Darf Jean-Pierre Danthine zurücktreten?

Urs Birchler

Vorab: Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte bei der SNB gearbeitet. Jean-Pierre Danthine war noch nicht bei der SNB, aber ich kenne ihn gleichwohl. Ich bin also doppelt voreingenommen. Aber wenn es um die Unabhängigkeit der Nationalbank geht, kenne ich keinen Spass.

Es ist eine historisch zig-mal belegte Tatsache, dass politische Abhängigkeit einer Notenbank früher oder später ins monetäre Verderben (Inflation) führt. Mehr Geld alias tiefe Zinssätze alias ein tiefer Wechselkurs sind einfach zu verführerisch. Gleichzeitig ist in der Schweiz mit einem ausgeklügelten Mechanismus sichergestellt, dass die SNB trotz ihrer Unabhängigkeit nicht abgehoben handeln kann. Dazu gehört, dass sich die Nationalbank auf ein messbares Ziel (Infation unter 2%) verpflichtet und regelmässig Rechenschaft ablegt.

Leider ist die Unabhängigkeit einer Notenbank immer gefährdet. Beispielsweise versucht der Bundesrat gegenwärtig zu zeigen, wer die Hosen anhat, indem er die Ernennung von Thomas Jordan zum Präsidenten bis an die nationale Schmerzgrenze verzögert (derselbe Bundesrat, der sich so enorme Sorgen gemacht hat, der Abgang von Philipp Hildebrand könnte die Glaubwürdigkeit der Wechselkursgrenze zum Euro gefährden).

Schlimmer als der Bundesrat ist aber ein Teil der Presse, die versucht Jean-Pierre Danthine zu demontieren , (zum Sonntags-Vergnügen von Kreisen, welche die Unabhängigkeit der SNB ohnehin nicht mögen). Aufmerksame Journalisten sind natürlich das Salz der Demokratie, aber zur Aufmerksamkeit gehört auch ein minimales Interesse für Fakten und vielleicht ab und zu eine kurze Reflexion. Hier möchte ich zwei Gedanken zu den Transaktionen von JPD offerieren (die absurde Spesengeschichte des Tages-Anzeiger ist keinen Kommentar wert ausser, dass JPD — genau wie ich und die meisten unserer Fachkollegen — froh ist über jeden Restaurant-Hummer, den er nicht essen muss, und statt dessen zuhause mit Frau oder Familie einen Salami aufschneiden darf):

  • Die SNB-Pensionskasse ist leicht asymmetrisch strukturiert: Die Bank zahlt mehr als die Hälfte der Beiträge, behält aber auch viel zurück, wenn jemand austritt. Dahinter steht die heute vielleicht altväterisch anmutende, aber grundanständige Überlegung, dass SNB-Mitarbeiter für die Treue zur Institution belohnt werden sollen. Vorzeitige Abgänger — wie Philipp Hildebrand — werden durch diese eingeschränkte (aber gesetzeskonforme) Freizügigkeit finanziell bestraft. Wer spät eintritt, wie JPD, wird ebenfalls bestraft, weil er Beträge einkaufen muss, die anderen Mitarbeitern über die Jahre hin zum Teil von der SNB bezahlt worden sind. Wenn JPD einen grossen Betrag einkaufen musste (und deshalb Euro verkaufte) ist das also normal. Wenn die SNB einen Teil des Einkaufs übernahm, ist es zumindest nicht unfair.
  • Die zweite Verkaufs-Transaktion in Euro (auf Initiative seiner Bank und vom SNB-Reglement innerhalb eines Jahres gefordert) erfolgte im nachhinein im „dümmsten“ Moment, d.h. auf einem kurzfristigen Höhepunkt des Euro-Franken-Kurses. Betonung: „im nachhinein“. Die nachträgliche Unterstellung, die Kursbewegungen vorausgesehen (und wissentlich ausgenützt zu haben) ist selbst an ein Direktoriumsmitglied der SNB absurd. Viele Journalisten ahnen nicht, wie schwierig Finanzmärkte zu prognostizieren sind, auch für sogenannte „Insider“. Ich habe an manchen Sitzungen zur Vorbereitung geldpolitischer Entscheide teilgenommen und fast jedesmal lautete die Diagnose: Es war noch nie so schwierig wie heute.

Kurz: JPD hat offenkundig werder etwas Unlauteres versucht, noch getan. Ein wichtigeres Pressethema als irrelevante alte Spesenbelege (wer bewahrt so was jahrelang auf???) wäre beispielsweise die Verzögerungstaktik des Bundesrates bei den Ersatzwahlen ins SNB-Direktorium. Ebenfalls eine Überlegung wert wäre vielleicht die Frage: Was, wenn JPD von verleumderischen Artikeln genervt den Bettel hinschmeisst? Wo finden wir einen ähnlich kompetenten Nachfolger (aus der nicht-deutschen Schweiz)? Für jenen Journalisten, der vermeint, JPD sei „kein Währungsspezialist“ und all jene, die „Professor“ ohnehin für eine Behinderung ansehen, ist das kein Problem. Für alle andern vielleicht schon.

Tagi — wir bleiben dran!

Urs Birchler

Über die Wirtschaftsberichterstattung des Tagesanzeiger nerve ich mich so oft, dass ich nicht jedesmal reagieren mag.
Aber heute (Montagmorgen!) ist’s mir wieder mal zuviel: Die Bildlegende spricht vom Regierungsgebäude, während auf dem Bild in grossen Lettern (auch für nicht griechisch Sprechende wie mich) zu sehen ist, dass es sich um die Bank von Griechenland handelt. Regierung ist nicht gleich Notenbank. Auch nicht in Griechenland.

[Nachtrag: Der Fehler wurde bereits im Laufe des Tages behoben. Die Demonstranten sind jetzt „in der Innenstadt“. Das trifft immerhin zu. Genauer wäre: vor der Bank von Griechenland (Eleftheriou Venizelou 21, Athen 10564).]

Zeit für Vernunft

Urs Birchler

Was habe ich dieser Tage gelitten. An der mangelnden Sensibilität des Nationalbankpräsidenten gegenüber im Grunde völlig unnötigen Transaktionen, aber noch mehr an den zum Teil abstrusen Kommentaren, Spekulationen und Schuldzuweisungen von allen Seiten. Dabei kümmerte sich niemand um das Offenkundige. Beispiel 1: In seiner Rücktrittsrede begann Philipp Hildebrand mit einem Dank an alle — ausser an den Bankrat. Es dauerte aber ewig, bis jemand den Reim darauf machte. Beispiel 2: Ebenfalls in der Rücktrittsrede findet sich die Behauptung, die Nationalbank könne den Dollarkurs nicht beeinflussen — kein einziger Journalist hat zurückgefragt, wie dann die Nationalbank den Eurokurs fixieren könne.

Wie eine Wohltat erscheint mir daher der Artikel von Ralph Pöner in der heutigen Ausgabe der deutschen Wochenzeitung Die Zeit: sachlich, einen Schritt auf Distanz und mit dem Blick auf das wirklich Wichtige, die Rolle der Notenbank im Staatsgefüge.

[Nachtrag: Auch die Handelszeitung vom 12. Jan. hat einige durchdachte Beiträge, beispielsweise von René Rhinow (S. 7; nicht im Internet verfügbar).]

Euros nach Madrid

Urs Birchler

Die EZB bietet den Banken für die nächsten drei Jahre unlimitiertes Geld zum Referenzsatz von 1 Prozent an (bei gleichzeitiger Lockerung der Bedingungen für zulässige Pfandsicherheiten). Was erreicht sie dadurch?

Beim Kaffee zeigen mir meine Kollegen Alexandre Ziegler und Per Östberg einen Artikel aus Bloomberg, der die Antwort enthält: Spanien nahm heute 5.6 Mrd. Euro auf drei, bzw. sechs Monate auf. Beide Tranchen wurden massiv überzeichnet und gingen weg mit Zinssätzen von 1.735 Prozent, bzw. 2.435 Prozent. Am 22. November hatte Spanien für dieselben Laufzeiten noch 5.11 Prozent, bzw. 5.23 Prozent bieten müssen. Mit andern Worten: Die EZB gibt billiges Geld an die Banken, die es postwendend in höher rentierende Regierungspapiere investieren.

Kurz und schlecht: Die EZB schafft Geld, leiht dieses den Banken in der Hoffnung, dass diese es an den finanziell maroden Staat weiterleihen. Das ist sozusagen TBTF im Rückwärtsgang (die Banken retten den Staat) plus Monetisierung durch die EZB — „Quantitative Easing“ auf europäisch.

Hellblaues Auge für die SNB

Urs Birchler

Heute vor genau einem Quartal beschloss die SNB die Kursuntergrenze von 1.20 CHF für den Euro. Ebenfalls heute hat sie die neuesten Zahlen für den IMF publiziert. Diese geben einen groben Anhaltspunkt für die Veränderung der Devisenreserven. Wir haben bereits früher festgestellt, die SNB sei bis Ende September mit einem hellblauen Auge davongekommen. Die Zahlen für Oktober-November sehen eher noch günstiger aus. Die SNB scheint sogar Fremdwährungsbestände abgebaut zu haben (wieviel davon in Euro wissen wir leider nicht).

Fremdwährungsreserven der SNB (in Mio CHF):

229’278 Nov 2011
245’036 Oct 2011
282’352 Sep 2011
253’351 Aug 2011

Dies meine ich nicht als Aufforderung, übermütig zu werden und die Kursgrenze hochzuschraben. Der Euro ist noch nicht über den Berg. Oder verstehen Sie, was Angela Merkel und Nicolas Sarkozy wirklich beschlossen haben (und was davon eine Chance hat, umgesetzt zu werden)?

Occupy truth

Urs Birchler

Eine Kandidatin fürs Guiness Book of Records in der Kategorie „Höchster beanspruchter Hilfskredit pro Mitarbeiter“ ist die im Oktober 2009 verstaatlichte deutsche Hypo Real Estate. Gemäss der Auswertung der dem Fed abgerungenen Zahlen (siehe auch unseren kürzlichen Beitrag) durch Bloomberg bezog die Bank vom Fed in der Spitzenzeit — mucksmäuschenstill — 28.7 Mrd USD — zusätzlich zu Kreditgarantien der Bundesregierung von 142 Mrd Euro (206 Mrd USD). Die Fed-Hilfe belief sich damit auf 21 Mio USD pro Mitarbeiter.

Die Deutsche Bank stand beim Fed mit maximal 66 Mrd USD in der Kreide. Darüber verlor sie nie ein Wort, weder im November 2008 (Josef Ackermann: Deutschland könne stolz sein, eine Bank zu haben, die in diesen schwierigen Zeiten einen Gewinn erwirtschafte), noch als er am 22. Nov. 2011 vor der Occupy-Bewegung die gesellschaftliche Verantwortung der Banken betonte („Jeder Steuerzahler und Politiker sollte froh darüber sein, wenn Unternehmen ohne Staatshilfe auskommen“).

Durchleuchtete Bailouts

Urs Birchler

Hat die Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, mit ihrer Liquiditätshilfe während der Finanzkrise den Geschäftsbanken 13 Mrd. USD „geschenkt“? Auf diesen Betrag beziffert Bloomberg den Zusatzertrag, den die Banken erzielten, indem sie beim Fed Hilfskredite zu günstigen Konditionen aufnahmen und dann zu besseren Konditionen anlegten.

Noch brisanter als diese Subvention scheinen die Beträge, mit denen das Fed den Banken zu Hilfe eilen musste. Öffentlich bekannt waren die Beträge des vom Kongress bewilligten TARP-Programms in der Grösse von rund 700 Mrd. USD. Dass die Fed-Liquiditätshilfe aber mit 7’700 Mrd. USD das Elffache des TARP betrug, wurde erst jetzt bekannt. Die Agentur Bloomberg hat, wie sie in einem Video darstellt, zwei Jahre lang gegen das Fed prozessiert und aufgrund der Freedom of Informations Act am Ende gewonnen. Deshalb musste das Fed nun ausweisen, welche Bank in der Finanzkrise wieviel Hilfskredite erhalten hat. Dabei kam zutage, dass zum Beispiel die Bank of America ihre ihre Position im November 2008 als stark darstellte (“one of the strongest and most stable major banks in the world”), obwohl sie gleichzeitig mit 84 Mrd. USD am Tropf des Fed hing.

Bloomberg hat die Schätzung der Subventionen durch die Hilfskredite in einer interaktiven Grafik zusammengestellt. Wer sorgfältig mit dem Mauszeiger über die Balken fährt, findet auch die Zahlen für die beiden Schweizer Grossbanken: Diese sollen auf den Fed-Hilfskrediten 284 Mio USD (CS), bzw. 154 Mio USD (UBS) verdient haben.

Jungfräuliche Abwertung

Monika Bütler

Eine Abwertung der Währung kann positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation eines Landes haben. Erstens reduziert sie den Realwert der ausstehenden Schulden (allerdings nur fall diese in der eigenen Währung ausgestellt sind). Zweitens
verbessert eine Abwertung das reale Austauschverhältnis (terms of trade)
zwischen In- und Ausland und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Gerade dieser zweite Einflusskanal wäre für Länder wie Griechenland sehr
wichtig, um aus der Abwärtsspirale auszubrechen. Doch Griechenland und andere
Krisenländer haben keine eigene Währung.

In einem neuen Forschungspapier zeigen Emmanuel Farhi (Harvard), Gita Gopinath (Harvard) und Oleg Itskhoki nun, dass ein Land auch ohne eigene Währung – und somit ohne eigene Geldpolitik – „abwerten“ und so das reale Austauschverhältnis
verbessern kann. Eine geeignete „fiskalische Abwertung“, wie es die
Autoren bezeichnen, hat die gleichen Auswirkungen wie eine eigentliche
Abwertung der Währung. Erreicht wird eine solche fiskalische Abwertung durch
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer mit einer gleichzeitigen Senkung der
Einkommenssteuern. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verteuert die Importgüter
und verbilligt die Exporte im Vergleich zu den inländischen Verkaufspreisen, da
Exporte von der Mehrwertsteuer ausgenommen sind und die Lohnkosten wegen der
reduzierten Einkommenssteuer sinken. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wirkt
damit ähnlich wie eine Steuer auf Importprodukten. Die gleichzeitige Reduktion
der Einkommenssteuer stellt sicher, dass sich die inländischen Produkte für die
Inländer real nicht verteuern. Der Gesamteffekt ist daher der gleiche wie eine
direkte Abwertung der Währung durch die Geldpolitik. Farhi, Gopinath und
Itskhoki zeigen, dass die Gleichwertigkeit einer „normalen“ Abwertung
und einer fiskalischen Abwertung unter den meisten realistischen Bedingungen
gültig ist.

Besteht demnach doch noch Hoffnung für Griechenland? Nur zum Teil. Die fiskalische Abwertung funktioniert nur, wenn die Exporte tatsächlich von der Mehrwertsteuer
ausgenommen werden. Für den für Griechenland so wichtigen Tourismus ist dies nicht  der Fall.

Nachtrag: Peter Moser (siehe Kommentar) hat mich drauf aufmerksam gemacht, dass in der ersten Version dieses Beitrags noch ein Fehler war: Fälschlicherweise habe ich angenommen, dass innerhalb der EU kein Ausgleich der Mehrwertsteuer an der Grenze besteht. Wie Peter Moser ausführt wird auch innerhalb der EU die inländischen Mehrwertsteuer zurückerstattet und die Mehrwertsteuer des Ziellandes belastet.

 

Have the Hawks Effectively Won the Lender of Last Resort Argument in Europe?

Simon Evenett

Simon Evenett, Professor an der Universität St. Gallen, schreibt einen Artikel, ob die Europäische Zentralbank als „lender of last resort“ umfassend italienische und spanische Staatsanleihen kaufen soll oder nicht. Er argumentiert, dass selbst wenn die Gegner dieser Massnahme (Deutschland) die Debatte noch nicht für sich entschieden haben, ihre reine Opposition genügt, um dies zu verhindern.