Die Skischuhe des Nobelpreisträgers

Urs Birchler

Den diesjährigen Nobelpreis für Wirtschaft erhielten heute Paul Milgrom und Robert Wilson (beide Stanford). Ein Zusammenfassung ihrer Beiträge können wir uns sparen, das machen andere besser. Beispielsweise The Guardian mit vielen zusätzlichen Links.

Erwähnenswert ist hingegen ein Beispiel für (übertriebene) Bescheidenheit des neugekrönten Robert Wilson: Er habe selber noch nie an einer Auktion teilgenommen, meint er heute früh (3h Lokalzeit) am Telefon mit einem Journalisten. Worauf Frau Wilson aus dem Hintergrund korrigierte: “Doch, Deine Skischuhe haben wir per eBay gekauft!”

Bescheidenerweise (und weil er zu nachtschlafener Stunde wohl keine Vorlesung halten wollte) verschwieg Robert Wilson, dass Auktionen auch unter anderem Namen allgegenwärtig sind, vom Ausverkauf bis zum Architekturwettbewerb. Auf die Frage, welchen ökonomischen Fachartikel ich allen Laien empfehlen würde, habe ich deshalb vor einiger Zeit den Artikel von Paul Klemperer gewählt. Why Every Economist Should Learn Some Auctions Theory. Die Begründung steht hier und macht auch verständlich, weshalb die Auktionstheorie den diesjährigen Nobelpreis verdient hat (nachdem schon 1996 William Vickrey, der Vater des in der Auktionstheorie wichtigen “Revenue Equivalence Theorem” geehrt worden ist.)

Frau darf nicht mehr neben Schnarcher schlafen

Urs Birchler

Bitte, wer kann mir helfen? Mein Weltverständnis liegt in Trümmern. Meine Frau darf aufgrund eines Gerichtsentscheids nicht mehr in unserem gemeinsamen Schlafzimmer nächtigen. Grund: Mein Schnarchgeräusch liegt über dem gesetzlichen Grenzwert von 55dB(A) (Kategorie: Erholung, nachts).

Dass der Staat mein Frau vor gesundheitlichen Schäden schützen möchte, weiss diese durchaus zu schätzen. Aber sie versteht nicht, weshalb nicht — nach dem Verursacherprinzip — ich des Bettes verwiesen worden bin. Vielleicht haben die Richter ein Lehrbuch der Mikroökonomie angeschaut und dort gefunden, dass es ein Verursacherprinzip im Prinzip gar nicht gibt. Meine Frau und ich möchten des Schlafzimmer bloss unterschiedlich nutzen: sie zum Schlafen, ich zum Schnarchen. Erst, wenn in einem solchen Nutzungskonflikt die Eigentumsrechte zugeordnet sind,
lässt sich von einem „Verursacher“ sprechen. Wenn das Schlafzimmer meiner Frau gehört, bin ich der Verursacher externer Kosten (ihrer Schlaflosigkeit). Wenn das Zimmer mir gehört, verursacht meine Frau die externen Kosten in Form etwa von schlechter Laune infolge Schlafentzug. Die richterliche Ausweisung der Frau deutet also darauf hin, dass Bett und Luftraum mir, dem Schnarcher, gehören.

Selbstverständlich hat ein derartiger Gerichtsentscheid nie stattgefunden. Zu absurd würde man meinen. Doch nicht in Zürich. Es mehren sich die Fälle in denen Gerichte das Erstellen von Wohnungen verbieten, wenn die Bewohner einem Verkehrslärm ausgesetzt wären, welcher die gesetzlichen Grenzwerte übersteigt. So geschehen, wie der Tagesanzeiger berichtet, bezüglich der Überbauung Brunaupark. Ähnliches droht der Wohnüberbauung beim geplanten Fussballstadion — über das wir demnächst zum dritten Mal vielleicht für die Katz abstimmen werden.

Es werden in diesen Fällen also die potentiellen Mieter prophylaktisch weggewiesen, weil ihnen der Verkehr mit übermässigem Lärm schaden könnte.
Als ob die Stadt den Schnarchern, d.h. den Autofahrern, gehörte. Dabei schien die Sache klar: Als Verursacher der externen Kosten gelten guteidgenössisch nicht die ruhebedürftigen Bewohner, sondern die Erzeuger des Lärms (die Schnarcher). Das BAFU schreibt:

Es bestehen noch wesentliche externe Kosten in der Höhe von ca. 1–1.6 Mrd. CHF, die ausschliesslich vom Verkehr verursacht werden. … Die Lärmquelle Nummer eins ist der Verkehr. … Handlungsbedarf besteht … bei den externen Kosten. Im Vordergrund steht dabei die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips, d.h. die Reduktion von Lärm an den Emissionsquellen (BUWAL 2002a, 169).

Spinnen jetzt die Zürcher Richter oder spinnen das BAFU und ich?

Nur Fliegen ist schöner

Urs Birchler und Monika Bütler

Zugegeben, wir fliegen zuviel (dass wir weder Auto noch Hund haben, rettet das Klima auch nicht). Aber vielleicht sind wir als Klimaschweine gerade hier mal glaubwürdig:

Der Nationalrat hat gestern — zu unserem blanken Entsetzen — eine CO2-Abgabe auf Flugbenzin einmal mehr abgelehnt — mit 93 zu 87 Stimmen. (Wo waren die übrigen 20 Mitglieder? Hoffentlich nicht im Flugzeug.) Strittig war nicht die globale Erwärmung, auch nicht der menschliche Beitrag und nicht einmal der Umstand, dass Flugzeuge mit Flugbenzin fliegen.

Nein: Es wurde argumentiert, die Passagiere wanderten ins Ausland ab (obwohl alle Nachbarländer eine Abgabe auf Flugbenzin kennen, ausser Liechtenstein, das aber noch keinen Flughafen hat). Noch besser: Das Fliegen dürfe nicht zu einem Privileg für Reiche werden.

Liebe Damen und Herren Volksvertreter/innen: Fliegen ist ein Privileg der Gutverdienenden, auch wenn Familie Schmalhans auch irgendwann einmal auf die Kanaren fliegt. Wenn wegen einer CO2-Abgabe einmal ein Weihnachtsshopping in London oder ein Polterabend in Barcelona ausfiele, würde nicht einmal Caritas von einem Armutsproblem sprechen.

Schonung der Gutverdienenden bei gleichzeitiger Schröpfung derjenigen, die gegen Ende des Monats mit Sorge ins Portemonnaie schauen müssen: Das ist es doch, was den demokratischen Konsens zersetzt. In diesem Sinne hatte NR Christian Imark (SVP/SO) sogar recht als er — leider als Argument gegen einen höheren Benzinzuschlag für Autos — sagte: „Denken Sie an die Gelbwesten in Frankreich!“ Klar versteht der Auto-Pendler in Knonau nicht, warum er bezahlen muss, während die Business-Class ohne Klimabeitrag nach London City jettet.

Aber nicht genug: Ganz quer in der Landschaft steht die zum Teil bereits erfolgte und für die kommenden Jahre geplante Senkung der Flughafengebühren. Auch wenn eine solche Senkung aus anderen Gründen erfolgt, wirkt sie dennoch als sozusagen negative CO2-Abgabe, d.h. als Anreiz zum Fliegen.

Vielleicht könnte man einmal Flugpassagiere/innen fragen, was sie von einer Klimaabgabe halten. Aus dem Flugzeug sieht man nämlich auch gut auf den Planeten runter, auf all das, was wir zu verlieren haben. Oder würden die Ratsmitglieder aus den Antwortformularen einfach wieder Papierflieger falten?

Wassergesetz: Geht die Steuerrechnung auf?

Michel Habib und Urs Birchler

Das Referendum gegen das neue Wassergesetz des Kantons Zürich kommt voraussichtlich im Frühjahr 2019 vors Volk. Umstritten ist die mögliche Privatisierung, d.h. die vorgesehene Kompetenz der Gemeinden, ihre Wasserversorgung an eine juristische Person auszulagern. Interessant sind in diesem Zusammenhang die britischen Erfahrungen mit der Wasserprivatisierung in England und Wales seit den 1980er Jahren. Was können wir daraus lernen?

Eine häufige Kritik an der Privatisierung der Wasserversorgung behauptet eine Verschlechterung der Wasserqualität. Mit wenigen Ausnahmen (z.B. das Abführen von 1,4 Mrd. Liter Abwasser in die Themse durch Thames Water) scheint jedoch die Wasserqualität in Grossbritannien nicht schlechter als beispielsweise in Frankreich oder Deutschland. Es scheint daher, dass eine Regulierung die Qualitätsstandards in der Wasserindustrie ebenso gut durchsetzen kann gegenüber Managern, bzw. Aktionäre, die nach Gewinn streben, wie gegenüber Regierungsbeamten, bzw. Politikern, die auf Stimmen aus sind.

Eine auffälliger Zug der privatisierten englischen Wasser-Unternehmen ist jedoch die explosionsartige Zunahme der Verschuldung. Aus Sicht der Unternehmen ist diese verständlich: Schuldzinsen sind steuerlich abzugsfähig, und das stabile, d.h. risikoarme Geschäft mit dem Wasser erlaubt eine relativ hohe Verschuldung. Schulden-getriebene Steuerverluste einiger Wasser-Unternehmen sind von deren Eignern, oft Private-Equity-Firmen, anscheinend tatsächlich verwendet worden, um die Steuerrechnung für andere Unternehmen in ihrem Portefeuille zu mildern. Eine Beteiligung an Wasser-Unternehmen scheint gerade für jene Firmen interessant, die verrechenbare Erträge erwirtschaften.

Sollte sich die britische Entwicklung in Zürich wiederholen, könnte dieser Steuereffekt die Privatisierungserlöse teilweise wegfressen. Vorgesehen ist zwar, dass 51 Prozent des Eigentums in der Hand der Gemeinde bleiben soll. Der Mit-Erwerber eines teilprivatisierten Wasser-Unternehmens könnte dennoch seine Steuerlast erleichtern, indem das Unternehmen hohe Schulden aufnimmt und mit den Schuldzinsen andere Einnahmen kompensiert. Der Kanton verliert dadurch einen Teil dessen, was die Gemeinde mit der Privatisierung gespart hat.

Die Lektion für Zürich: Wenn nicht klare Effizienzgewinne einer (Teil-)Privatisierung vorliegen, bedeutet diese eher eine Einladung zum Financial Engineering auf Kosten des Kantons.
(Wer erinnert sich noch an die Verkäufe und das Zurück-Leasen der Zürcher Trams durch die VBZ?)

Ergänzungsleistungen (EL) und Vermögen

Monika Bütler

National- und Ständerat streiten um die – dringend notwendige – Reform der Ergänzungsleistungen (siehe NZZ und Tagesanzeiger, zum Beispiel). Ein Knackpunkt dabei ist die Anrechnung des Vermögens.

Heute beträgt der Freibetrag zum Bezug von EL 37‘500 Franken, das darüber hinausgehende Vermögen wird nur zu 1/10 (im Heim: 1/5) zum Einkommen gerechnet. Es ist somit möglich, EL zu beziehen mit einem Vermögen von deutlich über 100’000 Franken. Das ist aus verschiedenen Gründen heikel: Erstens, weil mit diesem partiellen Vermögensschutz die Erben auf Kosten der Steuerzahler versichert werden. Zweitens, weil eine solch komplizierte Regelung zu einer Bevorzugung von potentiellen EL Bezügern mit mehr Wissen (oder schlauen Kindern) führt. Zu guter Letzt widersprechen Zahlungen an Bezüger mit genügend Vermögen dem Sinn von bedarfsorientierten Leistungen.

Der Nationalrat möchte nun die Vermögensgrenze auf 100’000 Franken absenken und „übermässigen“ Verwendung des Kapitalbezugs aus der zweiten Säule mit einer 10% Strafkürzung auf den EL belegen. (In Klammern, aber wichtig: Es wäre besser gewesen, die Vermögensanrechnung bei EL zur IV anders zu behandeln als die EL zur AHV. Für die IV wäre eine höhere Vermögensgrenze angemessen, da es hier nicht um den Schutz der Nachkommen geht, sondern um die eigene künftige Lebensgrundlage der Versicherten.)

Unbestritten hat das schweizerische Sozialversicherungssystem starke Anreize für einen Kapitalbezug aus der zweiten Säule (siehe hier und hier und hier). Das durch die EL garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat über der AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser als mit der Rente. Besser fahren auch diejenigen mit einer kürzeren Lebenserwartung – oft Menschen, die nicht so Glück hatten im Leben,

Die Anreize kommen allerdings nicht nur von den EL; die steuerliche Belastung des Kapitalbezugs ist in den meisten Kantonen ungleich tiefer als die Steuerlast auf den PK Renten. Salopp gesprochen bestraft man Leute, die vorher wegen tieferen Steuern zum Barbezug gelenkt wurden (wobei auch die Pensionskassen wegen überhöhten Umwandlungssätzen keine Veranlassung sehen, dies zu ändern).

Eine Anrechnung vergangener Ausgaben ist heikel, rechtlich und praktisch. Abgesehen von Schenkungen an die Nachkommen: Wie soll der Staat beurteilen, welche Ausgaben „unnötig“ waren, wann der Verbrauch des Kapitals „vorzeitig“ war? Vielleicht wurde das PK Kapital bezogen, um eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen zu finanzieren (und die IV zu schonen)? Vielleicht war die Bezügerin krebskrank zum Zeitpunkt der Pensionierung? Ausser in wenigen klaren Fällen (Schenkungen an Kindern, Immobilienerwerb) ist die Beurteilung eines vorzeitigen Verbrauchs der PK Guthaben willkürlich und anmassend.

Was tun? Es ist sinnvoll – wie vorgeschlagen – die Vermögensgrenze zu senken. Die EL sind nicht dazu da, die Erben zu schützen. Die Vermögensgrenze bei den EL zu AHV hätten man noch weiter senken können und dafür die partielle (für viele zu komplizierte) Anrechnung des Vermögens als Einkommen fallen lassen. Wer zuerst den Grossteil des Vermögens abbauen muss, wird sich seine Anschaffungen/Ausgaben gut überlegen – ob mit oder ohne Kapitalbezug aus der PK.

PS1: Vielleicht überlegen sich ja die PolitikerInnen auch einmal, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kapitalbezug steuerlich zu subventionieren – um ihn dann später wieder zu bestrafen.

PS2: Hausbesitz kompliziert die Analyse ein wenig. Es gibt aber genügend Ideen (zBsp Rückzahlung der EL bei der Veräusserung/Vererbung des Hauses), damit umzugehen.

 

Das Edel-Subventionat

Urs Birchler

Eine Klasse, die Karl Marx nicht vorgesehen hatte, war jene, die man das Subventionat nennen könnte. Der Begriff ist nicht böse gemeint; wir haben ja fast alle eine (fast) kostenlose Ausbildung genossen oder sind über subventionierte Wiesen gewandert oder mit einem unrentablen Tram gefahren. Es gibt aber im engeren Sinn eine — wie mir scheint zunehmende — Anzahl von Gruppen, für welche Subventionen (Krankenkasse, Kinderkrippe, Genossenschaftswohnung) einerseits eine wichtige Rolle spielen, aber andererseits auch eher schwierig zu begründen sind. Immerhin galt bisher ein tiefes Einkommen meist als Bedingung. Dies scheint sich zu ändern.

Der Tages-Anzeiger. zitiert die Co-Präsidentin einer Stadt-Zürcher Partei wie folgt:

„Auch wer gut verdient, hat ein Recht auf eine bezahlbare Wohnung.“

Nimmt mich nur wunder, wer von den Gutverdienende dann die günstige Wohnung bekommt. Meine Vermutung: Diejenigen, die jetzt schon am längsten drin sind.

P.S.: Der Artikel ist nicht parteipolitisch gemeint. Es gibt ja auch eine Partei, die der Meinung ist, jedermann habe das Recht auf „bezahlbare“ städtische Parkplätze und darauf, zu Stau-Zeiten bezahlbar=gratis mit dem Auto in die Stadt fahren zu dürfen.

Altern ist (nicht) lustig

Monika Bütler

Der Beitrag erscheint unter dem selben Titel im HSG Focus 01/2017.

Das Knie knirscht, der Rücken schmerzt, die Falten werden tiefer. Mein Jüngster meinte vor einiger Zeit, dass ich von hinten eigentlich jung aussähe – von vorne hingegen…. Altern ist nicht lustig. Dennoch: Fast alle möchten alt werden, ein immer grösserer Teil der Bevölkerung schafft es auch. Noch vor 20 Jahren kannte man zwar bereits die wachsenden Finanzierungslücken der Alterssicherung, man wusste allerdings herzlich wenig darüber, wie es den älteren Menschen geht. Materiell, gesundheitlich, sozial, und vor allem darüber, wie all dies zusammenhängt. Ob healthy, wealthy and wise oder krank, arm und vergesslich, die optimale Alterspolitik hängt eben nicht nur von den Finanzen ab, sondern auch von den Bedürfnissen der Empfänger.

Ebenfalls erstaunlich: die riesigen Unterschiede zwischen Weiterlesen

Die Tücken der Tragbarkeitskriterien beim Hauskauf

Monika Bütler

Eine gekürzte Fassung dieses Texts erschien am 30. Oktober in der NZZ am Sonntag unter dem Titel „Banken entdecken ihr Herz für Familien“.

Partnerwahl und Hauskauf, − zwei der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Zur Partnerschaft genügen zwei; beim Hauskauf ist meist eine dritte Partei dabei: die Bank. Ihre Bedingungen entscheiden, ob Haus oder Wohnung erschwinglich sind. Neuestens haben die Banken ihr Herz für den Mittelstand entdeckt. Sie möchten die Tragbarkeitskriterien für Hypotheken lockern, um jungen Familien die Eigenheimidylle zu ermöglichen.

Nach alter Regel sollten die jährlichen Kosten eines Hauses nicht mehr als einen Drittel des Bruttoeinkommens betragen.  Hauptkostenpunkt ist der Hypothekarzins. Der wäre heute eigentlich tief. Gewitzt durch die von einem Immobilienboom in den USA ausgelöste Finanzkrise (und angehalten durch die Finanzbehörden)  kalkulieren die Banken jedoch mit einem längerfristigen Durchschnittssatz von gegenwärtig 5%. Diesen möchten einzelne Banken auf 3% senken. Konkret: Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Franken und Eigenmitteln der Käufer von 200‘000 Franken wäre statt eines Bruttoeinkommens von 150‘000 Franken (bei 5% Zinsen und 1% des Kaufpreises als Unterhalt) neu nur noch eines von 102‘000 Franken notwendig. Gerade im Mittelstand ein beachtlicher Unterschied.

Auf den ersten Blick hat die vorgeschlagene Änderung durchaus ihren Charme. Fast alle Prognosen gehen von langfristig tiefer Realzinsen aus. Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang der Produktivität sind die Hauptgründe dafür. Und Inflation ist (noch) nicht in Sicht.

Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Denn, erstens, lauern im neuen makroökonomischen Umfeld mit tieferen Zinsen neue Gefahren für die Käufer:Nicht nur die Zinsen sind tief, das Wirtschaftswachstum ist es ebenfalls. Die Hauskäufer können nicht mehr damit rechnen, dass sich der relative Wert der Hypothek gemessen an ihrem Einkommen über die Zeit sozusagen magisch verkleinert. Es ist denn auch kein Zufall, dass die Zahl der Rentner, für die die Hypothek eine zu grosse finanzielle Belastung darstellt, heute sehr viel höher liegt als früher.

Zwanzig Jahre ohne nennenswerte Inflation haben uns zudem vergessen lassen, wie sehr höhere Inflationsraten und somit Hypothekarsätze die Haushalte belasten – auch wenn Renten und Löhne vollständig an die Teuerung indexiert sind. Hypothekarzinsen von über 7% wie in den 1990er Jahren wären mit beim erwähnten Beispiel mit einem Einkommen von 100‘000 Franken kaum mehr tragbar.

Zweitens wird wohl ein Teil der Erleichterung beim Hauskauf gerade wieder aufgefressen von den dadurch ausgelösten Preissteigerungen: Bieten zwei Interessenten für eine Wohnung, hört das Preisangebot spätestens dann auf, wenn die Tragbarkeitsbedingungen binden. Sind diese lockerer, können dieselben Bieter nicht nur höhere Gebote machen, auch der Kreis der Anwärter wird grösser. Das logische Resultat: das Haus wechselt die Hand zu höherem Preis. Dies ist nicht einfach graue Theorie. Die empirische Evidenz aus verschiedenen Ländern zeigt eindeutig, dass direkte oder indirekte Erleichterungen des Immobilienkaufs durch für weniger reiche Haushalte immer auch zu höheren Preisen führen. Die vermeintliche Unterstützung geht teilweise oder ganz an die Hauseigentümer und Baufirmen.

Interessanterweise versteht man im Ausland, dass dank der Tragbarkeitskriterien die Immobilienpreise in der Schweiz nicht noch mehr gestiegen sind. Am letzten Dienstag versandte das deutsche Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der drohenden Immobilienblase. Eine der vorgeschlagenen Massnahmen: strengere Vergabekriterien.

Also nichts machen und gerade junge Mittelstandsfamilien weiterhin vom Hauskauf abhalten? Ein Kompromiss wäre die strengen Tragbarkeitskriterien etwas in die Zukunft zu verschieben und diese mit höheren verbindlichen Abzahlungsraten zu verbinden. Die Amortisation müsste so hoch sein, dass bei gleichem Einkommen in 15 Jahren wieder die konservativen 5% erreicht würden. Dies hätte zwei weitere Vorteile: Erstens ist die Bereitschaft einer hohen Amortisation für die Banken ein gutes Signal für das berufliche Selbstvertrauen der Schuldner.

Zweitens schützt eine tiefere Verschuldung die Betroffenen im – leider nicht seltenen – Scheidungsfall. Die amerikanische Ökonomin Betsey Stevenson zeigte nämlich, dass die Menschen das Scheidungsrisiko bei fast allen Entscheidungen berücksichtigen (Kinder, Sparen, Arbeit), sonderbarerweise nicht aber beim Hauskauf. Sie verkennen, dass von den zwei Entscheidungen die Partnerwahl die wichtigere ist: Wer dort einen Fehler macht, hat auch das Haus auf Sand gebaut.

Grundeinkommen: Wichtig ist die Diskussion – nicht

Monika Bütler

Wichtig sei es, die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in Gange zu bringen, betonen die Befürworter des Konzepts immer wieder gerne. Und die Diskussionen sind auch durchaus interessant, meistens wenigstens. Gestern abend allerdings – beim Tagi Podium im Kaufleuten – war die Bereitschaft des Publikums, sich auf eine Diskussion einzulassen, eher gering. Gelinde gesagt.

Während die Ausführungen der Befürworter Philip Kovce und Oswald Sigg frenetisch beklatscht wurde (was ich durchaus schön fand), wurden viele Voten von Katja Gentinetta und mir mit Zwischenrufen, Lachsalven und anderen Formen von Lärm unterbrochen oder ganz verunmöglicht (was ich weniger schön fand). Und dies selbst bei Diskussionen, die von beiden Seiten auf dem Podium als wichtig und interessant erachtet wurden. So zum Beispiel, was genau Bedingungslosigkeit heisst, wenn das Grundeinkommen zwar bedingungslos ist, die Zahlerinnen aber über alles mögliche (Einkommen, Vermögen, Familiensituation, Berufskosten) minutiös Rechenschaft ablegen müssen.

Es wäre ein Gaudi gewesen, wie die Gegner Lachsalven über sich ergehen lassen mussten, meinte jemand auf Twitter. Ich würde wie eine HSG Professorin klingen, die eigentlich Bäuerin sei, was schon fast wie ein Kompliment klang (und immerhin einen grossen wahren Kern hat). Ich bin aber auch verantwortlich für die Steuerhinterziehung der Reichen, die Steueramnestie einiger Kantone als Reaktion auf die Steuerhinterziehung der Reichen, das Diktat der Energie in der heutigen Wirtschaft, die Schwierigkeiten der über 55 jährigen auf dem Arbeitsmarkt und vieles mehr. Ich hätte wohl auch Alli miini Entli singen können – Hexe bleibt Hexe.

Schade. Vor einer Woche fand an der HSG im Rahmen des Symposiums eine sehr interessante Debatte zum Grundeinkommen statt (bei dem sich die Befürworter und Gegner etwa die Waage hielten). Solche Diskussionen bringen uns tatsächlich weiter.

Für weitere öffentliche Debatten stehe ich dennoch nicht mehr zur Verfügung, das überlasse sich gerne anderen und hole dafür – ganz im Sinne der Initianten – das gestern verpasste Eile mit Weile Spiel mit der Familie nach. Ich erneuere daher meine schon vor 3 Jahren gepostete Absage. Die Gründe gelten noch immer.

Nur eine inhaltliche Ergänzung noch. Das BGE wird uns als pro-aktives Allerheilmittel gegen die disruptiven Folgen der Digitalisierung angepriesen. Doch: Wer weiss denn schon, welches Konzept für die noch weitgehend unbekannten Folgen des Wandels das Richtige ist. Ist es wirklich das BGE? Könnte es nicht auch sein, dass die Zukunft massive Investitionen in die Bildung oder den Umweltschutz verlangt, bei welchen dann die mittels BGE weitgestreuten Mittel fehlten? Vielleicht ist ein Damm als Schutz vor den Fluten sogar effizienter als Flosse(n) für alle.

Die Finanzierungslücke des bedingungslosen Grundeinkommens ist viel höher als 25 Mia pro Jahr

Von Gebhard Kirchgässner

Am 5. Juni werden wir über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmen. Im Verfassungsartikel steht zwar, dass es „ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen“ soll, jedoch nichts über dessen genaue Höhe. Den Initianten schwebt ein Einkommen von 2’500 Fr. für alle Erwachsenen und 625 Fr. für alle Kinder und Jugendlichen vor. Davon geht auch der Bundesrat aus. Dies ergäbe insgesamt einen Betrag von 208 Milliarden Fr. pro Jahr.

Geht man nach der Botschaft des Bundesrats und dem Abstimmungsbüchlein, wären zur Finanzierung zusätzlich 25 Milliarden Fr. erforderlich. 55 Milliarden Fr. ergäben sich durch Einsparungen bei den Sozialausgaben, und es „könnten rund 128 Milliarden Fr. gedeckt werden, indem von jedem Erwerbseinkommen 2500 Fr. abgezogen würden, bei Einkommen unter 2500 Fr. entsprechend das ganze Einkommen.“ Um die restlichen 25 Milliarden Fr. zu finanzieren, müsste beispielsweise die Mehrwertsteuer um 8 Prozentpunkte angehoben werden.

Leider ist die tatsächliche Finanzierungslücke sehr viel grösser. Zum einen ist es nicht ganz einfach, von jedem Erwerbseinkommen bis zu 2500 Fr. abzuziehen. Man könnte es über eine proportionale Einkommensteuer versuchen. Geht man vereinfachend davon aus, dass das Nettonationaleinkommen als Steuerbasis zur Verfügung stünde, das garantierte Grundeinkommen jedoch steuerfrei bliebe, könnte ein Gesamteinkommen von 505 Milliarden besteuert werden. Dies bedeutete bei einer proportionalen Steuer allein für die Finanzierung des Grundeinkommens einen Grenzsteuersatz von 41 Prozent. Dazu kämen selbstverständlich noch die anderen Steuern, schliesslich hat der Staat neben anderem auch für das Rechtswesen, die Erziehung und den Verkehr zu sorgen. Albert Jörimann, ein Verfechter des Grundeinkommens, hat als Alternative für Erwerbs- und Kapitaleinkommen bis 4’000 Fr.pro Monat eine Proportionalsteuer von 67 Prozent und darüber eine Kopfsteuer von 2’500 Fr. vorgeschlagen.

Das ist aber noch nicht alles. Alle diese Berechnungen gehen davon aus, dass sich auf der Einnahmenseite des Staates nichts ändert. Wenn aber die AHV durch das Grundeinkommen ersetzt wird, fallen auch die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer dafür weg. Sie werden damit finanziell entlastet. Damit die Rechnung aufgeht, muss der entsprechende Betrag vom Staat an anderer Stelle wieder hereingeholt werden. Das Gleiche gilt für die Invaliden- und die Arbeitslosenversicherung, soweit sie durch das Grundeinkommen ersetzt werden. Die dann wegfallenden Beiträge bewegen sich in einer Grössenordnung von 35 Milliarden Fr. Sieht man einmal von den Problemen ab, die 2’500 Fr.pro Monat von denjenigen zurückzuholen, die über eigenes Einkommen verfügen, bleibt immer noch eine Finanzierungslücke von ca. 60 Milliarden Fr., die zu schliessen wäre. Wollte man diese beispielsweise über die Mehrwertsteuer erreichen, benötigte man (selbst unter idealen Bedingungen) nicht nur eine Erhöhung um 8 Prozentpunkte, sondern sogar um etwa 20 Prozentpunkte.

Nicht von den Initianten, sondern auch im Abstimmungsbüchlein wird die durch eine Annahme dieser Initiative entstehende Finanzierungslücke somit massiv unterschätzt.

(Eine ausführliche Version mit den genauen Berechnungen findet sich als Diskussionspapier hier)