Urs Birchler
Die Credit Suisse wurde im März 2023 Opfer einer (vermutlich begründeten) Massenflucht ihrer Kundengelder. Neu dabei war: Das Geld floss in aller Stille und gegen aussen unsichtbar ab. Noch 2007 bildeten sich vor den Schaltern der britischen Bank Northern Rock lange Schlangen. Bei der CS 2023: nichts dergleichen. Statt die Schalter zu stürmen und Bargeld davon zu tragen, konnten die Einleger ihr Geld mit ein paar Klicks transferieren auf andere Banken. Der stille Run illustriert über das Problem der CS hinaus eine unbequeme Wahrheit: Das seit dem Mittelalter betriebene Geschäftsmodell der Banken ist kaum mehr möglich.
Die Rede ist vom „fractional reserve banking“: Banken borgen Einlagen, welche die Einleger jederzeit zurückziehen können. Das geborgte Geld leihen sie längerfristig an ihre Kreditnehmer aus. So kommen die Kreditnehmer zu günstigen Hypotheken, die Einleger behalten ihre Mittel flüssig. Die Banken bauen — bildlich gesprochen — eine Brücke zwischen flüssigen Mitteln und festem Beton — zum Vorteil der Schuldner, der Einleger und, last but not least, ihrer selbst.
Dieses Geschäftsmodell hat über Jahrhunderte funktioniert. Nur gelegentlich kam es zu Pannen: Wenn eine Bank das Vertrauen der Einleger verlor (meist, weil sie schlechte Kredite gewährt hatte), kam es zum Bank Run. Die Gefahr eines Bank Run hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute: Sie zwingt eine Bank und deren Einleger (die bei einem Zusammenbruch Geld verlieren) zur Vorsicht. Die schlechte: Der Run auf eine Bank kann diese zu verlustreichen Notverkäufen zwingen; darüber hinaus kann ein Run zu einem Flächenbrand führen, wenn er das Vertrauen des Publikums in die anderen Banken zerstört.
Nicht zuletzt wegen dieser Gefahr sind staatliche Notenbanken entstanden, die im Notfall Geld drucken können. Die Versorgung des Geldmarktes mit Liquidität und die Finanzstabilität gehören deshalb zu den Aufgaben der Schweizerischen Nationalbank (Art. 5 Abs. 2 lit. a und e NBG).
Liquiditätshilfe der Nationalbank kommt in verschiedenen Stufen. Kredite innerhalb des Tages und über Nacht sollen Störungen des Zahlungsverkehrs verhindern. Bei Bankenkrisen gewährt die SNB Kredit als Emergency Liquidity Assistance (ELA) an solvente Banken und gegen Deckung. Traditionsgemäss besteht die Deckung vor allem aus Wertpapieren. Heutzutage kann die Nationalbank (unter gewissen technischen Voraussetzungen) auch Hypotheken belehnen. Dies ist wichtig, da diese bei den meisten Banken einen grossen Teil der Bilanz ausmachen.
Bei der CS reichten die belehnbaren Werte nicht aus, um den Geldabfluss zu kompensieren. Die SNB wurde deshalb unter Notrecht zu zwei zusätzlich Tranchen von Liquiditätshilfe ermächtigt: (a) Kredite ohne Deckung mit Konkursprivileg (ELA+) und (b) Kredite ohne Deckung mit Bundesgarantie (Public Liquidity Backstop, PLB). Beides wäre unter ordentlichem Recht illegal (Art. 9 Abs 1, lit. e NBG). Deshalb ist der Bundesrat bestrebt, (für systemrelevante Banken) den PLB ins ordentliche Recht zu überführen.
Bei Einführung des PLB kann eine (systemrelevante) Bank fast die ganze Aktivseite ihrer Bilanz kurzfristig mit Notenbankgeld belehnen. Ihre Einlagen (auf der Passivseite) sind dann im Krisenfall voll mit Notenbankgeld gedeckt. Dies war das Ziel der 2018 abgelehnten Vollgeld-Initiative. Der Unterschied zur Vollgeld-Initiative: Diese wollte, dass die Banken den Gegenwert ihrer Kundeneinlagen selbst in ihrer Kasse (oder auf dem SNB-Konto) halten. Unter dem Public Liquidity Backstop bleibt das Notenbankgeld bei der SNB, solange es die Banken nicht brauchen. Das ist derselbe Unterschied wie zwischen indivduellem Autobesitz und Mitgliedschaft beim Car-Sharing. In beiden Fällen hat man ein Auto zur Verfügung, wenn man eins braucht. Car-Sharing ist insofern effizienter, als es mit weniger Fahrzeugen auskommt. Auch die Totalbelehnung von Bankaktiven durch die SNB im Bedarfsfall wäre effizienter als die individuelle Liquiditätshaltung der Banken, die mit Zinsverlust verbunden ist.
Nur: Denn das Wichtigste geht verloren: Die Illiquidität als ultima ratio, als Brecheisen, das eine schlecht geführte Bank in neue Hände zwingt. Bei jeder anderen Unternehmung ist dieses Brecheisen das letzte Mittel der Unternehmenskontrolle, wenn Geschäftsführung und Eigner versagt haben. Bei Banken müsste es ersetzt werden durch ein scharfe — und (anders als bei der CS) rechtzeitig eingreifende — Aufsicht. Die Nothilfe via PLB müsste deshalb mit automatischen Sanierungsmassnahmen verbunden sein — beispielsweise einer Löschung der Aktionärsrechte. Zugegeben: Die Verknüpfung zwischen Hilfe und Strafe muss noch genauer durchdacht werden. Genau deshalb ist es so wichtig, den PLB nicht separat einzuführen, bevor die Too-Big-to-Fail-Gesetzgebung überarbeitet wird.
Fazit: Eine separate Einführung des PLB brächte die Architektur von Unternehmenskontrolle und Aufsicht im Bereich der systemrelevanten Banken komplett aus dem Lot.