Sollen nicht berufstätige Akademiker die Kosten für ihr Studium zurückzahlen?

Gebhard Kirchgässner

Kürzlich wurde vorgeschlagen, dass Akademiker einen Teil ihrer Ausbildungskosten zurückzahlen sollen, wenn sie freiwillig über längere Zeit nicht berufstätig sind. Damit soll u.a. dem Fehlen qualifizierter Fachkräfte begegnet werden. Damit würden freilich nur Symptome und nicht die Ursachen bekämpft, und zweitens hätte dies aller Voraussicht nach sehr negative Nebenwirkungen.

Wie die NZZ am Sonntag kürzlich berichtete, hat der Berner Kollege Stefan Wolter vorgeschlagen, „dass Akademiker einen Teil ihrer Ausbildungskosten zurückzahlen sollen, wenn sie freiwillig über längere Zeit nicht berufstätig sind“ (F. Benini und M. Furger, NZZ am Sonntag vom 5.10.2014, S.22). Damit soll ein Teil des Mangels an hochqualifizierten Arbeitskräften behoben werden. Zudem würden nicht mehr so viele Akademiker aus dem Ausland benötigt, was auch eine EU-konforme Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative erleichtern könnte.
Betroffen wären davon vor allem Frauen; schliesslich sind 16 Prozent der Akademikerinnen nicht (und nur 7 Prozent der Akademiker) erwerbstätig. Zudem haben Frauen mit Kindern im Alter von 25 Jahren vergleichsweise niedrige Pensen vom im Durchschnitt nur 40 Prozent. Hinter diesem Vorschlag steht vermutlich die Hoffnung, dass dann mehr Akademikerinnen überhaupt bzw. mit höheren Pensen arbeiten würden. Damit könnte, wie die NZZ am Sonntag schreibt, z.B. der Lehrermangel in der Schweiz behoben werden.
Auf den ersten Blick mag ein solcher Vorschlag vernünftig erscheinen. Tatsächlich weisen die Frauen insgesamt in der Schweiz zwar eine – im internationalen Vergleich – sehr hohe Erwerbsquote auf, aber mit vergleichsweise geringen Pensen. Die führt z.B. dazu, dass trotz hoher formaler Wochenarbeitszeit und – verglichen mit unseren Nachbarländern – etwas geringeren Ferienansprüchen die durchschnittliche Jahresarbeitszeit unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Im Jahr 2013 betrug die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Erwerbstätigen in der Schweiz 1585 Stunden; der OECD-Durchschnitt lag bei 1770 Stunden. Nur sieben von 35 OECD-Staaten hatten geringere durchschnittliche Jahresarbeitszeiten als die Schweiz. Das Problem ist jedoch, dass zum einen hier Symptome und nicht die Ursachen bekämpft würden und dass damit zweitens aller Voraussicht nach negative Nebenwirkungen verbunden wären.

Ursachen

Es ist zumindest nicht auszuschliessen, dass hinter diesem Vorschlag die Vermutung steht, dass jene Akademikerinnen, die nicht oder nur mit geringen Pensen berufstätig sind, dies deshalb sind, weil sie ein bequemeres Leben der Berufstätigkeit vorziehen. Aus dieser Perspektive mag es angebracht erscheinen, sie dafür zu ‚bestrafen‘, indem sie einen Teil der Ausbildungskosten zurückzahlen müssen. Schliesslich kann ihr Studium unter diesen Umständen als Konsum angesehen werden, für den man auch entsprechend zu bezahlen hat.
Es mag diese Situation geben, aber nichts spricht dafür, dass dies für die grosse Mehrheit der nicht berufstätigen Akademikerinnen gilt. Geringe Pensen haben insbesondere Frauen mit Kindern – Frauen ohne Kinder im schulpflichtigen Alter haben ein durchschnittliches Pensum von 69 Prozent. Wünscht man, dass sie sich stärker im Beruf engagieren, muss es möglich sein, dass die Kinder während ihrer Arbeitszeit gut betreut werden. Dies erfordert zum einen, dass die Schulzeiten so geregelt sind, dass die Frau einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen kann, und zweitens, dass die zusätzliche Betreuung für die Familie finanziell verkraftbar ist.
Insbesondere im Kindergarten- und Primarschulbereich erlauben die Schulzeiten bei Weitem nicht immer zumindest eine geregelte Halbtagsarbeit berufstätiger Mütter. Zudem führt das Steuersystem, aber noch viel mehr das System der Kinderbetreuung in der Schweiz dazu, dass Beruf und Familie nur sehr schwer mit einander vereinbar sind. Wie M. Bütler (2007) gezeigt hat, kann es unter plausiblem Umständen für einen Haushalt der Mittelklasse dazu kommen, dass eine Ausweitung der Berufstätigkeit des Zweitverdieners in einer Familie, d.h. unter den heutigen Bedingungen in aller Regel der Ehefrau, dazu führt, dass das Nettoeinkommen sinkt.
Das Problem der Familienbesteuerung ist zumindest auf Bundesebene bisher nicht wirklich gelöst, auch wenn die Heiratsstrafe durch ‚flankierende Massnahmen‘ abgemildert wurde. Es bleibt jedoch, dass zusätzliches Arbeitseinkommen einem sehr hohen Grenzsteuersatz unterliegt, wobei zu den Einkommensteuern auch die AHV-Beiträge gerechnet werden müssen, die dann, wenn man verheiratet ist und der Erstverdiener ein höheres Einkommen hat, reinen Steuercharakter haben. Dass dieses Problem bisher nicht gelöst ist, hängt daran, dass man sich nicht zwischen Individualbesteuerung und Splitting entscheiden kann. Bei der Individualbesteuerung würde der Grenzsteuersatz für den Zweitverdiener (mit geringerem Einkommen) deutlich sinken, was den Arbeitsanreiz stark erhöhen würde. Beim Splitting wäre die Reduktion weniger stark; dafür sprechen andere Ergebnisse (Leu et al. 2008) für diesen Ansatz: da Sozialleistungen sinnvollerweise am Haushalts- und nicht am Individualeinkommen ansetzen, macht es Sinn, dass dies auch für die Besteuerung gilt.
Problematischer als die Besteuerung sind jedoch die Kinderbetreuungskosten. Sie sind in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern extrem hoch. Die Beträge können pro Kind und Tag über 100 Fr. liegen. Sollen drei Kinder betreut werden, ergibt dies einen Jahresbetrag von über 75’000 Fr. Für niedrige Einkommen gibt es Ermässigungen. Mit zunehmender Erwerbstätigkeit und der damit erforderlichen Ausweitung der Betreuung kann sich der oben angesprochene, von M. Bütler (2007) aufgezeigte Effekt ergeben, dass mit steigender Erwerbstätigkeit das Bruttoeinkommen zwar steigt, das Nettoeinkommen aber sinkt. Unter solchen Bedingungen eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu fordern, macht keinen Sinn.
Dieses Problem ergibt sich vor allem dadurch, dass die Aufwendungen für die Kinderbetreuung nur sehr beschränkt von der Steuer absetzbar sind. Um einen Anreiz zur Aufnahme bzw. Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu setzen, sollten die Betreuungskosten in realistischer Höhe von steuerbaren Einkommen abzugsfähig sein. Dies wäre bei einem Maximalbetrag zwischen 25’000 und 30’000 Fr. pro Kind und Jahr der Fall. Heute können z.B. im Kanton St. Gallen gerade einmal 7’500 Fr. pro Kind abgezogen werden. Faktisch handelt es sich hier um eine Doppelbesteuerung des Faktors Arbeit, da der Aufwand, der das Arbeitseinkommen des Zweitverdieners in der Familie erst ermöglicht, nicht von deren steuerpflichtigem Einkommen abgezogen werden kann, sondern voll versteuert werden muss, und gleichzeitig noch als Ar-beitseinkommen der betreuenden Person zu versteuern ist. Während in der Schweiz viel Aufhebens um die Doppelbesteuerung von Kapitaleinkommen gemacht wird, erhält die hier vorliegende Doppelbesteuerung des Arbeitseinkommens sehr viel weniger Aufmerksamkeit.

Nebenwirkungen

Würden Frauen, die nach erfolgreichem Studium nicht ‚genug‘ arbeiten, damit bestraft, dass sie einen Teil der Kosten des Studiums zurückzahlen müssen, würde vermutlich eine erhebliche Zahl junger Frauen überlegen, ob sie überhaupt ein Studium aufnehmen sollen. Die Bemühungen um Chancengleichheit im Berufsleben würden damit konterkariert. Wenn eine junge Frau nach der Matura vor der Entscheidung steht, ein Studium oder eine Berufslehre zu beginnen, sind ihre Zukunftspläne in aller Regel noch nicht so festgezurrt, dass klar ist, ob und wie viele Kinder sie in Zukunft haben wird. Will sie dies offen lassen, geht sie mit dem Studium ein erhebliches finanzielles Risiko ein. Dies lässt das Studium im Vergleich zur Lehre als weniger attraktiv erscheinen. Für Männer besteht dieses Risiko – zumindest in unserer heutigen Gesellschaft – offensichtlich nicht. Daher ist nicht nur damit zu rechnen, dass die Zahl der weiblichen Studierenden zurückgehen würde, sondern es würde sich auch ihr Anteil an den akademischen Ausbildungen verringern.
Junge Frauen, die dennoch ein Studium aufnehmen würden, hätten einen noch grösseren Anreiz als heute, von ihrem Kinderwunsch Abschied zu nehmen und ausschliesslich im Beruf Erfüllung zu finden. Schon heute bleiben 40 Prozent aller Frauen mit Hochschulabschluss kinderlos (Kommission für Konjunkturfragen 2005). Dieser Anteil würde sich vermutlich weiter erhöhen.

Abschliessende Bemerkungen

Der Vorschlag, dass Akademiker einen Teil ihrer Ausbildungskosten zurückzahlen sollen, wenn sie freiwillig über längere Zeit nicht berufstätig sind, würde fast ausschliesslich Frauen treffen. Er wäre zudem mit erheblichen negativen Nebenfolgen verbunden, die wiederum ausschliesslich Frauen zu tragen hätten, und zwar vor allem Frauen mit Kindern. Zudem würde damit nur an Symptomen herumgedoktert und nicht an den Ursachen angesetzt. Es wäre daher nicht sehr klug, diesem Vorschlag zu folgen. Vielmehr sollte man an den Ursachen ansetzen: Wo das heute noch nicht der Fall ist, sollte man die Schulzeiten im Kindergarten und in der Primarschule so ansetzen, dass zumindest eine geregelte Halbtagsarbeit ohne zusätzliche Kinderbetreuung möglich ist. Die Heiratsstrafe in der Besteuerung sollte dort, wo sie noch besteht, abgeschafft werden. Schliesslich sollten die Kinderbetreuungskosten in realistischer Höhe steuerabzugsfähig sein. Wie ausländische Erfahrungen zeigen, kann dies zu einem Anstieg der Berufstätigkeit der Frauen und gleichzeitig auch zu einer höheren Geburtenrate führen (Apps und Rees 2004).

Literatur

Apps, Patricia und Ray Rees (2004), Fertility, Taxation, and Family Policy, Scandinavian Journal of Economics 106, S. 745 – 763.

Benini, Francesco und Michael Furger (2014), Arbeit für alle, NZZ am Sontag Nr. 40 vom 5. Oktober 2014, S. 22

Bütler, Monika D. (2007), Arbeiten lohnt sich nicht – ein zweites Kind noch weniger, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 8, S. 1 – 19.

Leu, Robert E., Michael Gerfin, Yves Flückiger, To­bias Müller, Carlo Knöpfel und Alexander Spermann (2008), Erwerbsabhängige Steuergutschriften und Arbeitsanreize, Rüegger, Chur/Zürich. 2008,

Kommission für Konjunkturfragen (2005), 384. Mitteilung: Wirtschaftliche Auswirkungen einer alternden Bevölkerung, Jahresbericht 2005, Beilage zur ‚Volkswirtschaft‘ dem Magazin für Wirtschaftspolitik, http://www.seco.admin.ch/dokumentation/publikation/02640/02644/index.html?lang=de (20/10/14).

OECD (2014), OECD Employment Outlook, OECD Publishing; http://www.oecd-ili brary.org/docserver/download/8114091e.pdf?expires=1413278044&id=id&accname=ocid195658&checksum=7B127E70FAC6A446841EC7494A017DF9 (14/10/14).

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert