Die Europäische Zentralbank hat an ihrer Sitzung vom 21. Juli ein neues Instrument eingeführt. Der wie üblich trockene Name Transmission Protection Instrument (TPI) zeigt nicht auf den ersten Blick, wie revolutionär dieser Schritt ist.
Ein kurze Rückblende: Die EZB ist eine monetäre Behörde, zuständig für die Geldpolitik im Euro-Raum. Die Fiskalpolitik, die Schwester der Geldpolitik, bleibt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dies wurde bei der Gründung des Euro klar festgelegt. Theoretisch. Mit der Zeit liessen die Euro-Länder eine Aufweichung der fiskalischen Spielregeln zu. Zudem verschwamm die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik: EZB-Präsident Draghi erklärte, gegen die steigenden Risikoaufschläge auf den Zinsen italienischer und griechischer Staatsanleihen zu tun, was immer es braucht (”whatever it takes”); “und es wird genug sein”, fügte er hinzu.
Jetzt scheint es genug: Angesichts der steigenden Inflationsraten scheint Geldschöpfung als Beruhigungspille nicht mehr möglich. Hier kommt das TPI zum Zuge: Die EZB soll die Anleihen mit steigender Risikoprämie (d.h. jene von Ländern wie Italien oder Griechenland) anstatt mit neuem Geld mit dem Erlös aus Verkäufen von Ländern mit tiefer Risikoprämie (wie Deutschland oder Finnland) finanzieren. D.h. Umschichtung der Bilanz anstatt Verlängerung. Das TPI soll als „Anit-Fragmentierungs-Instrument“ die Einheit des europäischen Zinsniveaus bewahren. Betragsmässig ist das Instrument wie schon Mario Draghis Geldspritzen a priori unbegrenzt.
Wie der Grandseigneur der deutschen Wirtschaftswissenschaften, Hans-Werner Sinn, vorgestern an einem Podiumsgespräch in München erklärte, beruht das Argument der EZB zur Begründung das TPI auf einer simplen Fehlüberlegung: Einheitliche Zinssätze sind nicht gleich einheitliche Finanzierungskosten. Die Finanzierungskosten eines Kredits sind die Zinszahlungen plus die erwartete Rückzahlung. Eine unsichere Rückzahlung wird deshalb im Markt mit einem Risikozuschlag auf den Zinssatz (spread) abgegolten. Eine unsichere italienische Anleihe hat deshalb tiefere Finanzierungskosten als eine zum selben Zinssatz begebene sicheren deutsche Anleihe. Ein Instrument wie das TPI, das die Zinssätze europäisch einebnet, subventioniert deshalb de facto die schlechten Schuldner.
Das Argument der EZB, das TPI sei ein Anti-Fragmentierungs-Instrument, ist daher Mumpitz. Im Gegenteil: es führt mit der Einebnung der Zinssätze zu einer Fragmentierung der Finanzierungskosten. Die schlechteren Schuldner unter den Euro-Ländern werden fürs vergangene und weitere Schuldenmachen belohnt.
Die EZB hingegen endet mit dem TPI dort, wo sie nie hinwollte (und gemäss Währungsvertrag auch nicht hingehört): im Bereich der Staatsfinanzierung. (Oder schlimmer: Das TPI schliesst nicht einmal Käufe privater Schulden völlig aus.) Die europäische Geldpolitik unterstützte zwar die Staatshaushalte der südlichen Mitgliedstaaten schon mit ihrer bisherigen Tiefzinspolitik. Immerhin betrieb sie nicht direkt Fiskalpolitik. Dies hat sich mit der Einführung des TPI geändert, mit dem die EZB beispielsweise die Finanzierungskosten Italiens auf Kosten jenr Deutschlands senken kann. Ob und wie lange die Mitgliedläder einen solchen „Finanzausgleich“ tolerieren, wird sich zeigen.
Natürlich sind der Verwendung des TPI verbale Grenzen gezogen. Aber diese sind noch schwammiger formuliert als jene (längst ignorierten) im Währungsvertrag und laden geradezu zu politischen Kuhhändeln ein. Ohnehin klingen sie unrealistisch: Zum Beispiel muss ein Land, um in den Schutz des TPI zu erlangen, „nachhaltige öffentliche Finanzen” haben und “nicht an schweren makroökonomischen Ungleichgewichten“ leiden — in welchem Fall das Land auch keine hohen Risikoprämien zu befürchten hat und das TPI gar nicht braucht.
Angesichts der instabilen politischen Situation in Italien wird “lo spread“ die EZB und ihr neues Instrument vielleicht bald auf die Probe stellen. Ironisch wäre, wenn die EZB via TPI Italien indirekt für die Entlassung des ehemaligen EZB-Präsidenten Draghi als Regierungschef belohnen müsste.