klassentreffen aber werden die Unterschiede innerhalb der Klasse grösser. Je mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter es in einem Land gibt, desto grösser fallen auch die Einkommensunterschiede aus, ohne dass sich – ausser der Demographie – etwas ändert.

Ausbildung: Eine berufliche Weiterbildung oder eine akademische Laufbahn vergrössert die Einkommensunterschiede über den Lebenszyklus automatisch. Wie in meinem Fall: In jungen Jahren sind die Einkommen wegen Studium und Praktika gering, später schlagen sich die Ausbildungsinvestitionen (hoffentlich) in höheren Löhnen nieder.

Ironie der Politik: Gerade die Investitionen in die Bildung eint rechte und linke Kreise im Bestreben nach mehr Wohlstand. Mehr Gleichheit sollten sie dabei nicht erwarten: Bildungsinvestitionen mögen die gefühlte Ungleichheit verringern. Die gemessenen Einkommensunterschiede in der Volkswirtschaft verkleinern sie dagegen kaum.

 

 

Zur Emeritierung von Gebhard Kirchgässner

Monika Bütler

Mein HSG Kollege und Mit-Batzer Gebhard Kirchgässner wird auf Ende des Frühlingssemesters 2013 emeritiert (Nein, nicht eremitiert, wie es kürzlich einmal irrtümlich in einem Dokument stand). Gebhard wird uns an allen Enden und Ecken fehlen, als freundlicher aber auch immer wieder kritischer Kollege, als Lehrer. Als Freund, Forscher und Mit-Batzer bleibt er uns glücklicherweise erhalten. Hier meine Würdigung, die ich für den HSGFocus verfasst habe:

On Minimal Morals“, „Econometric Estimates of Deterrence of the Death Penalty: Facts or Ideology?”, “Introduction to Modern Time Series Analysis”, “The Effect of Direct Democracy on Income Redistribution: Evidence for Switzerland”, und “Kaderschmieden der Wirtschaft und/oder Universitäten? Der Auftrag der Wirtschaftsuniversitäten und -fakultäten im 21. Jahrhundert“. Die schwindelerregende Breite der von Gebhard Kirchgässner in Forschung und Lehre abgedeckten Themen stellte die School und die verantwortliche Dekanin vor ein unlösbares Problem. Es hätte mindestens drei Wissenschaftler gebraucht um die Lücken zu schliessen. Selbst in Zeiten ohne Budgetkürzungen ein frommer Wunsch.

Mit Gebhard Kirchgässner wird nicht nur die Vielseitigkeit in Person emeritiert, sondern auch eine moralische Instanz und ein Brückenbauer zwischen verschiedenen Strömungen der Ökonomie, zwischen Theorie und Praxis. Vor allem aber ein brillanter Volkswirt, hochgeschätzter Kollege und Freund.

Gebhard Kirchgässner studierte und promovierte an der Universität Konstanz. Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte er als Oberassistent an der ETHZ bevor er 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an die Universität Osnabrück berufen wurde. Trotz seines – aus heutiger Perspektive – eher traditionellen Werdegangs: Mit Gebhard Kirchgässner kam 1992 ein Vertreter der modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Zusammen mit seinen damaligen Kollegen leitete er die Modernisierung der volkswirtschaftlichen Abteilung ein und legte so die Grundlage der Erfolge der School in Forschung, Lehre und Wirtschaftspolitischem Engagement.

In der Lehre ist Gebhard Kirchgässner kein Entertainer, er glänzt vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen, insbesondere der Philosophie und der Wissenschaftstheorie. Für die SEPS ist er ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Disziplinen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft. Gebhard prägte den Kontext lange bevor es das Kontextstudium an der HSG gab.

Gebhard Kirchgässner gehört seit Jahren zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschafter der Schweiz, was sich in mehr als 130 Aufsätzen in Fachzeitschriften (darunter auch in internationalen Top Journals) sowie zahlreichen weiteren Publikationen zeigt. Dabei schreibt er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit.

Die neue politische Ökonomie, die angewandte Ökonometrie, vor allem aber die Finanzwissenschaft mit all ihren Facetten gehören zu seinen Hauptforschungsgebieten. Gebhard Kirchgässner ist einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig. So ist Gebhard sozusagen der akademische Vater von Frau Merkels Schuldenbremse(r).

A propos Schweiz: „Wie viel Schweiz muss in einem Produkt drin stecken, damit Schweiz draufstehen darf?“ fragte sich das Parlament kürzlich im Rahmen der Swissness Vorlage. Obwohl erst vor wenigen Jahren eingebürgert, steckt bei Gebhard Kirchgässner sehr viel Schweiz drin; seine lokale Verankerung ist beispielhaft. In seiner Wohngemeinde engagiert er sich in der Geschäftsprüfungkommission, er nahm unzählige politische Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte bis 2007 die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen.

Eine Würdigung von Gebhard Kirchgässner wäre unvollständig ohne einige Worte zu seiner Persönlichkeit. Zwei – nur auf den ersten Blick altmodische – Eigenschaften kommen mir dabei in den Sinn: Treue und Ehrlichkeit. Was Gebhard Kirchgässner sagt, meint er auch. Das ist natürlich ausgesprochen angenehm. Allerdings: Was er meint, sagt er auch. Das ist dann nicht immer so gemütlich, weil Gebhard auch unangenehme Wahrheiten ausspricht, wenn es der Sache dient.

Wer von Gebhard einen Rat erhält, tut gut daran, ihn zu befolgen. Oder aber sich genau und ehrlich zu überlegen, weshalb man seinen Rat nicht befolgen möchte. Gebhards Prinzipientreue und Aufrichtigkeit sind in unserer Zeit geradezu hochmodern.

Im Verlaufe seiner Forschertätigkeit erhielt Gebhard Kirchgässner zahlreiche Preise und Ehrungen. Die wichtigste Auszeichnung: Das Ehrendoktorat der Universität Freiburg im Uechtland im Jahre 2011. Hoch verdient, wie wir finden. Einen Ehrenplatz wird Gebhard in der School ohnehin erhalten. Allerdings hoffen wir, dass er uns als Sparringpartner und Lehrer noch lange erhalten bleibt. Als Freund sowieso.

Warum Deutsche weniger vermögend sind als Griechen

Monika Bütler

(Kolumne NZZ am Sonntag, 21. April 2013)

Wohlgenährte deutsche Häuslebauer, bedürftige Griechen – an die Bilder haben wir uns gewöhnt. Nun werden sie gestört: Die vor kurzem veröffentlichten Statistiken der Europäische Zentralbank wollen so gar nicht passen zu den armen Südeuropäern, die von den knausrigen Deutschen kurz gehalten werden. Deutsche Haushalte sind im Mittel weniger vermögend als die Haushalte in Italien, Spanien, Griechenland und Zypern.

Eine Sensation, würde man meinen. Anders als viele Studien, die es in die Schlagzeilen schaffen, stammen die Zahlen aus einer langjährigen und wissenschaftlich seriös durchgeführten Datenerhebung. Also: europaweit grosse Zeitungsartikel? Weit gefehlt: Die Resultate werden nur verschämt präsentiert. Selbst in Deutschland üben sich Medien und Politik nur ein einem: dem verzweifelten Versuch, Deutschland reich zu rechnen.

Viele Gründe werden angeführt, weshalb den Statistiken nicht zu trauen sei. Die Haushalte seien unterschiedlich gross. Die Hauseigentümer-Quoten und die Entwicklung der Immobilienpreise seien von Land zu Land sehr verschieden. Das stimmt alles. Nur: Die Lektüre des Berichts samt Methodenteil haben sich die Kommentatoren offenbar erspart: Da steht nämlich alles schon drin. Also auch, dass Haushaltgrösse und Immobilienpreise nicht reichen, um das Bild umzukehren. Wie man es auch immer dreht und wendet: Südliche Haushalte haben nicht weniger Vermögen als die nördlichen. Dabei behauptet niemand, Deutschland sei arm. Die Suche nach dem richtigen Trick, Deutschland doch noch reich aussehen zu lassen, ist ohnehin müssig. Viel gescheiter wäre es, zu fragen, weshalb die deutschen Haushalte im Vergleich zu den südlichen so arm an Vermögen sind. Oder mindestens so aussehen.

Mein Versuch einer Erklärung: Die Deutschen können, müssen und wollen weniger sparen.

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Vermögen in der Eurozone korrigiert?

Monika Bütler

In einem sehr lesenswerten Aufsatz in der NZZ vom 13. April weist Claudia Aebersold Szalay zurecht darauf hin, dass die Hauspreisentwicklung eine wichtige Komponente bei den Haushaltsvermögen ist. Die sehr ungleiche Entwicklung der Immobilienpreise bereitete den Forschern der Umfage (siehe Beitrag von gestern) Sorgen und dürfte einer der Gründe für die Verzögerung der Publikation gewesen sein.

Ich habe in meinem Beitrag von gestern daher vor allem auf die Vermögen der Haushalte ohne Hausbesitz hingewiesen. Diese Auswahl hat narürlich ihre Tücken, da in den EU Ländern die Verteilung des Immobilienbesitzes sehr ungleich ist: In Deutschland und Österreich hat die Mehrheit der Haushalte kein Haus, während beispielsweise in der Slowakei fast jeder Haushalt (90%) ein Haus besitzt (Spanien 83%, Zypern 77%). Da die Hausbesitzer tendentiell reicher sind, überschätzt ein Vergleich der Vermögen der Nichthausbesitzer die Vermögen in Deutschland und Österreich gegenüber den südlichen Ländern. 

Genau am gleichen Problem – sogar noch verstärkt – leidet die von Claudia Aebersold Szalay in der NZZ präsentierte Korrektur der Vermögenswerte. In dieser Korrektur wurde zwar die unterschiedliche Hauspreisentwicklung herausgerechnet, dafür aber nur Hausbesitzer miteinander verglichen. Die beiden Graphiken in der NZZ vergleiche somit nicht die gleichen Haushalte miteinander. Für Deutschland und Österreich ist der Unterschied ganz entscheidend: Der Medianhaushalt aller Haushalte ist einer OHNE Haus. Der Medianhaushalt in der korrigierten Auswahl hingegen einer MIT Haus: Der mittlere von den nur 44% (D), resp. 48% (Ö) Hausbesitzern. Kein Mensch würde wohl behaupten, der mittlere Hausbesitzer in der Schweiz sei repräsentativ für die Vermögenssituation in der Schweiz.

Ärgerlich ist, dass der „richtige“ korrigierte Vergleich aller Haushalte in der Originalstudie aufgeführt ist (Paper 02, Graphik 4.6, Seite 83). Und siehe da: Wenn man die unterschiedliche Preisentwicklung (die Housing Bubbles) herausrechnet, verkleinern sich die Unterschiede zwar ein wenig, das Bild bleibt aber: Von einem reichen Norden und einem armen Süden kann nicht die Rede sein.

MedianNetWealthEval2002

„Staatsgeheimnis Bankenrettung“

Urs Birchler

Fast hätte ich’s verpasst: Sieben Tage Arte-Doku über die Rettung der Banken. Und wo ist das Geld gelandet? Viel Vergnügen.

Dank an Stefan Zacher für seinen Hinweis auf Twitter.

Familienartikel: Umbau der antiquierten Schulstruktur!

Monika Bütler

Publiziert in der NZZaS vom 24. Februar unter dem Titel „Die Schulstruktur muss in jedem Fall umgebaut werden. Es braucht bessere Möglichkeiten, um Beruf und Familie zu verbinden.“

Beruf und Familie sind noch immer noch schwer zu verbinden. Die externe Kinderbetreuung ist überreguliert und sündhaft teuer; verbilligte Plätze sind rar und werden intransparent zugeteilt. Wer beim Eintritt der Kinder in den Kindergarten denkt, das Gröbste hinter sich zu haben, erwacht böse. Als wohl einziges Land der westlichen Welt kennt die Schweiz kaum Tagesschulen, die den Namen verdienen. Das Angebot besteht vielmehr aus einem grotesk zersplitterten Mix aus Schule, Hort und Mittagstisch. Unsere gestylten Schulhäuser sind zu schade, um als Verpflegungs- oder Betreuungsstätten entweiht zu werden. Dazu kommen krasse Ungerechtigkeiten: Die Urnerin, die zur Aufbesserung des kargen Bergbauernbudgets extern arbeitet, bezahlt den vollen Krippentarif (112 Franken pro Kind und Tag), die sich selbst verwirklichende, nicht arbeitstätige Zürcher Akademikerin nur einen Bruchteil.

Zeit, dass endlich etwas geschieht. Doch was?

Drehbuch A: Die Schweiz krempelt ihr Schulsystem um und geht über zu einem flächendeckenden Angebot an Tagesschulen für Kinder ab circa 4 Jahren. Blockzeiten, beispielsweise von 9–15 Uhr inklusive kurzer Mittagszeit; eine betreute (freiwillige) Aufgabenstunde am Nachmittag; je nach Schulstufe ein bis zwei freie Nachmittage um den Eltern Wahlmöglichkeiten zu bieten. Abgerundet durch eine kostenpflichtige Randstundenbetreuung (im Schulhaus!) wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu geringen Kosten stark verbessert. Damit auch Mütter mit tiefen Löhnen ihre Berufsfähigkeit erhalten können, wird das Steuersystem angepasst und durch Betreuungsgutscheine (wie in Luzern) ergänzt. Alle Vorschläge sind übrigens in der Praxis erprobt und für gut befunden.

Drehbuch B: Sogenannte Bedarfsanalysen decken Lücken bei Hort und Krippe im bestehenden System auf. Je höher der ausgewiesene Bedarf, desto mehr sorgen staatliche Ämter für angemessene Qualität: vier Quadratmeter pro Kind im Hort und am Mittagstisch – ausserhalb des Schulareals, nota bene; frisch gekochtes Essen zur Überbrückung der viel zu langen Mittagszeit; Rücksicht auf die Heterogenität der Schüler (vegetarisch, schweinefrei, laktosefrei, ponyfrei), Betreuungspersonal mit akademischem Abschluss. Selbstverständlich ist dieser Bedarf mit normalen Löhnen nicht zu finanzieren. Hinzu kommen daher einkommensabhängige Subventionen, welche dann wiederum eine mehr als symbolische Berufstätigkeit für viele Mütter zum unerschwinglichen Luxus machen.

Die hohen Kosten rufen die andere Seite auf den Plan: Mit einem gewissen Recht fordern diejenigen, die ihre Kinder selber betreuen oder sich mit Grosseltern und Kinderfrau helfen, ebenfalls Unterstützung. Schliesslich ist nicht einzusehen, weshalb die Grossmutter mit der knappen Rente nicht auch entlohnt werden soll. Am Schluss bezahlen alle sehr viel höhere Steuern, die sie teilweise in Form von Subventionen und Herd- und Hüteprämien wieder zurückerhalten. Nur: Je mehr eine Mutter arbeitet, desto schlechter der Deal.

Die Leser(-innen) die hier eine Abstimmungsempfehlung für den Familienartikel erwarten muss ich enttäuschen: Es handelt sich hier um eine vorgezogene Abstimmungsanalyse. Nicht jedes NEIN wird von hinterwäldlerischen Ewiggestrigen oder egoistischen Singles stammen. Viele Gegner fürchten, dass ein überholtes Schulsystem künstlich am Leben erhalten wird, wenn der „Bedarf“ an Betreuungsplätzen innerhalb eines nicht mehr zeitgemässen Systems gemessen wird. Umgekehrt wird nicht jedes JA von subventions-maximierenden Etatisten kommen. Viele Befürworter erhoffen sich, dass das Schulsystem endlich keine Eltern mehr daran hindert, ihre beruflichen Fähigkeiten nach eigenem Gutdünken einzusetzen.

Wie die Abstimmung auch ausgehen mag: Es ist Zeit, dass etwas geschieht. Dazu braucht es das richtige Drehbuch. Gefragt sind Ideen und Mut zur Veränderung, nicht Geld.

 

Island gerettet?

Urs Birchler

Wir haben uns von Anfang an auf die Seite Islands geschlagen: Bitte nichts zahlen! rieten wir Island im Streit mit seinen Gläubigern schon vor drei Jahren. Als dann die EFTA auf Drängen der britischen und niederländischen Gläubiger der gescheiterten isländischen Banken gegen Island vor Gericht zog, lagen unsere Sympathien im Konflikt EFTA gegen Island ebenfalls bei den Isländern.

Umso erfreulicher, dass heute der EFTA-Gerichtshof zugunsten von Island entschieden hat, dass ein kleines Land im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) nicht bedingungslos für die Schulden seiner Einlagensicherung haftet. Näheres dazu im Beitrag Icesaved? von FT Alphaville.

Das Urteil ist auch aus Schweizer Sicht interessant, bzw. wäre, sollten wir dereinst dem EWR beitreten oder (nicht als politische Empfehlung gemeint) bilateral die EU-Einlegerschutzkonvention übernehmen (umgesetzt haben wir sie im wesentlichen bereits) .

ZKB wohin?

Urs Birchler

Die ZKB renoviert. Gemäss Medienmitteilung sollen nicht weniger als neun Erlasse und Reglemente geändert werden (Übersichtiliche Zusammenstellung im Factsheet). Dies ist kein Totalumbau, aber mehr als eine Pinselrenovation.

Die wichtigste Änderung ist die Erweiterung des Geschäftsbereichs, gefolgt von einer Kapitalerhöhung.

  • Der Geschäftsbereich soll über die Kantonsgrenzen hinaus (in andere Kantone und ins Ausland) ausgedehnt werden, was eine Änderung des Kantonalbankgesetzes erfordert.
  • Die ZKB will gemäss ihr Dotationskapital um 2 Mrd. Fr. auf 4,5 Mrd. Fr. erhöhen. Ferner soll das Dotationskapital nicht mehr fest, sondern via Gewinnausschüttung abgelten.

Dann gibt es aber auch die wichtigste Nicht-Änderung:

  • Die Staatsgarantie wird nicht angetastet (trägt also künftig auch Risiken der „geografischen Diversifikation“).

Hierzu ein paar Kommentare, basierend auf unseren bisherigen Beiträgen zur ZKB.

  1. Es scheint mir klar, dass es eine Bank für die finanziell Unkundigen braucht.
  2. Für die ZKB ist die Staatsgarantie besonders wertvoll: siehe batz.ch
  3. Die Staatsgarantie ist eine gefährliche Einrichtung, wie wir hier dargelegt und hier präzisiert haben.
  4. Die ZKB geniesst neben der gesetzlichen Staatsgarantie (die erst im Konkurs zum Tragen kommt) eine faktische Staatsgarantie, da der Kanton seine Bank nicht vor die Hunde gehen lassen kann. Dies haben wir in einem wichtigen Beitrag (gestützt auf eine Referat von Regierungsrätin Frau Ursula Gut) näher erläutert. Pro memoria: Privatisierungen von Banken mit faktischer Staatgarantie machen das Problemnoch grösser.
  5. Das einzige echte (noch vor dem Zürcher Steuersubstrat) risikotragende Substanz ist daher die nachrangige Wandelanleihe.
  6. „Kapitalerhöhungen“ durch den Kanton bedeuten, dass der Kanton Geld vom rechten in den linken Hosensack legt. Das einzige was er dadurch erreicht: Die Leine der ZKB wird länger.
  7. Die FINMA vertritt die Einleger, nicht den Kanton Zürich. Daher ist ihr vermutlich egal, ob Kapitalerhöhungen der ZKB vom Markt oder aus der Zürcher Staatskasse finanziert werden.
  8. Im Ausland hat die ZKB die Zürcher Unternehmen zu unterstützen. Darüber hinaus hat sie (mit der Staatsgarantie im Sack), wie hier behauptet, im Ausland eigentlich wenig verloren, aber viel zu verlieren.

Einstweiliges Fazit: Wenn die geografische Diversifikation als notwendig erachtet wird, dann ist diese voll zu finanzieren mit nachrangigen Anleihen, die verfallen, wenn die Eigenmittel der Bank unter eine bestimmte Grenze fallen. Alles andere liegt nicht im Interesse von Herrn und Frau Zürcher.

Höhere Steuern? Höhere Steuern!

Monika Bütler

Aus aktuellem Anlass (gravierende Budgetprobleme in denjenigen Kantonen, welche ihre Steuern massiv gesenkt hatten) hier eine alte Kolumne in der NZZ am Sonntag (11. September 2011).

Die Lage der öffentlichen Finanzen in der Schweiz ist schlechter, als es scheint

Verkehrte Welt! In verschiedenen Ländern fordern reiche Bürger höhere Steuern. Die Regierungen? Wollen nicht. Dabei täten sie gut daran, die Argumente für etwas mehr Steuern auf sehr hohen Einkommen und Vermögen zu prüfen. Auch in der Schweiz.

Noch vor wenigen Jahren galten Steuersenkungen als Gratisaktion: Dank mehr Investitionen und höherer Produktivität würden sich die Steuersenkungen selbst finanzieren. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Neben Gewinnen für die Bessergestellten blieben Defizite der öffentlichen Hand. Eigentlich müssten heute mindestens ein Teil der Steuersenkungen rückgängig gemacht werden. Doch fast alle (Politiker) scheuen nur schon die Diskussion darüber. Dabei steht es um die öffentlichen Finanzen schlechter, als es scheint. In den offiziellen Zahlen sind die impliziten Schulden aufgrund der alternden Bevölkerung noch gar nicht eingerechnet.

Einem wohl länger anhaltenden Rückgang der Steuereinnahmen zum Trotz: Lieber werden der Polizei und den Spitälern die dringend notwendigen Stellen vorenthalten und die Infrastruktur vernachlässigt als Steuern angehoben. Doch solche Sparübungen bringen gesamtwirtschaftlich wenig. Aber sie treffen die weniger Verdienenden und gefährden den Zusammenhalt der Bevölkerung, letztlich die Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaft. Es erstaunt nicht, dass die Halbierung der Vermögenssteuern im Kanton Zürich wuchtig verworfen wurde.

Auch viele Reichen haben erkannt, worin der Erfolg westlicher Volkswirtschaften besteht. Ungleichheiten werden akzeptiert, solange die Glücklicheren ihren Teil am Gemeinwohl leisten. Eigentum verpflichtet, heisst es sogar explizit im deutschen Grundgesetz. Ganz besonders stark ist der stillschweigende Gesellschaftsvertrag in den USA. Das erklärt einen Teil der Ungeduld, mit der die USA von der Schweiz einfordern, was Steuerflüchtige der amerikanischen Gesellschaft finanziell und ideell entzogen haben.

Die Angst der Politiker und vieler Bürger selbst vor einer geringfügig stärkeren Besteuerung sehr hoher Einkommen und Vermögen ist dennoch verständlich. Denn die Linke fordert Steuererhöhungen, nicht um Schulden und Defizite abzubauen, sondern um Mehrausgaben zu finanzieren, von frühzeitiger Pensionierung bis zu Subventionen für alles und (fast) jeden. Wer gegen solche Ausgaben ist, kämpft logischerweise gegen Steuererhöhungen.

Dass sich die Kantone scheuen, Steuern für sehr hohe Einkommen anzuheben, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Mit dem neuen Finanzausgleich (NFA) wurde einem gut funktionierenden Steuerwettbewerb zwar eine solide Grundlage verpasst. Dennoch ist es für die Kantone noch immer „günstiger“, sehr Reiche anzuziehen als den wirtschaftlich oft viel stärker engagierten Mittelstand und das Unternehmertum. Selbst wenn die Diskussion in erster Linie auf Bundesebene stattfinden muss: Auch die Kantone werden nicht darum herum kommen, ihre Einnahmen den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, wenn sie nicht mit einem Schuldenberg enden wollen.

Mindestens eines hat die Schweiz anderen Ländern voraus. Die Diskussion über eine Ausgestaltung des Steuersystems ist noch nicht polarisiert. Wir haben keine Tea- oder Kafi-Lutz-Party. Dafür einen funktionierenden und effizienten Staat, in welchem sich der Grossteil der Bevölkerung — arm und reich — noch dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt. Für die sehr Reichen könnten sich etwas höhere Steuern – solange das Geld nicht gleich wieder ausgegeben wird – sogar lohnen. Auf die Dauer sind gesunde Staatsfinanzen der beste Schutz vor Vermögens- und Einkommensverlusten.

Gelingen müsste deshalb ein „historischer Kompromiss“: etwas höhere Steuern für die obersten Einkommen und Vermögen, aber ohne zusätzliche Ausgaben. Steuerwillige Reiche und haushälterische Linke vereinigt Euch!